Kapitel 9
The club isn't the best place to find a lover
So the bar is where I go
Me and my friends at the table doing shots
Drinking faster and then we talk slow
Come over and start up a conversation with just me
And trust me I'll give it a chance now
- Ed Sheeran ; "Shape of you"
31. Dezember 2017 , Londons coolste unfertige Wohnung
SOPHIA ♠ Die Türklingel meiner neuen Wohnung erschrecke mich. Völlig neben der Spur rollte ich wortwörtlich aus dem Bett und schlüpfte in meine weichen Einhornpantoffeln. Das T-Shirt, das eigentlich schon als Kleid durchgehen konnte, strich ich glatt, fuhr mir mit den Fingern durch die Haare und schaute verwirrt auf die Uhr. Es war gerade mal zehn Uhr morgens. Es war mein freier Tag. Wer zum Teufel wagte es mich so früh aus dem Bett zu werfen? Mein Weihnachtsgeschenk stolperte mir müde hinterher und schnüffelte an der Tür, wartend, dass ich sie öffnete. Obwohl ich erst seit gut einer Woche hier wohnte und noch nicht sehr viel Besuch zuhause begrüßen durfte, nervte es mich schon jetzt, dass die Tür keinen Spion hatte.
„Huh?" murmelte ich müde durch den offenen Türspalt. Selbst Ralph, der kleine Terrier-was-auch-immer-Mischling schien zu müde zu sein, um sein neues Revier zu verteidigen. „Oh Scheiße", entwich es mir, als ich realisierte, was genau hier vor sich ging.
Eine einzelne lila-weiße Lilie strahlte mich an. Zusammen mit wunderschönen Augen, von welchen ich mir nie wirklich sicher war, ob sie nun blau oder doch grün leuchteten. „Ich fühle mich vergessen", grinste er verschmitzt. Obwohl ich mich schlecht fühlen sollte, musste ich automatisch grinsen. Immer wenn er lächelte, biss er auf der Zungenspitze herum und zeigte nicht nur seine Zähne, sondern auch seine Grübchen.
„Ich hab dich auch vergessen", gab ich eben so verschmitzt frech grinsend zu und bat Tom in meine Wohnung. Obwohl sich in meinem neuen Heim hauptsächlich Farbeimer und alte Zeitungen befanden, war die Küche fertig eingerichtet. Mein Schlafzimmer im Gegenzug bestand aus besagtem Bett. Mehr nicht.
„Es ist...interessant hier", meinte er schmunzelnd und striff sich, ohne dass ich etwas gesagt hatte, die Straßenschuhe von den Füßen. Die Tatsache, dass Tom Ralph direkt über den Kopf streichelte, schien ihn zu beruhigen. Anders als Liam vor zwei Tagen wurde er weder gebissen noch, so wie Louis, im Strahl angepinkelt. Man sollte den Tag zwar nicht vor dem Abend loben, aber ich war mir sicher, Tom war akzeptiert und ab nun befugt Ralphs Revier zu betreten.
„Ich bin gerade erst hergezogen und wie du siehst ist noch einiges in Arbeit. Die Jungs wollten mir helfen aber"- „Also, jetzt wo ich schon mal da bin?" „Ehrlich? Mensch, das musst du doch nicht. Schließlich waren wir zum Brunch verabredet und nicht zum Streichen." Dass er mir seine Hilfe anbot, schmeichelte mir sehr. Und trotzdem fühlte es sich nicht richtige in, weshalb ich dankend ablehnte.
„Aber sag, Kaffee, Tee, Wasser?"
„Kaffee klingt gut. Mit Milch bitte."
Interessiert sah Tom sich in meiner Küche um. Ich mochte nicht die beste Köchin sein, doch dieser Raum war definitiv mein kleines Schmuckstück. Und das würde sich sicherlich auch nicht ändern, wenn das Wohnzimmer aus mehr, als einer unfertigen roten Wand und Zeitungspapier bestand. Während der Automat die Kaffeebohnen mahlte, setzte ich mich wieder zu Tom. Was genau ich eigentlich sagen sollte, wusste ich nicht. Umso dankbarer war ich, als Tom damit begann eine leichte Konversation aufzubauen. „Darf ich dich etwas fragen?" Sobald ich mit einem Nicken bejaht hatte, fuhr er fort: „Wie geht es Liam? Wie geht es ihm wirklich?"
Dieser Brunch war nicht unser erstes Treffen. Über Weihnachten hatten wir uns des Öfteren auf einen Drink getroffen. Doch heute war unser erstes Treffen alleine. Nachdem Liam es Tom schon am ersten Abend schwerer als nötig gemacht hatte, wunderte es mich nun umso mehr, dass sich Tom nach ihm erkundigte. Liams kindisches Verhalten hätte mich vor allem an Toms Stelle eher geärgert.
„Naja, wie soll es ihm schon gehen. Er hat seine sieben Sachen gepackt und ist erstmal bei seiner Schwester untergekommen und sucht jetzt eine Wohnung. Cheryl hat ihn ja von vorne bis hinten verarscht." Auch wenn Tom bereits durch meine betrunkenen Freunde mitbekommen hatte, warum wir an jenem Abend in der Bar gelandet waren, zögerte ich. Konnte ich ihm wirklich alles sagen? Andererseits strahlte er etwas unheimlich warmes und liebes aus. Ohne es wirklich erklären zu können, vertraute ich ihm. „Die Frau hat von Anfang an ein perfides Spielchen gespielt. Sie hat sich bei X-Factor hochgeschlafen und die jungen Herren, die bei der Hochzeit anwesend waren erpresst, damit sie die unterschiedlichsten Dinge für sie tun. Absolut widerlich, dieses Weibsbild." Der Kaffee war durchgelaufen und ich nutzte diese Pause zwischen Tom um mir, um mich wieder abzuregen. Noch immer brachte mich diese Schrulle in nur zwei Sekunden von Null auf Hundertachtzig. „Es ist mir so wieso ein Rätsel, was er mit der Alten wollte. Ich hab es nicht verstanden und werde es vermutlich nicht", regte ich mich schließlich doch weiter auf und stellte unsere Kaffeetassen auf den Tisch. Dabei fiel mir nicht nur auf, was für weiche Hände Tom hatte, als er nach seiner Tasse griff, sondern auch, dass ich noch nicht angezogen war. Durch das ganze Aufregen, musste ich es völlig vergessen haben.
„Ich kann es verstehen."
„Wie bitte?" Verwundert ließ ich meine Tasse wieder sinken, anstatt das schwarze Gold zu genießen. Seine faszinierenden Augen lagen auf mir und er lächelte sanft: „Naja, überlege doch mal. Sich zu verlieben ist immer überraschend, schockierend in gewisser Weise, wenn man es so sehen will und einfach chaotisch. Das trifft auch auf Liam und Cheryl zu, wenn ich dir richtig folgen konnte bei unserem letzten Drink. Du schuldest mir übrigens noch eine Revanche im Billard, junge Lady."
Warum war dieser Mann nicht längst unter der Haube?
„- das Herz ist unkontrollierbar, du kannst nicht bestimmen in wen du dich verliebst und du kannst dich auch nicht dafür rechtfertigen. Es passiert einfach. Du kannst es nicht organisieren oder planen, das ist der Fehler, den wir heutzutage machen. Heutzutage muss alles ordentlich, organisiert und gerechtfertigt sein. Du kannst nicht erklären, warum du jemanden liebst. Du tust es einfach."
In diesem Moment fiel mir einfach absolut überhaupt gar nichts ein, was ich hätte sagen können. Viel zu sehr war ich damit beschäftigt in Toms Augen zu blicken. Augen, von denen ich nie wusste, ob sie nun blau oder doch grün schimmerten. Einer Sache war ich mir aber sicher. Dies war der Moment, in dem ich mich endlich traute mich neu zu verlieben.
Liam war ein hoffnungsloser Fall.
Bei Tom sah das Ganze anders aus.
Als ich auch nach einer weiteren Minute keine Antwort von mir gegeben hatte, räusperte er sich: „'Tschuldige. Manchmal kommt mein Literaturstudium ein bisschen zu sehr durch." Davon hörte ich zum ersten Mal. Im Laufe der Unterhaltung stellte sich heraus, dass Tom lediglich als finanzielles Polster in der Bar angefangen hatte. Während seines Studiums hatte er dort gearbeitet und seit dem irgendwie Wurzeln geschlagen. Verlage hatten ihn abgelehnt und so war er glücklich in dem kleinen Pub am Leicester Square.
„Ich hätte nie gedacht, dass du Literatur studiert hast." Mittlerweile hatte ich nicht nur ein frisches T-Shirt und Jeans an. Wir hatten uns auch endlich entschlossen, was wir zum –mittlerweile Luch – essen wollten. Sorgfältig knetete ich den Hefeteig und versuchte dabei so wenig Mehl wie möglich auf den schwarzen Fliesen zu verteilen. Vorsichtig kippte Tom die Kartoffeln ab. „Ach nein?"
„Nope. So siehst du nicht aus."
„Ach. Und wie sehe ich dann aus." Bewaffnet mit einem Löffel voller Mehl sah er mich verschmitzt an. Sofort hob ich abwehrend die Hände. Nicht etwa weil ich Angst um mein Outfit oder meinen mies-geflochtenen Zopf hatte. Nein, ich hatte Angst um die Fliesen.
„Obwohl, jetzt, wo ich dich so da stehen sehe: Autor ist gut."
„Hm, jaja. Das hätte ich jetzt auch gesagt."
Nicht nur Tom war überrascht, als wir etwa gegen dreizehn Uhr auf unsere Teller sahen. Ich hatte es tatsächlich geschafft den ungarischen Klassiker Lángos herzustellen. Bei meinem ersten Bissen fühlte ich mich zurück versetzt in die Markthalle an der Freiheitsbrücke. Auch mein Gegenüber schloss genießerisch seine Augen.
„Aber sag mal", begann Tom mit vollem Mund zu brabbeln. „Was ist dein liebster Moment, den du bei deinen Reisen bisher erlebt hast?"
Das war eine grandiose Frage. Wenn ich ehrlich sein sollte, hatte ich viel erlebt. Aber nichts ließ sich mit meiner Kindheit vergleichen. Nichts kam auch nur annähernd an die Abenteuer der Drei Musketiere heran. Aus diesem Grund war ich zurückgekommen und hatte aufgehört durch die Weltgeschichte zu kutschieren. Der Urlaub, den ich mir genommen hatte, um Liams Hochzeit zu besuchen, sollte dazu dienen, mir darüber klar zu werden, ob ich mir nicht lieber einen anderen Job suchen sollte, der mich glücklicher machte. Einen, der es zuließ, dass ich Wurzeln schlug. „Wow, da gibt es einige", versuchte ich die Zeit zu überbrücken, bis mir mit einem Blick auf die Kaffeemaschine etwas einfiel. „New York 2014. Es hat geschüttet wie aus Eimern und ich bin in das nächstbeste, kleine Kaffee gelaufen, um mich unterzustellen. Dort habe ich DUKALE'S DREAM entdeckt. Eine wirklich, ehrliche Fairtrade-Kaffeemarke von Hugh Jackman. Seitdem trinke ich diesen Kaffee jedes Mal, wenn ich in den USA bin, kaufe hier nur Fairtrade Kaffee. Es mag dämlich klingen, aber was Mister Wolverine himself dort auf die Beine gestellt hat, ist beeindruckend."
„Es klingt alles andere als bescheuert." Da war es wieder. Dieses warme Gefühl im Bauch, von welchem ich geglaubt hatte, es längst verloren zu haben. Da war wieder diese leise ruhige Stimme, der weiche und doch eindringliche Blick.
Die Zeit mit Tom verflog schneller, als gedacht. Er verabschiedete sich gegen 15 Uhr, beteuerte mir, dass er sich auf heute Abend freuen würde und ging schließlich, allerdings nicht ohne mir einen zarten Kuss auf die Wange zu hauchen.
Völlig neben der Spur schloss ich die Tür hinter ihm, ließ mich mit dem Rücken hinab gleiten und kraulte Ralph hinter den Ohren, der sich sofort zu mir gesellt hatte. Sein flauschiger Kopf lag auf meinem Oberschenkel. Als ich ihn streichelte, wedelte sein Schwanz ruhig und zufrieden über den Boden. „Was mache ich denn jetzt, mein Engel? Das macht mein Herz doch nicht mit. Ich meine...Liam und ich? Das würde niemals etwas werden...", flüsterte ich und kraulte Ralph. Völlig bescheuert, wie ich hier saß und mit dem Hund redete, als würde er gleich zu mir auf sehen: „Boah Alte. Erst willste Liebe und kriegst keine. Jetzt kannste endlich welche kriegen und weißt net ob du willst."
„Hast ja Recht", flüsterte ich.
Selbstgespräche waren anscheinend doch noch die beste Therapie. Irgendwie.
Die Zeit verging rasend schnell, nachdem ich aufgestanden, meine Selbstgespräche eingestellt hatte und in die Küche zurückgekehrt war. Eleanor hatte mir am Weihnachtsabend das Versprechen abgerungen, dass ich ihr als Snack in der Silvesternacht echtes ungarisches Gebäck servierte. Anhand der Gästezahl hatte ich mich schnell für Kürtöskalács entschieden. Eine Art ungarischer Baumkuchen aus Hefeteig, der sich in guten zwei Stunden herstellen ließ. Um den Teig auch wirklich ruhen zu lassen, schnappte ich mir Ralph und drehte mit ihm eine kleine Runde durch den nahe gelegenen Hundepark.
Als wir zurückkamen, sah ich Liam auf den Stufen vor meiner Wohnung sitzend. Hatte ich was verpasst? Hatte ich schon wieder eine Verabredung verbummelt? Kurz vor ihm angekommen sprach ich: „Hab ich was verpasst, waren wir-" Sobald ich direkt vor ihm stand, hielt ich inne. Meine Fragen beantworteten sich wie von selbst, denn der gute Mr. Payne schien schon mächtig vorgeglüht zu haben.
„Nönö isch wollt dich nur abhole."
„Alles klar", zischte ich, angepisster als zunächst geplant und drängte mich an ihm vorbei zur Tür durch.
„Hä wieso? Is ja nich das erste Mal, dass ich dich hole oda?"
„Hm", erwiderte ich lediglich und ließ Ralph in der Wohnung von der Leine. Der kleine Terrier lief sogleich zu seinem Wassernapf derweil ich Liam versuchte aufzuhelfen und ihn in die Küche zu verpflanzen. „Bleib einfach da. Ich muss duschen. Hier ist Wasser."
Statt wirklich unter die Dusche, schaffte ich es gerade mal vor den Badezimmerspiegel. Zwar trug ich bisher nur noch meine Unterwäsche, schmiss mich aber wieder in den Bademantel. Mein seltsames Bauchgefühl ließ mich nicht los. Von dem schlechten Gewissen Liam grundlos angezickt zu haben, mal abgesehen.
„Was machst du wirklich hier Liam?"
Betrunkene und kleine Kinder sprachen immer die Wahrheit, hieß es nicht so? Vermutlich trafen mich aufgrund dieses Spruches, Liams Worte mehr, als gedacht. Vielleicht trieben sie mich deshalb nur in die entgegengesetzte Richtung.
„Ich wollt nur sehe ob der Schleimscheißer wieder bei dir is. Ich mag ihn nicht, Sophy. Ich mag ihn echt nich. Harry mag ihn auch nich. Aber das is egal. Ehrlich, Sophy, er is doof. Er nimmt dich mir weg und das will ich nich. Ich brauch meine beste Freundin und ausgerechnet jetz kommt der um die Ecke. Mags du ihn, Sophia? Ich meine so richtig?"
„Ja."
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So meine Engel.
Nun kommt nur noch der Epilog (morgen) und eine riesen fette Danksagung. Ihr seid genial, wahnsinnig genial. Diese Unterstützung, die mir bis hier her entgegen gebracht wurde ist atemberaubend, wie kann ich euch nur danken?♥♥
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