Kapitel 2

But if by chance you're here alone
Can I have a moment
Before I go?
- Adele; When we were young

20:30 Uhr, in irgendeiner prallgefüllten Londoner Bar

SOPHIA Schon als wir in der ersten Bar ankamen hatte ich nicht nur keine Minute nach dem Eintritt das nächste Sektglas in der Hand, nein. Ich hatte auch schon jetzt absolut keine Lust mehr.

Ich hasste diese Brühe, denn sie war viel zu süß. Manche Sorten schmeckten wie gesüßtes Abspülwasser. Diesem zog ich ein schönes, kühles Bier einfach vor. Mit einem Zug kippte ich tapfer das Zeug runter und setzte mich zu den anderen. „Was machst du beruflich?", schrie mich Chantal Nr. 1 an, da die Musik eindeutig zu laut war. „Reisejournalistin", brüllte ich zurück. Sie brachte einen komischen Laut hervor und nickte. Was bitte sollte ich davon jetzt halten?

Schnaubend stand ich auf und holte mir einen Whisky, um meine Nerven zu beruhigen. Statt langsam mit einem Bier zu beginnen, beschloss ich, dass es Zeit für etwas Richtig zu trinken war. Sie hatten gar nicht bemerkt, dass ich verschwunden war und starrten mich und mein Getränk etwas ungläubig an, als ich zurückkam. Cheryls Anstandswauwaus waren genauso in ein Gespräch vertieft, wie die anderen Mädels. Manchmal fragten sie nach meiner Meinung, aber meistens interessierte sich keiner für mich. Warum auch? Ihr Leben hatte sich nach meiner Abreise grandios weiter entwickelt und dagegen war absolut nichts einzuwenden. Es wäre absurd gewesen, wenn sich absolut nichts verändert hätte.

Fast schone geschlagene zwei Stunden saßen wir in dieser Bar und ich hatte mittlerweile absolut  kein Bock mehr. Hier drinnen herrschte striktes Rauchverbot und draußen fror ich mir den Allerwertesten ab, was mich noch mehr stresste. Zutiefst bereute ich es, dass mein Tablett bei Eleanor zuhause lag. Da die Bar nicht einmal einen WLAN – Zugang vorzuweisen hatte, konnte ich mir keine Apps herunterladen, um mir die Zeit zu vertreiben. Kein Word, um an dem Review zu arbeiten, kein sinnloses Spiel. Nicht einmal einfache Notizen. Nachdem ich mein altes Telefon erfolgreich im sizilianischen Meer versenkt hatte, hatte ich mir Vorort ein neues Mobiltelefon besorgen müssen. Nur der Tatsache, dass ich dort einen netten jungen Mann – verboten heiß und leider unheimlich schwul – kennengelernt hatte, hatte ich es zu verdanken, dass ich das iPhone immerhin benutzen könnte. Er hatte es tatsächlich geschafft ein paar meiner Dateien zu retten, nachdem wir gemeinsam nach dem alten Teil getaucht waren. 

Nach ein paar undefinierbaren Häppchen, beschlossen Cheryl und Konsorten, dass es Zeit für die nächste Bar sei. Auf dem Weg dorthin, konnte ich endlich eine rauchen. „Das hast du dir immer noch nicht abgewöhnt, oder?", fragte Ellie. Ich schüttelte mit dem Kopf, blies den letzten Rauch aus und grinste dreckig. Taylor tauchte zu meiner Linken auf und grinste: „Gott sei Dank! Bitte sag mir, du hast auch eine für mich!"

„Mit dem größten Vergnügen!" Eleanor triumphierend angrinsend hielt ich Taylor meine Schachtel samt Feuerzeug entgegen und genoss mit ihr eine Zigarette. Ich sah meiner besten Freundin genau an, dass auch sie gerne sündigen würde. Allerdings wusste ich, dass sie zusammen mit Louis seit vier Monaten rauchfrei war. Stolz hatte sie mir davon erzählt. Aber sie glaubte doch nicht wirklich, dass Louis das rauchfreie Leben gerade heute durchziehen würde, oder etwa doch?

In der nächsten Bar war dann der Alkoholstand schon so hoch, dass alle wie die verrückten Hühner auf die Tanzfläche sprangen. Die einzigen, die nicht völlig verloren dabei aussahen, waren Perrie und Taylor. Sie verdrehten mit ihren heißen Bewegungen einige Männerköpfe. Ich hatte mich jedoch zum Wohl aller dazu entschieden auf meinem Fleckchen stehen zu bleiben. Gebrochene Knochen und Blessuren aller Art konnte in Anbetracht der Tatsache, dass der große Tag immer näher rückte, wohl niemand gebrauchen. Also ließ ich mich in einer dunklen Ecke auf einen zerfledderten Ledersessel fallen. Vorher hatte ich noch das hässliche Shirt ausgezogen und in meine Tasche gestopft.

Ich zückte mein iPhone und scrollte wahllos durch Instagram, Twitter und Facebook. Die Social Media Welt hatte jedoch nichts Interessantes zu bieten. Mich interessierte nämlich absolut überhaupt nicht, was für Proteinshakes Kendall Jenner gerade konsumierte. Ich selbst hätte jetzt nichts gegen ein nettes Steak einzuwenden gehabt, dementsprechend musste ich mir das Essen anderer Leute nicht unbedingt anschauen.

Irgendwann entschied ich mich schlussendlich dafür Liam wenigstens  eine Nachricht zu schreiben und zu hören, wie es ihm erging. Mit einer Antwort rechnete ich nicht wirklich.

Hey alter Freund,

ich bin heute gelandet und sitze gerade in einer Bar. Ich hoffe, du genießt den letzten Abend in Freiheit. Freue mich dich morgen wiederzusehen und übertreibe es heute nicht ;)

Übrigens: Wenn deine zukünftige noch weiter  Hit me baby one more timemitträllert kann ich für nichts mehr garantieren! - Soph

Zugegebenermaßen zu meiner Überraschung schrieb Liam direkt zurück, noch bevor ich mein Handy wieder verstauen konnte. Hatte er keine drittklassige Nutte, die sich lasziv an ihm rieb?

Sophy

ich freue mich schon dich morgen endlich wiederzusehen. Es gibt so viel zu erzählen. Fünf Jahre sind zu lang! Mach das nicht nochmal!!!!!!

P.S.: das ist der Alkohol ;)

P.P.S.: Pass mir nur auf, dass keiner stirbt.

Bis morgen, Liam

Ich musste lächeln, als ich die Zeilen las und ich las sie bestimmt dreimal. Es war bereits nach Mitternacht, als Ellie sich irgendwann zu mir setzte. „Alles klar bei dir?", fragte sie besorgt. Ich war jedoch diejenige, die sich Sorgen machen sollte. Ellie atmete, als hätte sie gerade einen Marathon hinter sich. Ihre Brust hob und senkte sich so furchtbar schnell, dass ich Angst hatte, ihr Brustkorb würde mir ins Gesicht springen. „Hier trink erstmal." Ohne Wiederworte kippte sie sich mein Wasser herunter.

„Ich bin ein wenig müde von dem Flug, Jetlag und so", antwortete ich ihr schließlich irgendwie doch ehrlich auf ihre Frage und gähnte, um meine Aussage zu unterstützen.

„Soll ich dir den Schlüssel für die Wohnung geben?", fragte sie mich und genau deswegen war sie auch meine beste Freundin. Sie kannte mich gut. Ich nickte und sie kramte den besagten Schlüssel aus der Hosentasche.

„Danke, und viel Spaß noch."

Im Laufschritt durchquerte ich die Bar und sah nur noch aus dem Augenwinkel, wie Cheryl sich lasziv an einem anderen Mann rieb. Sie tanzten sexy und engumschlungen, als kannten sie sich schon ewig. Vielleicht küssten sie sich sogar. Eigentlich wollte ich es gar nicht wissen.

Draußen war die Luft kühl, etwas feucht vielleicht, aber ich entschied zu Eleanors Wohnung zu laufen. Würde mich mein Orientierungssinn nicht komplett im Stich lassen, durften es nur maximal eine halbe Stunde Fußweg sein.

Ich zog meine Lederjacke enger um mich und zündete mir eine Kippe an. Dieses Bild von den Schuhen im Flur ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Seine Schuhe, sein Haus. Dieses Gefühl, es war dasselbe wie damals. Warum war das nur alles so furchtbar kompliziert?

Bei aller Freundschaft, die uns verband, war da dieses blöde Gefühl, wenn ich an Cheryl dachte. Ich traute ihr einfach nicht. Auch wenn ich wusste, dass Liam niemals überstürzt heiraten würde, wurde ich das Gefühl nicht los, dass mit ihr irgendwas nicht stimmte.

Bei Els Wohnung angekommen, schloss ich die Tür auf und schlich in mein Gästezimmer. Aus meinem Koffer wühlte ich eine Jogginghose und ein altes Shirt.

Liam war immer noch fest in meinen Gedanken und je näher das Wiedersehen rückte, desto mehr Angst hatte ich davor. Angst, mit ansehen zu müssen, wie er eine andere küsst. Wie er mit ihr umgeht und wie sie dann später...ich schüttelte wild mit meinem Kopf, um diese Gedanken zu verdrängen. Schließlich war es völlig sinnlos. Vermutlich redete ich mir diesen Mist einfach nur ein. Ja, so musste es sein!

Der Jetlag schaffte es dann schließlich doch, dass ich in einen traumlosen und wunderbar langen Schlaf fiel.


Am nächsten Morgen, fand ich nur einen Zettel auf dem Küchentisch.

~Bin schon bei Cheryl und den anderen, um zu helfen ;) XOXO~

Ich zerknüllte das Stück Papier und warf es in den Müll. Warum war ich eigentlich hier?

Wollte ich mir das heute wirklich geben? Cheryl und ihre Chantals? Darauf konnte ich getrost verzichten. Auch die Tatsache, dass ich mich so furchtbar fremd unter meinen Freunden fühlte, ließ sich nicht verdrängen.

Im Bad bekam ich dann den Schreck meines Lebens, denn ich sah furchtbar aus. Meine braunen, schulterlangen Haare standen in alle Richtungen ab und auf meiner Haut erkannte ich einen fiesen Pickel. Natürlich. Gerade heute. 

Es kostete mich eine gute dreiviertel Stunde, bis ich mich wieder vor die Tür trauen konnte, ohne dass man mich für einen verspäteten Halloween-Horror-Clown halten würde. Der Versuch mich so wahnsinnig cool zu schminken, wie es so viele meiner Lieblingsmusikerinnen taten, ging gehörig nach hinten los. Somit beließ ich es schließlich bei der deutlich einfacheren Variante, war allerdings doch ziemlich stolz drauf, dass ich diesen komischen Strich überm Auge ziemlich gerade hinbekommen hatte. In bequemer schwarzer Jeans und einer dunkelblauen Jeans-Bluse konnte ich mich dann doch fast schon sehen lassen. Was mich dazu geritten hatte mir sogar die Fingernägel zu lackieren, wusste ich nicht.


Die Feier – die offizielle Bezeichnung hatte ich schon wieder vergessen, denn die eigentliche Trauung wurde erst am morgigen Tag vollzogen - sollte ich einem Haus, irgendwo in einem Wald, bei einem See stattfinden. Ich gab dem Taxifahrer die Adresse und 100 Km später war ich da. Endlich. Überall herrschte schon reges Treiben. Menschen, die ich noch nie in meinem Leben gesehen hatte, huschten an mir vorbei. Blumen wurden umher getragen, sowie Stühle, Teller, Besteck und allerlei Schnickschnack. Probeessen, war es das, wo ich mich befand? Ach wusste der Geier.

Im Haus führte eine Treppe nach oben, dort sollte der Bräutigam zu finden sein. Auf halber Strecke, kam mir Karen, seine Mum, entgegen.

„Sophia? Bist du es wirklich? Himmel, wie hübsch du bist", fragte sie mich ungläubig. Ohne auf meine Antwort zu warten, drückte sie mich an sich und fing fast an zu weinen. „Das ist so schön, dass du endlich wieder hier bist."

„Ich freue mich auch endlich wieder hier zu sein. Es ist wundervoll dich zu sehen, Karen." Wir lächelten uns an. „Wo finde ich denn den Bräutigam?", fragte ich. Laut ihrer Aussage musste ich bloß die Treppe hoch und dann links. Mit einem freundlichen Lächeln und nicht ohne dass sie mir das Versprechen abrang, mich auch bei Geoff sehen zu lassen, verabschiedete ich mich und lief die lange, steinerne Treppe nach oben. 

„Er wird sich freuen", rief sie mir hinterher. Dann verschwand sie und mir schlug das Herz bis zum Hals, als ich vor besagter Tür stand und klopfte.

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