Kapitel 4




Noch immer stellte ich mir die Frage, wieso ich bei dem Psychologie Kurs dabei war. War das eigentlich nicht relativ klar? Warum waren Ena und Nico auch da? Ena schien so nett und glücklich zu sein!? Ich war sehr verwirrt.

Ich mochte die ganze Gruppe irgendwie. Sie waren nett zu mir, obwohl sie mich nicht einmal kannten. Wieso?

Ich ging den langen Gang zu unserem Stock, erblickte schließlich unsere Zimmertür und öffnete sie. Der Geruch von Parfüm stieg mir in die Nase und ich schaute mich verwirrt um. Wer war denn das?

Eine Frau, mittleren Alters saß auf dem Bett von Lily und ich blickte sie nur fragend an. „Hallo, ich bin die Mutter von Lily, weißt du wo sie ist? Du musst bestimmt Ena, ihre beste Freundin, sein! Sie hat mir schon so viel von dir erzählt", erzählte sie mir und setzte ein Lächeln auf. Sie sah Lily unfassbar ähnlich. Ich erschrak. Sie dachte wirklich ich wäre Ena?! Sollte ich die Wahrheit aufdecken oder einfach verschwinden? Ich entschied mich für die zweite Option.

„Oh... ähm nein, tut mir leid... ich ähm muss jetzt los... Hausaufgaben, Sie wissen schon... man sieht sich, bye!", rief ich ihr entgegen und rannte panisch aus dem Zimmer. Mist! Mir war das gerade irgendwie peinlich! Wie konnte mir etwas peinlich sein? Ich schnaubte und trat wütend an die Wand.

Mir war vorhin gar nicht bewusst, dass ich keine Idee hatte, wo ich hingehen sollte. Hausaufgaben? Dümmer ging's nicht oder? Ich seufzte niedergeschlagen und entschied mich dazu in die Bibliothek zu den anderen zu gehen.

Sie war, bis auf vereinzelte Schüler, weitgehend leer und eine entspannende Atmosphäre lag in der Luft. Moment mal! Wo waren Ena, Lily und die anderen? Shit! Essen konnte man hier in diesem Loft ja auch etwas! Tja, nun war es sowieso zu spät und ich setzte mich auf die Sofas von vorhin. Außer Bücher gab es hier gar nichts! Ich meine wer liest heutzutage noch Bücher? Meine Ansichten vom Entspannen lagen jedenfalls nicht darin. Schnell begab ich mich in die hinterste Ecke des Sofas und kramte mein Handy heraus.

Ich tippte auf meine Kontaktliste und außer meinen Eltern und dem Therapeuten gab es hier nichts. Ich hatte mein altes Leben komplett verabschiedet.

Ich wunderte mich darüber, dass ich Jenna nicht begegnet war. Sie war immerhin auch in meinem Zimmer?! Es war unvermeidlich, das war mir mehr als nur bewusst, weshalb ich dem auch nichts in den Wege stellen würde. Es war der Verlauf des Schicksaals, dass genau eine von meinen alten Freunden hier aufkreuzen würde.

Ich hatte nicht nur sie verloren, nein ich hatte auch mich selbst verloren.

Ich fühlte mich plötzlich so leer und einsam. Das war ein beschissenes Gefühl. Ich legte meinen Kopf an die Lehne des Sofas und schaute aus dem riesigen Fenster der Bibliothek. Es war ein Sonnenuntergang zu sehen. Wie schön! Ich schmunzelte und schloss meine Augen. Ich vernahm nur noch wage mit, wie sich jemand neben mir auf das Sofa fallen ließ.

Erschrocken zuckte ich zusammen und setzte mich aufrecht hin. Ich schaute erschrocken in blass- blaue Augen und hätte am liebsten gar nicht erst hingesehen. „Du?", fragte ich erstaunt. „Tja bin leider nicht einer von deinen anderen Freunden, aber eins muss dir klar sein. Du kannst hier nicht einfach ein neues Leben aufbauen und so tuen als wäre nichts geschehen!", sagte er mit zischender Stimme und sprang wütend von der Coach auf.

„Man Nico, was ist dein Problem, ich verstehe nicht wovon du redest!", zischte nun auch ich ihn an. Er lächelte spöttisch und schüttelte den Kopf. „Ach stimmt ja, niemand weiß was mit dir los ist, wird auch mal Zeit, dass sie es erfahren oder?!", grinste er mich fies an. Was war er nur für ein Idiot!

„Anscheinend hat dir deine Mutter nicht beigebracht, dass man Leuten nichts unterstellt!", versuchte ich ihn zu provozieren um ihn vom Thema abzulenken. Er versteifte sich kurz, spannte sich kaum merklich an und sah mir nun tief in die Augen.

„Anscheinend hat dir deine Mutter nicht beigebracht, dass man nicht einfach bei Freunden ein Vertrauen missbrauchen kann und, dass die Ehrlichkeit eine riesige und entscheidene Rolle bei einer Freundschaft spielt. Ach stimmt ja, deine Definition von Freundschaft reicht nur bis dahin, wenn man alles nach deinen Vorstellungen tut, stimmt's?!", fauchte er mir entgegen.

Jenna! Verdammte Scheiße, sie hatte ihm alles über mich erzählt. Naja nur das was sie wusste und sie wusste praktisch fast gar nichts. Dieses „fast" war aber leider so groß, dass mein Image im Arsch war.

Wütend rannte ich aus der Bibliothek und rannte auf die Toilette. Ich musste irgendwie meine Wut besänftigen und tat das einzig sinnvollste in diesem Moment. Ich schlug an die Wand aus Mauersteinen, bis meine Faust blutete. Ich sackte in mich zusammen und schluchzte. Ich weinte so sehr, dass ich kaum Luft bekam und das war mir in irgendeiner Art auch recht so. Ich wollte nicht mehr und ich konnte nicht mehr.

Erst als ich mich vollständig beruhigt hatte traute ich mich, aus der Toilette zu verschwinden. Es war inzwischen dunkel geworden und die Leere aus meinem Herzen war immer noch da. War sie das denn nicht schon seit jenem Tag? Vermutlich!

Ich hatte keinen Bock auf längere Erklärungen, weshalb ich hoffte, dass Ena und Lily bereits schlafen würden. Sicherheitshalber versteckte ich dennoch meine Fäuste unter meinem Pullover und ging in die vermutliche Hölle.

„Man Ruby, wo warst du? Wir haben uns Sorgen gemacht?!", rief mir Ena entgegen und umarmte mich. Ich hatte nicht einmal die Tür unseres Zimmer betreten, da rückten sie mir schon auf die Pelle. „Ach du heilige Scheiße, was ist mit deiner Faust?", quickte Lily entsetzt. Ach du heilige Scheiße? Ernsthaft?! Ich lachte lauthals auf, riss mich aus der Umarmung und schmiss mich auf mein Bett.

Ich sah, wie beide sich verwirrt ansahen. Nun merkte ich aber auch, wie Enas Miene plötzlich kälter wurde und sie auf mich zu lief.

„Man Ruby ernsthaft?", schrie sie mich plötzlich unerwartet an. „Was ist nur falsch mit dir?", fuhr mich auch Lily an. Zuerst war es ein kleiner Schock, sie Beide, so wütend und verletzt zu sehen. Andererseits hatten sie kein Recht darauf zu wissen, was mit mir los oder falsch war. Es war meine Sache und somit auch meine freie Entscheidung, wie ich mich verhielt.

Ich hielt das nicht aus und war plötzlich komplett aus meinem Element.

„Was juckt es euch, wie es mir geht? Es kann euch ne Scheiße Wert sein! Was mit mir los ist und wie ich mein Leben lebe, kann euch genauso wenig interessieren. Tja und leider existiert keiner von euch in meinem Leben, also tut's mir leid, dass ihr das jemals auch nur eine Milli- Sekunde gedacht habt ich wäre eine von euch. Das bin ich nicht, verdammt!"

Scheiße! ich war meinen Tränen nahe, also zog ich mir die Bettdecke über den Kopf und schluchzte leise. Mein Herz durchlebte einen so harten Stich, dass ich glaubte ohnmächtig umzufallen. Ich versuchte dennoch einzuschlafen und alles um mich herum zu vergessen.

Dies gelang mir erstaunlicher Weise auch, denn nach ein paar Minuten nahm ich alles nur noch verschwommen war und bemerkte nicht einmal mehr, wie sich eine ganz bestimmte Person in ihr Bett legte und das Licht ausmachte.

*

„Enaaa! Wach auf! Wir müssen zum Frühstück!", rief eine weibliche Stimme, von der ich ganz sicher wusste, sie würde Lily gehören. Es folgte ein kleines Geraschel und schließlich flog die Tür ins Schloss.

Huh!?

Ich rappelte mich auf und zog mich an. Soviel wie ich mitbekommen hatte, mussten wir die Schuluniformen jetzt jeden Tag tragen. Ich ersetzte also meinen gemütlichen Schlafanzug durch die hässliche Uniform. Der vollkommen pinke Rock war knielang und ähnelte an einen Standard Faltenrock, nur länger und hässlicher! Habe ich schonmal gesagt, dass ich pink hasse?

Die Bluse hingegen bestand aus einem zärtlichem Pink, welches sich an dem Kragen und den Rändern der kurzärmligen Ärmeln befand. Der Rest war einfach nur grau. Langweilig grau! Mich fröstelte es ein wenig, weshalb ich mir die dazu bereitgestellte graue Strickjacke anzog. Mein Verband lugte zum Glück nicht aus den Ärmeln heraus!

Nun nahm ich mir meinen Kulturbeutel und flitzte zum Badezimmer, welches sich genau gegenüber meines Zimmers befand. Schnell trug ich mir ein wenig Mascara auf und schminkte mir, so gut es ging, meine Augenringe weg. Perfekt!

Ich machte mir einen einfachen Dutt, welchen ich hasste und machte mich schließlich auch auf den Weg zum Essaal.

Schon als ich mich der riesigen Halle näherte nahm ich lautes Stimmengewirr wahr. Ich öffnete eine der mehreren Flügeltüren und steuerte sofort auf einen der hinteren leeren Tisch zu. Ich sammelte flüchtig die Blicke von Ena und Lily, welche mich nur verletzt, enttäuscht und verwirrt anschauten.

Der Raum füllte sich, bis schließlich die Meisten Tische von quasselnden Schülern belegt waren. Es störte mich nicht. Nein, ganz im Gegenteil, ich versuchte mich damit abzulenken. Die Blicke von Ena und Lily hatten einfach mein letztes Stück Herz gebrochen, welches ich noch besaß. Sie hatten so jemanden wie mich nicht verdient. Sie verdienen Freunde, den man vertrauen kann, die einen respektieren und Freunde, welche immer loyal und tolerant mit einem umgehen. Tja so war ich nicht. Leider!

Nachdem ich mir mein Essen geholt hatte merkte ich, wie sich die Stimmen langsam legten und sich jeder gierig auf sein Essen stürzte. Ich blickte auf das mickrige Brot und den grünen Apfel auf meinem Teller und überlegte mir gerade überhaupt etwas zu essen.

Gerade als ich einen Biss von meinem Apfel nahm, fiel eine der Flügeltüren ins Schloss und ich sah in die blassblauen Augen

Mir war schlagartig der Appetit vergangen. Ich erhaschte mir einen schnellen Blick zu ihm, jedoch senkte ich ihn ganz schnell wieder, da er gerade Wegs zu den anderen zusteuerte, welche gerade mal zwei Tische entfernt von mir saßen.

Ich hatte kaum Bissen zu mir genommen, als sich mehrere Schüler erhoben, ihre Teller wegräumten und aus dem Essaal verschwanden. Ich machte mir nicht die Mühe zu schauen, ob Ena, Lily oder die anderen noch hier waren. Schnell nahm ich meinen Teller und mein Glas und räumte sie weg. Gerade als ich mein Glas auf das vollgestellte Tablett stellen wollte, ertönte eine Stimme, die mich bis ins Mark erschauderte.

„Scheiße Ruby!", schrie diese Stimme, welche ich nur zu gut kannte. „Jenna!", hauchte ich und mein Glas fiel klirrend auf den Boden. Ich stand nun dem unvermeidlichen entgegen.


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Hey,

heute ein vielleicht kürzeres Kapitel.

Warum ist Ruby sauer auf Jenna? Oder eher anders herum?

An dieser Stelle wollte ich mich mal bei allen bedanken, die mich unterstützen, das ist einfach so lieb von euch :)

Das 5. Kapitel kommt nächste Woche! (Oder vielleicht schon früher),

bis dahin,

LG :)

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