Kapitel 42

Meine Beine zitterten wie verrückt, als ich wieder an den Traum denke und Riku stütztemich auf den Weg zu seinem Auto. So schnell er konnte und es der Stadtverkehr zuließ, fuhr er ins Krankenhaus. Bei der Anmeldung wurde er ziemlich laut, weil ihm erst keiner sagen wollte, wo wir Samu finden konnten. Doch er bekam es raus, nahm mich an der Hand und zog mich hinter sich her. Ich hatte nur einen Gedanken. Samu. Er durfte mich nicht verlassen. Ich brauchte ihn doch. Ich liebte ihn. Ohne ihn bin ich nichts. Ohne ihn kann ich nicht sein. Die letzten Wochen waren vergessen. Jetzt gab es nur noch Samu. Samu musste leben, koste es was es wolle. Riku brachte uns zur Intensivstation und ich sah Samu sofort durch eine der Scheiben. Ich wollte gerade die Klinke runter drücken, als eine Schwester mich davon abhielt.

"Halt, sie dürfen da nicht rein" schnauzte sie mich an. "Aber ich muss. Ich muss zu ihm. Er muss wissen, das ich hier bin. Muss wissen, das ich ihn liebe. Bitte, bitte lassen sie mich zu ihm, bitte, ich muss da rein" rief ich verzweifelt.

Riku nahm die Schwester beiseite und versuchte ihr irgendwas zu erklären. Ich sah ihn verzweifelt an. Das konnte doch nicht wahr sein. Da auf der anderen Seite der Scheibe lag Samu, keine 5m entfernt und ich durfte nicht zu ihm. Riku zeigte mir irgendwas mit dem Arm, was ich erst nicht kapierte, doch dann verstand ich. Ich sollte ins Zimmer gehen. Schnell öffnete ich die Tür und trat ein. Ich setze mich vorsichtig auf sein Bett und nahm seine Hand. Er hatte einen dicken Verband um den Kopf, jede menge Prellungen und Kratzer. Ich sah nicht, ob noch was war. Ich wusste nicht, ob er mich hören konnte, doch ich fing einfach zu reden an. Mit jedem Wort wurde es einfacher und mir wurde es immer leichter ums Herz. Ich erzählte ihm von meiner Leere, von der Trauer und der Verzweiflung. Von der Angst, das er mich nicht verstehen könnte, das er mich verlassen könnte. Und der Wut auf mich selber. Das ich es verloren habe. Das ich unser Baby verloren habe. Das ich zwischen durch wie auf Knopfdruck nichts mehr gefühlt hab. Keine Angst, keine Trauer, keine Verzweiflung, keine Wut, keine Schuld, kein Hass, kein Selbstmitleid und keine Liebe. Ich erzählte ihm auch von dem Traum.

"Samu, ich weiß mitlerweile das du ein Engel bist. Mein persönlicher Engel. Doch deine Zeit ist noch nicht gekommen. Du kannst noch nicht gehen. Samu, mein kleiner blonder Engel, bitte bleib bei mir. Ich kann nicht ohne dich sein. Wir gehören doch zusammen. Ich liebe dich so wahnsinnig und ich werde dich nie wieder bei irgendwas ausschließen. Ich weiß nun, dass das ein Fehler war und es tut mir so verdammt leid. Verzeih mir Samu, verzeih mir und komm zurück zu mir" flüsterte ich ich ihm schluchzend zu. Eine Hand legte sich auf meine Schulter. Es war Riku.

"Der Arzt möchte mit uns reden" sagte er und nahm wieder meine Hand. Ich zitterte am ganzen Körper und hatte das Gefühl, gleich zusammen zu brechen. Er zog mich wieder hinter sich her und zusammen suchten wir den Arzt auf. Der Arzt stellte sich bei mir vor, doch ich konnte mir seinen Namen nicht merken.

"Herr Haber wurde sehr schwer am Kopf verletzt und hat innere Blutungen, die wir noch nicht stoppen konnten. Eigentlich müssten wir so schnell wie möglich operieren, doch sein Zustand ist zu schlecht dazu. Er muss erst stabilierst werden und wir hoffen, das es dann nicht zu spät ist. Ich bin ehrlich zu ihnen und sage ihnen auch gleich, das die Chancen schlecht stehen."

Dann wurde es schwarz um mich herum. Nach ein paar Minuten kam ich wieder zu mir und Riku und eine Schwester hockten neben mir. Sie halfen mir langsam hoch und brachten mich zu einem Stuhl. Ich ließ mich rein fallen und ließ meinen Tränen freien lauf. Er dürfte nicht gehen, seine Zeit war noch lange nicht da. Wir wollten Kinder und Enkel und Urenkel und mit 100 immer noch zusammen auf der Hollywoodschaukel hinter dem Haus sitzen. Nein, seine Zeit ist noch nicht gekommen. Almählich beruhigte ich mich und die Schwester wollte mir irgendeine Tablette geben.

"Das ist zur Beruhigung" meinte sie und lächelte mich an.

"Nein danke, ich brauche nichts" erwiderte ich.

"Ok, wenn sie doch was haben wollen, sagen sie mir bescheid" sagte sie und ließ uns alleine.


"Riku, er wird es schaffen. Er muss es schaffen" flüsterte ich.

"Das wird er auch, das steht ausser Frage" antwortete Riku und lächelte mich aufmunternd zu. "Wann hast du das letzte mal was gegessen?" fragte er.

"Das war...ähm...also....ich weiß es nicht" brachte ich nur stotternd hervor und konnte mich beim besten Willen nicht dran erinnern.

"Dann gehen wir jetzt in die Cafeteria und du isst wenigstens eine kleinigkeit. Du wirst deine Kraft noch brauchen und sie muss nun auch für Samu reichen" beschloss er und zog mich an der Hand mal wieder hinter sich her.


In der Cafeteria holte uns Riku was zu essen und ich suchte uns einen Tisch in einer ruhigen Ecke. Er kam mit Kartoffelsalat und Bouletten an.

"Vermutlich nicht das beste, aber du musst wieder zu kräften kommen. Also bitte iß was." bat er mich. Ich fing an zu essen und schaffte die halbe Portion, Riku aß den rest. Konnte auch immer essen, genau wie Samu. Und sofort liefen wieder die Tränen.

"Nicht weinen Tessa. Ich weiß, das alles wieder gut wird. Wir schaffen das, Samu schafft das, zusammen sind wir unschlagbar, weißt du doch." versuchte er mich zu trösten.


Ich nickte, trocknete meine Tränen und wir gingen wieder nach oben. Während Riku wieder mit der Schwester sprach, ging ich zu Samu rein. Nachdem ich mir den Stuhl ans Bett geschoben hab, nahm ich Platz und ich hielt die ganze Zeit seine Hand fest und streichelte sie. Ich weiß nicht, was Riku der Schwester erzählt hatte, aber ich durfte bleiben. Ich redete viel mit ihm, denn ich hoffte, er würde es hören oder wenigstens merken, das ich hier bin. In den nächsten 3 Tagen saß ich fast ununterbrochen an seinem Bett. Er wachte nicht auf, seine Augen blieben geschlossen, aber er stabilisierte sich soweit, das sie ihn operieren konnten um die Blutungen zu stoppen. Der Arzt erklärte uns, was sie genau machen wollten und welche Risiken die Operation mit sich brachte. Mir wurde schlecht, doch ich hielt durch. Ich gab Samu ein Kuss auf seine sanften Lippen und dann brachten sie ihn weg um ihn vorzubereiten. Riku, Sami, Raul, Jessi und ich warten geduldig im Flur. Der Arzt meinte was von 4-6 Stunden, kann aber durch aus auch länger dauern. Ich sah auf die Uhr. Es war 12:06 Uhr und Samu war mitlerweile seit 8 Stunden im Operationssaal. Ich hatte solche Angst, als mir beim Blick auf die Uhr mein Traum wieder einfiel. Auch da hatte ich die Uhr vor Augen und ich sackte weinend zusammen.

"Tessa, er wird es schaffen, er wird leben und ihr werdet beide über 100 Jahre alt" meinte Jessi zu mir. Ich sah in ihre verweinten Augen und fing an, von meinem Traum zu erzählen. Sie waren geschockt, das konnte ich in ihren Augen sehen, doch sie versuchten, das runter zu spielen.

"Tessa, das war nur ein Albtraum, der sich zwar leider zum teil bewahrheitet hat, aber der rest trifft nicht zu. Das weiß ich" meinte Raul.

"Genau. Samu ist von Natur aus ein Kämpfer, er gibt nie auf. Denk doch nur daran, wie sehr er um dich gekämpft hat. Da hat er keine Sekunde aufgegeben und das wird er auch jetzt nicht" versuchte Sami mir deutlich zu machen.

"Aber ich war so schrecklich zu ihm in den letzten Wochen. So gemein. Ich habe ihn so sehr verletzt. Ich habe ihn ignoriert und ausgeschlossen. Was, wenn er nicht mehr kämpfen mag? Wenn er jetzt aufgibt? So wie ich es nach der......Fehlgeburt hab?" fragte ich und sprach es somit zum ersten mal laut aus.

"Er nimmt dir das nicht übel, Tessa. Er versteht dich doch. Er ist darüber auch unglücklich und trauert. Und er wurde fast wahnsinnig vor Sorge um dich. Er kann es nachvollziehen, wie du dich gefühlt hast. Ihm erging es so ähnlich und er liebt dich nach wie vor. Wenn nicht sogar noch mehr. Und ein Samu Haber gibt niemals auf, hat er immer gesagt" erzählte Riku mir.

Jessi nahm mich in die Arme und strich mir übers Haar. Es tat gut, einfach festgehalten zu werden. Ich verdrängte die Gedanken an den Traum und fing an zu beten. Ich habe noch nie in meinem Leben gebetet, doch jetzt hatte ich das Gefühl, ich musste es tun. Nach weiteren 2 Stunden kam der Arzt raus.

"Ich freue mich, ihnen mitteilen zu können, das die Operation gut verlaufen ist. Wir konnten die Blutung stoppen und warfen danach noch ein Blick auf seinen Kopf. Die Verletzungen sind gut verheilt. Er ist somit ausser Lebensgefahr. Ob er bleibende Schäden davon tragen wird, können wir zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht sagen. Das können wir erst feststellen, wenn er aufgewacht ist" teilte uns der Arzt mit.

"Können sie denn sagen, wann er ungefähr aufwacht?" fragte Riku den Arzt.

"Das kann ich leider nicht sagen" meinte der Arzt.

"Kann ich zu ihm?" fragte ich ihn.

"Ja, aber er braucht viel Ruhe, also bitte erstmal immer nur einer zu ihm reingehen." erklärte er uns. Ich sah die anderen an und sie nickten mir zu. Ich ging leise zu ihm rein. Er hatte einen neuen Kopfverband, ist an mehr Computer und Geräte angeschlossen als vorher und er sieht so blass aus. Ich setzte mich wieder vorsichtig neben ihn und hielt wieder einfach nur seine Hand. Und wieder redete ich mit ihm, wie ein Wasserfall, ohne Punkt und Komma. Ich weiß gar nicht mehr, was ich erzählt habe. Aber es war eine menge und alles durcheinander. Aber das war mir egal. Er sollte wissen, das ich hier bin. Das ich bei ihm bin und ihn nie wieder verlasse. Das ich nie wieder gehen oder mich abkapseln werde. Das war ein großer Fehler und ich machte mir Vorwürfe, das es meine Schuld ist, das er den Unfall hatte. Riku hatte mir erzählt, das Samu mich nie alleine lassen wollte, sämtliche Proben, Termine und Konzerte bis auf weiteres abgesagt hatte, nur um bei mir zu sein. Doch an diesem Tag ließ es sich nicht vermeiden. Irgendwas war mit dem neuen Album und er musste sich persönlich drum kümmern. Er ist wohl wieder viel zu schnell gefahren, das macht er nämlich gerne, und dabei hat er ein LKW übersehen, der aus einer Seitenstrasse kam.

"Ach Samu, es tut mir so verdammt leid. Verzeih mir bitte" flüsterte ich.

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