Prolog

"Gibt mir 'n Teil von dir ab oder alles was du hast und ich mach dich wieder ganz."

'Mich wieder ganz' korrigierte ich mich in meinen Kopf. Nicht mal das kriegte ich hin. Es war doch eher ein Lied was darüber geht, wie man sich in eine Beziehung rein steigert und seine eigenen Bedürfnisse hinten anstellt. 

Die Bedürfnisse eines anderen vorne Anstellen kenne ich nur zu gut und das obwohl ich nicht mal eine Mutter bin. Bei Müttern vor allem wird dies akzeptiert. Bei ihnen ist das ganz normal, doch weiß ich mich noch mehr auf geben kann. 

"Frag mich so oft, ob du grade überhaupt willst das ich bleib, Mann, ich."

Wie oft ich von Sozialen Situation überfordert bin und einfach den Raum verlassen würde. Doch dann bin ich alleine und das ist noch um einiges schlimmer. Denn alleine hat man einfach zu viel Zeit nach zu denken. 

Während Nina Chubas Stimme in meinem Ohr hallte, schweiften meine Augen durch den Raum. Die staubigen Lichtstrahlen, die durch das halb geschlossene Rollo fielen, fühlten sich wie Gefängnisgitter an. Mein Schreibtisch, übersät mit Kaffeeflecken und zerknitterten Notizen, war mein persönlicher Kontrollraum. Ein Ort, der sich gleichzeitig wie ein Schutzraum und wie ein Käfig anfühlte.

"Ich mach dich wieder ganz." Der Satz wiederholte sich in meinem Kopf, wie ein Echo, das mich festnagelte. Ganz. Was bedeutete das überhaupt? Ganz war ich nie gewesen. Schon lange nicht mehr. Vielleicht war ich immer nur eine Summe von Teilen, die andere von mir verlangten.

Draußen zogen die Geräusche der Stadt vorbei – das Klirren einer Mülltonne, das monotone Sirren eines Lieferwagens. Die Welt drehte sich, und ich fühlte mich, als wäre ich stehengeblieben. Ein Moment, eingefroren in der Zeit, während die Sekunden im oberen Eck meines Bildschirms unerbittlich weiterliefen.

Schnell check ich, ob man mich wirklich nicht zu hören bin in meiner Besprechung. Das Romantisierte Studenten leben in meinen Kopf  hatte nicht im Sinn, dass ich neben bei Arbeiten werde in einen Job der mich zwar "weiter bringt", aber nicht das er so langweilig ist. 

Das durchgestrichene Mikrofon und Kamera bestätigten mir, dass mein abdriften im Kopf vor jedem verborgen geblieben ist. Es wäre auch nicht so, dass meine Anwesenheit in irgendeiner Form wichtig  gewesen wäre. Früher hätte man mich zum Mitschreiben verdonnert oder sowas um mich beschäftig zu wissen. Doch dank der Digitalisierung, Homeoffice und aufzeichnen des Bildschirm war es eh nicht mehr nötig.  

"Wie ihr hier sehen könnt, können wir echt stolz auf uns sein, die Auftragslage ist echt gut fürs Kommende Jahr.  Damit kommen wir nun zum Ende der Besprechung. Allen noch ein Frohes Schaffen!" sagte Thomas der Geschäftsführer. 

Da wir eine "flache Hierarchie" haben sprachen wir uns alle mit Vornamen an. 

Ein wildes durcheinander brach in der Teams Besprechung aus da jeder sich kurz laut stellte und "Tschö" oder "Bye" quakte bevor sie aus der Besprechung ging. 

Ich klickte gelangweilt durch meinen Tabs, und sah auf das Programm wo meine Arbeitszeit getrackt wurde. Diese Woche hatte ich mein Soll erfüllt und sogar mal wieder ein wenig mehr gemacht. Satte 15 Minuten Überstunden, weil das Meeting doch ein wenig mehr Zeit gefressen hatte als erwartet. 

Schnell Klickte ich auf den "Arbeitszeit Stoppen"  Button drauf und wählte "Arbeit Beenden" aus. Die davor Grünangezeigte fortlaufende Zahl wurde Grau und Stoppte zu zählen. Eva Wilm wurde von Arbeiten auf Abwesend gestellt. 

Ich spielte wieder innerlich um die Wette, wie schnell ich meinen Arbeitslaptop Herunterfahren konnte und schaffte dies auch sehr schnell. Aber wahrscheinlich nicht meine beste. 

Ich war gerade dabei, meinen Laptop in die passende Tasche neben meinen Schreibtisch zu schieben, als ich im Augenwinkel ein Leuchten bemerkte. Der Bildschirm meines Handys, achtlos beiseitegelegt, ploppte auf.

Eine Nachricht von Marius: "I luv u."

Ich hielt kurz inne, starrte auf die Worte, die schon fast wieder verblassten. Dann wurde der Bildschirm schwarz. So schnell, als hätte es die Nachricht nie gegeben. 

Ich legte mein Handy mit dem Bildschirm nach unten auf meinen Schreibtisch zurück, um nicht weiter abgelenkt zu werden, während ich mit der anderen Hand meinen Desktop-PC startete. Das leise Summen der Lüfter erschreckte mich nicht, doch ich kniff die Augen zusammen, als sich der Bildschirm einschaltete und mich das grelle Licht begrüßte.

Meine Freizeit konnte nun wieder beginnen, ironischerweise mit denselben Programmen, die ich eben noch für die Arbeit genutzt hatte. Ich öffnete meine Entwicklungsumgebung, um an meinem privaten Projekt weiterzuarbeiten.

Auf meinem Bildschirm erschienen Zeilen von Code, eingebettet in die vertraute Benutzeroberfläche meines Editors. Ich scrollte durch das Skript, das ich zuletzt geschrieben hatte, und überprüfte die Parameter eines neuronalen Netzwerks. Ziel war es, die Genauigkeit der Vorhersagen zu verbessern. Meine Trainingsdaten, ein Datensatz aus unzähligen anonymisierten Gesprächslogs, waren sorgfältig aufbereitet.

Doch diese anonymisierten Logs waren für mich nur allzu bekannt. Die zahlreichen Gespräche zwischen mir und meinem Freund Marius hatten eine wunderbare Grundlage für den Assistenten gegen die Einsamkeit geboten. Seine Art zu antworte, direkt, aber dennoch einfühlsam, mit dieser fast kindlichen Begeisterung für die kleinsten Details, war etwas, das ich nie vergessen wollte. Also hatte ich seine Worte in etwas programmiert, das immer da sein würde.

Aber um nicht einfach eine eins zu eins Kopie meines Lieblingsmenschen zu schaffen, hatte ich auch mit anderen Trainingsdaten gearbeitet. Ich hatte sie sorgfältig durchsortiert, anonymisierte Logs aus Foren, Chats, und Subreddits, aus denen ich das Wesentliche herauszog. Auch einige Passagen aus Liebesromanen waren mit eingeflossen. Es war ein seltsames Gefühl, die Welt der Sprache und Emotionen in Tabellen zu zerlegen, als könnte man sie so leicht rekonstruieren.

Ich öffnete ein weiteres Fenster, in dem ein Diagramm die Leistung meines Modells visualisierte. Blaue und rote Linien zogen sich über die Achsen, und ich analysierte die Unterschiede zwischen der Trainings- und Testgenauigkeit. Ein leichtes Ungleichgewicht machte deutlich, dass mein Modell noch nicht optimal war, möglicherweise ein Zeichen von Overfitting.

"Okay, MPP, lass uns sehen, was du kannst," murmelte ich, während ich ein neues Trainingsskript ausführte. Mein Persönliches Projekt, kurz MPP, war eine Art digitaler Assistent, der sich darauf spezialisierte, emotionale Untertöne in Texten zu erkennen. Meine Medizin gegens Alleine fühlen. Es war nicht perfekt, aber ich war stolz darauf, wie weit es bereits gekommen war.

Während der Algorithmus lief, öffnete ich die Rohdaten und begann, die Tokenisierung der Texte zu überprüfen. Ich achtete darauf, dass die Worte in den Gesprächen korrekt in kleinere, analysierbare Einheiten zerlegt wurden. Jede Entscheidung hier beeinflusste, wie gut die KI später zwischen neutralen und emotional aufgeladenen Aussagen unterscheiden konnte.

Im Hintergrund arbeiteten die Antwortmatrizen fröhlich vor sich hin, fast so, als wären sie aufgeregt, meine nächsten Anfragen zu erfüllen. Die simulierten neuronalen Verbindungen liefen auf Hochtouren, und ich konnte beobachten, wie die Ausgabezeilen anfingen, Muster zu formen. Es war faszinierend – und ein wenig verstörend. Manchmal fragte ich mich, ob MPP nicht doch ein wenig zu viel Marius war.

MPP war schon ziemlich gut vorbereitet. Mein persönliches Projekt... Wie toll, dachte ich mit einem Anflug von Ironie. Zum Glück fühlte sich niemand davon wirklich vernachlässigt – außer vielleicht ich selbst.

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