XVIII.

,,Das Bewusstsein steht, die Ereignisse des Lebens bewegen sich durch es hindurch, uns aber scheint, es bewege sich das Bewusstsein, Wolken gleich, die am Mond vorüberziehn."

~ Leo Tolstoi

Starke Zähne packten sie am Nackenfell und zogen sie hoch. Fuchsauge hing gefährlich nah über dem Waldboden, in ihrem Rücken das Plateau der Himmelseiche. Angst schnürte ihr die Kehle zu, aber sie hielt ganz still, um ihre Retterin nicht mit in die Tiefe zu ziehen.

Rotkehlchenwunsch hatte Mühe, sie zu fassen und sie fühlte die Kiefer in ihrem Nacken vor Anstrengung zittern. Sie hatte die HimmelClan-Kätzin an ihrer Stimme erkannt, die sie aus ihrem Traum gerufen hatte. Die hellrote Kriegerin wimmerte leise, dicht an Fuchsauges Ohr. Lange würde sie Fuchsauge nicht mehr halten können, auch wenn sie ihre Flügel benutzte.

Sie sah sich schon mit zerschellten Knochen im Schnee liegen, aber bevor sie weiter darüber nachdenken konnte, ergriff sie ein weiteres Paar Kiefer. Langsam und vorsichtig wurde sie hochgezogen und zitternd auf das vertraute Holz gelegt, das ganz kalt vom Nachtfrost war. Sie blickte sich nach ihren Rettern um.

Die zwei Katzen, die vor ihr standen, hätte sie fast als Trugbild ihrer verwirrten Sinne abgetan, so ähnlich sahen sie sich. Die einzige Sicherheit, dass sie nicht doppelt sah, bestand darin, dass die eine Katze, ein Kater, wesentlich größer als die andere war. Sonst konnte man die beiden nur an Rotkehlchenwunschs weißen Fellspitzen und blaugrüne Augen unterscheiden, die der rötliche Kater mit den waldgrünen Augen nicht aufwies. Beim genaueren Betrachten erkannte sie, dass sich auch die Gesichtsform der beiden glich: die großen Ohren, die runde Stirn und der fein geschwungene Nasenrücken. Alles deutete darauf hin, dass die zwei Katzen verwandt waren, aber Fuchsauge hatte den Kater noch nie zuvor gesehen.

Er ist bestimmt einer von Feder am Himmels Katzen, dachte sie sich. Normalerweise hatten sich die ehemaligen SternenClan-Krieger die Nester weiter oben in der Himmelseiche gesucht und kamen selten herunter, aber seine Verwandtschaft mit Rotkehlchenwunsch musste eine Ausnahme erschaffen haben.

»Danke«, miaute sie leise.

Die roten Katzen nickten leicht, wobei der fremde Kater Rotkehlchenwunsch einen verstohlenen, unsicheren Blick zuwarf.

»Ist etwas?«, fragte Fuchsauge direkt.

Sanft strich die hellrote Kriegerin mit ihrem buschigen Schweif über ihr langes Fell und ihre braunen Flügel. »Du musst versprechen, dass du niemandem erzählst, dass er hier war«, flüsterte sie aufgeregt.

Die rot-weiße Kätzin verengte die Augen. »Warum?« An seinen Flügeln erkannte sie eindeutig, dass er ein HimmelClan-Kater war, allem Anschein nach mit dem Namen Spatzen- oder Sperling-. Also warum durfte er nicht hier sein?

Rotkehlchenwunsch schluckte. »Das ist Spatzenfeuer«, sagte sie. »Mein Vater.« Verzweiflung schlich sich in ihre Stimme und blieb dort kleben wie verdorbener Honig. »Bitte. Wenn sie ihn hier finden, wird er wieder verbannt.«

»Verbannt?«, hakte Fuchsauge nach. »Dafür muss es einen Grund gegeben haben.« Sie wollte mehr über diesen Spatzenfeuer herausfinden, denn sie konnte sich nicht vorstellen, dass Eichelhäherstern überhaupt jemanden verbannen würde und wenn, dann nur bei einer triftigen Angelegenheit.

Im hellen Mondlicht sah sie nun auch, woher er seinen Namen hatte. An seiner Flanke entlang zogen sich helle Brandnarben und seine Schwanzspitze besaß den weißlichen Glanz von verkohltem Fell.

Er trat vor. »Bitte verrate uns nicht. Ich komme nur hier her, um nach Rotkehlchenwunsch zu sehen. Als ich verbannt wurde, wanderte ich in die Berge und dort bin ich auch geblieben, aber als ich plötzlich meine Flügel nicht mehr spüren konnte, wusste ich, dass etwas nicht stimmte.«

Also hat der Fluch alle HimmelClan-Katzen getroffen, egal wo sie waren. Interessant.

»Aber woher soll ich wissen, dass du kein schlechter Einfluss für Rotkehlchenwunsch bist? Vielleicht wäre es wirklich besser, Eichelhäherstern zu informieren. Warum wurdest du verbannt?«

Sie sah, wie sich Spatzenfeuers Muskeln anspannten. »Es war wegen des Feuers. Ich wollte es erforschen, sehen, ob wir daraus einen Nutzen ziehen können, aber das ist schiefgelaufen.« Er senkte den Kopf. »Ich rede nicht darüber.«

Fuchsauge beschloss, in den nächsten Tagen nach HimmelClan-Katzen mit Feuerwunden zu sehen. Er und sie waren sich gar nicht so unähnlich. Forschende Neugier, in der Aussicht auf etwas Neues. Ein Unfall. Verbannung. Aber sie band ihm das natürlich nicht unter die Nase und schwieg stattdessen.

»Du bist doch auch verbannt worden«, sagte Spatzenfeuer. »Rotkehlchenwunsch hat es mir erzählt. Ist es nicht ungerecht? Warum bist du gerade fast gestürzt? Albträume wegen der Verbannung? Ich habe dir das Leben gerettet. Jetzt schuldest du mir meins.«

Fuchsauge überlegte kurz, dann nickte sie. Es war kein wirklicher Albtraum gewesen, der sie zur mondsüchtigen Schlafwandlerin gemacht haben, sondern etwas anderes. Etwas viel Harmloseres und das machte ihr mehr Angst, als sie zugeben wollte. Steckte der SternenClan dahinter, der herausgefunden hatte, dass sie einen Krieg plante? Oder waren es ihre eigenen gestörten Gedanken, die sie in den Wahnsinn trieben?

Mit dem Versprechen, ihr Geheimnis zu wahren, ließ sie Vater und Tochter allein und spazierte auf den breiten Wegen der Himmelseiche. Was, wenn ihr Widerstand scheiterte? Würde der SternenClan dann keine Gnade zeigen und alle Katzen so verdammen wie den HimmelClan? Würden sie sie alle in den Wald der Finsternis schicken? Oder gab es weitaus grausamere Möglichkeiten, sie zu bestrafen?

Konnten sie den SternenClan besiegen? Mit Mondschimmers Hilfe und der der anderen Clans haben wir eine Chance, sagte sie sich. Wie klein diese Chance auch sein mag.

Zwei Tage später wünschte Fuchsauge Rabentraum viel Glück mit den anderen Heilern, bevor sie sich mit Drosselfell und Federherz zum SturmClan aufmachte. Von Letzterem erfuhr sie, dass der NachtClan widerwillig zugestimmt hatte, den FarnClan zu unterstützen, wenn Schattenstern zustimmte, ihnen die oft umstrittene Lichtung mit der toten Fichte zu überlassen und deren Besitz nie wieder in Frage zu stellen.

Die FarnClan-Katzen waren nicht begeistert von dieser Art von Handel, zumal manche von ihnen selbst nicht an Fuchsauges Plan glaubten und ein gut gefüllter Magen in der Blattleere ihnen wichtiger war als die Rebellion einer Einzelläuferin. Als ob die tote Lichtung überhaupt Beute abwerfen würde, dachte Fuchsauge verächtlich. Aber Schattenstern hatte seinen Freund überredet und sich zugleich von ihm überreden lassen.

Nachdem sie die Baumbrücke überquert hatten, folgte eine ungemütliche Wanderung über das Hochmoor, das in der Blattleere von Wind und Schnee gepeitscht war, wie die eisumwehten Spitzen der Berge. Federherz hatte sein Fell aufgeplustert wie das Gefieder eines flauschigen Spatzen und duckte sich tief auf die Erde, um dem beißenden Wind möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten. Es war, als würde die frostige Kälte weiße Hunde schicken, die mit ihren grauenhaften Eiszähnen durch ihr Fell drangen und ihr Fleisch zerrissen.

Federherz mit seinem langen Fell und Drosselfell mit seiner Gefühlslosigkeit waren gegen sie geschützt, aber Fuchsauge war ihnen vollkommen ausgeliefert. Sie blinzelte gegen den Schnee an, aber die weißen Flocken stoben in ihre Augen wie Staubkörner und ließen dort geschmolzene Schlieren zurück. Auf ihrer verwundeten Gesichtshälfte stachen sie wie Eiszapfen und der gefrorene Boden zerschnitt die empfindliche Haut ihrer Pfoten.

Als sie mitten in der Heide waren, blieben die drei Katzen unschlüssig stehen. Das Lager des SturmClans war geheim und lag gut verborgen im Hochmoor, mit anderen Worten: unerreichbar für sie.

Sie mussten gefunden werden. Von den SturmClan-Katzen, die bei dieser Eiseskälte sicherlich nicht aus ihrem Lager kommen würden. Fuchsauge verfluchte das elende Wetter mit aller Kraft. Vom SternenClan geschickt, was sonst. Am liebsten wäre es ihm, wenn wir hier erfrieren.

Resigniert seufzend wagte sie einen Seitenblick auf ihre Weggefährten. Die beiden Kater kämpften sich verbissen durch den Schneewind, ließen sich aber nichts anmerken. Verzweifelt überlegte sie, wie sie sich aus dieser Falle hinauswinden konnten.

»Hey, Drosselfell!« Sie stieß den hellgrauen Kater in die Seite, um seine Aufmerksamkeit zu erringen und deutete mit einem vielsagenden Blick gen Himmel.

Er verstand sie sofort. Mit zwei schnellen Flügelschlägen war er über ihr verschwunden und erkundete die Gegend. Als Geist behinderte ihn der starke Luftstrom nicht, vielmehr fuhr er durch ihn hindurch, als bestünde er selbst aus Luft.

Fuchsauge nickte Federherz zu und sie blieben stehen. Bald darauf – sie hatte das Gefühl, zu einem Eisklumpen erstarrt zu sein – durchbrachen Drosselfells Schwingen die Schneedecke und er landete mit einem leisen Aufatmen neben ihnen.

»Von da oben erkennt man kaum etwas«, miaute er, »aber es gibt mehrere Felsen und Sträucher, um die der Schnee geschmolzen ist. Darunter müssen Eingänge zu Tunneln sein, aus denen die Wärme kommt.«

Fuchsauge nickte erleichtert. »Kannst du uns zum nächsten bringen?«

Die Wärme umschloss sie wie eine sanfte Königin ihre Jungen an ihr Fell schmiegt, als sie die Tunnel des SturmClans betraten. Sie schien von den Erdwänden auszugehen wie von einem lebendigen Körper und schmolz sogar den Schnee an der Erdoberfläche. So hatte Drosselfell sie herführen können, denn die nassen, matschigen Stellen gaben Hinweise darauf, wo sich die Eingänge zum Gänge- und Höhlensystem des SturmClans befanden.

Komisch, dass uns noch niemand bemerkt hat, dachte Fuchsauge im selben Moment als ein schriller Ruf ertönte. Plötzlich fanden sie sich in einer weiten Höhle wieder und wurden von allen Seiten von SturmClan-Kriegern umzingelt, die immer enger um sie kreisten.

»FarnClan«, knurrte eine dunkle Kätzin und ging einen Schritt auf sie zu. Ihre tiefen, dunkelgrünen Augen hatten einen misstrauischen Glanz und sie sah alles andere als freundlich aus. »Was fällt euch ein, in unser Lager einzudringen? Und viel wichtiger: wie habt ihr es gefunden?«

»Rankenstern.« Federherz neigte respektvoll den Kopf und Fuchsauge tat es ihm gleich, wenn auch nur knapp und weniger ehrerbietig.

»Wir sind gekommen, um eine Besprechung mit dem SturmClan zu führen, die keinen Aufschub duldet. Drosselfell«, - er schnippte mit dem Schweif in die Richtung seines Kameraden -, »hat uns hergebracht – und er braucht eure Hilfe.«

»Geschmolzener Schnee an den Eingängen«, sagte Drosselfell halb entschuldigend und halb selbstgefällig.

Rankenstern betrachtete ihn genauer. Im trüben Licht schien ihr dunkler, schildpattfarbener Pelz mit den Schatten der Höhlenwände zu verschmelzen, nur ihre breiten Schultern hoben sich deutlich von den anderen Katzen ab. Ihre Augen weiteten sich, als sie Drosselfells Flügel bemerkte, die er eng an seinen Körper gelegt hatte, um die schmalen Gänge nicht zu streifen.

»Holt Blattpelz«, flüsterte sie erstickt.

Ein großer, goldener Kater machte sich sofort auf den Weg und eine hellbraun-weiße Kätzin mit bernsteinfarbenen Augen stellte sich neben die Anführerin.

»Rankenstern, was soll das?« Sie sprachen leise, aber Fuchsauge konnte sie trotzdem verstehen.

»Was willst du mit Blattpelz? Wir sollten sie einfach wieder hinausjagen.«

»Nein, Kampffeder. Er hatte Recht, schon immer. Das waren nicht die Ältestenmärchen eines Verrückten.«

»Aber er ist verrückt. Und selbst, wenn es stimmt, was er sagt, was sollen wir machen?«

»Sie haben gesagt, sie brauchen unsere Hilfe.«

Mit einer wütenden Kopfbewegung schickte Rankenstern ihre Zweite Anführerin zurück in die Reihe der SturmClan-Katzen. Fuchsauge konnte sich keinen Reim aus dem Gesprochenen machen. Sie blickte zu Federherz und Drosselfell, aber anscheinend hatten sie nicht mitgehört. Endlich erschien Farnschweif, der goldene Kater, mit Blattpelz.

Fuchsauge hatte noch nie eine so alte Katze gesehen, oder jedenfalls eine Katze, die so starke Zeichen des Alters trug. Der sandfarben getigerte Kater besaß kurzes, mattes, orange leuchtendes Fell, aber es war schütter, übersäht mit Löchern und an einigen Stellen grau. Seine Smaragdaugen waren schwermütig und so trüb, dass Fuchsauge annahm, er sei fast blind. Aus seinem hageren Körper stachen überall die Knochen hervor, sie zählte drei Rippen und seine dürren Gliedmaßen bewegten sich stockend und langsam.

Angestrengt sah er in die Gesichter der fremden Katzen und Fuchsauge spürte seinen pfeifenden Atem an ihrem Fell. Blattpelz' Gesicht wirkte müde und düster, als er sie anstarrte, mit eingefallenen Wangen und abgebrochenen Schnurrhaaren.

Er sieht aus wie der lebende Tod, dachte sie. Und wahrscheinlich wird er das auch bald sein. Vorher allerdings musste ein Nachfolger ausgewählt werden, denn er war der Heiler des SturmClans, aber das gehörte nun nicht zu Fuchsauges Problemen.

Die Katzen machten ihm ehrfürchtig Platz und eine unheimliche Stille mischte sich unter sie. Eindeutig waren sie peinlich berührt, denn wenn man den Gesprächen ihrer Anführerinnen glaubte, hatten sie den alten Kater nie ernst genommen und ihn für seine Geschichten verspottet. Ihn jetzt, wo der Beweis erbracht war, zu sehen, musste ein unangenehmes Gefühl sein.

»Eine HimmelClan-Katze«, krächzte er mühsam und sie wäre bei dem Klang seiner polternden Stimme fast zusammengezuckt. Erkenntnis erhellte seine Augen für einen Herzschlag und sein kantiges Maul öffnete sich überrascht, eine Reihe gelber, brüchiger Zähne entblößend. »Drosselfell.«

Der Name hing in der stickigen Höhlenluft wie ein verheißungsvoller Fluch. Blattpelz machte einen hastigen Schritt auf sie zu, den Fuchsauge ihm gar nicht zugetraut hätte, und sie wich zurück.

»Also habt ihr überlebt«, hauchte der sandfarbene Kater.

Drosselfells Miene glich einem Scherbenhaufen, als er langsam die offenbarten Teile in seinem Kopf zusammensetzte. »Blattpfote?«, fragte er zaghaft.

»Ebender.« Ein trockenes Rumpeln erklang aus Blattpelz' Brust. Fuchsauge erkannte, dass er lachte und wunderte sich so langsam, ob der Heiler wirklich noch alle Kräuter im Bau hatte.

A/N: Sorry für die Verspätung xD. Das nächste Kapitel kommt pünktlich, versprochen.

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