XVII.
,,We love the night and its quiet; and there is no night that we love so well as that on which the moon is coffined in clouds."
~ Fitz-James OBrien, Classic Ghost Stories
Mysteriös, hinterhältig und mehr auf die eigenen Ziele als auf das Gesetz der Krieger bedacht – das waren die Eigenschaften, die der noble FarnClan dem NachtClan andichtete. Ihre Worte Entschlossenheit und Obskurität halfen, das schlechte Bild, das die FarnClan-Jungen eingeprägt bekamen, zu verdeutlichen und der Umstand, dass der NachtClan in einem düsteren Nadelwald wohnte und nachtaktiv war, führte zu vielen Schauergeschichten über seine genauso düsteren Bewohner.
Schattenstern jedoch hatte in den letzten Blattwechseln viel dagegen getan, dass sein benachbarter Clan gefürchtet wurde, was der Tatsache zu verdanken war, dass Sonnenstern, der Anführer im Nachtwald, sein bester Freund seit ihrer gemeinsamen Schülerzeit war. FarnClan und NachtClan trafen sich regelmäßig, auch außerhalb der Großen Versammlungen, um sich über Neuigkeiten auszutauschen und sie würden gute Verbündete abgeben – hoffte Fuchsauge zumindest.
Sie, Drosselfell und Schattenstern brachen kurz vor der Morgendämmerung auf. Die NachtClan-Katzen würden jetzt ihre letzten Patrouillen aussenden, bevor sie sich schlafen legten, eine komische Vorstellung für die tagaktiven FarnClan-Krieger. Aber die Morgen- und Abenddämmerung waren die besten Gelegenheiten, sich mit dem anderen Clan zu treffen.
Federherz blieb zurück und bewachte das Lager. Bald würde er die morgendlichen Jagd- und Grenzpatrouillen einteilen, aber Schattenstern versprach sich, schon davor im Nachtwald angelangt zu sein.
Fuchsauge gähnte herzhaft, als sie hinter Drosselfell hertrottete. Wegen Mondschimmers Traum hatte sie die ganze Nacht schlecht geschlafen, hatte sich immer wieder von einer Seite auf die andere gewälzt und war schließlich mit ausgefahrenen Krallen und schmerzenden Narben aufgewacht.
Sie kamen an der Lichtung mit der toten Fichte vorbei, die die Grenze zum NachtClan markierte und einmal dem FarnClan gehört hatte. Der Baum, der in der Mitte stand, war von einem Blitz gespalten worden, in einem Streit zwischen den zwei Clans, so hieß es. Fuchsauge fand, dass er aussah wie einer der Bäume im Stillen Wald, wie er da stand: alt, verfault und geisterhaft unbeweglich. Auf der Lichtung war seitdem keine Pflanze mehr gewachsen, der Boden war hart und verkohlt wie schwarzer Stein.
An einem besonders spitzen Holzsplitter blieb sie hängen und schnitt sich die Pfote auf. »Geht schonmal vor«, wies sie ihre Gefährten an und betrachtete die Wunde. Zwischen verkrustetem Blut und Eiter sickerte eine schmale, rote Spur hervor, umringt von einer fast schwarzen Narbe.
Es war die Pfote, die damals in der Fuchsfalle geklemmt hatte, als sie Sperling befreit hatte. Vorsichtig strich sie mit der Zunge darüber und zog eine angewiderte Miene angesichts des fauligen, verwesenden Geschmackes. Fluchend setzte sie die Pfote auf und zischte wütend, als der Schmutz des Waldbodens sie zum Brennen brachte.
Entschlossen drückte sie fest auf und lief weiter, obwohl der Schmerz, der in ihrem Ballen pochte, sie zur Weißglut trieb. Darum würde sich Graupelz kümmern, wenn sie wieder im FarnClan-Territorium waren.
Bei der Erinnerung an Graupelz hielt Fuchsauge inne. Irgendwie musste sie die gutmütige Heilerin doch überzeugen können, bei ihnen mitzumachen. Wenn sie das schaffen würde, konnte Graupelz dann mit den anderen Heilern reden, was es um Einiges leichter machen würde, zu den Anführern vorzudringen.
Sie gestand es sich nur ungern ein, aber sie brauchte die Hilfe der Kätzin, die einst die Schülerin ihrer Mutter gewesen war. Ich brauche die Heiler. Ich brauche... Eine Idee flammte in ihr auf und ließ sie ihre schmerzende Pfote vergessen. Was, wenn sie Rabentraum zu Graupelz schickte? Gleiches sehnt sich nach Gleichem. Wenn sie eine weitere Heilerin zum Reden hat, wird sie vielleicht weniger feindselig. Und wer weiß, wie lange Rabentraum nicht mehr mit einer anderen Heilerkatze gesprochen hat.
Schließlich musste Graupelz dann eingestehen, dass der SternenClan nicht einmal vor Heilern haltmachte, wenn es um Rache ging. Das musste sogar an dem festgetretenen Glauben von einer Katze wie ihr rütteln.
Schattenstern betrat ungestört das Lager des NachtClans. Es war ihnen keine Patrouille entgegengekommen. Fuchsauge nahm das vertraute, dichte Tannendickicht in sich auf, als sie über den sandigen Boden am Eingang lief.
Links neben dem Lagerausgang befand sich der Hochstein, ein zerklüfteter graugelber Felsen mit ausgehöhltem Bau darunter. Alle anderen Bauten lagen unter tiefhängenden, schweren Tannenzweigen, die ihr ringsum die Sicht auf den Wald versperrten.
Für die NachtClan-Krieger war es gerade Abend geworden, deswegen waren die meisten in ihren Nestern. Schlammfuß hatte die letzte Patrouille vor einem Moment ausgeschickt und kam sogleich mit gesträubtem Nackenfell auf sie zu. Sein langer, dünner Schweif peitschte wild hinter ihm her und seine cremeweiße Schnauze entblößte eine Reihe spitzer Zähne, als er sich ihnen näherte.
»Was wollt ihr hier?«, rief er. »Sind die FarnClan-Katzen jetzt so arrogant geworden, dass sie sich selbst in fremde Lager einladen? Unsere Freundschaft reicht nicht so tief, wenn ihr mich fragt. Und was ist das?« Er deutete auf Drosselfell und seine kristallblauen, schmalen Augen weiteten sich merklich.
»Das ... das ist nicht möglich«, stammelte Schlammfuß. »Welchen faulen Trick spielt ihr mir hier vor?«
»Schweig«, miaute Schattenstern ruhig aber bestimmt. »Wir sind hier, um Sonnenstern zu sprechen.«
Der hell getigerte Kater zog die Lefzen angespannt zurück und stahl sich langsam zum Anführerbau, wobei er sie nicht aus den Augen ließ. Dann verschwand er darin, wohl auf einen Ruf seines Anführers.
Fuchsauge atmete erleichtert auf. Und kleine, scharfe Krallen schlugen sich schmerzhaft in ihren Pelz.
Wütend fuhr sie herum. In ihrer Angespanntheit hatte sie nicht bemerkt, wie sich die kleine Kätzin an sie angeschlichen hatte. Mit einer gekonnten Drehung auf den Rücken und einem überraschten Fauchen beförderte sie ihren Angreifer in den Sand. Ihre verletzte Pfote brannte von dem harten Aufprall auf dem Boden und ihr Fell war völlig zerzaust.
Ihre Gegnerin richtete sich auf. Mit Schrecken erkannte sie nun auch, wer es war, der sie so jähzornig angegriffen hatte.
»Schneepfote?«
Vor ein paar Sonnenaufgängen hatten sie noch friedlich miteinander gequatscht, über ihre Schüleraufgaben, ihre Mentorin und... Ihre Mentorin. Fuchsauge drehte sich der Magen um. Rotauge.
Die kurzbeinige, schneeweiße Schülerin stand vor ihr, mit sandigem, verwuscheltem Fell und stürmischen, grauen Augen. Über ihre Schulter zogen sich zwei grässliche Narben, die sie nur noch wütender und wilder aussehen ließen.
»Du hast sie umgebracht!«, schrie sie Fuchsauge entgegen. »Ich habe dir vertraut und du hast sie einfach umgebracht. Mörderin!«
Ihr Gebrüll hatte nun auch die letzten neugierigen Katzen aus dem Bau gelockt, inklusive Sonnenstern. Na großartig. Unsere Chancen auf ein gutes Gespräch steigen rapide. Wenn Schneepfote sie jetzt vor allen Augen des Mordes anklagte, könnte das ein langer Prozess werden. Fuchsauge sah ihr in die Augen, versuchte zu berechnen, was die Schülerin als nächstes vorhatte. Sie sah, wie die Muskeln der weißen Kätzin zuckten.
Wenn du siehst, dass dein Gegner angreifen will, sei schneller als er und überrasche ihn, schwebte Federherz' Anweisung durch ihren Kopf. Aber ich kann sie nicht angreifen. Sie ist eine Schülerin, mir weit unterlegen und ich befinde mich in ihrem Lager. Es wäre unehrenhaft, sie zuerst zu attackieren und damit gegen die Worte des FarnClans.
Schneepfotes Augen versprühten wütende Funken. Anscheinend bildete sie sich ein, Fuchsauge in ihrem Zorn besiegen zu können. Vergiss die Ehre, dachte sie. Ich bin auch zornig. All diese Gedanken passierten in einem Herzschlag und plötzlich sprach sie aus, was sie die ganze Zeit über hatte sagen wollen.
»Ich habe Rotauge nicht umgebracht. Und dein kindischer Wutanfall kümmert mich so wenig, dass ich fast umgekippt wäre.«
Fuchsauge sah, wie Schneepfote die Augen zu misstrauischen Schlitzen verengte und sprang. Ehre und Ehrlichkeit. Das waren nicht mehr ihre Leitgedanken, denn sie gehörte nicht mehr zum FarnClan. Ehrgeiz und Einsamkeit. Der HimmelClan hat seine Worte wohl gewählt.
Was tat sie anderes, als ihren Ehrgeiz zu beweisen, wenn sie sich gegen eine falsche Anschuldigung stellte? Was war sie anderes als einsam, wenn sie Schneepfote allein entgegentrat, obwohl alle Zeichen sie für schuldig sprachen?
Die weiße Schülerin war nicht auf einen Angriff ihrerseits vorbereitet. Fuchsauge rammte die Vorderpfoten in ihre Seite und sie landeten in einem Knäuel aus rot und weiß im Staub.
Es war ihr ein Leichtes, Schneepfote zu besiegen. Die kleine Kätzin versuchte, sich in ihrem Schwanz zu verbeißen, aber Fuchsauge packte sie am Nackenfell und schüttelte sie wie eine schäbige Ratte. Dann schlug sie sie kräftig gegen den Hochstein, wo die Schülerin benommen liegen blieb. Rehpfote und Tulpenknospe, die Heilerinnen, eilten sogleich zu ihr.
»Pass nächstes Mal besser auf, wen du eine Mörderin schimpfst«, fauchte Fuchsauge ihr hinterher, als sie zum Heilerbau getragen wurde.
Sie spürte die Blicke unzähliger Katzen auf sich, fühlte sich aber nicht schuldig. Gekränkt stapfte sie zu Schattenstern und Drosselfell und begegnete dem Blick von Sonnenstern. Der gelb getigerte Kater sah sie mit vor Wut schäumendem Gesicht an und brachte seine Schnauze so nah an ihre, dass sie den kleinen weißen Fleck in seinem linken, blassgelben Auge sehen konnte.
»Was fällt dir ein, meine Tochter anzurühren?«, keifte er.
Fuchsauge erwiderte seine bedrohliche Miene stürmisch. »Vielleicht hätte ich sie nicht angegriffen, wenn du es geschafft hättest, ihr etwas Respekt beizubringen.«
Das traf einen Nerv. Der Anführer des NachtClans schien bereit zu sein, sie in Stücke zu reißen und Fuchsauge vermutete, dass er seine Tochter alleine großgezogen hatte.
»Ich erinnere mich an dich«, knurrte er. »Und es stimmt, was sie sagt, oder? Du hast Rotauge umgebracht.«
»Woher wollen du oder deine Tochter das wissen? Ihr wart doch nicht dabei, oder?«, fauchte die rot-weiße Kätzin.
»Rotauge wurde tot im Bach aufgefunden, in der Richtung, in die du geflohen bist. Bezichtigst du meine Tochter einer Lüge?«
Kurz überlegte sie, ernsthaft ja zu sagen. »Sie kann schwerlich die Wahrheit erzählen, wenn sie nicht selbst am Tatort war.«
»Sonnenstern«, unterbrach Schattenstern sie. »Bevor du etwas sagst, bedenke, dass Fuchsauge auch meine Tochter ist. Es steht Wort gegen Wort.«
Fuchsauges Herz machte einen kleinen Hüpfer, als er sprach. Dass Fuchsauge auch meine Tochter ist. Sie hätte nie erwartet, dass Schattenstern sie nach Mondschimmers Tod als solche anerkennen würde.
Drosselfell starrte sie bedauernd an, während sich die zwei Anführer ein Blickduell lieferten. Plötzlich kam ihr in den Sinn, dass der hellgrau getigerte Kater Rotauge umgebracht hatte und sie deswegen die falsche Angeklagte war.
Sie sah zurück in seine Augen. Nein. Oh, nein. Unmerklich schüttelte sie den Kopf, versuchte ihm mit den Augen zu vermitteln, dass er es nicht tun sollte. Dummkopf. Ehrenhafter Dummkopf. Er würde alles nur noch schlimmer machen.
Drosselfell räusperte sich. »Sonnenstern. Es gibt nichts, was Fuchsauge zu verschulden hat.« Nein. Halt den Mund!, schrie sie ihn in Gedanken an.
»Ich war es, der Rotauge umgebracht hat. Ich allein.«
Fuchsauges Welt sackte unter ihren Pfoten weg. Merkst du nicht, dass du damit alles ruinierst? Sonnenstern wird dem HimmelClan nicht mehr helfen.
Der Anführer des NachtClans hatte die Krallen ausgefahren. »Du?«, fragte er vorsichtig.
»Wartet!«
Noch nie war Fuchsauge so froh gewesen, die Stimme einer anderen NachtClan-Katze zu hören. Als Amselschweif auf sie zulief, keimte ein neuer Trieb Hoffnung in ihr auf. Die dunkelbraune Kriegerin würde alles richtigstellen. Sie hatte sie laufen lassen.
»Er war es nicht. Ich kann alles erklären.«
Der gelb getigerte Kater beäugte sie, als hätte er das Vertrauen in seine eigenen Clangefährten verloren.
»Sonnenstern.« Schattenstern drängte sich in das Blickfeld seines Freundes. »Wir besprechen das in deinem Bau weiter. So ist es besser für uns alle. Fuchsauge, Drosselfell.« Er drehte sich kurz zu ihnen um, ohne Sonnenstern aus den Augen zu lassen. »Geht nach Hause. Ich kümmere mich um das alles hier.«
Der kleine, schwarze Kater geleitete seinen Freund in Begleitung von Amselschweif zum Hochstein. Sie sahen aus wie Tag und Nacht, als sie in seinem Bau verschwanden.
Fuchsauge und Drosselfell liefen schweigend zum Himmelwald zurück. Keiner von beiden hatte Lust, die Dummheit anzusprechen, die Drosselfell gerade begangen hatte und so, wie sie ihn kannte, nicht einmal als dumm empfand.
Als sie ankamen, ließ sie ihn allein und suchte Rabentraum auf, um zuerst ihre entzündete Pfote zu zeigen und sie dann um Hilfe zu bitten.
»Du musst etwas für mich tun, Rabentraum«, sagte sie durch zusammengebissene Zähne, als die Heilerin den Dreck aus ihrer Wunde entfernte. Die silberschwarze Kätzin zuckte aufmerksam mit dem Ohr und Fuchsauge fuhr fort.
»Könntest du zum FarnClan gehen und mit Graupelz sprechen?« Sie erzählte ihr ein wenig über die Heilerin ihres alten Clans und sah sie dann mit erwartungsvollem Blick an.
Rabentraum zögerte. »Ich habe mich schon lange nicht mehr mit anderen Heilern getroffen.«
»Aber du könntest uns damit wirklich helfen«, sagte Fuchsauge. »Die anderen Heiler werden auf Graupelz hören, wenn du sie erst überzeugst.«
Rabentraum trat unsicher von einer Pfote auf die andere. »Na gut. Aber ich habe einen anderen Vorschlag. In zwei Tagen ist Halbmond. Ich werde dem Heilertreffen beitreten und zu den anderen Heilern sprechen. So müssen wir uns nicht alleine auf Graupelz verlassen.«
Fuchsauge nickte erleichtert. »Danke.«
Die Kätzin mit den Rabenflügeln hielt kurz inne und verließ den Bau. Sie hätte schwören können, ein Zeichen der Vorfreude auf ihrem Gesicht erkannt zu haben.
In dieser Nacht träumte Fuchsauge nicht von Mondschimmer, dafür aber von einem riesigen Urwald. Gigantische Bäume ragten zu ihren Seiten auf und moosbewachsene Stämme bildeten den Weg über stille Gewässer. Vor ihr, in einer breiten Astgabel, sah sie ein silbernes Leuchten. Mondschimmer?
Mit neugierig pochendem Herzen trat sie näher heran. Der leichte Schein war gar nicht auf dem Ast, sondern kam von weiter Ferne, schien immer schneller zu pulsieren, sobald sie einen Schritt weiter machte.
Mit aufmerksam aufgestellten Ohren lief sie über breite Baumpfade und durch hohe Auen. Sie fühlte sich seltsam von dem Licht angezogen, beinahe, als würde es sie an unsichtbaren Leinen führen. Gebannt setzte sie eine Pfote vor die andere.
Plötzlich war sie dem Licht ganz nahe. Es kam aus einem großen See, weit unter ihr, am Rande einer Schlucht. Das himmelblaue Wasser leuchtete vor Kraft und sie hatte das Gefühl, dass geheimes Wissen und unbezwingbare Macht in seinen Tiefen lauerten.
Kleine Sandsteine bröckelten ab, als sie sich näher an den Abgrund schob und fielen mit leisem Platschen in den See. Er schien ihr jetzt wie ein großes Auge entgegen zu starren und sie musste sich zwingen, sich nicht in dem tiefsinnigen Blick zu verlieren. Das Wasser flüsterte ihren Namen.
»Fuchsauge ... Fuchsauge...«
»Fuchsauge!«
Sie wachte auf. Und fiel.
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