XIII.
,,Moonlight is sculpture; sunlight is painting."
~ Nathaniel Hawthorne
Wirbelnde Schatten umkreisten sie in einem aggressiven Tanz aus Nebel und Nacht und drohten, sie in die Tiefe zu reißen. Es fühlte sich an, als würde sie ertrinken, als würde sie noch einmal von Rotauge unter Wasser gedrückt werden, kämpfend aber machtlos gegen ihren Feind.
Über ihr lockte ein weißlicher Schimmer, eindeutig die Wasseroberfläche, aber die Schatten zerrten sie fortwährend in ihr dunkles Reich und versuchten, die Oberhand zu gewinnen. Krallen schlugen nach ihrem Gesicht, gemacht aus Nacht und Schrecken. Sie wehrte sie mit panischen Tritten ab, bekam aber keine feste Gestalt unter ihren Pfoten zu spüren. Nichts als Leere. Das helle Licht rief nach ihr, aber sie konnte ihm nicht antworten. Ihre Kehle war zugeschnürt und sie würde ersticken, sobald sie den Mund öffnete.
Es ist ein Albtraum, erinnerte sie sich. Katzen ertrinken nicht in ihren Träumen.
Anstatt sich gegen die Schatten zu wehren, schwamm sie mit ihnen und ließ sich in die Tiefe begleiten. Ihr Kopf durchbrach die Oberfläche. Sie musste husten, um das schlammige Wasser aus ihren Lungen zu bekommen und würgte angesichts des faulen Geschmacks. Der dunkle Fluss trieb sie mit sich und sie hatte Mühe, ihre Nase über Wasser zu halten.
Ein schwarzer Ast glitt vorbei. Fuchsauge ergriff die Chance und fischte nach dem morschen Holz, um sich dann darauf hochzuziehen. Mit einem zittrigen Sprung schaffte sie es ans Ufer des obskuren Flusses, der die Gegend in zwei Gebiete teilte, reißend und braun schäumend.
Vor ihr breitete sich ein Wald aus, mit großen, blattlosen Bäumen, die ihre knochigen Äste wie hilfesuchende Pfoten in den Himmel streckten. Weder Sonne, noch Mond oder Sterne spendeten ihr Licht, als sie durch die ächzenden Baumstämme irrte, dennoch herrschte eine undefinierbare Helligkeit, die hinter den Bäumen hervorzudringen schien und die schwarzen Schemen gespenstisch leuchten ließen. Kein Laut war zu vernehmen, bis auf das Knarzen der Äste und ein Rascheln, das von überall herzudringen schien und sich verdächtig nach Pfotenstapfen anhörte.
Fuchsauge wurde klar, dass sie sich nicht im SternenClan befand, sondern an einem Ort ohne Licht und Freude, wo jeder für sich allein wanderte bis in alle Ewigkeit, ein sternenloser Ort. Sie träumte vom Wald der Finsternis.
Schon als Junges hatte sie den Geschichten der Ältesten entnommen, dass es für die finsteren Katzen möglich war, die Lebenden zu sich zu rufen, aber sie hatte es für nicht sehr wahrscheinlich gehalten, dass sie eines Tages zu diesen Katzen gehörte. War sie wichtig genug, um für den Wald der Finsternis von Interesse zu sein? Nun, immerhin war sie die Nichte eines Anführers und nach Eichelhähersterns Worten die Auserwählte.
Aber wenn mich eine Katze von hier gerufen hätte, wäre sie sicherlich da, um mich zu empfangen. Gab es noch andere Gründe für einen Aufenthalt am Ort ohne Sterne? Vielleicht ist es, weil ich mich nicht mehr zum SternenClan gebunden fühle. Kommen solche Katzen nicht immer in den Wald der Finsternis?
Es war nun egal. Sie musste hier herauskommen. Verzweifelt öffnete Fuchsauge das Maul, um die Gerüche des Waldes aufzusaugen, aber da war nichts, das sie hätte zum SternenClan leiten können, nur Moder und Dreck. Möglicherweise musste sie dafür wieder in den schlammigen Fluss springen. Oder aufwachen. Und sie war sich nicht sicher, ob ihr eines der beiden gelingen würde, ohne zu sterben.
Resigniert wollte sie wieder umkehren, als sie ein kleines Licht bemerkte. Der Funken Hoffnung war gekommen. Er schwebte direkt vor ihrem Gesicht, nur ein winziger Tupfen in der Dunkelheit, klein und unscheinbar, und doch von großer Bedeutung.
Gebannt beobachtete sie, wie sich das silberweiße Licht auf ihren Kopf zubewegte. Es sah aus wie der Splitter eines Sterns im samtenen Schwarz des Waldes und sie verfolgte es mit ihrem kupferfarbenen Auge, bis es vor ihr hielt. Das Licht blinkte. Und sie folgte ihm.
Fuchsauge preschte durch den Dunklen Wald. Sie genoss den Schmerz, als sie sich eine Kralle an der Rinde eines umgestürzten Baumes ausriss. Er machte ihre Gedanken frei. Mit kraftvollen Sprüngen rannte sie dem Licht nach und hatte keine Augen für ihre Umgebung. Sie waren starr nach vorn gerichtet.
Endlich durchbrach ihre Schnauze die letzten Äste der schaurigen Landschaft. Der Funke, kräftig leuchtend und hypnotisierend, flog weiter und verschmolz mit der weißen Wand aus Licht, die sich über ihr endlos in den Himmel bog und deren Ende nie in Sicht war, die Grenze zwischen SternenClan und Wald der Finsternis. Sie blendete Fuchsauge, als sie nähertrat.
Die rot-weiße Kätzin mit der leicht dunkleren Tigerung berührte die Wand und erschauderte. Der Nebel floss wie flüssiges Sternenlicht um ihren Körper, als sie mit geschlossenen Augen über die Grenze lief. Es fühlte sich himmlisch und überwältigend an, in die ewigen Jagdgründe des SternenClans zu gelangen, doch gleichzeitig wallte ein gleißender Schmerz in ihrem Herzen auf, als hätte es sich an dem Licht verbrannt. Es war ein kaltes Feuer, das in ihr loderte und ihr zu verstehen gab, dass sie hier nicht hingehörte.
Dann überwand sie den Wall und war auf der anderen Seite. Der Unterschied zwischen dem SternenClan und dem Wald der Finsternis war der von Tag und Nacht, Weiß und Schwarz, Himmel und Erde.
Sie fand sich auf einer nächtlichen Wiese wieder, die übersäht war mit violettblauen, kelchförmigen Blumen, die ihre Blüten im Dunkeln geschlossen hielten. In der Nähe verharrte ein hoher Nadelwald mit blaugrünen Tannen und der Mond und die Sterne beschienen das leichte, smaragdgrüne Gras.
Die leuchtende Wand war verschwunden, als sich Fuchsauge danach umdrehte. Sie lauschte auf Pfotenschritte und Atemgeräusche, konnte aber nur das Zirpen ferner Grillen und die Rufe einer Schleiereule hören.
Sie spürte die Anwesenheit einer Katze. Da saß sie, zwischen den nachtfarbenen Blumen, den Rücken zu Fuchsauge gekehrt und den Blick auf den Wald am Horizont gerichtet. Der Mond beschien ihr grau-weißes Fell, ließ es silbern glänzen, wie feine, taubesetzte Spinnenweben in der Morgensonne und beinahe wirkte es, als gehöre sie zur Landschaft, eine Skulptur aus kaltweißem Licht.
Fuchsauge machte einen Schritt auf sie zu und die Kätzin drehte ihren Kopf. Ihre hübschen, eisblauen Augen schimmerten besorgt, als sie Fuchsauge musterte.
»An diesen Ort zu kommen, war dumm von dir«, sagte Mondschimmer.
Das Blut in Fuchsauges Adern gefror und zersplitterte wie das Eis auf einem See, als sie die wohlvertraute Stimme hörte. Sie biss hart auf ihre Zunge, um die Wut zu kontrollieren, die in ihr brodelte wie das Feuer eines Berges, aber ihr gesamter Körper spannte sich an, bereit zum Angriff.
»Du«, keuchte sie angewidert. »Mich in den Wald der Finsternis zu schicken reicht wohl nicht. Du musst mich nun auch noch verspotten.«
Inzwischen war sie sich sicher, dass die Katze vor ihr stand, die den Einsturz des Heilerbaus bewirkt hatte, die schuld war an ihrer Verbannung, die diesen Racheakt nach ihrem Tod geplant hatte. Ob sie wusste, dass sie damit ihr Leben zerstört hatte?
Mondschimmer wirkte verwirrt. »Nein«, sagte sie. »Ich bin es, die dich hierhergeführt hat.«
Fuchsauge schnaubte ungläubig und wandte ihren Kopf ab. »Und der Heilerbau? Das würde zu dir passen. Du warst schon immer gut darin, falsche Spuren zu legen.«
Dachte Mondschimmer wirklich, dass sie ihr diese Lügen glaubte? Die hellgraue Kätzin verzog das schöne Gesicht, in Erinnerung versunken und Fuchsauge erriet ihre Gedanken.
Wie genau sie es geschafft hatte, hatte Fuchsauge nie herausgefunden, aber eines Tages war es Mondschimmer gelungen, ihr die Auslösung einer Grenzstreitigkeit anzuhängen. Ein NachtClan-Krieger war dann im Laufe des Abends zu ihnen gekommen und hätte dem FarnClan den Krieg erklärt, wenn Schattenstern nicht rechtzeitig eingegriffen hätte. In dieser Nacht hatten sie die Lichtung mit der toten Fichte an den NachtClan verloren und alle hatten Fuchsauge die Schuld gegeben. Ihr Einfluss auf den Anführer war somit gesunken und ihr Vertrauen in Mondschimmer als ehrliche Clangefährtin auch.
»Ich habe nichts dergleichen getan«, antwortete Mondschimmer, »und deswegen habe ich dich gerufen.«
»Ich verstehe nicht, was du meinst.« Eine grimmige Furche entstand auf Fuchsauges Stirn. Wie sie es hasste, nicht in der stärkeren Position zu sein!
»Die Träume.« Die mondgefleckte Kätzin drehte sich vollends zu ihr um und zupfte an dem dunkelgrünen Gras zu ihren Pfoten. »In deinen Träumen habe ich dich gerufen, doch du hast mir nie geantwortet. Auf diese Weise wäre es weitaus sicherer gewesen, als dich zum Mondstein zu begeben.«
»Vielleicht, weil ich damit beschäftigt war, deinen Albträumen zu entfliehen. Macht es allen SternenClan-Katzen Spaß, die Lebenden zu verfolgen oder ist das deine persönliche Rache?« Sie erinnerte sich an Mondschimmers Rufe. Voll von grauendem Flüstern und Schreien im Nachtwind. Im HimmelClan hatte sie sie gefürchtet, sobald sie die Augen schloss.
»Spar dir dein Mitleid«, fauchte sie, als ihr Gegenüber zu beruhigenden Worten ansetzte. »Wir beide wissen, dass es dir egal ist.«
»Und trotzdem habe ich dich aus dem Wald der Finsternis geholt.«
Und trotzdem hatte sie Fuchsauge aus dem Wald der Finsternis geholt. Es ergab keinen Sinn, es sei denn, Fuchsauge hatte etwas, das Mondschimmer nicht hatte. Es sei denn, sie war ihr nützlich.
»Was willst du?«, knurrte sie.
Mondschimmer seufzte. »Ich war nie eine Freundin von dir, aber ich bin eine Freundin des Friedens. Es gibt Katzen hier, die dich tot sehen wollen und das kann ich nicht zulassen. Du bist der Fuchs, der den Himmel zu den Sternen tragen wird und ich werde dir dabei helfen. Wenn ich es nicht tue, wird es vielleicht nie wieder Frieden geben und der HimmelClan wird untergehen.« Ihre großen, hellblauen Augen leuchteten in der Widerspiegelung der Blüten auf der Wiese, als sie Fuchsauge eindringlich anstarrte.
»Also tust du das alles nur aus reiner Barmherzigkeit?«, fragte die dunkelrote Kätzin zweifelnd.
Mondschimmer schien mehrere Antwortmöglichkeiten in Erwägung zu ziehen und nickte dann. »Ich glaube, der Frieden ist das einzige Gut in der Welt, wofür es sich zu kämpfen lohnt.«
Fuchsauge vermied es, in ihre Augen zu sehen. Konnte sie wirklich Mondschimmers Taten vergessen, um den HimmelClan zu befreien? Konnte sie ein Bündnis mit ihrer ärgsten Feindin wagen? Nein, das kann ich nicht. Aber ich kann sie benutzen.
»Du hilfst mir also?«, fing sie vorsichtig an und wartete auf die Bestätigung der hellgrau-weiß gefleckten Kätzin. »Gut. Aber wenn ich dir vertrauen soll, musst du mir erst sagen, wie du gestorben bist.« Die Worte »wer dich ermordet hat« lagen ihr wie ein lästiges Gewölle im Hals, aber sie sprach sie nicht aus. Es muss kein Mord gewesen sein. Aber warum war sie dann von dem Ast gefallen, der sie getragen hatte?
Mondschimmer schüttelte sanft den Kopf. »Das kann ich dir nicht verraten. Es würde dir nur Schmerzen bereiten.«
Unzufrieden mit ihrer Antwort, senkte Fuchsauge den Blick auf ihre Pfoten, die schneeweiß zwischen den blauen Blüten standen. »Dann sag mir, wer für den Einsturz des Heilerbaus verantwortlich war. Wer mich aus meinem Clan vertrieben hat.«
»Ich weiß es nicht«, sagte Mondschimmer. »Aber erinnerst du dich an das kurze Innehalten des Steins, bevor er niederkrachte? Das war ich. Ich habe dich an diesem Tag gerettet und ich werde es wieder tun, so oft er auch versuchen wird, dich umzubringen.«
Fuchsauge horchte auf. Wenn Mondschimmer die Wahrheit sprach, könnte sie es sein, die sie für das alles hier brauchte.
»Ich will den SternenClan stürzen«, miaute sie. Mondschimmer schien nicht überrascht.
»Du brauchst mich dafür.«
»Versprich mir, dass du mein Spion sein wirst, dass du mein Auge im Silbervlies sein wirst. Verrate den SternenClan, aber niemals mich, dann wird der HimmelClan dir deinen Frieden geben. Versprichst du das?«
»Ich verspreche, dass ich dein fehlendes Augenlicht ersetzen werde, sodass die Hälfte davon auf den SternenClan gerichtet ist und meine Schuld begleicht. Mein Auge für deins.« Sie berührte Fuchsauges Narben, die ihre eigenen Krallen in ihr Gesicht geschnitten hatten, die Gesichtshälfte, deren Auge nun blind und hell und milchig war.
Fuchsauge schreckte vor ihrer Nähe zurück, begegnete ihr aber mit festem Blick. »Dein Auge für meins.«
Die Wiese schwand bereits unter ihr und ein seltsames Gefühl breitete sich in ihr aus, als ihr Bewusstsein zurück in die Mondhöhle gezogen wurde.
»Ich finde dich!«, rief Mondschimmer ihr nach. »Hüte dich vor der Nacht!«
Dann wurde alles dunkel wie die Schwinge einer Motte.
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