IX.

,,In eigenen Gedanken suche die Wahrheit, und nicht in morschen Büchern. Willst du den Mond sehen, schaue zum Himmel und nicht in die Pfütze."

~ Aus Asien

»Schickt ihr keine Jagdpatrouillen aus?«, fragte Fuchsauge Drosselfell. Nachdem Eichelhäherstern ihr einen eigenen, kleinen Bau zugewiesen hatte, bemerkte sie erst, wie hungrig sie war.

»Ähm, nein.« Drosselfell wurde ihr als eine Art Mentor gegeben, der ihr die Lebensweise und Traditionen des Clans beibringen sollte. »Im HimmelClan sorgt jeder für sich selbst.«

Erstaunt betrachtete Fuchsauge ihre neuen Clangefährten, die leise redend oder im Halbschlaf auf den sonnigen Ästen lagen. Sieht nicht so aus, als ob hier jemand heute noch Hunger hat.

»Dann werde ich wohl alleine gehen müssen.«

Drosselfell verlagerte sein Gewicht unsicher von einer Pfote zur anderen. »Du musst unser Territorium dafür verlassen. Weißt du, wo HimmelClan-Katzen leben, gibt es nur Vögel und du bist noch nicht bereit dafür, in den Bäumen zu jagen.«

Im FarnClan hatte es auch Katzen gegeben, die hoch über dem Boden jagten, wie Feuerstrom, aber im Himmelwald standen die Dinge anders; die Bäume hier wuchsen zu hoch, um sich schnell daran zu gewöhnen und Fuchsauge war nicht gerade scharf darauf, von einem Baum so groß wie die Himmelseiche zu fallen. Trotzdem merkte sie, dass etwas an seiner Aussage nicht stimmte.

Sie rümpfte die Nase. »Seltsam. Ich habe hier noch keinen Vogel gehört.«

Mittlerweile traute Drosselfell es ihr sogar zu, die Himmelseiche hinunterzuklettern, obwohl er darauf bestand, nebenher zu fliegen.

»Viel Glück auf der Jagd.«

»Wenn ich zurückkomme, musst du mir deinen Bruder vorstellen und mich in eurem Territorium herumführen.«

Die rot-weiße Kriegerin schnippte ihm zum Abschied mit dem Schweif zu und wanderte zwischen den Bäumen des Himmelwaldes entlang. Obwohl sie den gleichen Baumarten wie im FarnClan entsprachen, waren sie anders. Sie gediehen höher und gerader, und die Äste begannen erst weit oben aus den glatten Stämmen zu sprießen.

Sie überlegte, in die gegensätzliche Richtung des NachtClans zu gehen, denn sie wollte weitere Schwierigkeiten vermeiden, vor allem nach Rotauges Tod. Um ehrlich zu sein, verspürte sie überhaupt kein Bedürfnis, irgendeine Seele zu treffen. Aber sie kannte die Gebiete jenseits der Wälder nicht und so beschloss sie, in die Richtung des Zweibeinerorts zu laufen.

Die dunkelrot und weiße Tigerkätzin nahm den starken Monstergeruch des Donnerwegs war, der schon hinter dem Stillen Wald begann und sich, dem Rand der Wälder folgend, bis zum Himmelwald zog. Bin ich endlich aus diesem Territorium raus? Sie roch keine Duftmarkierungen und war sich nicht einmal sicher, dass der HimmelClan überhaupt welche setzte.

»Hilfe!«

Ruckartig drehte Fuchsauge den Kopf und folgte dem Wimmern, das aus dem Zweibeinerort zu kommen schien.

»Hört mich denn niemand?«

Tja, das war's dann wohl mit meiner Mahlzeit, dachte sie grimmig und lauschte nach weiteren Rufen.

»Hilfe!«

Seufzend schritt Fuchsauge aus dem Wald und untersuchte den Donnerweg nach der schreienden Katze. Verwirrt stellte sie fest, dass die Hilfeschreie nicht von dem aschgrauen Steinpfad, sondern von darunter kamen. Ein breiter Tunnel führte unter ihm hindurch, der nach Ratten und Fuchsdreck stank.

»Ich komm ja schon«, rief Fuchsauge in die Finsternis hinein, während sie den Graben hinabkletterte. Das Tageslicht wurde verschluckt, als sie in den Tunnel trat und ihre Gestalt warf einen langgezogenen, furchteinflößenden Schatten auf den Boden. Ihre weiße Pfote patschte in eine Pfütze und ließ ein lautes, klirrendes Echo an den Wänden zittern.

»Wer ist da?«

Fuchsauge spürte den Angstgeruch der fremden Katze. Angeekelt beschnüffelte sie ihre nasse Pfote und zog ihre Schnauze schnell wieder zurück.

»Keine Angst, ich will dir nur helfen. Warte.« Widerstrebend lief sie durch das Wasser und stieß auf eine kleine Kätzin, ein wimmerndes Häufchen Elend, das sich zusammengekauert an die Tunnelwand drückte.

»Sag mir, was los ist und ich helfe dir.«

Die Kätzin richtete sich zitternd auf. Alles, was Fuchsauge sah, war ein Paar grüngoldener Augen.

»Bitte, hilf mir.« Ihre Stimme war nicht mehr als ein bebendes Flüstern und glich einem flatternden, gefangenen Vogel. In der Dunkelheit konnte sie Fuchsauges Gesicht nicht sehen und die rot-weiße Kätzin war froh darüber, denn noch verängstigter würde die fremde Kätzin umkommen.

»Mein Junges ... m-mein Junges. Hilf ihm.«

»Drück dich in klaren Sätzen aus.« Fuchsauge klang härter als beabsichtigt und sie spürte, wie die kleine Katze zusammenzuckte. »Ich weiß, du hast Angst«, fügte sie etwas sanfter hinzu. »Sag mir einfach, wo es ist.«

Schluchzend wies das Augenpaar auf das andere Ende des Tunnels. Fuchsauge ließ sie liegen und folgte dem hellen Lichtpunkt. Je näher sie kam, desto deutlicher vernahm sie ein gequältes Jaulen, dem sie langsam nachging.

Das Junge lag wie fallen gelassen am Boden, ein Geschöpf aus struppigem Fell und schwachen Atemzügen. Als sie es mit der Nase anstupste, stieß es einen jämmerlichen Klagelaut aus und die Kätzin im Inneren des Tunnels heulte laut auf. Fuchsauge untersuchte den kleinen Körper, um die Ursache der Schmerzen zu finden.

Himmel! Ihr wurde schlecht. Wie hatte sie das übersehen können? Das dürre Hinterbein des Kätzchens war eingeklemmt in einer Fuchsfalle. Die silbergrauen, fangartigen Zacken bohrten sich tief in das Fleisch des Jungen, bis auf den Knochen. Ein Wunder, dass sie noch nicht durch sind. SternenClan steh ihm bei. Allein würde sie es nie schaffen, die Falle aufzubekommen und ihn herauszuziehen.

Oh, nein. Sie musste die ängstliche Mutter des Kleinen überreden, ihr zu helfen. Fuchsauge atmete tief durch und bahnte sich einen Weg zu der zitternden Kätzin.

»Du wirst jetzt aufstehen und mit mir kommen.«

Die kleine Kätzin gab einen klagenden Wehlaut von sich und duckte sich noch tiefer auf den Grund. Fuchsauges Augen blitzten vor Wut über so viel Nutzlosigkeit und sie entblößte ihre scharfen Zähne.

»Dein Sohn wird sterben«, knurrte sie. »Willst du dein Junges verlieren, nur weil du ein erbärmliches, schwaches Hauskätzchen bist, das Angst vor seinem Schatten hat?« Die dunkle, getigerte Kätzin fauchte aufgebracht angesichts der fehlenden Reaktion der Fremden.

»Steh auf!« Sie zog die Kätzin auf die Beine und stieß ihr einen Ast ins Gesicht, den sie vorher vom Waldrand geholt hatte. »Nimm ihn mit und folge mir.«

Fuchsauge wagte es kaum, sie aus den Augen zu lassen, aus Angst, sie würde wieder zusammensinken. Mit wachvollem Blick führte sie die Kätzin zur Fuchsfalle. Sie folgte ihr mit stolpernden, unsicheren Schritten und ließ sich würdelos auf den Boden fallen, als reichte ihre Kraft nicht mehr aus.

»Wenn ich die Falle aufstemme, schiebst du den Ast dazwischen, verstanden?«

Die Mutter nickte kaum merklich, wandte ihr Gesicht aber feige von dem Anblick ihres Jungen ab. Fuchsauge hielt die Fuchsfalle mit ihren Pfoten fest.

»Du musst hinschauen«, befahl sie. »Schau hin!«

Die Kätzin drehte zögernd den Kopf. Fuchsauge befürchtete, dass sie das Bewusstsein verlieren würde, aber zu ihrer Überraschung blieb das Hauskätzchen stehen.

Fuchsauge packte den silbernen Stein mit ihren Zähnen. Sie kratzten unangenehm über die kalte, glatte Fläche. Mit ihrer Pfote drückte sie die andere Hälfte der Falle zu Boden. Die Falle öffnete sich einen Spalt breit und sie schob die Pfote schnell dazwischen, um die Öffnung zu vergrößern, wobei sie gleichzeitig mit ihrem Kiefer zog.

Die Zacken bohrten sich in ihren rauen Ballen wie tausend spitze Dornen. Ihr Kiefer verkrampfte sich schmerzhaft und sie keuchte vor Anstrengung.

»Ah!« Schreiend zog sie ihre Pfote zurück. Die Falle schnappte zu und traf auf festes Holz. Fuchsauge starrte geschockt auf den Boden und schnappte nach Luft. Unter eiskalten Schmerzen humpelte sie zu den silbernen Fängen und entfernte das Bein des Jungen aus den Zacken. Die Mutter stand zitternd neben ihr. Stolpernd nahm die dunkelrot-weiße Tigerkätzin das Junge auf und lief zum Tunnelausgang. Es hing schlaff in ihrem Griff wie ein nasses Stück Moos. Sie achtete nicht darauf, ob die Mutter ihr folgte, der Kleine brauchte unbedingt einen Heiler. Das schlammige Wasser am Ausgang kühlte ihre Pfote und ihr Kopf fühlte sich leicht und benebelt an, als sie zurück zum Himmelwald humpelte.

Das Klettern auf die Himmelseiche erwies sich schwieriger, als sie gedachte hatte, mit dem Jungen im Maul. Fuchsauge schlug ihre Krallen so weit in das Holz wie möglich und zog sich kraftaufzehrend höher. Sie befand sich schon in schwindelerregenden Höhen, hatte aber noch ein ganzes Stück zu gehen und das Junge hing schwer in ihrem Kiefer und ihre durchstochene Pfote trug auch nicht gerade zum Erfolg bei.

Nach Hilfe schreien konnte sie schlecht, sonst würde er herunterfallen, aber sie kämpfte sich weiter durch. Erleichtert stellte sie fest, dass bald die ersten Äste anfingen. Ein starker Wind zerrte an ihrem Fell, aber die rote Kriegerin ließ sich nicht beirren. Als sie sich die letzten Pfotenlängen hochzog, ging ihr Atem schnaufend und der Wind wurde stärker. Fuchsauge eilte zum Heilerbau, dessen Lage Drosselfell ihr beschrieben hatte und trat ungebeten ein.

»Rabentraum?«

Eine schlanke, schwarze Kätzin mit silberglänzendem Fell tauchte aus den Schatten auf, die ihren Bau umhüllten wie Nebelschleier, die großen, dunklen Flügel eng angelegt.

»Fuchsauge. Brauchst du etwas?«

»Ja.« Sie schob das Junge zu ihr. »Sein Bein war in einer Fuchsfalle eingeklemmt. Ich fürchte, der Knochen ist gebrochen.«

Rabentraum betrachtete ihren neuen Patienten erstaunt und beschnupperte die Wunde. »Ich werde sehen, was ich tun kann. Wo hast du ihn gefunden?«

»Im Tunnel unter dem Donnerweg.« Die dunkle Kätzin sah sich im Heilerbau um. Sie konnte weder Nester noch Vorräte entdecken, also musste das Rabentraums persönliches Nest sein.

»Beim Zweibeinerort?« Rabentraum klang überrascht. »Du solltest dort nicht hingehen. Hinter dem Donnerweg lebt eine Gruppe von Streunern.« Sie kontrollierte die Atmung des Kleinen. »Möglich, dass er einer von ihnen ist. Ich würde mich nicht mit ihnen anlegen.«

Fuchsauge war anderer Meinung. Wahrscheinlich würden die Streuner ihr dankbar sein, wenn sie dieses Junge rettete. Nach allem, was ich von diesen Katzen gesehen habe, scheinen sie nicht sehr furchteinflößend zu sein, dachte sie und erinnerte sich an das wimmernde Wrack, das die Mutter des Kleinen im Tunnel abgegeben hatte. Ich sollte das Junge womöglich gar nicht erst zurückbringen. So wie es aussieht, kann sie nicht auf es aufpassen. Aber anderen Streunern konnte sie es geben. Vielleicht würden sie ihr helfen und die FarnClan-Katzen ausspionieren.

»Hast du etwas für meine Pfote?«, bat Fuchsauge Rabentraum und hielt der Heilerin ihre Wunde unter die Nase. Die schwarze Kätzin untersuchte den Riss mit zusammengekniffenen Augen.

»Ich fürchte, wir haben keine Kräuter mehr. Der Grüne Husten hat seine Opfer gefordert«, miaute die schwarze Kätzin entschuldigend.

»Dann rate ich dir, welche für den Winter zu besorgen«, sagte Fuchsauge und zog ihren Ballen wieder zurück.

Rabentraum blinzelte rasch und sie konnte eine gewisse Traurigkeit in ihrem Gesicht erkennen, bevor sie die Lider schloss. Die Heilerin räusperte sich. »Wasch deine Wunde mit kaltem Wasser aus. Ich kümmere mich um deinen Schützling.«

Als Fuchsauge sich nach dem Heilerbau umsah, glitt ein geflügelter Schatten aus dem Hinterausgang.

Auf dem Weg begegnete ihr Drosselfell, begleitet von einem muskulösen, braun gestreiften Kater, der ihr als Adlerschweif vorgestellt wurde, Drosselfells Bruder.

»War deine Jagd erfolgreich?«, fragte Adlerschweif gezwungen. Sein Blick wirkte müde und ausgedroschen, aber er bemühte sich, freundlich zu ihr zu sein.

»Um ehrlich zu sein, habe ich nichts gefangen.«

»Das ist eine ideale Gelegenheit«, schaltete sich Drosselfell ein. »Ihr könnt euch miteinander anfreunden und ich besorge dir etwas Frischbeute.«

Bevor Fuchsauge ablehnen konnte, war er fröhlich mit dem Schweif winkend losgeflogen. Verdammt. Sie starrte ihm mordlustig hinterher.

»Mein Bruder kann etwas euphorisch sein«, miaute Adlerschweif. »Komm, ich stelle dich meinen Freunden vor. Es muss einsam sein, in einem eigenen Bau zu schlafen.«

Finkenherz, Rotkehlchenwunsch und Falkenmut waren ganz nett, aber nicht sonderlich interessant, in Fuchsauges Augen. Doch letztere gab eine intelligente Gesprächspartnerin ab, denn als die Tochter des Anführers wusste Falkenmut über mehr Dinge Bescheid, die sie Fuchsauge erzählen konnte.

»Vor langer Zeit wurden wir von den anderen Clans verbannt. Sie waren neidisch auf unsere Flügel und unsere Bindung zum SternenClan. Durch unsere Möglichkeit zu fliegen, konnten wir ihm immer näher sein, als gewöhnliche Katzen. Jedenfalls waren wir das, bis-«

»Hey, Falkenmut! Kommt wieder her!«

In das bemerkenswerte Gespräch vertieft, hatten sie nicht bemerkt, wie weit sie sich von der Gruppe abgetrennt hatten. Die gold-weiß getupfte Kätzin zuckte entschuldigend mit dem Ohr. Drosselfell war zurückgekehrt und hatte Fuchsauge ein saftiges Eichhörnchen mitgebracht. Die beiden entfernten sich von seinen Freunden und setzten sich vor Fuchsauges Bau.

»Hast du Falkenmut getroffen?«, sagte Drosselfell. »Sie ist unglaublich, nicht wahr?«

Fuchsauge stimmte ihm amüsiert zu, verzog ihr Gesicht aber gleich wieder zu einer wütenden Grimasse. »Du hast mich mit wildfremden Katzen alleine gelassen, die ich weder kenne, noch mag.«

»Ist da jemand sauer?«

»Muss da jemand lernen, seine Klappe zu halten?«

Drosselfell rollte mit den Augen und wechselte das Thema. »Ich habe vorhin Rabentraum gesehen. Soll dich fragen, ob du deine Pfote ausgewaschen hast.«

»Oh, Fuchsdung.«

»Wäre vielleicht nicht schlecht, wenn du das nachholst.« Sie kletterten die Himmelseiche hinunter und er begleitete sie zum Bach, der blauweiß glitzernd in der Blattfall-Sonne dahinplätscherte.

Fuchsauge biss die Zähne zusammen, als das kühle Wasser den Druck und das Blut aus der Verletzung spülte. Bis jetzt hatte ihre Pfote nicht großartig wehgetan, aber nun wurden die Kerben wieder aufgerissen und den empfindlichen Ballen durchzog ein scharfer Schmerz.

»Das wird schon wieder«, überzeugte sie Drosselfell. »Soweit ich weiß, ist noch keiner an einer Ballenverletzung gestorben.«

Wenn Blicke töten könnten, hätte Fuchsauge nun schon drei Leichen auf dem Gewissen. So muss ich mich mit Fuchspelz begnügen. Rotauge zählte sie halb dazu, Mondschimmer gar nicht. Im Kopf war ihr klar, dass sie an keinem Tod die Schuld trug, aber ihr Herz fühlte sich an, als hätte sie allen persönlich die Krallen in die Kehle gerammt.

Rotauge. Fuchspelz. Mondschimmer.

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