Es tut mir leid, Ihnen mitteilen zu müssen


Das Haus von Frederics Eltern lag abgeschieden, umgeben von grünen Bergen in Wales. Ihr nächster Nachbar, ein alter Hexenmeister von stolzen 200 Jahren, lebte etwa eine Flugstunde entfernt. Aurelia fragte sich, ob Frederic wohl einsam gewesen war. Sie, die aus der pulsierenden Hauptstadt London kam, stellte es sich zumindest so vor. Hier war niemand außer den Schafen, die sowohl auf den umgebenden Hügeln als auch direkt auf einer Wiese hinter den Woolerschen Haus grasten.

Das Haus selbst war in einem freundlichen Gelb gehalten und hatte neben einem gläsernen Anbau einen schönen Garten mit allerlei bunten Pflanzen in jeglicher Größe und Form, die blühten, obwohl der Wind ihr bitterkalt um die Nase wehte und die angrenzenden Feldern und Wiesen noch silbern vom Frost glänzten. Kräuterkunde war nie eine von Aurelias Stärken gewesen, aber sie meinte die gelb-schwarz gestreifte Hummelblume wiederzuerkennen, die passend zu ihrem Namen ein leichtes Summen von sich gab.

Die riesigen Blätter eines Elefantenblätterbaumes wiegten sich im Wind. Es war ein friedlicher Anblick und Aurelia verspürte leichte Beklemmung bei dem Gedanken diesen Frieden nun mit ihrer Nachricht zerstören zu müssen.

Sie ging auf die hölzerne Eingangstür zu und klopfte.

Bereits nach dem zweiten Klopfen wurde die Tür von einem weißbärtigen Zauberer aufgerissen, als hätte er nur darauf gewartet. Bei ihrem Anblick erlosch das freudige Strahlen in seinen braunen Augen und er musterte kritisch ihre Uniform.

"Was wollen Sie?" fragte er.

"Mr. Wooler dürfte ich bitte kurz reinkommen. Ich bin Aurelia Winter von der magischen Strafverfolgungspatrouille."

Der Mann machte keine Anstalten sich zu bewegen.

"Passt jetzt nicht."

"Ich habe Neuigkeiten von ihrem Sohn Frederic."

Aurelia sah wie alle Farbe aus dem Gesicht von Mr. Wooler wich. Er trat beiseite.

"B...bitte, kommen Sie rein" stammelte er.

"Danke"

Aurelia folgte ihm durch einen liebevoll dekorierten Flur. Die Blumen des Gartens standen hier in Vasen und an den Wänden hingen Fotos von Frederic. Angefangen als kleiner Knirps grinsend und winkend auf einem Spielzeugbesen, über einem etwas größeren, schlacksigen Jungen, der einen Lurch in den Händen hatte, einem Jungen mit einem Arm in einer Schlinge und großflächigen roten Hautflecken im Gesicht, an ein Schaf kuschelnd bis hin zu seinem Bild der Hogwarts-Abschlussfeier auf dem er stolz sein Diplom in die Kamera hielt. Aurelia schluckte. Es war unübersehbar, dass die Woolers ihren Frederic über alles liebten. Es würde nicht einfach werden ihnen die Nachricht zu überbringen, aber für Aurelia war es nicht die erste und die letzte dieser Art, und wahrscheinlich noch nicht einmal die schwerste. Mit Schrecken erinnerte sie sich an ein heruntergekommenes Zimmer in Hackney in dem sich eine verzweifelte Mutter auf den Boden schmiss und immer wieder schrie: "Sie haben ihr versprochen sie zu schützen. Sie haben es versprochen." Eine Gänsehaut jagte über Aurelias Rücken und sie verscheuchte die Erinnerung. Sie musste sich auf das hier und jetzt konzentrieren.

Über den Flur gelangten sie in ein gemütliches Wohnzimmer mit alten Nussbaumschränken auf denen sich die Fotogalerie von Frederic zwischen allerhand Glasfiguren von bedeutenden Hexen und Zauberern fortsetzte. Eine Hermine Granger Figur blätterte gerade in einem Buch während Ron und Harry sich neben ihr mit Draco ein Duell lieferten.

Eine Hexe mit rundlichem Gesicht und einer Lesebrille auf der Nase ermahnte die Kontrahenten mit einem "Tut, tut, tut. Auseinander ihr drei."

Sie blickte auf als ihr Mann gefolgt von Aurelia das Wohnzimmer betrat und schloss ihr Buch „Der Magische Garten durch das Jahr" von Fern Greenwood, in dem sie gerade gelesen hatte.

"Wen hast du denn da mitgebracht, Liebling?" fragte sie freundlich mit einem leicht deutschen Akzent.

"Möchten Sie eine Tasse Tee?" Mit einem Schwenk ihrers Zauberstabs kamen eine Kanne und drei Becher geflogen und setzten sich auf den Couchtisch. Sofort begann die Kanne die dampfende Flüssigkeit einzugießen.

"Lass doch, Irmgard" sagte ihr Mann, "das ist, äh," er kratzte sich an seiner Schläfe, „Aurelia Winter von der magischen Strafverfolgungspatrouille."

"Oh" Kurz meinte Aurelia Panik in Irmgards Augen aufblitzen zu sehen, aber sofort erhellte wieder das freundliche Lächeln ihr Gesicht.

"Sie sind doch wohl nicht verwandt mit Niara Winter, der Tochter der brillanten Abeba und Kovu Otieno?"

Aurelia nickte.

"Das sind meine Großeltern und meine Mutter."

"Ach das tut mir leid, meine Liebe. Setzten Sie sich doch. Ihre Großeltern stehen übrigens bei mir im Regal."

Sie deutete auf zwei Figuren im obersten Regal, die Aurelia fröhlich zuwinkten. Sie erkannte den Turban ihrer Großmutter und sogar die Glasfigur betrachtete sie mit strengem Blick als wolle sie sagen: Strengst du dich auch genügend an?

"Liebling, sie hat Nachrichten von Frederic." ermahnte sie ihr Ehemann und Irmgard hielt sich erschrocken die Hand vor den Mund.

"Oh" sagte sie erneut und ließ sich auf das Sofa sinken, ihr Ehemann, noch immer aschfahl im Gesicht, setzte sich neben sie und drückte ihre Hand. Dann deutet er auf den Sessel gegenüber.

"Setzten Sie sich doch."

Aurelia tat wie geheißen und sah Frederics Eltern fest in die Augen. Das wichtigste war, nicht zögerlich zu klingen, sonst machten die Menschen sich Hoffnung, wo es keine mehr gab.

"Mr und Mrs Wooler, es tut mir aufrichtig leid Ihnen das mitteilen zu müssen, aber Ihr Sohn Frederic ist tot."

Die Woolers sagten keinen Ton, sie starrten sie nur an, als würde das Gesagte für sie absolut keinen Sinn ergeben. Die Figuren und Fotos im Hintergrund jedoch flüsterten aufgeregt miteinander und Aurelia meinte ein "der arme Junge" zu hören.

"Ich weiß das ist jetzt ganz schwierig für Sie, aber ich muss Ihnen noch ein paar Fragen stellen."

"Wie ist es passiert?" Irmgard Woolers Stimme war so leise, dass Aurelia sich erst gar nicht sicher war, sie überhaupt richtig verstanden zu haben.

Ihr Mann warf ihr einen entsetzten Blick zu und schüttelte den Kopf.

"Ist das denn wichtig? Unser Junge, unser Freddie ist tot!" schrie er aus und begann lauthals zu schluchzen.

"Ich wusste, dass etwas nicht stimmte. Einfach einen Brief zu schreiben und sich nicht mehr zu melden. Nein, das ist nicht unser Freddie!"

"Das war nicht unser Freddie" berichtigte Irmgard ihren Mann mit zitternder Stimme, "und ich möchte es gerne wissen. Wie ist er gestorben?" wandte sie sich nun an Aurelia.

"Er hat einen giftigen Trank getrunken", sagte sie. „Es ging ganz schnell. Er ist einfach tot umgefallen."

"Vergiftet" hauchte Irmgard tonlos, während ihr Mann noch immer schluchzend neben ihr saß.

„Wie konnte das nur passieren? Freddie ist... war doch so ein vorsichtiger Junge." Irmgard sah sie hilfesuchend an und Aurelia griff nach der Hand der Frau und drückte sie.

"Das können wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht sagen. Er war auf einer Silvesterparty in Hogsmeade. Dort wurde ein Trinkspiel gespielt. Einer der Tränke enthielt ein Gift. Frederic hat es getrunken." sagte sie so sachlich wie möglich. Es war wichtig die Angehörigen nicht mit Spekulationen zu überfordern.

"In Hogsmeade?" Irmgard wurde bleich. "D..Dann war er also zurück." Sie sah ihren Ehemann an und in dessen Blick spiegelte sich ihr eigener Schmerz wieder.

"Wann haben Sie Ihren Sohn denn das letzte Mal gesehen?" Noch immer hielt Aurelia Irmgards Hand, die diese nun krampfhaft drückte. Tränen rannen ihr über das Gesicht.

"Das war vor 3 Monaten" übernahm Bill die Beantwortung der Frage.

"Er wollte sein großes Vorbild Faye Zabini treffen. Er hat es geliebt alle ihre Berichte und Interviews zu lesen und hat immer davon geträumt, wie sie, einmal die große, weite Welt zu bereisen. Er hat alles was mit ihr zu tun hatte, ausgeschnitten und aufgehoben. Irgendwie hat er herausgefunden wo sie wohnte und hat versucht sie zu finden. Er muss es geschafft haben, denn er hat uns einen Brief geschrieben, dass er mit ihr auf Reisen geht. Das war das Letzte, was wir von ihm gehört haben." sagte er tonlos.

Irmgard schluchzte und er streichelte ihr beruhigend über den Rücken.

"Er hat sich nicht bei Ihnen gemeldet, als er zurückgekommen ist?"

Bill schüttelte den Kopf.

"Wir dachten er ist noch immer mit ihr unterwegs. An Weihnachten haben wir noch ihren Bericht im Tagespropheten gelesen. Unser Freddie an einem Strand in Thailand, haben wir gedacht." sagte Irmgard, zeigte mit ihrem Zauberstab auf eine der Schrankschubladen und ein ausgeschnittener Zeitungsartikel flog in ihre Hand.

"Sehen Sie nur." Sie überreichte Aurelia den Artikel. Unter der Überschrift „Weihnachten am Strand" war ein Bild abgebildet, das Faye und Frederic fröhlich winkend zeigte. Sie standen an einem langen Sandstrand und beide hatten Kokosnusshälften, aus denen jeweils ein Strohhalm ragte, in der Hand.

„Er sieht glücklich aus." sagte Aurelia und gab Irmgard den Ausschnitt zurück. Irmgard schluchzte.

„Dabei kriegt er doch so leicht einen Sonnenbrand!" rief sie  aus. "Und allergisch gegen Kokos ist er auch noch!"

Wieder bebten ihre Schultern und nun traten auch Bill erneut Tränen in die Augen.

"Wenigstens hat er sich seinen großen Traum erfüllt die weite Welt zu sehen, Irmgard!"

Beide hielten sich in den Armen und weinten hemmungslos. Aurelia fühlte sich wie ein ungebetener Eindringling, musste jedoch noch eine weitere Frage stellen.

"Mister und Mrs Wooler, können Sie sich vorstellen, dass jemand absichtlich Frederic etwas antun wollen würde?"

„Absichtlich?" Irmgard schaute sie entsetzt an und Bills Kopf lief puterrot an.

"Er wurde also ermordet? Ist es das, was Sie sagen wollen?" rief er aufgebracht.

Aurelia wandte sich ihm zu und versuchte so beruhigend wie möglich auf ihn einzureden.

„Das können wir zu dem Zeitpunkt noch nicht sagen. Wir müssen jedoch in alle Richtungen denken. Daher meine Frage: Können Sie sich vorstellen, dass jemand absichtlich Frederic etwas antun wollen würde?"

Der ältere Mann sackte in sich zusammen. Sein Gesicht nahm wieder eine blasse Färbung an, als hätte der kleine Ausbruch ihn all seiner Kraft beraubt. Er schüttelte langsam den Kopf.

"Unserem Freddie würde niemand etwas zu Leide tun", sagte seine Frau mit vehementer Stimme. „Er war fromm wie ein Lamm. Er ist mit allen gut ausgekommen und hat uns nie Schwierigkeiten gemacht. Er war so ein guter Junge. Hat sich immer um alle Tiere gekümmert. Sogar nach dem schrecklichen Drachenangriff hat er sie noch verteidigt. Es war meine Schuld, Mama, hat er gesagt, ich hätte ihr gar nicht erst hinterher gehen dürfen." " Wieder brach Irmgard in Tränen aus und Aurelia ließ ihr einen Moment Zeit, ehe sie eine erneute Frage stellte.

„Ein Drachenangriff?"

Frederics Vater nickte.

„Es war kurz vor seinem elften Geburtstag. Ein Drache hatte sich wohl hier in die Gegend verirrt. Jedenfalls hat er ein paar unserer Schafe gerissen. Frederic hat 4 Tage und Nächte lang Wache gehalten. Wir dachten, um die Tiere zu beschützen, aber vielleicht war er auch einfach nur neugierig darauf den Drachen zu sehen."

Er sah seine Frau an, die unter ihren Tränenschleier lächelte.

„Der Drache kam jedenfalls nicht wieder, also hat Frederic sich selbst auf die Suche gemacht. Ohne uns Bescheid zu sagen, hat er seine Spuren verfolgt und sein Versteck in den Bergen gefunden. Wir dachten er wäre draußen bei den Schafen, aber als er zum Abendessen nicht auftauchte, haben wir uns große Sorgen gemacht. Zusammen mit unserem Nachbar habe ich ihn dann gefunden."

Entsetzen spiegelte sich in Bills Augen wieder, als er sich an das damalige Ereignis erinnerte.

„Sein Gesicht war schwer verbrannt, genauso wie sein linker Arm, der fast nur noch aus Knochen bestand."

Er schluckte und schüttelte den Kopf. Irmgard strich ihm beruhigend über den Rücken.

„Zum Glück konnten die Heiler in St. Mungos seinen Arm retten" sagte sie. „Er war so tapfer. Ein so tapferer Junge." Wieder wurde sie von Tränen geschüttelt und Aurelia erkannte, dass sie die Woolers für heute genug belästigt hatte. Sie hatten es verdient sich nun auf sich und ihre Trauer zu konzentrieren.

"Vielen Dank für Ihre Hilfe," sagte sie und stand auf. „Dürfte ich mich noch kurz in Frederics Zimmer umsehen?"

Die beiden nickte und zeigten stumm auf eine weitere Tür im Wohnzimmer.

„Dort hinaus und dann ist es gleich gegenüber" sagte Irmgard matt. Aurelia nickte und verließ das Zimmer. Noch durch die geschlossene Tür konnte sie die beiden schluchzen hören. Ihr Herz zog sich schmerzhaft zusammen. Sie wusste, was es hieß einen geliebten Menschen zu verlieren und die beiden taten ihr aufrichtig leid. Dennoch hatte sie einen Job zu erledigen.

Frederics Zimmer war über und über mit Zeitungsausschnitten tapeziert worden. Von überall her lachte ihr das Gesicht Faye Zabinis vor den verschiedensten Kulissen entgegen. Mal war sie auf einem Berg, dann wieder vor einem buddhistischen Tempel und mal war sie in einer hell erleuchteten Stadt mit Wolkenkratzern. Mrs. Wooler hatte Recht gehabt, als sie sagte, ihr Sohn habe alles von der Reisereporterin gesammelt und aufgehoben. Auch die Schubladen seines Schreibtisches quollen über voller Berichte und Interviews.

Aurelia trat näher heran und erkannte, dass Frederic einige Passagen rot eingekreist hatte, die auf Faye Zabinis Wohnort hindeuteten. Aurelia machte ein paar Fotos und verließ dann das Zimmer wieder. Dann schaute sie noch kurz bei Mr. und Mrs. Wooler vorbei, die wie betäubt, sich aneinander klammernd noch immer auf dem Sofa saßen. Sie blickten kaum auf, als sie den Raum betrat.

Ich gehe jetzt. Falls Ihnen noch etwas einfällt, melden Sie sich bei mir," sagte Aurelia sanft und legte ihnen eine Karte mit ihrem Namen und Anschrift auf den Tisch.

"Ich finde selbst hinaus." Sie drehte sich um und ließ Bill und Irmgard Wooler in ihrer Trauer zurück.

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