Ein Lichtblitz in der Dunkelheit
Aurelia kam zurück in ihre Wohnung, wo sie bereits eine ungeduldige Eule mit der Antwort von Carina erwartete. Sie lud sie ein sich mit ihr und ihrer Lebenspartnerin in einer Bar namens Bar 11 zu treffen. Aurelia hatte noch nie von ihr gehört, sie war aber auch nicht mehr so oft in Bars unterwegs. Sie kritzelte eine schnelle Antwort auf das Papier und steckte der Eule den Brief in den Schnabel, die ihn mit schnellen Schwingen davontrug. Sie hinterließ eine Nachricht auf Noahs Anrufbeantworter mit der Info, dass sie am Abend eingeladen waren und bat ihn rechtzeitig nach Hause zu kommen.
Dann schnappte sie sich das Denkarium (ein wunderschön graviertes Steinbecken, das ihr ihr Großvater noch geschenkt hatte) und leerte die Erinnerung des Heilers darin aus. Sie tauchte ein und sah Sameena einer Untersuchungskommission gegenübersitzend, bestehend aus dem Heiler, zwei weiteren Hexen in limonengrünen Umhängen und einem Hexenmeister, der in der Mitte des Tisches saß und die Befragung leitete. Sameena wirkte nervös, aber trotzig und war alles andere als einsichtig. Sie behauptete der Zeuge würde lügen und sie hätten keinerlei richtige Beweise. Außerdem würde sie sich sowieso langweilen und hatte vorgehabt zu kündigen. Dabei zitterte jedoch ihre Unterlippe und Aurelia war sich sicher, dass das ganz und gar nicht stimmte.
Die Komission bestätigte schließlich alles, was auch der Heiler ihr bereits erzählt hatte und so tauchte sie schnell wieder aus der Erinnerung hervor.
Es war bereits halb 4, wie ihr ein Blick auf ihre Uhr verriet, dennoch wollte sie noch versuchen mit Sameena zu sprechen. Sie konnte ihr schließlich nicht ewig aus dem Weg gehen.
In Hogsmeade begann es bereits zu dämmern und die Schaufenster der Geschäfte leuchteten hell in den trüben Abend hinein. Sameena Kahns Zimmer befand sich über dem Eberkopf, einer schmuddeligen Kneipe, die dafür bekannt war zwielichtige Gestalten anzuziehen. Ein sehr passender Wohnort für jemanden, der mit IVZs handelte, dachte Aurelia bei sich.
Auf ihr Klopfen hin öffnete ihr Sameena die Tür, musterte sie jedoch mit einem feindseligen Blick.
„Was wollen Sie? Ich habe Ihnen nichts zu sagen. Weder ich noch Sanjit haben irgendetwas mit der Sache zu tun."
„Nachdem ich herausgefunden habe, dass sie mit illegal veränderten Zaubertränken handeln, bin ich mir da nicht mehr so sicher."
Sameenas Miene wurde noch feindseliger. Ihre Augenbrauen bildeten eine gerade, wütende Linie.
„Wer behauptet das?" spuckte sie aus.
„Tony?"
Aurelia schüttelte den Kopf.
„Ich habe heute ihren ehemaligen Arbeitgeber besucht und fand es unheimlich aufschlussreich, was er zu berichten hatte. Sie haben gar nicht erwähnt, dass sie entlassen wurden."
„Alles Lügen! Die Bundimuns wollten mir etwas unterschieben. Es gab keine Beweise." echauffierte sich Sameena. Aurelia sah jedoch die Angst in ihren Augen aufblitzen.
„Also bestreiten Sie in den IVZ Handel involviert zu sein?"
Sameena nickte und wollte ihr schon die Tür vor der Nase zuschlagen, aber Aurelia hielt ihren Fuß dazwischen.
„Sie erwähnten zuvor Tony. Wusste er etwas darüber?" Wieder blitze die nackte Panik in ihrem Blick auf, ehe sie kurz „Nein!" rief und endgültig die Tür zuknallte.
Interessant, dachte Aurelia bei sich. Sie sollte sich wohl nochmal mit Tony unterhalten.
Sie hatte Glück und traf Tony noch im Quidditchladen an. Er sah alles andere als begeistert aus, als Aurelia an den Tresen trat.
„Was wollen sie?" sagte er grummelig und Aurelia fühlte sich 10 Minuten in die Vergangenheit versetzt. Fingen jetzt alle ihre Gespräche so an?
„Ich hätte nur eine kurze Frage, Mr. Thompson. Wissen Sie etwas über Sameenas Involvierung in den IVZ Handel?"
Ein verräterisches Blitzen zuckte über sein Gesicht, aber schnell setzte er eine neutrale Maske auf.
„Ich habe keine Ahnung wovon Sie sprechen" sagte er.
„Ich spreche davon, dass Sameena illegale Zaubertränke verkauft hat. Ich dachte mir sie könnten vielleicht von ihren gemeinsamen Freunden davon gehört haben."
„Welche Freunde meinen Sie?"
„Millicent Bulstrode und ihre Gang."
Aurelia sah wie ein Schatten über sein Gesicht huschte, aber er schüttelte den Kopf.
„Wie ich Ihnen gestern schon gesagt habe: Ich habe keine Ahnung, wovon sie reden. Wenn sie mich entschuldigen, ich muss den Laden abschließen."
Er deutete auf die Tür und Aurelia folgte seiner stummen Aufforderung. Im Moment würde sie nicht mehr aus ihm herausbekommen und sie selbst hatte eine Verabredung mit Carina, die sie nicht verpassen durfte.
Sie verabschiedete sich und disapparierte.
-----------------------------------------
Kurz nachdem die Ermittlerin den Laden verlassen hatte, stürmte eine wutentbrannte Sameena herein. Wäre der Tresen nicht zwischen ihnen gewesen, hätte sie ihn bestimmt umgerannt.
„Was hast du der Falkin erzählt?" spukte sie aus.
„Ich weiß nicht, was du meinst." Tony versuchte so ruhig wie möglich mit ihr zu sprechen.
„Du hast der Ermittlerin verraten, dass du mich bei Millicent gesehen hast!"
Tony lachte.
„Das habe ich ganz bestimmt nicht. Wieso sollte ich auch? Millicent würde es mir danken."
Er fühlte die kreisrunde Narbe auf seiner Wange und die Angst, die ihn seit dem schrecklichen Abend nie mehr wirklich verlassen hatte, ließ sein Herz schneller schlagen.
Sameena schien zu überlegen, ob sie ihm glauben konnte.
„Es ist mir wirklich egal, wem du deine Tränke verkaufst."
„Mmmmpf" grummelte Sameena, schien sich aber wieder beruhigt zu haben.
„Ich kann es wirklich nicht gebrauchen, dass die Ermittlerin hier weiter herumschnüffelt. Ich glaube ich werde meinem Onkel mal einen Brief schreiben."
------------------------------------------
Das Gespenst gefiel sich in seiner neuen Gestalt. Es betrachtete die rabenschwarzen Haare des Mannes, der es nun war. Über seine linke Wange lief eine Narbe und es fuhr mit einem seiner langen Finger darüber. Dann drehte es den Hainbuchenstab in seinen Händen. Es hatte überlegt sich einen anderen Zauberstab zu stehlen, aber in seinem eigenen hatte es das größte Vertrauen. Er hatte ihm bis hierher gute Dienste geleistet und das Gespenst wollte ihm nun die wichtige Aufgabe übertragen Tony ein für alle Mal zu töten. Und dieses Mal würde es nicht so gnädig sein. Dieses Mal würde Tony leiden. Wie er es verdient hatte.
Wie eine kalte Dusche rieselte der Unsichtbarkeitszauber über das Gespenst. Es wollte beim Verlassen seines Zimmers nicht gesehen werden.
Es war bereits dunkel draußen und nur die Straßenlaternen erhellten die Nacht. In einer Seitengasse löste das Gespenst seine Unsichtbarkeit und schritt flotten Schrittes, mit gesenktem Kopf, auf sein Ziel zu. Auch, wenn es unter dem Vielsafttrank niemand erkannte, fühlte es sich entblößt ohne seine Unsichtbarkeit. Doch die Straßen waren leer und niemand achtete auf es. Vor dem Quidditchladen drängte es sich in eine Ecke und holte ein Plastikohr aus seinem Umhang, dass es sich an sein eigenes Ohr presste. Das zweite Exemplar befand sich versteckt in dem Geschäft, in dem Tony arbeitete, wo es alles mithörte.
„Was hast du der Falkin erzählt?" rief eine aufgebrachte Stimme, die das Gespenst als die von Sameena identifizierte.
Tony versuchte sich zu rechtfertigen und beteuerte der Ermittlerin nichts davon gesagt zu haben, dass er die Hexe bei Millicent Tränke hatte verkaufen sehen.
Interessant, dachte das Gespenst bei sich. Es wusste natürlich von Sameenas Handel. Dass Tony allerdings auch davon wusste, war ihm neu.
Das Gespräch endete und Sameena stürmte aus dem Laden. Das Gespenst hörte, wie Tony hinter ihr die Tür schloss. Jetzt war sein Moment gekommen. Es steckte sein Lauschohr zurück in seinen Umhang und sah um die Ecke. Doch niemand war mehr unterwegs.
Es umklammerte seinen Zauberstab und ging auf den Laden zu. Sein Herz pochte so heftig gegen seine Rippen, dass es schmerzte. Endlich. Endlich würde es seine Rache und Tony seine gerechte Strafe bekommen.
Es klopfte an die Tür. Tony öffnete.
„Was willst du?" fragte er und blickte gehetzt nach links und rechts, als suche er jemanden.
„Millie ist nicht hier. Aber sie schickt mich, um dir eine Nachricht zu überbringen." Das Gespenst sah mit Genugtuung die Angst in Tonys Blick. Er legte einen Muffliato Zauber über den Laden.
„Ich habe nichts verraten, ich schwöre!" Tony hob die Hände und das Gespenst stieß ihn mit seiner Zauberstabspitze weiter hinein in den Laden.
„Wo ist deine Frau?"
„Marie?", stotterte Tony verwundert, „die...die ist noch in der Arbeit...glaube ich...oder wollte sie nicht Faye besuchen?"
„Sie ist nicht hier?"
Er schüttelte den Kopf.
„Gut. Sie soll das hier nicht mitansehen müssen."
„Was?"
Doch Tony blieb keine Zeit die Frage zu beenden. Das Gespenst flüsterte „Crucio" und Tony schrie vor Schmerzen auf. Er warf sich auf den Boden und rollte sich von einer Seite auf die andere. Das Gespenst betrachtete den sich windenden Mann und fühlte sich leer. Es hätte gedacht, dass es ihm mehr Freude bereiten würde Tony zu quälen, aber es war ihm beinahe zuwider seine gequälten Schreie zu hören. Es war viel zu laut.
Es senkte den Zauberstab und sah auf.
Für einen kurzen Moment meinte er einen Schatten vor dem Schaufenster gesehen zu haben, aber das war jetzt nicht wichtig.
Tony versuchte keuchend auf die Füße zu kommen, aber er sackte in sich zusammen. Tränenschlieren bedeckten seine Wange. Er kniete wie ein Häufchen Elend vor ihm und wagte ihn nicht einmal anzusehen.
Das Gespenst blickte auf den Mann hinab und empfand nichts als Verachtung. Er hatte es nicht verdient am Leben zu bleiben. Und nun würde es kurzen Prozess machen. Adrenalin durchflutete seinen Körper, als er den Zauberstab auf dem Mann auf dem Boden wie ein Schwert richtete.
„Avada..."
„Expelliarmus" Tony sprang flink wie ein Niffler, der etwas Glänzendes sieht, auf die Beine, hob seinen Zauberstab und entwaffnete ihn. Das Gespenst sah mit Entsetzen wie sein Zauberstab in hohen Bogen durch den Raum flog, wo er in einer Ecke des Ladens liegen blieb. Tony grinste.
Panik durchflutete das Gespenst. Wie eine Welle spülte sie über ihn hinweg und drohte ihn mit in die Tiefen zu reißen. Bilder, die es längst verdrängt hatte, tauchten vor seinem inneren Auge auf. Es hatte versagt. Schon wieder. Es konnte nichts mehr tun. Es konnte nicht mehr helfen. Reflexartig zauberte es sich wieder unsichtbar. Es war einer der wenigen Zauber, die es auch ungesagt problemlos beherrschte.
Tony sah sich irritiert um und feuerte einen Stupor auf den Ort, wo das Gespenst gerade noch gestanden hatte. Ein Regal mit Sammelfiguren fiel krachend zu Boden. Doch das Gespenst rannte so schnell es konnte, schnappte sich seinen Zauberstab und floh zur Tür hinaus, wo die dunkle Nacht es endgültig zum Schatten machte.
Tony Thompson blieb zitternd zurück. Seine Muskeln schmerzten, als hätte er gerade ein einwöchiges Quidditchspiel absolviert. In seinem Kopf klang die Stimme seines Angreifers nach.
„Avada..."
Wäre er nur zwei Sekunden später gewesen, wäre er jetzt tot. Seine Ohren rauschten. Vielleicht wäre das auch für alle Beteiligten besser. Mit zitternden Fingern steckte er seinen Zauberstab in die Tasche seines Umhangs. Da berührte er ein kleines, quadratisches Stück Papier. Er zog es hervor und seine Finger schwebten zitternd über der Aufschrift „Aurelia Winter – magische Strafverfolgungspatrouille".
Er überlegte. Dann steckte er die Karte zurück in seine Tasche.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top