Himbeeren zum Verlieben
Geralt hatte sich in seinem langen bisherigen Leben selten so wohl und zufrieden gefühlt, wie es nun der Fall war.
Obwohl wahrscheinlich der Kaiser von Nilfgaard hinter den Anderlingen her war. Was so ziemlich alle seine neuen Freunde betraf. Vor allem auch seine Geliebte.
Doch selbst diese aufkommende Gefahr ließ ihn seine Zufriedenheit nicht nehmen lassen.
Sie waren noch in der Nacht zurück zum Gasthof mit Hilfe eines Portales gereist. Zumindest der größte Teil der Truppe. Er selbst und auch Ava waren für die Nacht in den Brokilon Wald zurückgekehrt. Weit weg von den Dörfern. Nur sie beide in der Natur. Weit weg von allen Zuhörern. Nur sie beide und diese immens große Liebe, die zwischen ihnen lichterloh entbrannt war.
An Schlaf war in dieser Nacht kaum zu denken - und da sich die magischen drei Worte zum ersten Mal von Geralts Lippen gelöst hatten, fiel es dem Hexer auch immer leichter, sie zu wiederholen. Immer und immer wieder, während er Ava huldigte und sie verschlang.
Erst in den frühen Morgenstunden und nach einem ausgiebigen Bad in einem magischen Teich, der sich den Temperaturen des Badenden anpasste, besuchten sie Avas Vater erneut. Der Anhänger der Elfin war noch nicht fertig, trotzdem brach das Paar vorerst zurück nach Toussaint auf.
Wieder mithilfe eines Portals.
Die Truppe beschloss, die ersten Pläne beim gemeinsamen Frühstück zu schließen. Alle halfen fleißig dabei, den Tisch zu decken. Zumindest versuchte es Geralt. Aber sobald sein Blick die Elfin traf, war er wie versteinert von ihrem Antlitz und grinste wie ein Pubertierender los.
Das entging weder ihm, Ava noch Rittersporn, der den Hexer mit Adlersaugen beobachtete. „Was hast du gemacht?" wollte der Barde wissen, nachdem der Hexer nun schon geschlagene fünf Minuten am Tisch saß, Himbeeren aß und Ava dabei zusah, wie sie in ein Gespräch mit Sigi und Kayra vertieft war.
„Geralt!" wiederholte Rittersporn erneut und stupste seinen selbsternannten besten Freund mit dem Ellbogen in den breiten Oberarm.
„Hm?" brummte der Hexer auf und löste, wenn auch ungern, den Blick von der schönen Elfin.
Rittersporn zeigte fragend auf diese. „Inzwischen habe ich ja begriffen, dass ihr beide ... nun ja ... zusammen seid, aber seit heute Morgen grinst ihr beiden ja wie verliebte Sittiche. Wenn ich nicht selbst schon Anhörer eurer ... Nächte gewesen wäre, hätte ich die Vermutung, dass ihr es in dieser Nacht das erste mal getrieben habt." Verwirrt sah der Barde seinen Freund an. „Dem ist doch nicht so, oder?"
„Nein." bestätigte Geralt sogleich, ertappte sich selbst beim Grinsen und richtete seinen Blick wieder zu Ava hinüber. „Ich habe ihr einfach nur gesagt, was ich fühle."
Rittersporn hob irritiert seine vollen braunen Augenbrauen in die Höhe an. „Und das lässt euch so solchen Gefühlsausbrüchen kommen? Bei mir ist sowas noch nie passiert."
Geralt brummte und verzog das Gesicht. „Du willst nicht gerade deine Gefühlswelten mit meinen vergleichen, oder?"
Unschuldig zuckte der Barde mit den Schultern. „Wo ist der Unterschied? Dein Brummen ist mein Liebesgesang."
„Der Unterschied", begann Geralt zu erklären, „liegt darin, dass ich es Ava nie zuvor gesagt habe. Nicht mal in dem Moment als sie starb. Wir wussten es beide, aber ich habe es ihr zuvor noch nie gesagt."
„Noch nie?" kreischte der Barde schrill auf und hielt sich an der Tischkante fest. „Wie-wie-wie lange kennt ihr euch schon?"
„Fast neunzig Jahre."
„Und da hast du ihr nie gesagt, dass du sie liebst?" fragte Rittersporn entsetzt und richtete sich wie ein Hahn vor dem Kampf auf. „Wie hast du das geschafft?"
Geralt war sichtlich nicht stolz auf seine Verschlossenheit im Bezug auf diese drei magischen Worte. Doch nahm er dennoch Stellung für sein Handeln ein. „Ich habe es ihr eben auf anderen Wegen gesagt und gezeigt. Du weißt doch genauso gut wie ich, dass ich kein Experte in Sachen Poesie bin!"
„Das hat doch nichts mit Poesie zu tun! Außerdem hast du es, auch wenn ich dich ungern darin erinnere, einer anderen Dame, die nicht mehr mit uns den Raum teilt, auch gesagt."
Geralt brummte. Das war es mit seiner guten Laune. Wieso schaffte es der Barde immer wieder, ihn zu solchen Gefühlsschwankungen zu bekommen? „Das tat ich, nachdem ich es bei Ava nicht konnte! Ich habe es bis heute bereut, ihr es nicht gesagt zu haben. Da wollte ich es in anderen Beziehungen anders machen."
„Und gestern hast du dazu endlich den Mut gefunden?"
Der Hexer nickte und nahm sich zugleich eine volle Ladung an Himbeeren aus der Schüssel in seine Hand, die er sich sogleich einverleibte. Sie schmeckten wie Avas Küsse. „Ja."
„Sieh an." sagte der Barde mit leicht beeindruckter Stimme und starrte vor sich auf den Tisch. „Glückliche kleine Elfe."
Das hoffte der Hexer. Sein Blick hob sich wieder zu jener Elfe an, die das Gespräch mit der Dryade gerade beendet hatte und nun Brotmesser in der Hand hatte, um diese zu verteilen. Ihre Blicke trafen sich. Sogleich färbten sich ihre Wangen in einen schönen roten Ton. Genau wie ihre spitzen Ohren.
Geralt fragte sich, ob die Sommersprossen auf ihrer Nase schon immer so bezaubernd waren. Durch die roten Wangen, kamen sie so noch besser zur Geltung.
Und auch ihr Geweih ließ die kleinen Blumen darin heute deutlich intensiver aufblühen als sonst. Ihre schokoladenbraunen Haare wirkten heute noch weicher und samtiger als sie es ohnehin schon taten und flossen wie ein Tuch aus Satin über ihre Schultern. Nichts liebte Geralt mehr an ihren Haaren, als sie offen zu sehen. Obwohl ihr Zopf auch gewisse Vorzüge hatte.
Ihre Mundwinkel zuckten nach oben. Sie lächelte. Geralt hätte schwören können, dass er zum ersten Mal ein wildes Prickeln in seinem Bauch spürte. Ja, er war bereits verliebt gewesen. Öfters. Er hatte auch bereits intensiv geliebt. Aber das hier fühlte sich ganz anders an. Wesentlich besser und intensiver.
Verlegen reichte die Element-Elfe dem Hexer drei Brotmesser, die er sogleich annahm. Wieder ertappte er sich dabei, wie er sie anlächeltet.
Rittersporn ebenso. „Wenn das weiter so mit euch geht, sollten wir vielleicht überlegen, ob wir einen neuen Anführer brauchen. So verknallt, kannst du doch unmöglich wichtige Entscheidungen fällen."
Ava biss sogleich den Köder an. Sie lächelte schelmisch auf. „Selbst verliebt treffe ich immer noch bessere Entscheidungen als du, lieber Freund. Schließlich fälle ich Entscheidungen mit meinem Kopf."
Rittersporn schnipste sich ein imaginäres Krümmelchen vom Ärmel. „Achja? Gestern Nacht auch?"
Ihr Lächeln wurde wölfisch wild. Ihre geraden weißen Zähne blitzten auf. „Willst du mehr wissen, als du wirklich willst, Rittersporn? Ich kann dir gerne eine ausführliche Runde darüber erzählen, was mein Kopf gestern Nacht alles beschlossen hat - und was mein Geschlecht, und in wieweit Geralt daran beteiligt war."
Nun war es der Barde, der rot anlief. Geralt musste sich das Lachen unterdrücken. „Nein, danke. Das was ihr beide macht, ist nicht unbedingt für meinen Kopf gedacht."
Ava grinste zufrieden auf und nahm sich aus der Schüssel, die neben Geralt stand, einige Himbeeren heraus.
Anscheinend jedoch nicht genügend, denn ihr trauriger Blick streifte erst die leere Schüssel und dann den Blick des Hexers. Die Schuldgefühle krochen in Geralt auf. Wenn er glücklich war, schienen die Beeren wie Luft in ihn zu strömen.
Sogleich stand er mitsamt der Schüssel auf. „Ich hol neue." sagte er rasch und lief zur Tür, die in den Hinterhof führte.
Ava folgte ihm rasch. Die kleinen rosa Früchte waren längst von den Sträuchern gepflückt.
Die Elfe hockte sich zu Boden und legte die Hand flach auf die Erde.
Geralt beobachtete wie sich Avas Augen färbten. Sie schien es heute eiliger zu haben, als beim letzten Mal. Es war nur ein kleines Gespräch, das es brauchte, damit die Fürchte wieder anfingen, zu sprießen.
Der Hexer pflückte sogleich los. Konnte es jedoch nicht unterlassen, sich einige der Früchte gleich einzuverleiben.
Das entging selbst Avas Blick nicht. Sie verabschiedete und bedankte sich von den Pflanzen und stand auf.
Mit einem lasziven Blick legte sie den Kopf leicht schräg. Ihr welliges braunes Haar floss erneut wie Satin über ihre Schulter hinab. „Du bist verfressen, Hexer! Wenn das weiter so geht, brauchst du deine eigene Reihe an Pflanzen, damit wir dich Satt bekommen."
Geralts Blick richtete sich auf ihren zarten Körper. Sie war so klein. Reichte ihm bis zur Brust. Zierlich war sie dazu noch und doch ging von dieser Frau eine Macht und Anziehung aus, die den Hexer all das vergessen ließen. Er musste nur an die Stunden zuvor denken und wie er sie an ihrem Geweih festgehalten hatte. Es war definitiv stabiler, als es aussah.
Wie hatte er es all die Jahrzehnte nur ohne sie aushalten können? Wie konnte er diese Liebe für sie so lange unterdrücken?
„Geralt?" fragte Ava grinsend nach und tippte den Hexer auf die Nase. „Zählst du noch zu den Anwesenden oder bist du längst wo anders?"
„Im Bett." gestand er ihr sofort und ließ ihr Lächeln damit noch mehr auflodern. „Mit dir. Alleine."
„So herrlich dein Gedanke auch klingen mag, wir können nicht eher zurück in jenes Bett, ohne das wir einen Plan für Emhyr gefasst haben."
Geralts Blick ging zur Tür, die in die Küche ging. Er seufzte schwer. Er mochte Avas weiches Bett. Er mochte es, wenn sie sich in den Nächten gegen seinen nackten Körper schmiegte. Er liebte ihr weiches Haar, auf das er kurz vor dem Einschlafen seine Wange legte.
Heimlich verfluchte er ihren Job. Wieso hätte sie sich nicht einfach zur Ruhe setzen können? Dann hätte er es ihr gleich getan.
Ein kleines niedliches Haus irgendwo im Grünen. Oder sie wären in sein eigenes Haus, auf seinem Weingut gezogen. Es war gemütlich da.
Vielleicht sollte er bei Gelegenheit dem Haushofmeister Barnabas-Basilius einen Brief schreiben und sich nach dem Weingut erkundigen. Ava trank gerne Wein. Ihr würde es da gewiss gefallen.
„Geralt?" Ihre liebliche Stimme brachte ihn zurück in die Wirklichkeit. Ein weiteres Seufzen entrann seiner Kehle und er blickte seiner Liebsten entgegen.
„Irgendwann würde ich dir gern mein Weingut zeigen. Ich glaube, es würde dir da wirklich gut gefallen. Es wäre auch genug Platz für Himbeersträucher."
Avamiels Grinsen wurde immer größer. Sie trat dabei an ihren Hexer heran und schlang ihm die Arme um den Hals. „Das klingt nicht verkehrt. Auch wenn mir der Gedanke, dass du ein Weingut besitzt und theoretisch Von-Riva-Wein produzieren könntest, immer noch suspekt ist. Aber klar. Lass uns das gerne tun."
Geralts Hände legten sich auf ihre Taille. Sein Blick ruhte auf ihrem schönen Gesicht. „Vielleicht für ein paar Tage. Oder Wochen. Vielleicht solange, bis wir soweit sind, dass wir uns in einem Raum aufhalten können, ohne dass wir uns den anderen nackt vorstellen."
Die Elfin lachte beherzt auf. „Ich glaube, dann brauchen wir keine Wochen, sondern Jahrzehnte, mein Lieber. Wenn überhaupt. Ich glaube, es gibt keine Zeit, die messbar wäre, damit ich irgendwann nicht mehr hinter dir her wäre. Hinter dir, deinen Küssen, deinen Berührungen und deinem Sinn für Humor, Romantik und Gerechtigkeit."
Das Paar verschlang noch tiefer in seiner Umarmung. Zärtliche Küsse fielen. Versprechen für die Ewigkeit und Bindungen, die nie wieder gebrochen werden sollten.
„Ich liebe dich." flüsterte der Hexer die Worte auf die Lippen der Elfin. Worte, die ihm immer leichter fielen.
Worte, die dieses ganz besondere Lächeln auf Avas Lippen zauberten.
„Ich liebe dich auch, Gwynbleidd. Für immer." hauchte sie zurück.
Niemals hätte der Hexer geglaubt, je ein solches intensives Gefühl der Verliebtheit und der abgrundtiefen und bedingungslosen Liebe zu spüren. Er liebte Yennefer für so lange Zeit. Aber es war kein Vergleich zu den Gefühlen, die Ava in ihm weckte.
Er würde mit seinem Leben darum kämpfen, es niemals wieder zu verlieren.
„Seid ihr beiden dann endlich fertig oder wollte ihr nochmal aufs Zimmer?" unterbrach Sigrun die romantische Stimmung im Hinterhof.
Geralt brauchte einen tiefen Atemzug, um die Zwergin nicht mithilfe seiner Kräfte abdampfen zu lassen. Ein genervtes Knurren konnte er sich dennoch nicht unterdrücken.
Avamiel schien es ähnlich zu gehen. Nur konnte sie ihre Miene besser überspielen. „Wir kommen."
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