Glumaar
Wahrscheinlich wirkte das Gesicht des Hexers wie das eines Bullen, den man bat, Milch zu geben.
Er sollte sie fangen?
Sie hatte sich einfach so erhoben, etwas von Zelt und Zufriedenheit geredet und wollte dann, dass er sie fing?
Wäre Ava nicht Ava gewesen, die Geralt über Jahrzehnte hinweg bestens kannte, wäre der Hexer wohl sitzen geblieben und hätte sich nach dem Sinn des ganzen gefragt.
Aber Ava war anders. Sie liebte nichts mehr als auch spielerische leichte Momente zu erleben, wenn sie verliebt war.
Außerdem war es nicht das erste Mal, dass sie von ihm gefangen werden wollte. Nicht unbedingt als kindliches Spiel angesehen. Vielmehr diente es ... dem Umwerben der Elfin. Auf ganz eigene Art und Weise.
Früher schon hatte sie Geralt nach ewig langen Spaziergängen, von denen ihr eigentlich die kleinen Füße hätten weh tun müssen, den Hexer angestachelt, sie zu fangen. Meistens genau dann, wenn es zurück in die Festung ging. Geralt hatte sie dann durch den ganzen Wald gejagt. Sie hatten gekichert und gejuchzt und fast immer endete das Fangespielen damit, dass das Paar sich ausgiebig an eine Tanne gelehnt liebte oder es sie in den See zog - um sich dort der Lustbarkeit hinzugeben. So endete es mehr oder minder immer. Der Hexer würde sich nie weigern, seine Ava zu fangen.
Ein Spiel der Verliebten.
Der Hexer erhob sich und sauste los. Ava war schneller und wendiger durch ihre Größe und ihr Fliegengewicht. Dafür kicherte sie bis heute noch wie ein junger Dachs, wenn sie vor dem Hexer wegrannte. Und Geralt war ein Meister in der Verfolgung ihres Duftes. Somit hatte Ava nicht allzu gute Chancen, vor ihm zu fliehen.
Sofern, und davon ging der Hexer aus, sie das überhaupt wollte.
„Fang mich, Geralt!" rief es hinter ein paar Büschen in der Ferne. Blätter raschelten und wieder konnte er sie Kichern hören.
Was hatte er den Klang ihres Lachens nur vermisst? Niemand vermochte so unbeschwert, leicht und süß zu Lachen wie die Element-Elfe. Wie ein leckeres Stück Himbeertorte.
Die Gefühle in Geralt kochten voller Entzücken nach ihr auf und auch er gab einen brummenden Laut von sich, der beinahe ebenfalls wie ein Lachen klang.
Sie jagten sich eine Weile, ehe der Hexer sie endlich fangen konnte. Seine Armen schlangen sich fest um sie herum und drückten ihren zarten Körper an seinen heran.
„Gefangen!" sagte er triumphierend und hielt sie fest an sich gedrückt. Ava kicherte auf und legte ihre zarten kleinen Hände an seine breite Brust. „Du bist sogar gerannt! Damit hatte ich gar nicht gerechnet."
„Und in der Ungewissheit leben, dass du dich klammheimlich in einen Busch oder Baum verwandelst? Kannst du Knicken." Die linke Hand des Hexers wanderte von ihre Tailler zu ihrer Wange auf. Sanft streichelte er ihre weiche zarte Haut.
„Ich hab das vermisst." gestand er leise.
Die Wangen der Elfin erröten sich, doch sie kicherte fröhlich weiter. „Fange spielen und Kuchen essen?"
„Ja. Das auch. All das." Geralt hatte ihr nie seine Liebe mit Worten bekundet. Niemals mit den richtigen drei Worten. Das brauchte er aber auch nicht. Ava wusste genau, wie sie Geralt zu nehmen hatte. Wusste mit welchen Worten und Taten er das ausdrückte, was er tief in seinem Hexerherzen für sie empfand.
Und dieses Geständnis gerade, war nicht einfach so daher gesagt. Das wusste Ava.
Plötzlich füllte sich die kindische Freude mit etwas deutlich romatischerem. Etwas tieferem. Ava stellte sich auf ihre Zehenspitzen und beugte sich zu Geralt auf.
Dieser senkte den Kopf und legte die Hand von ihrer Wange, an ihr Kinn, um sie besser zu ihm nach oben schauen zu lassen.
Sie wisperte seinen Namen, ehe sie in ihre ersten Küsse verfielen. Zärtliche Küsse wurden zu sehnsuchtsvollen und irgendwann, beflügelt von der tiefen uralten Verbundenheit zueinander, tauchte ihre Verbindung in etwas deutlich stürmischeres und leidenschaftlicheres ein. Keineswegs verloren sie dabei die Achtung, die Sehnsucht und das Zärtliche aneinander.
Ava war kein Objekt der Begierde. Sie war für Geralt viel mehr. Sie war intensiv. Süß. Ehrlich. Verletzbar und zugleich so selten und kostbar, dass der Hexer sie niemals so hart und ungestüm nehmen würde, wie er es mit Yennefer gewohnt war.
Sie glitten zu Boden. Ihre Sachen waren ihnen im Weg, doch dafür hatten sie eine schnelle Lösung gefunden. Verstreut um sie herum, blieben sie liegen, während das Paar sich im Gras wälzte. Geralt küsste jeden Zentimeter ihrer Haut. Jede Narbe. Die, die er aus jüngster Zeit kannte. Die Narben, die ihr fast das Leben gekostet hatte und zu letzt erwies er den Narben seine Hingabe, die er noch nicht kannte. Egal wie klein oder groß sie waren. Wie unförmig, tief, gewölbt oder flach. Jedes Muttermal und jede Stelle, die nach ihr roch, erkundete er ausgiebig. Ihr Becken drückte sich an seines heran. Begierig darauf, sich endlich mit ihm zu verbinden, während ihre Hände seine blasse Haut befühlten oder sich in seinen Haaren vergruben.
Irgendwann schien sie von seinem Umwerben doch genug zu haben und wälzte den Hexer in das Gras zurück. Breit grinsend setzte sie sich auf und nahm ihn mit einer einzigen Bewegung in sich auf.
Beide keuchten in die Stille der Nacht auf. Ava begann, sich zu bewegen. Erst langsam und dann intensiv, dass sie aus dem Hexer einige brummende Laute heraus kitzelte. Dann wurde sie schneller. Bis sie den Kopf in den Nacken warf und sich ihren Gefühlsexplosionen hingab.
Geralt schenkte ihr den ersten Höhepunkt. Dann griff er nach ihr und brachte sie zurück ins Gras, bevor er sich über sie aufbaute und selbst das Ruder übernahm.
Er schenkte ihr alles, was er hatte. Sie gab ihm alles zurück, bevor sie beide gemeinsam Gipfel ihrer Leidenschaft erklommen.
Erschöpft fielen beide zurück ins Gras.
Ava summte genüsslich auf, während der Hexer zufrieden die Augen schloss. Er wusste gar nicht, wie lange er so da lag und irgendwann fast eingeschlafen sein musste, bevor die schöne Elfin ihn mit einem Kuss weckte.
Sie lächelte zufrieden. „Bereit wieder zurückzugehen, mein Hexer?"
„Nein." murmelte er.
Er hörte die Elfin amüsiert die Luft durch die Nase prusten. „Komm schon. Deine Tochter wartet wahrscheinlich noch am Lagerfeuer und fragt sich, wo du mit mir bleibst. Sie wird sich ihre Gedanken machen."
Ihre Worte ließen den Hexer schmunzeln. „Nicht, dass sie noch denkt, dass ich mit dir schlafen würde. Wie ein ganz normales Paar!"
Der Hexer bekam die Faust der Elfin in den Rippenbogen ab. Er grunzte auf und öffnete die Augen. Ava zog einen Schmollmund. „Ich habe versucht zu helfen. Ich weiß ja nicht, wie ihr darüber redet!"
Mit einem Brummen setzte sich Geralt auf. „Wir reden darüber, in dem wir gar nicht darüber reden."
„Das ist gewiss auch nicht der richtige Weg!"
Der Hexer winkte ab. „Ich sagte ja, dass ich nicht immer der Vorbildliche Vater gewesen bin. Aber über so ein Thema zu reden ... Vielleicht hat es Yen oder Triss gemacht. Ich weiß nur, dass Ciri nicht allzu verschlossen dem Thema gegenüber ist. Sie ist über 23 Jahre alt. Aber wahrscheinlich würde sie immer noch die Nase rümpfen, wenn ich dich in ihrer Nähe ... na du weißt schon."
Avas Blick ging zu Boden. Ihre Gedanken schienen wieder abzudriften. „Ich weiß gar nicht recht, wie man mit ... einem Kind umgeht."
„Ciri ist kein Kind mehr." gab Geralt sanft zu bedenken und stupste sie sanft an.
„Ich weiß." murmelte sie. „Ich meine ja generell. Ich hab mich nie damit auseinander gesetzt. Für mich kam dieses Thema nie wirklich auf."
„Glaubst du, mir fiel das einfach?" fragte Geralt lachend und setzte sich auf. Er sah Ava ihre Sorge an. Sie wollte immer alles perfekt bestehen. Meist hing ihr Leben von ihrer Perfektion ab. Nun aber ging es um etwas ganz anderes. Um etwas privates, was sie selbst nie wollte. „Ich hab nach Instinkt gehandelt. Nicht immer richtig, aber was aus Ciri geworden ist, zeigt mir doch, dass ich nicht allzu"
Geralt hielt mitten im Satz inne. Hatte er sich verhört? Ein kurzer Blick in Avas Gesicht verriet ihm, dass er sich nicht geirrt hatte.
Auch die Vögel, die plötzlich aus den Ästen der Bäume aufschreckten und den nächtlichen Himmel empor flogen, setzten ihr Zeichen.
„Anziehen!" sagte die Elfin rasch. Der Hexer nickte und zog sich in Windelseile wieder an.
Die Elfin und der Hexer zogen ihre Schwerter.
„Wie weit entfernt ist er?" fragte Ava und eilte Geralt hinterher, der mit sicheren großen Schritten in den Wald hineinlief.
„Er sollte gar nicht hier oben sein." erklärte Geralt und zog ein kleines Fläschchen aus dem Gürtel an seiner Hose. Er kippte das Reliktöl grobflächig über sein Schwert und reicht es Ava, die es sogleich nahm. „Glumaare leben unter der Erde. In ihren Gängen, sie bauen nur die wenigsten von ihnen in Menschennähe auf. Wenn sie den Menschen ein Erdbeben vorspielen wollen, um sie anschließend zu fres"
„Geralt, das ist Lernstoff der ersten Klasse. Ich weiß sehr gut, was ein Glumaar ist. Ich will wissen, wie weit er entfernt ist. Ich habe so ein Wesen noch nie Brüllen hören."
Geralt spürte den Boden unter seinen Füßen vibrieren. Er hielt an. Betrachtete die Umwelt. Sah in den Wald hinein.
Das Vibrieren unter seinen Füßen wurde stärker. Er hörte, wie sich die jungen Blätter an den Bäumen bewegten und raschelten.
Er hielt eine Hand nach oben, um Ava zu deuten, hinter ihn zu bleiben. „Er ist in der Nähe."
Wieder ertönte ein Brüllen. Dann ein weiteres Beben.
„Es war ruhig hier gewesen! Sie reagieren doch auf Lärm. Vibration. So laut waren wir bei den Göttern nicht gewesen, um ein Glumaar aus der Erde zu holen."
„Ava!" sagte der Hexer nun mit deutlichem Nachdruck. Er brauchte sie bei voller Konzentration. Mit einem Glumaar war nicht zu scherzen. Auch wenn das Wesen schwerfällig aussah, war mit ihm alles andere als zu scherzen. Wenn sich ein Glumaar bedroht fühlte, und darauf wies gerade ziemlich vieles, rollten sie sich zu Kugeln zusammen und schossen mit großer Wucht voran. Sie würden alles niederwalzen. Ava war immer noch nicht richtig genesen, was ihre Fähigkeiten anging. Sie hatte nur ihre Schwertkünste, die zwar durchaus bemerkbar waren, aber alleine ein Schwert reichte nicht aus, um einen Glumaar zu töten. Nicht wenn er rollen würde.
Geralt betrachtete die Gegend. Es gab hier nur Bäume. Keine Felsen, an denen er Explosionen ausüben konnte, auf die der Glumaar zurollen konnte, um daran umzufallen und seinen verletzbaren Bauch zu zeigen.
Ihm blieben entweder Bomben oder einen Aard-Zeichen auf den Boden, um ihn anzulocken.
„Wie fit bist du?" fragte Geralt ohne sich umzudrehen. Ihm blieb nicht mehr viel Zeit. Der Glummar war fast bei ihnen. Sein Verhalten war ... besonders. Geralt blieb gar nichts anderes übrig, als das Monster zu töten. Vielleicht war es krank. Oder noch schlimmeres...
„Was soll ich machen?" hörte er Ava hinter sich fragen.
Der Hexer zeigte auf den größten Baum, der in ihrer Nähe stand. „Klettere auf den Baum. Halt dich unbedingt gut daran fest. Ich bring den Glummar zu dir und du bringst die Sache zu Ende."
Sie zögerte keine Sekunde. „Alles klar."
Geralt konnte noch aus dem Augenwinkel heraus erkennen, wie Ava zwei spitze Dolche aus den beiden Gürteln links und rechts ihres Oberschenkels holte. Sie lief zum Baum.
Der Hexer hielt sich bereit. Wartete solange, bis er das Rascheln in der Krone des Baumes holte. Dann lief er los. „Hey! Stinkmaul! Hey!" rief er laut und rannte auf das stärker werdende Vibrieren zu. Er musste nicht lange suchen.
Keine zwanzig Meter weiter fand er den Glumaar. Geralt riss vor Entsetzen die Augen auf.
Glumaare waren wahrhaftig keine schönen eleganten Wesen. Sie waren riesige blinde Wesen mit mächtigen Pranken zum Erdtunnelgraben und einem langen nackten Schwanz. Sie trugen auf dem Rücken und auf dem Kopf einen mächtigen Panzer, dem kein Schwert gewachsen war.
Ava hatte sie als Kind immer mit einem nackten riesigen mutierten Maulwurf verglichen, der sich eine harte Panzerschale über den Rücken geworfen hätte.
Geralt nannte sie einfach hässlich. Mehr fiel ihm zu dieser Kreatur nicht ein.
Doch sein Verhalten war genauso wie aus den Beschreibungen von Ciri und Ava.
Schaum vor dem Maul. Zuckende Bewegungen. Er wirkte unruhig. Aufgewühlt.
Er war also nicht krank. Zumindest nicht die Krankheit, an die der Hexer zuerst gedacht hatte.
Das hier musste klappen. Dann hätten sie genügend Material für ihre Untersuchung.
Glumaare waren allesamt blind. Sie konnten sich nur auf die Vibration des Bodens verlassenes.
„Hey!" rief der Hexer erneut und erntete sogleich einen wütenden Aufschrei des Monsters. Er hatte ihn also mitbekommen.
Geralt sah sich die Bäume an. Er musste ihn erst müde machen und anschließend zu Avas Baum bringen.
Wieder schrie der Glumaar auf. Geralt rechnete damit, dass er sich zusammenrollen und auf ihn zurollen würde - so wie er es aus den duzenden Kämpfen gegen seine Art kannte. Doch dieser stapfte auf ihn zu. Wütend. Verdammt wütend.
„Wieso rollst du dich nicht zusammen?" knurrte der Hexer vor sich hin und zog das Schwert kampfbereit.
Die Haut des Wesens war viel zu dick, um ihn mit einem Schwert oder gar einer Explosion zu verletzen. Es gab nur den Bauch. Aber an diesen würde der Hexer nicht heran kommen, wenn der Glumaar so stapfte und wild mit seinen steinharten und langen Pranken herumwirbelte. Er musste ihn umdrehen. Er musste ihn zu Fall bringen.
Der Hexer lief los. Hinter ihm die schwerfällige Kreatur, die jedoch nicht annähernd so langsam war wie er dachte.
Der Hexer nahm seine Beine in die Hände und rannte weiter. Die Situation war schwierig. Aber dank seines glasklaren Verstandes und seiner innerlichen Ruhe, konnte der Hexer schnell einen Weg finden, wie er sich und die Elfe reibungslos aus der Situation schlagen konnte.
Geralt kramte in einer seiner kleinen Taschen an seiner Rüstung und griff nach einer Samum-Bombe.
Er lief an Avas Baum heran. Die wenigen Meter, die er zwischen sich und das tollwütige Monster bekommen hatte, musste reichen.
„Ava, fang!" rief er den Baum hinauf und warf die Bombe nach oben. Die Elfe fing sie sofort. „Planänderung. Wenn ich Jetzt sage, wirf sie auf das Vieh."
„Alles klar!" rief es aus dem Baum zurück und brachte damit den Glumaar noch besser an den Baum heran.
Wütend und mit den riesigen Pranken um sich schlagend, rannte das riesige Monster mit der steinharten Haut an den Baum heran, an dem Geralt bereit stand.
„Jetzt!" schrie Geralt und versetzte dem Boden eine telekinetische Druckwelle.
Der Glumaar kam ins Straucheln. Genau in diesem Moment warf Ava die Bombe und traf das Monster am Bauch damit.
Geralt riss die Arme nach oben, um sein Gesicht vor der Explosion zu schützen. Er hörte ein lautes Donnern. Als sich der Rauch der Bombe lichtete, erkannte Geralt den Glumaar auf dem Rücken liegend. Er zappelte wild mit den Gliedmaßen. Es war gefährlich. Seine Pranken waren mächtig und konnten bei diesem Gezappel ihn oder Ava verletzen.
Der Hexer zückte das Schwert. Doch ehe er dem Glumaar den Gar ausmachen konnte, stürzte die Elfe aus der Baumkrone herab. Sie hatte das Schwert mit beiden Händen festzuklammert und rammte es in das Herz des Monster.
Ein Schmerzerfülltes Brüllen drang aus dessen Kehle. Doch dank Avas gezieltem Treffer litt der Glumaar nicht lange. Geralt half der Elfe von dem Monster herunter.
Blut klebte an ihrer Tunika. Dank Geralts feinem Geruchsinn konnte er jedoch schnell feststellen, dass es sich dabei nur um das Blut des Glumaars handelte. Trotzdem hielten sich ihre kleinen Hände länger an den Armen des Hexers fest, als sie müsste.
Sie rang nach Luft, löste sich dann langsam von dem Hexer. Sie starrte das Monster an und trat auf es zu. Ihre zarte Hand legte sich auf den Kopf des Monsters. Sie schloss die Augen und begann in der alten Sprache zu sprechen.
Geralt verstand diese Sprache nicht fließend. Nur wenige Brocken. Doch für Avas Worte konnte er eine ungefähre Übersetzung finden.
Schlafe sanft, mein Freund. Trete ein in das Licht der Götter und führe dein neues Leben abseits von Schmerz und Qual. Verzeih uns unsere Tat und werde glücklich dort, wo Sonne und Mond sich für immer vereinen. Gehab dich wohl und lebe frei.
Manchmal vergaß der Hexer, dass Ava, obwohl sie selten von oder mit den Göttern sprach, doch einen treuen Glauben an sie hatte.
Sie würde nie töten, ohne einen wichtigen Grund zu haben und selbst danach entschuldigte sie sich und betete für die Seelen jedes Verstorbenen. Egal ob es sich um einen Menschen, einen Anderling oder um ein Monster handelte. Für jedes Wesen betete sie und bat um Entschuldigung.
Daran änderte sich auch die Anwesenheit von Geralt nichts.
Ava nahm sich die Zeit, die sie brauchte und sprach alle Zeilen mit höchster Achtung, ehe sie die Hand vom Kopf des Glumaars nahm und wieder zu ihrem Liebsten sah. „Schon eine Idee, wie wir ihn ins Zeltlager bringen?" fragte sie nun deutlich entspannter.
„Naja." begann er und überkreuzte die Arme vor der Brust. „Wir haben zwei starke Arme. Und der Weg ist nicht allzu weit. Alastor wird sicherlich vor Freude Purzelbäume schlagen, wenn er diesen Brocken sieht."
Ava reckte das Kinn nach vorn und schluckte fest. Der Weg würde mindestens eine halbe Stunde dauern. Zu Fuß. Und ohne ein Tonnenschweres Monster im Petto. Aber die Nacht war jung und sie hatten nun die besten Beweise für ihre Mission bekommen.
*
„Ich stinke immer noch nach Blut und Dreck!" beschwerte sich die Elfein im Teich, die mit vollem Elan die kläglichen Seifenreste über ihre puderrote Haut scheuerte.
Geralt, der schon lange mit seinem Bad fertig war und längst zurück in seine schwarze Rüstung gestiegen war, sah amüsiert vom Ufer aus zu, wie Ava weiter schrubbte und fluchte.
„Du hast eine ganze Seife aufgebraucht! Wir müssen heute Nacht aufpassen, dass uns nicht die Bienen anfallen werden, so sehr riechst du bereits nach Himbeeren!"
Avamiel schenkte dem Hexer nur einen bitterbösen Blick. Sie tauchte die Seife ein weiteres Mal in das inzwischen trübe Wasser des Teiches ein und ging ein weiteres Mal über ihre Oberarme. „Sagt der Mann, der sein Stück von der Seife aus der Ferne angesehen hat! Hast du überhaupt was davon benutzt? Nachher bist du es, der noch nach Blut und Dreck riecht und ich es eigentlich gar nicht bin!"
Seufzend ging der Hexer in die Hocke und schnappte sich das kleine Stück der Reinungspaste aus Avas Händen. Schimpfend griff sie danach, doch der Hexer war schneller ... und erhob sich wieder zur vollen Größe. Nun kam sie wirklich nicht mehr heran.
„Weder du noch ich riechen danach. Falls das ein Versuch werden sollte, mehr Zeit mit mir im Wasser zu verbringen, hättest du dir auch andere Wege aussuchen können, als jeden Krebs im Umkreis von zwei Tagesmärschen vor Eifersucht auf deine glänzend rote Haut, grün werden zu lassen."
Ava engte die Augen zusammen. Urplötzlich färbten sich ihre Augen blau. Bevor Geralt wusste, wie ihm geschah, peitschte die Elfin mit der Hand flach auf das Wasser und schoss eine imposante Wasserwelle auf den Hexer zu.
Er schaffte es gerade noch rechtzeitig, das Gesicht mit den Armen abzuschirmen, doch sein Haar hing in nassen Strähnen herab. Seine Rüstung tropfte.
Er brummte unzufrieden, während sich die Augen der Elfin wieder in einen schönen haselnussbraunen Ton zurückfärbten und sie entzückt grinste. „Wie ich sehe, geht es deinen Kräften schon besser! Wie schön."
„Ja! Danke!"
Trotz ihres kleinen Streiches half Geralt ihr aus dem Wasser und legte ihr das Handtuch um.
Die Elfin schnupperte noch ein paar Mal an sich, bevor sie ihre frische Kleidung anzog. Eine einfach dünne schwarze Lederleggings. Darüber eine weiße Tunika. Das kurze braune Korsett hatte sie absichtlich nicht mitgenommen. Die Nacht stand an und sie schien nicht weiter vorzuhaben, länger als nötig wach zu bleiben.
Beide liefen zurück zum Zeltplatz. Ruhe war hier eingekehrt. Das Lagerfeuer knisterte noch gemütlich vor sich hin. Karya und Ciri hatten sich längst in den Zelten zurückgezogen.
Nur Alastor war noch vollkommen in seinem Element und untersuchte den Glumaar bis ins kleinste Detail.
Ava trat bei ihrer Widerankunft an seine Seite und sah dem halben Hexer dabei zu, wie dieser sich am Mangogroßen Gehirn des Monsters her machte.
Ohne von seiner Arbeit aufzusehen, sagte er murmelnd. „Ich halte Wachdienst für diese Nacht. Du solltest schlafen gehen."
Ava zuckte mit den Schultern und sah gebannt dabei zu, wie Alastor mit seinem dünnen Messer geschickte Schnitte in die Gehirnmasse setzte und diese in hauchdünne Scheiben schnitt. „Mir gehts gut und du arbeitest hier. Ich kann genauso gut den Wachdienst übernehmen."
Nun sah der Mann mit dem hellblonden Haar doch auf. Allerdings galt sein Blick nicht der Elfe, sondern Geralt, der sich gähnend hinter Ava gestellt hatte. Mit der rechten Hand rückte er die Brille auf seiner Nase gerade. „Geh ins Zelt und schlaf. Nimm Ava mit und pass auf, dass sie schläft. Sie bleibt gerne mal die ganze Nacht wach, um am nächsten Tag hundemüde zu sein. Nur damit sich niemand alleine die Nacht um die Ohren schlagen muss. Ich brauche genauso wenig Schlaf wie alle anderen Hexer. Ava nicht. 16:8 Schlaf-Wach-Rythmus. Dank mir morgen, wenn sie nicht wie ein Grizzlybär beim Frühstück brummt und sich über Kopfschmerzen beschwert."
Geralt blieb fast das Gähnen im Halse stecken als er merkte, dass Alastor tatsächlich mit ihm gesprochen hatte. Über Ava. Über ihre Gesundheit. Etwas, was Alastor wirklich am Herzen hing. Und nun legte er seine Besorgnis in Geralts Hände. Das war ein eindeutiger Vertrauensbeweis.
Sanft legte Geralt Ava eine Hand auf die Schulter und brachte die Elfe, die den halben Hexer mit verengten grimmigen Blick bestrafte, dazu ihren Liebsten anzusehen. „Er hat Recht. Wir sollten uns hinlegen."
Geralt erwartete deutliche Widerworte, für die er bereits Argumente bereitgelegt hatte. Ihren Gesundheitszustand. Die Kopfschmerzen, die gerade erst verschwunden waren. Bessere Laune. Alastor bräuchte keinen Babysitter. Sex im Zelt.
Aber keines seiner Argumente brauchte er hervorzubringen. Mit einem schnalzenden Zungenschlag klopfte Ava Alastor auf die Schulter und bog dann in Richtung Zelt ab.
Erstaunt blieb Geralt mit hochgezogenen Brauen stehen und sah den halben Hexer fragend an.
Ohne Geralt anzusehen und die Augen auf das Gehirn blickend, murmelte Alastor nur: „Du scheinst das beste Druckmittel zu sein, was ich je hatte. Sie mag dich wirklich. Ansonsten hätte sie anfangen, zu diskutieren. Aber eine Nacht mit dir scheint sie einer Diskussion vorzuziehen. Chapeur dafür!"
„Vielleicht ist sie auch einfach müde." gab der Hexer leise zu bedenken, auch wenn er innerlich vom Gegenteil überzeugt war.
Er hörte Alastor leise schnaufen. Fast schon amüsiert. „Nein. Avamiel ist für keine Diskussion auf dieser Welt zu müde. Sie würde eher auf jeden Schlaf der Welt verzichten als jemand in sein Unglück rennen zu lassen."
Zustimmend nickte der Hexer und sah in Richtung des Zeltes. „Da kannst du Recht haben."
Stille kehrte zwischen den beiden Männern ein. Geralt war im Begriff zum Zelt zu laufen als er Alastors Stimme erneut leise hörte. „Sie hat viel für uns geopfert. Mehr als du gerade glaubst zu wissen. Sie ist sich für kein Opfer zu schade oder zu stolz. Sie hat viel eingesteckt. Sie gibt, ohne an sich zu denken. Sie trägt Narben. Nicht nur auf ihrem Körper, sondern auch auf ihrer Seele. Aber die zeigt sie niemanden."
Nur für einen kurzen Moment sah Alastor sein Gegenüber an, bevor er seinen Kopf erneut auf seine Arbeiten senkte. „Wenn sie dir nur annähernd so wichtig ist, wie uns allen zusammen, musst du auf sie aufpassen. Sie lässt niemanden wirklich an sich heran, auch wenn es im ersten Moment so scheinen mag. Niemand weiß wirklich, was in ihr vorgeht. Gerade nach der Sache mit ihrer Mutter. Ihrem Vater, den sie seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen hat und aus Angst, man würde seine Spur durch sie aufnehmen, auch größtenteils kein Kontakt mehr zu ihm hat. Und dann wärst da noch du, zu dem sie ebenfalls alle Drahte gekappt hat, um uns und dich nicht in Schwierigkeiten zu bringen. Kaum einer hat es gesehen, aber sie litt jeden Tag, an dem Rittersporn über dich oder deine Hingabe zu dieser Zauberin gesungen hat. Ihr waren die Hände gebunden. Sie konnte nur zusehen und zuhören, was in deiner Welt geschah. Abseits ihrer.
Sie kümmert sich nur um die anderen. Sie wird dich brauchen, so wie du sie. Gib gut Acht auf sie. Sie hat es mehr als verdient."
Geralt bedeuteten die Worte des halben Hexers viel. So sehr schien er sich selbst noch keinem geöffnet zu haben. Alleine darüber war Geralt erstaunt und stolz zugleich.
Er nickte anerkennend. „Das werde ich, Alastor. Darauf hast du mein Wort."
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