Erwachsen werden
Ich sah Ava ganze vier Winter lang nicht mehr. Aus mir war inzwischen ein Mann geworden und meine Ausbildung war soweit, dass ich nur noch im Winter nach Kaer Morhen zurückkehrte. Den Rest des Jahres verbrachte ich mit dem Jagen von Monstern, Plünderern und Verbrechern.
Nie gab ich die Hoffnung wirklich auf, Ava eines Tages wiederzusehen. Ihr schönes Gesicht, das immer mehr ihrer Mutter ähnelte, hatte sich in meinen Kopf eingebrannt. Ich hielt auf meinen Reisen immer ein Auge nach ihr offen. Doch irgendwann nahm auch meine Hoffnung ab.
Es war Winter. Die ersten Schneeflocken rieselten langsam auf Kaer Morhen herab und versetzten die Festung in ein winterliches Kleid.
Ich hatte mein Bett bezogen. Wie jedes Jahr am Fenster und verbrachte den restlichen Tag im Freien. Ich übte lange mit der alten Strohpuppe den Schwertkampf und machte solange, bis der Himmel allmählich dunkler wurde.
Ich steckte das Schwert in die Scheide auf meinen Rücken und wischte mir den Schweiß von der Stirn - als mich urplötzlich etwas hartes am Hinterkopf traf.
Sofort wirbelte ich um meine eigene Achse herum und befühlte die Stelle an meinen Hinterkopf.
Schnee.
Jemand hatte mich tatsächlich mit einem Schneeball getroffen.
Meine Augen sahen die Umgebung ab. Und da! Genau dort, wo ich Ava zum allerersten Mal begegnet war, stand wieder ein Busch.
Ich schnaufte freudig auf und lief zu der Pflanze hin.
Genau wie damals zitterten die grünen Blätter vor Lachen vor sich hin.
„Sehr witzig." sagte ich.
Bevor ich mich richtig versah, wurde aus dem Busch eine Frau.
Und das war definitiv nicht die Ava, die ich vor vier Jahren zum letzten Mal gesehen hatte.
Sie war kein Mädchen mehr. Definitiv nicht. Sie war zu einer unglaublich schönen Frau hernagereift.
Mit langen schokobraunen Haaren, die ihr weit über die Schultern gingen. Ihre Haut war ein Stück blasser geworden, ihre Lippen voller und rosiger. Die Sommersprossen waren noch genau dort, wo ich sie in Erinnerung behalten hatte.
Aber der Rest ihres Körpers hatte deutliche weiblichere Rundungen bekommen. Sehr weibliche. Ich musste komplett rot angelaufen sein, so sehr starrte ich sie an.
Ihr Geweih trug sie offen. Es war nicht mehr das eines kleines Rehs, sondern hatte die Größe ihrer Mutter erreicht. Kleine rosafarbene Blumen hingen darin.
Sie sah unglaublich aus. Ich dachte Avas Mutter wäre die schönste Frau gewesen, die ich je gesehen hatte. Aber Ava selbst hatte sie komplett in den Schatten gestellt.
„Hallo Geralt." Selbst ihre Stimme war ein Wunderwerk für mich gewesen. Hell. Wohlklingend. Ich wusste sofort wie gut ihre Singstimme sein musste.
„Ava." Das klang alles andere als selbstsicher.
Meine alte Freundin grinste breit und trat an mich heran.
Unverfroren legte sie eine Hand an meine Wange, während die andere eine Strähne meines Haares zwischen ihre Fingerspitzen nahm. „Katzenaugen waren mir ja bekannt. Aber seit wann sind deine Haare so milchig weiß geworden?"
„Na ja." fing ich an und musste mich daran erinnern, dass ich immer noch mit meiner alten Freundin sprach und nicht mit einer der adligen Frauen, die am Hofe der Könige lebten. „Ich habe die Kräuterprobe damals erstaunlich gut überstanden. Besser als andere Jungen. Daher haben mich meine Lehrer vor ein paar Jahren für weitere ... komplizierte Experimente ausgesucht. Die habe ich nicht ganz so gut weggesteckt. Um ehrlich zu sein, überhaupt nicht gut."
Ihr schöner Mund verzog sich nach unten. Sie empfand Mitleid mit mir. Das musste sie aber nicht. Überhaupt nicht.
Ich versuchte zu lächeln und legte eine Hand auf ihre Schulter. Tröstend. „Ich hab's überlebt, Ava. Nur die Nebenwirkung ist geblieben. Vollständiger Pigmentausfall. Aber das ist nicht schlimm. Es stört mich kaum."
„Hmm." machte sie und streichelte nun durch mein, inzwischen schulterlanges Haar, dass ich an den Seiten nach hinten gebunden hatte. „Ich find es jetzt auch nicht so verkehrt. Es steht dir. Auch die ... Muskeln stehen dir gut. Bei den Göttern, machst du noch was anderes als Schwertraining? Du bist ja ein richtig ansehnlicher Mann geworden, Geralt."
„War ich das vorher nicht?" scherzte ich trocken.
Ava lachte auf. Und jetzt erst bemerkte ich, wie sehr mir dieses Lachen gefehlt hatte. „Ich hab immer bei dir Schlange gestanden, Geralt."
„Das will ich hoffen!" gab ich zurück.
Ava zog die Hände langsam von mir zurück. Ihr Lächeln nahm ab. „Schön dich wiederzusehen. Ist eine Weile her."
Ich nickte sofort. „Das kann ich nur zurückgeben. Hattet ihr Probleme bekommen, weshalb ihr nicht zurückgekommen seid?"
Nun wirkte sie endgültig niedergeschlagen und ich bereute meine Worte sofort. „Ja. Kann man so sagen. Meine Mutter ist Opfer einiger Menschen geworden. Sie wollte ihnen nur helfen einen Waldschrat fern ihrer Siedlung zu halten. Aber dabei hat sie ihren Anhänger verloren und als die Menschen ihr Geweih gesehen haben, haben sie sie getötet. Meine Mutter hatte keine Chance gehabt."
Ich hatte noch nie wirkliche Erfahrungen mit dem Tod gesammelt. Dass die Kräuterprobe nur zwei von zehn Jungen schaffen, war uns allen bekannt. Deshalb mieden wir es alle uns mit neuen Anwärtern anzufreunden. Meine Freunde lebten. Vesemir lebte. Ich kannte meine leibliche Mutter und Vater nur flüchtig. Dass mein leiblicher Vater selbst vor zwei Jahren gestorben war, hat mir nicht zugesetzt. Ich kannte ihn ja kaum.
Avas Mutter dagegen kannte ich gut. In all den Jahren hier war sie auch für mich so etwas wie ein Mutterersatz geworden. Nun war sie tot. Ich würde sie nie wiedersehen. Dank einiger Menschen, die sie getötet hatten. Weil sie Angst vor ihr hatten. Weil sie alles vernichten mussten, was ihnen unbekannt war. Dabei waren Element-Elfen schon rein körperlich nicht in der Lage aus Rache, Wut oder anderen niederen Beweggründen zu töten. Diese Veranlagerung trugen sie einfach nicht in sich. Sie waren die friedlichsten Wesen auf dieser Welt.
Zum ersten Mal in meinem Leben spürte ich, was es hieß einen geliebten Menschen zu verlieren.
Wie es sich anfühlte, den Halt zu verlieren und auch wie Trauer und Wut auf meiner Zunge schmeckte.
Hexer sind gefühlskalt. So hieß es. Aber je enger ich mit Ava und ihrer Familie lebte, umso intensiver spürte ich das Gegenteil.
„Es ... tut mir sehr leid, Ava." War alles, was ich sagen konnte.
Doch meine alte Freundin verstand, was ich meinte und lächelte sanft. „Danke, Geralt."
Ava erzählte mir, dass ihr Vater nach dem Tod seiner Frau mit Ava untergetaucht war. Sie lebten bei Dryaden. Danach eine Weile in einer abgelegenen Dorfgegend. Er konnte Ava immer nur trainieren, wenn die Gegend passend dafür war.
Nach vier Jahren beschloss er, dass sie wieder nach Kaer Morhen konnten.
Wir machten einen langen Spaziergang. Und erst als bereits die Nacht Einzug gehalten hatte, kehrten wir ins Innere der Festung zurück.
Avas Vater stand neben Vesemir, dessen Gesicht selbst in tiefe Trauer gelegt war. Er schien auch nach vier Jahren nicht über seine Frau hinweggekommen zu sein - und ich selbst würde auch noch früh genug von dieser Trauer lernen.
Ihr Vater hatte die Statur eines typischen Elfs. Er war groß und drahtig gebaut. Sein Haar war glatt, dunkelbraun, seidig und lang. Das Gesicht war wie aus Stein gemeißelt. Eben. Wunderschön. Elegant und stolz. Seine Augen waren tiefbraun. Fast schon schwarz
Er hatte sein Geweih unter dem Amulett an seinem Hals versteckt.
Seine Kleidung hielt er genauso schwarz. Schwarze Hose, schwarze Tunika, schwarze Stiefel und einen schwarzen langen Umhang, der am Hals mit einem dicken schwarzen Pelz besetzt war.
Er war mit Abstand der schönste Elfe, den ich je sehen sollte.
Ich begrüßte ihn und Vesemir sprach Ava sein Beileid aus, welches sie dankend annahm.
Wir hatten das Abendessen verpasst, da Vesemir allerdings die Gründe für unsere Verspätung verstand, gab es für Ava und mich die restliche Portion von dem Schweinebraten, Kartoffeln und den Rest an Sauerkraut.
Ava schien es zu schmecken. Sie verputzt ihre Portion, bevor ich meine Hälfte überhaupt geschafft hatte.
„Avamiel, wir haben im zweiten Stock ein Zimmer ausgebaut. Für Besuch. Da du nun eine Frau bist, scheint es mir recht angebracht zu sein, wenn du etwas ... Privatsspähre haben möchtest." erklärte Vesemir.
Es war seine Idee aus der alten großen Rümpelkammer ein Zimmer zu machen.
„Ja ja." brummte Lambert von der Ecke am Kamin aus. „Gebt dem Frauenzimmer ruhig das einzige vernünftige Bett in der ganzen Festung."
Mit einem schelmischen Blick drehte sich Ava zu Lambert um. „Oh, ist der kleine Lambert schlecht drauf? Hat man ihm seine geliebte Steinschleuder wieder weggenommen, weil er damit auf Tauben zielen wollte?"
„Halt die Klappe, Elfin!" brummte er finster und wendete sich dem Feuer am Kamin zu.
Ava drehte sich erneut zu Vesemir herum. „Das ist sehr nett, Vesemir. Aber mein Vater kann auch gern das Zimmer nehmen. Er hat einen härteren Weg hinter sich als ich. Ich hab kein, Problem wieder bei den Jungs zu schlafen."
„Avamile." sagte ihr Vater im mahnenden sanften und auch müden Ton.
„Genau!" motzte Lambert von seiner Ecke aus. „Gebt den Frauenzimmer ein eigens Zimmer. So wie sie Geralt die ganze Zeit ansieht, sollten sie sich definitiv kein Zimmer teilen. Ich will heute Abend schlafen und ihnen nicht beim Stöhnen zuhören!"
„Lambert!" knurrte ich finster.
Ava allerdings grinste erneut spöttisch auf. „Was denn, Lambert? Neidisch, weil du mich nicht als erstes gegrüßt hast?"
„Leck mich, Elfe!" Aufgebraust dampfte er ab. Zielgerichtet zu unserem Zimmer.
Ich hörte Vesemir unzufrieden schnaufen. „Ich dachte, die Pubertät wäre längst bei den Jungs vorbei. Scheint wohl nicht so."
„Nein." gab Avas Vater murmelnd zu. „Jeder hat seine eigne Zeit."
„Und Eure Tochter ist besonders schön."
Ihr Vater streckt stolz das Kinn vor. „Sie hat die Schönheit und die Reinheit ihrer Mutter."
„Das hat sie!" bestätigte Vesemir laut und ich im Stillen.
Wir aßen zu Ende. Anschließend zeigte Vesemir Ava ihr Zimmer. Ich folgte den beiden. Schließlich musste Avas leichter Koffer auch nach oben ins zweite Obergeschoss.
Ich zögerte alles hinaus. Nahm mir Zeit die Treppe nach oben zu gehen. Ließ Ava und Vesemir noch etwas reden, bevor ich fragte, wohin sie ihren Koffer haben wollte.
In dieser Zeit verabschiedete sie sich von ihrem Vater und Vesemir, die beide nach unten gingen.
„Geralt, du schließt die Tür?" fragte Vesemir beim Gehen.
„Natürlich." antwortete ich und blieb neben Ava stehen.
Kaum war mein Ziehvater verschwunden, hörte ich Ava leicht seufzen. Sie wendete sich mir zu. „Das Zimmer ist ganz schön groß für eine Person. Sie ist größer als eure Küche."
„Ja." gab ich zu und sah mich selbst nochmal im Raum um.
Das Bett war groß und wirkte so, als wenn es bequem wäre. An der Wand stand ein großer Holzschrank. Es gab einen Tisch und einen Stuhl und ganze drei Fenster, die sogar geputzt waren. In der Mitte des Raumes stand ein offener Kamin. Es gab einen Platz zum Schminken. Drei große Bücherregale und ein Arbeitsplatz. Vesemir hatte sich Mühe gegeben. Zumindest war es trotz allem hier gemütlicher als der Rest der Zimmer.
Ich spürte Avas Blick auf mir.
Ich kannte diesen Blick genau. Es war ein Blick, den sie aufsetzte, wenn sie etwas tun wollte, was nicht unbedingt zu unserer Ausbildung gehörte. Und jedes Mal schloss ich mich ihr an. Auch wenn das bedeutete, dass uns häufiger der Hintern versohlt wurde als wir Lob bekamen. Aber das war vollkommen okay.
„Das Bett ist ganz schön groß für einen alleine, oder?" raunte sie in einer Stimmlage, die ich zuvor noch nie von ihr gehört hatte. Samtig, weich, aufreizend. Lasziv.
Mir wurde warm und ich sah zum Bett herüber. „Das ist ein Bett für eine Person, Ava." stellt ich trocken fest. Zum Glück hatte ich inzwischen ein wenig Übung darin, ruhig zu bleiben. Der vier Mal langsamer Herzschlag half mir gerade bestens weiter.
Meine alte Freundin zuckte mit den Schultern und drehte sich zum Bett zu. „Es ist größer als die Pritschen in eurem Jungenzimmer, auf denen man sich nicht mal umdrehen kann. Hier passen locker zwei Mann rein. Und es ist sicherlich auch bequemer."
Wenn man nach den Fellen, der dicken Bettwäsche und den fast schon geruchlosen Duft ging, dann ja.
Ihre haselnussbraunen Augen richteten sich wieder auf mich - und allmählich begann ich selbst zu begreifen, dass wir beide über die Freundschaftsphase hinausgewachsen waren. Wir beide waren voneinander angetan. Wir mochten einander. Mein Bauch machte einen Purzelbaum nachdem nächsten, wenn ich sie ansah. Wenn ich sie roch. Den süßen Duft nach Himbeeren und Pfefferminze. Das war nicht nur die Freude, weil sie wieder da war. Ich mochte sie. Früher schon. Und jetzt als Frau umso mehr.
Und sie?
Für einen Moment sah sie von mir ab und wendete sich einem der Fenster hinter mir zu. Sie schien nach Worten zu suchen, von denen sie wusste, dass nur sie sie sagen würde. Weil es ihr Schritt sein musste, um das, was inzwischen uns war, klarzustellen.
Als sie mich wieder ansah, funkelten ihre Augen wild auf. Ihr Gesicht strahlte so viel Sehnsucht aus, dass ich förmlich danach greifen konnte. „Ich hab dich während der letzten vier Jahre furchtbar vermisst. Meinen besten Freund, dem ich alles sagen konnte und der mit mir durch Dick und Dünn gegangen ist." fing sie an. Sie trat einen Schritt auf mich zu. Zögerlich streckte sie beide Arme nach mir aus und nahm meine rechte Hand in ihre beiden auf. „Nachdem meine Mutter starb, wollte ich hierher zurück. Zu dir. Zu euch allen. Ihr seid meine zweite Familie. Aber Vater war dagegen. Er ist vor Sorge beinahe umgekommen und hatte mir ziemlich deutlich vermittelt, dass er kein weiteres Risiko mehr eingeht, wenn es um unseren Schutz geht. Ich habe jeden Winter gehofft, dass wir hierher zurück kommen würden. Ich habe ihn angefleht und ich habe gesehen, dass es ihm beinahe das Herz gebrochen hatte, meinen Wunsch nicht zu erfüllen. Aber ich verstand seine Entscheidung auch. Es gibt nur noch uns zwei aus unserer Familie. Alle anderen sind tot.
Die Reise hierher ist lang und wir müssen viele menschliche Siedlungen kreuzen.
Es war zu riskant. Trotzdem gab es neben meiner Mutter niemanden mehr, den ich mir mehr an meiner Seite gewünscht hätte, als dich."
Meine freie Hand hob sich und legte sich an ihre Wange.
Sie fühlt sich so weich und warm an. So vertraut.
Für einen Moment schloss sie die Augen und gab sich meiner Berührung hin. „Hätte ich gewusst, was passiert war, hätte ich dich gesucht und wäre zu dir bekommen. Ich hätte dich nicht alleine gelassen."
Ihr trübes Lächeln wurde melancholisch. „Ich weiß." Sie öffnete ihre Augen wieder und sah mich erneut an. „Geralt, du bist viel mehr als nur ein Freund für mich."
„Ich hoffe, dass wird kein Du-bist-wie-ein-Bruder-für-mich-Geständnis." scherzte ich trocken.
Nun erwuchs in ihrem Lächeln wieder leben. „Wo denkst du hin? Ich hab mich nicht nur zu einem Busch verwandelt, um dich zu erschrecken. Nachdem ich dich eine Weile beobachtet hatte, bin ich gänzlich rot angelaufen von deiner neuen Männlichkeit."
Ich lachte auf. „Du hast mich beobachtet? Das hätte ich gehört und gerochen. Du riechst wie ein Himbeerfeld mit Pfefferminze darin."
Sie grinste breit auf. „Du hörst und riechst so schlecht wie ein Fisch im Kochtopf, mein Wolf."
Wir näherten uns noch näher einander bis wir einander so eng standen, dass ich das Heben und Senken ihrer Brust an meiner spürte.
„Ich habe dich auch vermisst, kleine Elfe."
Weitere Worte brauchte es nicht.
Sie ließ meine Hand los und schlang ihre Arme um meinen Hals. Ich tat es ihr gleich und zog sie in eine warme und enge Umarmung. Mein Kopf senkte sich an ihre Schulter.
Nach einer kleinen Ewigkeit, in der wir so eng umschlungen standen, löste sie irgendwann ihren Kopf von meiner Schulter und sah zu mir auf.
Ich konnte nur auf diese vollen rosigen Lippen blicken und wie gerne ich sie küssen würde.
Avas Hände lagen immer noch in meinem Nacken. Sie stellte sich langsam auf die Zehenspitzen, bis sich unsere Nasenspitzen sanft berührten. Sie sprach meinen Namen mit so viel Hingabe und Zuneigung aus, dass ich nicht mehr daran glaubte, dass mein Herz vier Mal langsamer schlug als ihres. Es raste förmlich.
Meine Hand legte sich erneut sich an ihre Wange. Die andere an ihre Hüfte. „Was wird da hier zwischen uns beiden?" wollte ich wissen.
Mein Daumen streichelte ihre warme Haut. Prägte sich jeden Zentimeter davon ein.
„Na wir sind erwachsen geworden. Aus Kinder sind Erwachsene geworden. Und aus Freunden ... könnten Geliebte werden." flüsterte sie an meinen Lippen.
Verdammt.
Was sich gerade in meiner Hose auftat, sollte sie lieber nicht sofort merken.
Ich grunzte zurück und versuchte, ruhig zu bleiben. Meine Ohren glühten jedoch schon von so viel Wärme auf, dass sie es merken musste. „Geliebte? Du hast dir ziemliche Gedanken über uns gemacht."
Ava nickte. „Nur wenn du willst. Aber was mich betrifft, so finde ich den Hexer, den ich als Busch beobachtet habe, mehr als reizend. Aus meinem besten Freund ist ein Mann geworden, der mir sehr gut gefallen kann."
„Das trifft so ungefähr auch auf meine beste Freundin zu."
Sie grinste breit auf.
Unser erster Kuss war genauso, wie ich ihn mir wohl schon als Kind vorgestellt hatte. Er war zart. Vorsichtig und schmeckte nach Himbeeren und Pfefferminz. Genau wie der zweite und dritte Kuss.
Die Küsse, die danach folgten verloren an Zurückhaltung und waren mehr von Leidenschaft und Neugierde geprägt. Und Ava konnte recht neugierig sein.
Irgendwann, als unsere Lippen vom Küssen angeschwollen waren, lösten wir uns.
Nein. Kinder waren wir längst nicht mehr.
„Glaubst du, du schaffst es, nachts unbemerkt zu mir zu kommen?" fragte sie fast schon beiläufiger.
Unsere Finger verhakten sich einander. „Ich wäre gar nicht auf die Idee gekommen, daraus ein Geheimnis zu machen. Wenn dein Vater keinen Grund hat, mir den Kopf abzureißen, weil ich mich zu seiner Tochter hingezogen fühle, würde ich einfach hier bleiben. Es wird dir ja nichts passieren. Hexer sind steril, wie du weißt."
„Ich weiß." antwortete sie leise und grinste zu mir auf. „Ich glaube auch, dass mein Vater ahnt, dass ich dich mehr mag, als man es für einen Freund tut. Ich glaube auch, dass er uns deshalb das Zimmer überlassen hat."
Ich zog die Brauen dicht zusammen. „Hat er? Es kam mir eher vor, als wenn er wollte, dass du hier deine Ruhe findest."
Ava legte den Kopf leicht schief. „Er will, dass ich sicher lebe. Und wo würde ich sicherer leben, als zusammen mit einem Hexer?"
Nun, was soll ich sagen?
Am nächsten Morgen machte uns ihr Vater ziemlich deutlich klar, dass er eher meiner Meinung war, als Avas.
Ava und ich mussten uns einen riesigen Vortrag über Verantwortung anhören - und kaum war er fertig, schnauzte uns Vesemir weiter an.
Ich hatte keiner Dame in ihre Gemächer zu folgen. Ava war Jungfrau. Mit sowas geht man vorsichtig um. Muss einer Frau den Hof machen und ihr nicht einfach folgen. Ja. Ja. Sie war Jungfrau. Bis gestern Nacht. Aber diesen Spruch verkniff ich mir.
Stattdessen nickte ich verständnisvoll. Allerdings versprach ich keine Besserung oder Einsicht. Ava war die wichtigste Person in meinem Leben. Ihre Sicherheit stand bei mir an einer sehr wichtigen Postion. Gleich nach den neuen Erfahrungen, die wir gestern gesammelt hatten. Aber auch davon erzählte ich Vesemir nichts. Ich glaubte, er wusste bereits, was zwischen uns passiert war. Irgendwann wann, vor vielen Monden, war er auch mal ein junger Mann gewesen. Niemand kann mir sagen, dass man bei der Liebe immer vernünftig handelt. Manchmal muss man seinen Instinkten vertrauen. Und nur weil Hexer steril sind, heißt es nicht, dass sie keine Gefühle oder gar sexuelles Verlangen haben.
Irgendwann schaffte es Ava jedoch sowohl ihren Vater als auch Vesemir zu beruhigen. So richtig wollten sie sich mit unserer Beziehung nicht zufrieden geben. Doch sie hegten zumindest auch kein Groll dagegen.
Der einzige, der es tat, war Lambert. Zwei Mal schafft er es mit seinen Sprüchen sogar, dass ich ihm die Nase brach. Er benahm sich wie ein
vierjähriger Hosenscheißer. Irgendwann war auch meine Grenze erreicht. Da konnte Ava noch so sehr beruhigend auf mich einreden.
Jedoch fand ich meinen Frieden wieder bei unseren langen Spaziergängen und auch den gemeinsamen Trainings. Oder jede Nacht, die wir zusammen in dem kleinen Ein-Mann-Bett verbrachten, redeten, uns unserer Liebe hingaben und den Augenblick in trauter Zweisamkeit verbrachten.
Manchmal schlichen wir uns zwischen die Bücherregale der Bibliothek, um während der langen Unterrichtstage kurze Momente für uns zu haben. Wir wurden aufgeschlossener. Probierfreudiger und das, was zwischen den Bücherregalen passierte, hätte mir wohl eine Tracht Prügel von Vesemir verschafft. Aber ein Hexer lernt auch irgendwann lautloser zu arbeiten. Wir flogen nie auf.
Und sollte uns Vesemir doch mal gehört haben, so sagte er zumindest nichts und ließ sich nichts weiter anmerken.
Der Winter ging vorüber und Avas Vater verabschiedete sich von uns. Er ließ Ava bei uns. Nach einem langen harten Winter hatte er seiner Tochter die Magie der Elemente fertig lehren können und auch im Zwei- und Schwertkampf war Ava inzwischen gut erprobt. Am Besten war sie jedoch mit Pfeil und Bogen. Sie konnte bequem alle Ziele treffen, die man sie treffen lassen wollte.
So zogen wir mit den ersten warmen Frühlingstagen gemeinsam in die Welt hinaus. In den ersten drei Jahren reisten wir zusammen und kümmerten uns um die Hexeraufträge. Rückblickend waren das die besten Jahre meines Lebens gewesen. Ava und ich lernten so viel voneinander. Sie machte mich zu dem Mann, der ich heute bin.
Den Winter über kehrten wir immer nach Kaer Morhen zurück. Auch in dem Winter, als die Festung in Schutt und Asche lag.
Als die Fanatiker, die in den Hexern scheußliche Abnormitäten sahen, sie angegriffen und alle Schüler und Lehrer getötet hatten. Alle bis auf Vesemir, der verschüttet unter den Leichen lag.
Wir halfen in diesem Winter beim Neubau der Schule, aber sie würde nie wieder so werden, wie sie einst war.
Es gab schon lange keine neuen Hexer mehr. Der letzte war Leo gewesen. Schon zu meiner Zeit war die Hochzeit der Hexer zur Neige gegangen. Nun jedoch, mit all den zerstörten Instrumenten, gab es noch weitere Gründe, keine neuen Hexer zu erschaffen.
Diese Erkenntnis freute mich sogar ein wenig. Diese Leben, das ich führte, war keines, was ich gerne einem kleinen Jungen anraten würde. Oder deren Eltern.
Keine Krankheiten zu bekommen, langsamer zu Altern und schnellere Reflexe zu haben, war das eine. Vorausgesetzt man überlebte die Prüfungen.
Doch je länger ich mit Ava zusammen war, sah wie andere Paare in unserem Alter bereits eine Familie hatten, was wir nie haben würden, war Grund für mich alleine, niemanden diesen Weg anzupreisen.
Ava selbst schien das aber nicht weiter zu stören. Sie machte nie irgendwelche Anstalten, sich eine eigene Familie zu wünschen.
Der Winter diesen Jahres war anders, als die davor. Wir rückten alle näher zusammen. Zollten den Verstorbenen unseren letzten Tribut und Versorgten die Festung mit notdürftigen Behandlungen.
Vesemir hatte es jedoch am schlimmsten getroffen. Nicht nur wegen seinen Verletzungen. Er war seelisch komplett am Ende. Er hatte so unendlich viel verloren. Erst gegen Mitte des Winters schloss er sich unserer Gruppe wieder an.
Im nächsten Jahr ging Ava ihren Weg alleine fort. Sie hatte in der Nähe von Novigrad von einer anderen Element-Elfe gehört, die Eskel auf seiner Reise angetroffen hatte.
Wir sahen uns erst im Herbst wieder. Den Winter verbrachten wir gemeinsam auf Kaer Morhen.
So vergingen die nächsten Jahre. Manchmal trennten sich unsere Wege. Aber sie führten irgendwann wieder zusammen.
Spätestens im Winter trafen wir uns immer wieder. Wir vermissten uns und lebten die Stunden, die wir oftmals im Winter gemeinsam verbrachten, voller Leidenschaft und Hingabe. Als wären wir nie getrennt gewesen.
Ihr vermeintlicher Tod und das Ende dieser wundervollen Tage passierte im Herbst.
Wir waren alle bereits früher zur Festung zurückgekehrt.
Es gab ein Problem mit Waldschraten. Sie hatten sich in den Wäldern rund um Kaedwen eingenistet und sorgten für Ärger.
Lambert, Leo, Ava und ich konnten die meisten von ihnen bezwingen.
Doch irgendwann unterlief Leo ein Fehler. Ein Fehler, den Lambert und ich nicht ausbügeln konnten, weil wir selbst in Kämpfen verwickelt war.
Ava griff ein. Sie konnte die Waldschrate von uns allen am besten aufhalten, da sie mit der Erde und den Pflanzen angreifen konnte. Doch der Kampf mit den vielen Monstern, hatte ihre Energie aufgebraucht. Element-Magie war nicht unendlich. Und es strengte ihren Körper an. Je mächtiger die eingesetzte Kraft, umso eher war die Magie in ihrem Inneren aufgebraucht.
Ava hielt die beiden Waldschrate mit ihren eigenen Schlingpflanzen fest, bevor sie zu Leo eilte, den das Monster bereits entwaffnete hatte. Schlingpflanzen wickelten sich um seinen Körper. Wölfe waren in der Ferne zu hören. Leo war nervös. Vergaß seine Ausbildung. Er war bereits dafür bekannt, mit seinem jugendlichen Eifer hitzköpfig zu werden. Nun war er dem Waldschrat ausgeliefert. Und die Tatsache, dass Waldschrate auch Menschen aßen, machte es nicht besser.
Der Waldschrat teleportierte sich, um den alles entschiedenen vernichtenden Schlag an Leo auszuführen. Doch bevor er sich hinter dem jungen Hexer-Anwärter brachte, tauchte Ava auf. Und nahm seinen Platz ein. Sie wusste, was passieren würde. Sie wusste, dass sie keine Magie mehr besaß und schwach war. Sie wusste, dass dies ihr Ende sein würde. Sie gab ihr Leben für Leo.
Mit seinen langen Astfingern durchbohrte er ihren zarten kleinen Körper und zog sie dann wieder aus ihr heraus.
Sie sackte vor Leo zusammen.
Lambert und ich brauchten noch eine ganze Weile, um Herr der Meute zu werden, ehe ich zu Ava konnte.
Blut Floß aus ihrem Mund. Aus den Wunden, der Äste. Ihr Gesicht war blass. Ihr Blick trübe. Das Leben schlich sich aus ihrem Körper heraus.
Mein Herz donnerte in meiner Brust. Zum ersten Mal seit Langem.
Ich zog Ava in meine Arme. Jede Hilfe kam zu spät. Trotzdem suchte ich den Schwalben-Trank heraus.
Eine ganze Flasche davon würde sie umbringen. Aber ich zögerte nicht und gab ihr den ganzen Inhalt. Sie musste heilen. Sie musste wieder gesund werden.
Doch sie wurde es nicht. Egal, wie sehr ich flehte und bettelte, sie an mich drückte und ihr befahl, mich nicht zu verlassen.
Meine Hände und Arme waren von ihrem Blut getränkt. Ihre Gliedmaßen dagegen wurde immer blasser.
„Bleib bei mir, Ava." flüsterte ich zu ihr.
Sie würde nicht bleiben. Ich spürte, wie ihr Herz immer langsamer wurde. Wie ihr jeder Atemzug immer schwerer fiel. Wie viel Kraft es sie kostete zu mir aufzusehen und sich ein letztes Lächeln abzurinnen. „Ich liebe dich, Geralt. Für immer."
Wir hatten diese Worte nur so selten zueinander gesagt. Weil wir immer wussten, wie wir füreinander empfanden. Dafür brauchten wir nichts sagen.
Ich hätte ihr sagen sollen, dass ich sie auch liebte. Aber ich konnte nicht. Ich konnte sie nicht gehen lassen. Sie war alles, was von Bedeutung war. Sie war mein Schatz. Meine Seele. Mein Zuhause.
Doch sie starb. Sie wurde kalt in meinen Armen. Mit ihrem letzten Atemzug sah sie ein letztes Mal zu mir auf, ehe ich glaubte, sie für immer verloren zu haben.
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