Diplomatie
Nervös wippte Avas linker Fuß unter dem Schreibtisch von Anna Henrietta auf und ab. Sie kannte die Herzogin seit vielen Jahren. Die beiden Frauen verband ein enges Band der Freundschaft miteinander. Und dennoch war die Elfin in ihrem Leben zuvor noch nie so nervös gewesen.
„Dieses Dorf?" fragte die Herzogin erneut und tippte mit ihrem feingefeilten Zeigefinger auf die ausgebreitete Landkarte vor ihr.
Geralt nickte und ließ zugleich eine Hand unter den Tisch sinken, die er Avamiel auf das wippende Knie legte.
Ruhig. Bleib ganz ruhig. Konnte sie seine Stimme in ihrem Kopf sprechen hören.
Aber für die Elfin blieb keine Zeit, ruhig zu bleiben. Mit jeder Sekunde mehr, die sie verstreichen ließen, waren ihre Artgenossen in noch größerer Gefahr.
Sie hatte die Blicke der Kinder gesehen. Kinder, die noch nie Tageslicht gesehen hatten. Kinder, die keine Sonne kannten.
Eine Qual für Element-Elfen, die die Sonne brauchten, um sich wohl zu fühlen.
Wie schlecht ging es ihr schon nach drei Tagen bei Regis unter der Erde?
Aber dort, in Emhyrs Schloss, gab es Kinder, die die Sonne nicht einmal kannten. Die bereits ihr Leben lang mit diesen Kopfschmerzen leben mussten.
Ava kämpfte mit den Tränen.
Ihr Herz steckte in so tiefer Trauer und Angst, dass es ihr den Atem nahm. Und je mehr sie über das Schicksal ihrer Artgenossen nachdachte, umso übler wurde ihr.
Wieso hatte sie all die Jahrzehnte nie etwas davon mitbekommen?
„Liebste Freundin, geht es dir nicht gut?" durchschnitt Anna Henrietta Avas wirre Gedanken.
Ihr treuer und zugleich besorgter Blick galt nun nur noch der Elfin, die wie ein eingefallener Kloß vor ihr saß.
Auch Geralt sah zu seiner Liebsten. Seine Mundwinkel zogen sich bekümmert nach unten, als er Avas innerliche Panik mitansah.
„Nein." gestand die Elfin sogleich mit leiser und zerbrochener Stimme.
Doch sie beschloss ihren Kummer zu verdrängen. Über ihre Sorgen zu sprechen, verschlang Zeit.
Zeit, die ihre Artgenossen nicht hatten.
Mit einer schnellen Bewegung wischte sich die Elfin die zarten kleinen Tränen von der Wange. „Wir haben keine Zeit, nach mir zu fragen. Kannst du uns dein Versprechen geben, dass wir das Dorf für sie bekommen können?"
„Natürlich!" sagte die Herzogin sogleich.
Ava fiel ein Stein vom Herzen. Dennoch war dies erst der erste Schritt von vielen gewesen. Aber es war ein Anfang gewesen.
„Die Mauern, die rund um das Dorf gezogen wurden, sind sicherlich baufällig. Ich werde heute noch ein Team von vertrauenswürdigen Männern losschicken lassen, um sie heute noch zu reparieren. Sicherlich werden wir es nicht schaffen, die Häuser wieder in den alten Zustand zu bringen, aber"
„Das bekommen wir hin." unterbrach sie Ava sogleich und atmete schwer aus. „Mir geht es nur darum, dass sie sicher sind. Ein Dorf voll mit meiner Art ist auf dem Schwarzmarkt unendlich viel wert. Womöglich mehr als alle Königreiche der Welt zusammen. Ich muss sicher sein, dass dies der richtige Ort für sie ist."
„Ist es, Avamiel." beteuerte der Hexer mit weicher Stimme. Seine Hand drückte leicht ihr Knie. „Es wird kein hundertprozentiger Schutz sein. Aber sie werden darin beschwerdefrei leben können. Besser als zuvor."
Anna Henrietta nickte rasch. „Ja. Und wenn es genug dieser Ketten mit den magischen Anhängern gibt, können sie auch unbemerkt herumreisen." Die Herzogin legte eine kurze Pause ein, in der sie ihrer Freundin mutbringend zulächelte. „Es wird Zeit brauchen, liebste Freundin. Aber ich werde dafür sorgen, dass das Dorf beschützt wird. Du kennst meine Männer. Manche besser als ich selber. Du weißt, wie vertrauenswürdig sie sind."
Die Elfin atmete schwer aus. Mutbringende Gedanken zu fassen, war gerade nicht ihre Stärke. Dennoch nickte sie. „Natürlich. Daran zweifle ich auch nicht."
Die Herzogin lehnte sich in ihren Stuhl zurück. Beobachtete einen Wimpernschlag lang ihre Freundin mit festem Blick. „Aber du zweifelst an dir. An deinen Fähigkeiten. Weil dir diese Mission wichtig ist. Womöglich die wichtigste deines Lebens."
Damit traf sie direkt ins Schwarze.
„Avamiel, liebste und zugleich teuerste Freundin. Lass mich dir sagen, dass es nie einfach ist, solche Wege zu beschreiten. Menschen ein Zuhause zu geben, ein sicheres, in dem sie sich wohlfühlen, ist von so vielen Faktoren abhängig. Sicherheit ist das eine. Aber es braucht so viel mehr. Aber wenn es jemanden gibt, der ihnen das geben kann, dann bist du das. Du wirst ihnen ein Zuhause geben, in denen sie sich wohlfühlen werden. Du wirst für sie da sein und ihnen den Weg zeigen, den sie brauchen." Wieder hielt Anna inne. Lange genug, dass Avamiel den Kopf anhob, um ihre Freundin anzusehen.
„Liebste Freundin. Ist dir je in den Sinn gekommen, als Vermittlerin zwischen Menschen und Anderlingen zu fungieren?"
Avas Augen wurden groß. Geralts ebenso.
Anna Henrietta lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. Repräsentierte dabei ihre Macht als Herzogin. Genauso wie man es ihr bei Geschäftsverhandlungen beigebracht hatte. „Ich habe nachgedacht, Avamiel. Diese Schwierigkeiten zwischen Elfen und Menschen wird nie beseitigt werden. Nicht solange die Fronten so verhärtet sind. Dabei kann eine Freundschaft zwischen Menschen und Anderlingen funktionieren. Wir sind das lebende Beispiel dafür, meine liebste Freundin.
Daher würde ich dich gerne offiziell an meiner Seite vorstellen wollen. Ich will allen mit gutem Beispiel voran zeigen, dass wir keine Feinde sein müssen. Dass es so viel mehr zu erleben gibt, wenn wir diesen Weg Hand in Hand meistern. Du als meine Diplomatin."
„Ich soll deine Diplomatin werden?" fragte Ava mit nervöser Stimme. „Das würde bedeuten, dass ich meine Stelle in der Truppe aufgeben müsste."
Anna Henriettas ernste Miene wurde weicher. „Ja. Und ich weiß, wie viel dir deine Position bedeutet. Aber diese neue Stelle, an meiner Seite, würde dir ebenfalls viel einbringen. Du würdest an Informationen aus erster Hand kommen. Und sie weiterleiten. Du würdest nichts aufgeben, liebste Freundin. Du würdest nur deinen Platz ändern."
Avas Kopf drohte zu explodieren. Sie war es gewohnt, mit schwierigen Situationen umzugehen. Aber heute, an diesem sowieso schon schwierigen Tag, brachte Anna Henriettas Anfrage Avas empfindliches Gleichgewicht völlig aus der Fassung.
Sie war Anführerin der Rächer der Anderlinge. Sie sorgte sich um ein jeden. Schmiedete die Pläne. War ihr Gesicht, selbst ohne ihr Geweih. In der Öffentlichkeit bekannt, würde es alles noch schwerer machen.
„Du willst natürlich auch, dass ich meine Kette dabei nicht trage, oder?" wollte sie von ihrer Freundin wissen.
Die Elfin sah den Hexer neben sich anspannen. Sein Kiefer mahlte schwer.
„Es ist keine Entscheidung, die ich heute von dir verlange, zu beantworten. Ich möchte lediglich, dass du darüber nachdenkst. Du würdest viel Gutes mit dieser Position erreichen. Für deine Art. Für die Anderlinge. Für dich selbst. Für Toussaint und am Ende für viele andere Länder auch, die sehen würden, wie harmonisch das Miteinander verläuft. Ich würde dir dazu auch gerne ein gewisses Maß an Macht übertragen. Eingliederungen für verwaiste Anderlinge. Die Bürger werden damit zu Beginn unzufrieden sein. Aber ich glaube fest daran, dass am Ende Freundschaften entstehen können." erklärte die Herzogin im weichen Ton und zeigte am Ende auf Geralt. „Und vielleicht wird es sogar Liebe geben. Zwischen Menschen und Anderlingen. Eine Liebe, die nicht mehr verborgen werden muss. Sondern offiziell wäre. Dafür brauche ich dich. Dich und dein Wesen. Genauso wie du bist."
„Ava würde zur Zielscheibe werden!" brummte der Hexer gereizt.
Die Herzogin war von den Worten des Hexers so unbeeindruckt, dass sie nicht mal eine ihrer perfekt gezupften Augenbrauen in die Höhe zog. „Geralt, sowohl Du als auch ich wissen um Avas gesunden Geist und ihre körperliche Verfassung. Außerdem würde ich sehr deutlich machen, dass Ava nicht nur unter meinem Schutz steht, sondern auch unter dem der Kampfgruppen von Toussaint. Wird ihr auch nur ein Haar gekrümmt, bedeutet das für mich Krieg. Ich werde deutlich machen, dass sie nicht mein Besitz, sondern meine teuerste Freundin ist. Ich beschütze sie, weil wir eine tiefere Bindung zueinander haben, als du und dieser Barde. Außerdem" sagte die Herzogin und grinste wie eine neckische Hauskatze. „Wird ihr niemand ein Haar krümmen, wenn jedermann weiß, dass sie deine Frau ist."
Ava fiel die Kinnlade herab. „Was? Wenn mich das nicht endgültig zur Zielscheibe macht, was dann? Hast du eine Ahnung, in wie vielen Liedern Rittersporn von Geralt und Yennefer singt? Jeder verbindet die beiden miteinander. Und dann tauche ich auf und gebe mich als seine Frau aus?"
Die Elfin hätte damit gerechnet, dass der Hexer da ihrer Meinung wäre. Doch Geralt blieb ruhig. Verdammt ruhig für ihren Geschmack. Genau wie ihre Freundin. „Seit wann interessiert dich die Meinung der anderen?"
„Wenn mein Ruf schon einen Knick weg hat, dann wird es um meine Berufung auch nicht einfacher." gab Avamiel im gereizten Ton zurück.
Geralt hob den Kopf an. Er wirkte absolut ruhig. „Dann geben wir ihn keinen Grund dafür, misstrauisch zu sein. Du bist die Frau, der mein Herz gehört. Es gibt nicht viele Menschen da draußen, die viel von mir halten. Glaub mir. Mein Ruf eilt mir voraus. Genau wie der von Yen. Es wird niemanden geben, den du verärgern würdest. Glaub mir. Wenn, dann werde ich eher das Problem haben."
Er schien also auch einverstanden zu sein. Was war hier nur los?, fragte sich die schöne Elfin. „Ich werde darüber nachdenken, Anarietta." gab sie leise an, um das Thema zu beenden.
Anna Henrietta sah sich anscheinend schon siegessicher. Zufrieden lächelte sie auf. „Sehr gut. Wenn du dich entschieden hast, lass es mich wissen. Desto schneller, desto besser, liebste Freundin."
Ava schmeckte den faden Beigeschmack ihres Kosenamens auf der Zunge. Sie liebte die Herzogin wie eine Schwester, doch wusste sie auch, dass Anna Henrietta durchaus gerne das nützliche mit dem praktisch verband. Sie würde sich schneller bei ihr melden, als ihr lieb wäre.
Ava wusste, dass ihre Freundin jede ihrer Entscheidungen verstehen würde. ... aber solange würde sie die Elfin auch nerven.
Ava, Geralt und die Herzogin sprachen noch über einige weitere Details zur Bergung der Element-Elfen und den Mauerschutz, rund um das Dorf. Als alles besprochen war, verabschiedeten sich die Freunde voneinander. Natürlich nicht, ohne dass die Herzogin ihr Angebot Avamiel noch einmal vortrug.
Müde wiederholte Avamiel, dass sie darüber nachdenken würde und verließ zusammen mit dem Hexer das Arbeitszimmer der Herzogin.
Kaum hatten sie den ersten Flur beschritten, hielt Ava Geralt bei der Hand festnund brachte den Hexer zum Stehen. „Können wir den Rückweg reiten? In den Ställen steht immer eine Stute für mich parat und der Weg bis zum Quartier ist auch nicht soweit."
Sie erkannte die Freude im Gesicht des Hexer, über den Verzicht einer Portalreise. Doch auch, dass er ihren Unmut erreicht hatte. „Natürlich."
Avamiel seufzte erneut auf und trat einige Schritte nach vorne an. „Ich brauch Luft zum Denken. Wenn ich jetzt noch einen Streit zwischen Alastor und Sigi mitbekomme, werde ich mich zum Busch verwandeln und mich drei Wochen in den Wald stellen."
Mit einem sanften Lächeln trat der Hexer an seine Elfin heran. „Dir ist bewusst, dass ich weiß, an welcher Stelle du kitzlig bist. Auch als Johannisbeerstrauch."
„Dafür musst du ja erstmal wissen, wo du mich finden kannst."
„Hexersinne. Ich find dich überall, wenn ich will."
Würde er nicht. Ava schmunzelte dennoch über seine Worte.
„Hey." sagte der Hexer im ruhigen Ton, stellte sich vor die Elfe und legte ihr beide Hände auf die kleinen Schultern. „Ich weiß, dass ihr Angebot enorm ist. Aber du hast noch alle Zeit der Welt, darüber nachzudenken."
Ava blickte in die dunkelgoldenen Augen ihres Liebsten auf. Sein Blick war klar. Stark. Mutig. Entschlossen. „Du hast deine Meinung darüber schon gefunden. Nicht wahr?" sagte sie mit ernster Stimme.
„Ja." antwortete Geralt sogleich und legte den Kopf leicht schief. „Und du auch. Ansonsten hätte ich jetzt kaum Schritt mit dir halten können. Du bist an ihrem Angebot interessiert. Du weißt, welche Macht du aus diesem Amt für die Gruppe schöpfen könntest."
„Und was ich dafür aufgeben müsste!" erwiderte Ava sogleich.
„Du gibst nichts auf."
„Tu ich!" fuhr sie sofort auf. „Ich könnte nie wieder mit euch auf Mission. Ich könnte nicht selbst dafür sorgen, dass alles klar geht. Trete ich ins Licht der Öffentlichkeit, verschwindet der Schatten, der ich in unserer Gruppe bin!"
„Dafür wirst du Leute kennenlernen, die vieles ausrichten könnten. Für die Anderlinge. Für ein besseres Leben. Du bist gewitzt. Du bist clever. Hart im verhandeln. Taktisch denkend. Du lässt dich nicht hinters Licht führen. All das kommt deiner neuen Position zu Gute. Du wirst an mehr Informationen kommen als es Rittersporn kann. Das wird helfen."
Die Wangen der Elfin wurden rot. Sie spürte die aufkommende Hitze darin. „Und wenn ich auffliege? Wenn sie rausfinden, wer ich bin? Wer ich war? Was ich getan habe? Wer alles mit mir zusammen arbeitet? Geralt, es stehen Leben auf dem Spiel!"
Der Hexer beugte langsam den Kopf zu der Elfin herab. Um ihr noch besser in die Augen sehen zu können. „Niemand wird irgendwas herausfindenden, kleine Elfe. Niemand. Weil es niemand anderes je geschafft hat, sich wie ein lautloser Schatten vor mir zu verstecken. Und das ganze während du hunderte an Missionen erledigt hast."
„Und dann?" wollte die Elfin wissen. „Was ist dann? Ziehen wir beide auf das Weingut und lassen es uns gut gehen, während die anderen ihr Leben für die einsetzen, denen ich nicht helfen konnte? "
Statt einer ernsten Miene lächelte der Hexer leicht zu ihr herab. „Ava", begann er mit seiner tiefen Stimme. „Wenn du das Angebot nicht in Erwägung ziehen würdest, würdest du jetzt ganz anders über die Sache reden."
Damit hatte er wohl sogar recht, musste sich die Elfin eingestehen. Ihr gefiel die Idee. Nicht alles daran, aber vor allem gefiel ihr die Idee, sich nicht mehr verstecken zu müssen.
„Du magst den Gedanken daran, etwas neues zu beginnen. Etwas, was mehr Ruhe in dein Leben bringt. In unserer beiden Leben, nicht wahr?"
Statt einer Antwort senkte die Elfin den Kopf. Doch Geralt schien die Wahrheit sehen zu wollen. Er nahm eine Hand von ihrer Schulter und legte Daumen und Zeigefinger angewinkelt unter ihr Kinn. Mit sanftem Druck brachte er sie dazu, ihn anzusehen. „Daran ist nichts verkehrt, Avamiel. Du hast es verdient, glücklich zu sein. Diese neue Position ermöglicht es dir, Teil beider deiner Leben zu sein. Du steigst nicht aus. Du bleibst, gewinnst an Zeit und kannst dennoch mehr helfen. Rede mit deinen Freunden darüber. Aber glaub mir. Sie alle werden dir dazu raten, einzuwilligen. Du hast es verdient, kleine Elfe."
„Und du folgst mir?"
Die Augen des Hexers strahlten voller Freude auf. „Ich folge dir überall hin. Außerdem muss sich jemand auch um das neue Element-Elfen-Dorf kümmern und hin und wieder mal nach dem Rechten sehen. Was aber nicht heißt, dass ich dir und der Truppe nicht jederzeit zur Verfügung stehen würde. Vielleicht nehme ich auch hin und wieder mal einen Hexerauftrag an. Der alten Zeiten wegen."
Avas Arme schlangen sich um den schönen Hexer, der es ihr gleichtat. „Ach, Geralt." säuselte sie in sein Ohr hinein und ließ sich von seinen starken Armen an sich ziehen. „Danke."
Geralts Gesicht verbarg sich in Avas Schulterbeuge. „Nicht dafür, meine kleine Elfe. Nicht dafür."
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