#5 Myrny: Unabsichtliche Liebe
,,Es ist nicht das, wonach es aussieht, Ginny. Bitte, gib mir eine Chance das zu erklären!", ruft er mir nach, während ich reglos dastehe und meinen Augen kaum trauen kann.
,,Ginny, bitte. Du weißt doch, ich liebe dich", fleht er mich flüsternd an, ehe er sich mir einige kurze Schritte nähert und vor mir stehen bleibt.
Weiß ich das wirklich?
Weiß ich, dass du mich liebst, Blaise? Oder hast du mir etwas vorgespielt?
Es muss doch einen Grund dafür geben, dass ich mich in dich verliebt habe.
Dass sich mein Herz ohne dich plötzlich so leer und schwer anfühlt; bereit, in tausend kleine Teile zu zerbrechen.
,,Weiß sie das denn auch?", deute ich auf die zierliche Brünette, dessen Zunge noch Minuten zuvor in Blaises Hals steckte.
Meine Stimme zerbricht, während die Silben abgehackt meinen Mund verlassen und ich versuche, meinen letzten Rest an Selbstachtung zusammenzufassen, um mich ihm nicht komplett aufgelöst zu zeigen.
Er soll nicht wissen, wie viel er mir bedeutet hat.
,,Ginny, bitte."
Langsam wandert seine Handfläche an meine Wange, doch ich schiebe sie weg, ehe er mich überhaupt berühren kann.
,,Nein, Blaise. Du hattest deine Chancen. Mehr als genug und jede einzelne davon hast du verspielt. Ich bin kein Objekt. Ich bin ein Mensch mit Gefühlen, die du verletzt hast; und das nicht zum ersten Mal. Ich hab genug von dir."
Habe ich nicht.
Ich liebe ihn, immer noch.
Ich kann meine Gefühle nicht einfach so abstellen.
Aber ich habe ein Gehirn, das weiß, was das beste für mich ist.
Vor allem nach diesem Schauspiel, dass mir hier gerade vor die Augen getreten ist.
,,Weißt du was Blaise? Hermine warst du schon immer ein Dorn im Auge! Sie hat mich immer wieder vor dir gewarnt, aber ich dachte wirklich, du könntest dich ändern. Besser sein; für mich, für meine Gefühle. Aber alles was du bist, ist ein Haufen voller Lügen. Ich hätte es besser wissen müssen."
,,Ginny, warte doch! Lass mich erklären, wieso-"
,,Scher dich doch zu dem, dessen Name nicht genannt werden darf, Blaise! Und lass dich nie wieder bei mir blicken!"
Mit diesen Worten versuche ich, all das Gesagte zu vergessen; all die letzten Wochen und Monate voller Liebe und Geborgenheit zu verdrängen, doch so sehr ich es auch versuche, es gelingt mir nicht.
Die Flure, die ich entlang renne, werden immer verschwommener und der Ballast, der auf meinem Herzen liegt, versucht mich mit aller Kraft in den Boden unter mir zu drücken, doch ich fasse all meine Trauer zusammen und laufe geradewegs in das Mädchenklo im zweiten Stock, das jede Schülerin seit ich Hogwarts kenne, vermeidet.
Vor mir befinden sich unzählige separate Toilettenkabinen, die von verdreckten, blassgrünen Wänden voneinander abgetrennt sind, die ich aber nur kurz betrachte.
Auch dem skurrilen Waschbecken mit den Schlangenverzierungen, an das ich nur schlechte Erinnerungen habe, schenke ich nur einen schnellen Blick, ehe ich mich in eine der Kabinen einschließe.
Völlig ausgelaugt lasse ich mich eine der Wände entlanggleiten, bis ich mich auf dem Boden befinde und stütze meine Ellenbogen auf den Knien ab.
Bei Gryffindors Löwen, wieso muss so etwas immer mir passieren.
Wieso muss ich nur immer so naiv sein und alles was zaubern kann, an mich heran lassen? Mit meinen Gefühlen spielen lassen?
Ich verstehe mich manchmal selbst nicht.
,,Das Leben ist so verdammt ungerecht", seufze ich in meine Tränen.
,,Ungerecht?", ertönt eine gruselig kindliche Stimme und wird durch den hallenden Baderaum noch einige Male wiederholt.
Vor Schreck weiten sich meine Augen.
,,Wer ist da?", stelle ich die unvermeidliche Frage und abrupt verfärben sich meine Wangen in ein liebliches Kirschrot; zu peinlich ist es mir, dass mich jemand in meiner misslichen Lage erwischt hat.
,,Du denkst das Leben ist ungerecht zu dir? Mich halten sie hier fest, Mädchen. Seit Jahren! Das nenne ich ungerecht."
Die Stimme scheint nicht weit von mir entfernt zu sein; nur ein, zwei grüne Türen weiter.
Wieso sollte Hogwarts, Dumbledore, hier ein Mädchen festhalten?
Das macht doch überhaupt keinen Sinn.
,,W-was meinst du damit? W-wer bist du?"
Zu viel Angst habe ich, als dass ich noch ganze und gerade Sätze hervorbringen könnte.
So war das Alleinsein und das Trauer loswerden nun wirklich nicht geplant.
,,Ich bin die maulende Myrte", höre ich die Stimme nun laut heulen, ehe jemand die Klospülung eine Kabine neben mir betätigt und dicke Wassertropfen in meine Richtung fliegen.
Die maulende Myrte?
,,So zumindest nennt mich die gesamte Schülerschaft. Du solltest mich jetzt also kennen und wissen, dass dein Leben nicht viel ungerechter als meines sein kann."
Aus irgendeinem Grund scheint die Stimme nun viel näher zu sein, was die Situation nicht gerade bequemer macht.
,,Ich kenne keine Myrte, tut mir leid."
,,Das ist erstaunlich", flüstert sie und schon wieder spritzt Wasser in alle Richtungen, doch dieses Mal erscheint zu meiner Verblüffung ein graues Wesen neben mir, das sich allem Anschein nach durch die Abflussrohre einen Weg zu mir verschafft hat und aus der Toilettenschüssel hervorschwebt.
,,Du bist ein Geist", flüstere ich und betrachte das Mädchen, dessen Haare zu zwei Zöpfen zusammengebunden sind. Auf ihrem Kopf trägt sie eine dicke, schwarze Hornbrille, die ihre schönen dunklen Augen verdeckt.
Sie kann nicht viel jünger als ich gewesen sein, als sie gestorben ist.
,,Überraschung, Kleine. Ich mag jung aussehen, aber bin älter als man denkt", erwidert sie geheimnissvoll und lässt sich neben mir auf den Fließen des Baderaums nieder.
,,Was meintest du damit? Dass sie dich hier festhalten?"
,,Das ist eine lange Geschichte, Kleines."
,,Ich würde sie gerne hören", beharre ich darauf und sehe sie überrascht an. Wie kann es sein, dass ich noch nie von ihr gehört habe? Von der maulenden Myrte.
,,Wie heißt du?"
,,Ich bin Ginny."
,,Nun gut, Ginny. Was weißt du über die Kammer des Schreckens?"
,,Zu viel."
Lange betrachtet mich Myrte, ehe sie einen Entschluss zu fassen scheint und mich in ihre Geschichte einweiht.
,,Ich war 14 Jahre alt, als ich mich in der Kabine neben dieser hier versteckte, weil mich diese miesepetrige Olive hänselte. Seit ich hier zur Schule ging, hatte sie ein Auge auf mich geworfen und da beinahe alle Schüler und Schülerinnen in ihr ein Vorbild sahen, gab es keinen Tag mehr, an dem ich nicht aufgrund meiner Brille oder meines Aussehens geärgert wurde. An jenem besagten Tag wurde mir alles zu viel und ich versteckte mich wie so oft im Mädchenklo. Nur, dass es jenes Mal kein so gutes Ende nahm, als meine Augen zu diesem verfluchten Waschbecken huschten."
,,Der Basilisk", flüsterte ich ungläubig.
,,Ja, Ginny. Ich habe ihm direkt in seine Augen geblickt und all meine Lebenskraft verloren. Seitdem habe ich nur noch wenig Menschen gesehen; seit der Verhandlung."
Mitleidig sehe ich sie an. Nicht mal in meinen schlimmsten Albträumen kann ich mir vorstellen, auf diese Weise weiterzuleben.
,,Wieso bist du ein Geist, Myrte? Was hast du getan?", frage ich sie neugierig, denn ich bin mir durchaus bewusst, dass nicht jeder Mensch diesem Schicksal ausgesetzt wird.
,,Der Basilisk hat mich getötet, Ginny. Aber ich allein weiß, dass mich Olive Hornby aus dem Leben gezerrt hat. Ich wollte Rache ausüben und bin als Geist zurückgekehrt, um ihr das zurückzugeben, was sie mir angetan hat. Aber das Zaubereiministerium war schneller und hat mich für immer in dieses modernde Mädchenklo verbannt. Seitdem scheint es jeder zu meiden und mich zu kennen, weshalb mich verblüfft, dass du noch nie von mir gehört zu haben scheinst", beendet die zierliche Gestalt ihre Geschichte und fixiert meine Augen mit ihrem überlegten Blick.
,,Tut mir leid, dass du so gestorben bist. So früh."
,,Das muss dir nicht leidtun, Kleine. Aber vielleicht verstehst du jetzt, wieso ich vorhin so reagiert habe."
,,Findest du es nicht ironisch, dass du mich Kleine nennst, wenn du doch jünger bist als ich?", frage ich sie neugierig.
,,Vielleicht etwas. Aber wie gesagt, lebe ich schon deutlich länger als du", lächelt sie.
,,Sag mir, was hat dich hierher verschlagen? In dieser Schule lässt sich niemand hier bei mir blicken", fährt der freundliche Geist fort.
,,Mein Freund hat vor meinen Augen eine andere geküsst. Ich dachte, er liebt mich", wispere ich und wieder staut sich dieses nicht auszuhaltende Gefühl von Trauer und Wut auf Blaise in mir an.
,,Ich hasse mich dafür, dass ich mich auf ihn eingelassen habe. Meine Freunde wussten schon immer, dass er mir nicht gut tun würde, aber ich wollte nicht auf sie hören und jetzt sitze ich hier und wurde schon wieder verletzt. Und das von demjenigen, von dem ich es am wenigsten erwartet hätte", seufze ich und fange eine kleine Träne auf meiner Wange auf, bevor sie meine Lippen erreicht.
,,Ginny, du darfst nicht dir die Schuld dafür geben", flüstert Myrte mitfühlend.
,,Aber ich habe ihn in mein Leben gelassen, obwohl mich jeder davon abhalten wollte."
Erschöpft senke ich meinen Kopft und starre auf den gefließten Toilettenboden.
,,Du liebst ihn, Ginny. Jeder gewährt den Menschen, die man liebt einen Platz in seinem Herzen. Du bist wundervoll, Kleines und er hat seine Chance verspielt. Er hat dich hängen gelassen und hat die wahrscheinlich wichtigste Person in seinem Leben verletzt und verloren. Für deine Trauer bist nicht du Schuld, Ginny. Sondern ganz allein er.
Genauso ist nicht mein Aussehen dafür Schuld, dass ich heute ein Geist bin, sondern Olive, die mich dafür gehänselt hat, bis ich keinen Ausweg mehr sah, als mich stundenlang hier einzusperren", sagte Myrte mit einem liebevollen Blick.
Ich verstehe nicht, warum sie früher geärgert wurde. Ihre Hornbrille steht ihr fabelhaft und die zwei Zöpfe sehen geradezu niedlich an ihr aus.
Wahrscheinlich suchen Schüler einfach immer eine Person, auf der sie herumhacken können, auch wenn sie ihnen nichts angetan haben.
Augenblicklich erinnere ich mich wieder an Blaise und an Malfoy, die, bevor Blaise und ich ein Paar wurden, auch jeden gehänselt haben, der ihnen im Weg stand.
Myrte hat Recht. Blaise ist ein schlechter Mensch und er hat mich verletzt. Ich habe keine Schuld daran.
Man kann sich nicht aussuchen, in wen man sich verliebt.
,,Danke, Myrte. Wirklich. Du hast mir die Augen geöffnet", erwidere ich und sehe ihr tief in die Augen.
Reflexartig wandert meine Hand zu ihrer, doch greift ins Nichts.
Verblüfft ziehe ich sie wieder zurück.
Was war das denn?
Wieso habe ich das gemacht?
Ich weiß doch, dass man Geister nicht berühren kann.
,,Das wird leider nicht möglich sein, Ginny."
,,Ja, i-ich weiß. T-tur mir leid. Ich wollte dich nicht wieder daran erinnern", stottere ich und merke, wie sich meine Wangen erneut verfärben.
,,Ich werde jeden Tag daran erinnert, Kleines."
Ich schenke ihr noch einen letzten mitfühlenden Blick, ehe ich mich wieder aufrichte und die Tür der Toilettenkabine aufschließe.
Myrte schwebt schon wieder vor mir und sieht mich abwartend an.
,,Ich sollte wieder los, Myrte. Und ich möchte mich noch einmal bedanken. Du hast mir den Tag gerettet", gestehe ich leise und husche an ihr vorbei.
,,Ginny, warte", ruft sie mir nach und ich drehe mich abrupt um.
,,Sei dir bewusst, dass ich deine Hand gerne gehalten hätte, wenn es mir möglich wäre", seufzt sie leise und schenkt mir erneut einen dieser liebevollen Myrte-Blicke.
Das ist nicht richtig.
Es ist wirklich überhaupt nicht richtig, was sich in mir abspielt. Ich kann mich nicht in sie verlieben.
Es geht nicht darum, dass sie ein Mädchen ist oder darum, dass ich erst heute mit meinem Freund Schluss gemacht habe.
Sie ist ein Geist. Und sie wird immer einer bleiben.
Sie hat mir aber auch gezeigt, dass man keinen Einfluss darauf hat, in wen man sich verliebt.
Ich könnte sie meiden, aber meine Gefühle wehren sich dagegen.
,,D-darf ich morgen wieder kommen? I-in der Pause? Oder irgendwann anders?"
,,Die Türen stehen immer offen, Ginny. Und ich werde immer hier sein. Werde auf dich warten", erwidert die maulende Myrte lächelnd.
Und ich drehe mich um und verlasse, das Mädchenklo im zweiten Stock.
Das Mädchenklo, das ich weinend betrat und lächelnd verließ.
~
1957 Wörter
So, wieder einen OneShot geschafft.
Dieses Mal ohne viel zu planen, dafür ein paar mehr Mental Breakdowns.
Aber erstaunlicherweise habe ich ihn dann doch in einer knapp zweistündigen Zugfahrt fertiggestellt.
Was sagt ihr zu Myrny? Ich habe Myrte hier ja ganz anders dargestellt, als in den Filmen und Büchern.
Weniger zickig und leichter auszuhalten haha.
Und das Ginny Myrte noch nicht kennt, ist in meinen Augen schon möglich.
Als sie das Tagebuch im ersten Jahr ins Klo gespült hat, muss sie Myrte ja nicht gesehen haben ;)
Und was sagst du dazu Paper_Eve52?
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