#4 Verdora: Einmal und nie wieder
2. Mai 2013
Die Uhr schlug bereits Mitternacht, als Vernon Dursley schlaftrunken durch die hell beleuchteten Straßen Little Whingings schlenderte.
Es war eine frische Frühlingsnacht - die zweite Nacht des Monats, der ihm Jahr für Jahr einen Schrecken einjagte und sein Herz fürchterlich laut beben ließ.
Es war der zweite Mai, der ihn immer wieder an seinen Ansichten und an seinem Groll gegenüber der Zaubererwelt zweifeln ließ, denn obwohl die verrückte Hexe, deren Haarfarbe sich nach ihrer Laune auszurichten schien, nichts im Ligusterweg verloren hatte, stieg sie alljährlich - seit dem Angriff dieses dunklen Zauberers auf Hogwarts - von ihrem Flugbesen ab, um sich nach dem vermeintlichen Zaubereigegner umzusehen.
Vernon wusste selbst nicht wirklich, wann dieser Hass in ihm ausgelöst wurde, worin er sich aber sicher war, war dass dieser Hass, jener Hass, dem Harry Potter oft zum Verhängnis wurde, seit dem zweiten Mai vor einigen Jahren wie ein falsch gelegtes Kartenhaus in sich zusammenfiel.
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2. Mai 1998
Seitdem sie von diesem Bündel an Zaubererpack aus ihrem eigenen Haus verdrängt wurden, bekam Vernon des nachts kein Auge mehr zu.
Ständig plagten ihn seine verworrenen Gedanken, die sich rund um die misslungenen Erklärungsversuche seines Neffen drehten, denn für Todesser und Morde von einem bestimmten Volde hatte er damals keinen Nerv.
Doch jetzt versuchte er herauszufinden, was Harry Potter meinte, als er von diesem Krieg sprach, in dem er kämpfen musste und ob seine Familie nun wirklich sicher war.
Doch die Sätze seines Neffen schienen nur noch undurchsichtiger zu werden, als er sie in seinem Kopf wieder und wieder abspielen ließ.
Wenn dieser Bengel ihm bloß einen weiteren Haufen voller Lügen aufgetischt hatte, um das Haus im Ligusterweg für sich zu haben, würde dies Konsequenzen haben, das garantierte Vernon.
Schleichend, um Petunia und Dudley nicht aufzuwecken, machte er sich auf den Weg ins Wohnzimmer, das er seit einigen Wochen nun seines nennen durfte - obwohl es sich keineswegs so anfühlte - und ließ sich mit einem lauten Seufzen auf dem großen, mit braunem Leder überzogenen Sessel nieder, der sich perfekt an seinen Körper anschmiegte, als er ein minimales und doch nicht wegzudenkendes Schluchzen wahrnahm.
Urplötzlich verbreitete sich eine stechende Neugierde in ihm aus, die ihn dazu brachte, aufzustehen und dem merkwürdigen Geräusch auf die Schliche zu gehen.
Sofort dachte er an Petunia, denn diese schien, seit Harry Potter die dreiköpfige Familie verlassen hatte, wie ausgewechselt, doch binnen weniger Sekunden wurde ihm klar, dass die flehenden Laute, die verzweifelten Seufzer und das Schniefen und Jammern nicht von seiner Frau stammten, denn diese schlief friedlich in 'ihrem' gemeinsamen Bett.
Nein, diese Geräusche stammten von einer Person, die er dachte, nie wiederzusehen.
Er wünschte sich, sie wiederzusehen, wusste es durfte nicht sein, doch ein klitzekleines Gefühl in ihm sehnte sich nach ihr.
Mühselig, doch mit einem plötzlichen Anflug von Vorfreude machte er sich auf den Weg zum Hauseingang - durch den Flur, vorbei an Dudleys verschmutzten Schuhen und Petunias fein säuberlich aufgehängtem Regenmantel - und öffnete die hölzerne Tür zaghaft.
Da stand sie; tränenverschmiert mit einem Ausdruck auf dem Gesicht, als hätte sie der Tod verfolgt.
Und wie sich herausstellte, sollte sich dies bewahrheiten.
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2. Mai 2013
,,Hallo, Vernon."
Mittlerweile saß er auf einem tiefen Mauervorsprung und lauschte den Worten von Nymphadora Tonks, einer Metamorphmagi - wie sie ihm vor einiger Zeit erklärte.
Sie faszinierte ihn; sie und ihre aufgeweckte Art und ihre magische Gabe.
Er konnte von sich behaupten, die Zauberei mögen zu lernen, wenn er in ihrer Nähe war.
,,Hallo, Dora."
Es gefiel ihm nicht, Nymphadora bei ihrem Nachnamen zu nennen, auch wenn sie das so wollte.
Ein Nachname konnte die Leidenschaft nicht ausdrücken, die er für die fröhliche, begabte Hexe empfand.
,,Ich freue mich, dich wiederzusehen", flüsterte sie in Vernons Halsbeuge, als er seine Arme um sie legte.
Mit ihr schien die Zeit viel schneller zu vergehen, denn die Minuten verstrichen wie Sekunden und Vernon wusste nie, wann der beste Zeitpunkt der Verabschiedung war.
Denn er hasste die Verabschiedungen von Nymphadora Tonks und auch, wenn es ihm nicht erlaubt war und er es seit all den Jahren und Geständnissen ihrerseits kein einziges Mal zugegeben hatte, mochte er die kleine Hexe mehr, als es das Wort mögen jemals ausdrücken könnte.
Nur zu gut erinnerte er sich an das erste Mal, als sie ihm unter bitterem Flehen seine Liebe gestanden hatte.
Sie war zu gut für ihn, denn eine Frau wie Dora verdiente Vernon nicht.
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2. Mai 1998
,,Ich hab versucht ihn zu retten, aber diese Schlange von Dolohow war schneller! Glaub mir Vernon, ich hab wirklich versucht ihn zu retten. Ich habe ihn doch geliebt", schluchzte Nymphadora Tonks, die nun ihre Tränen auf Vernons kariertes Hemd sickern ließ.
Es fühlte sich wie damals an, als die Hexe zum ersten Mal in seinem Haus im Ligusterweg aufgetaucht war, um Harry zu diesem Zaubererorden zu bringen.
An diesem Tag lernte er die nun vollkommen verzweifelte Hexe kennen und war - da er sie nach diesem Ereignis nie wieder gesehen hatte - nun völlig überfordert mit der Situation.
Sollte er auf sie einreden, dass alles wieder gut werden würde, obwohl er es nicht garantieren konnte?
,,Warum sollte ich dir das denn nicht glauben?", flüsterte er fürsorglich zurück und drückte ihr Gesicht zaghaft von seiner Brust.
Stillschweigend sah er in ihre feuchten Augen, die ihn verzweifelt musterten.
,,Weil ich seit Wochen nur an dich gedacht habe, Vernon."
,,Was?"
,,Seit dem Tag, an dem wir uns kennengelernt haben, drehen sich meine Gefühle nur um dich. Ich habe Remus geliebt, aber konnte nicht aufhören, an dich und deinen mürrischen Blick zu denken. Ich fühle mich so schuldig. Ich hätte ihm mehr beistehen müssen, für meinen Mann da sein müssen."
,,Du hast getan, wozu du im Stande warst. Mehr ging nicht."
,,Er war mein Mann und ich habe an dich gedacht, Vernon."
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2. Mai 2013
Jedes Jahr am 2. Mai stattete Dora ihm einen Besuch ab.
Jedes Jahr, seitdem sie ihren Mann verloren hatte.
Vernon war Zeuge, wie sie sich Jahr für Jahr veränderte, wieder glücklicher wurde und lächelte.
Für ihn - weil sie offen mit ihren Gefühlen umging; etwas, wozu Vernon nicht im Stande war.
Er hatte einen Sohn und eine ihn liebende Frau; wollte nicht einsehen, dass diese Liebe nur noch einseitig war.
,,Vernon?"
,,Dora?"
,,Wir sollten uns voneinander verabschieden."
,,Ich weiß."
,,Du weißt, was ich jetzt sagen werde?"
,,Ja, das weiß ich auch."
Er fürchtete den 2. Mai, an dem Dora realisierte, dass es keinen Sinn hatte, auf ihn zu warten; ihn aufgeben würde.
,,Ich kann das nicht mehr", flüsterte sie.
Er fürchtete jenen einen Moment, wollte am liebsten verschwinden; die Gefühle in seinem Inneren vernichten.
Fürchtete ihn und realisierte nicht, dass er dabei war, einzutreffen.
,,Ich sage dir das jetzt zum letzten Mal. Einmal und nie wieder.
Ich liebe dich, Vernon Dursley."
Vorsichtig ließ er Doras Hände aus seinen sinken und trat einen Schritt zurück.
Er liebte sie auch.
Doch er liebte auch seine Familie, tief in seinem Inneren sogar seinen Neffen; redete sich erneut ein, nichts mit der Zaubererwelt zu tun haben zu wollen, nur um den Abschied leichter zu machen.
Den Abschied für immer.
,,Nächstes Jahr werde ich nicht mehr hier sein."
,,Ich weiß, Dora."
Ihre eben noch leuchtend lilanen Haare verfärbten sich zu einem tristen, geschmacklosen grau, ehe die Hexe mit einer schwungvollen Drehung aus seinem Sichtfeld verschwand;
eine letzte Träne Bekanntschaft mit dem Boden machte;
ehe Vernon realisierte, seine Liebe gehen gelassen zu haben.
~
1221 Wörter
Dieser Oneshot fiel mir erstaunlich schwer, weshalb er auch nicht allzu lang geworden ist.
Ich hoffe trotzdem, dass er sich sehen lassen kann, obgleich Verdora ein ziemlich fragwürdiges Shipping ist 🙈
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