Versteckspiel
Kaum trete ich durch die Haustür, fühle ich mich, als hätte mir plötzlich jemand schalldämpfende Kopfhörer von den Ohren und eine getönte Brille von den Augen gerissen.
Die Musik wummert wie Energie durch meinen Körper und die Dunkelheit der Nacht vor dem Haus wurde durch das grelle Partylicht ersetzt.
Am liebsten würde ich sofort wieder von hier verschwinden, ich habe einfach genug für heute.
Doch draußen wartet nur Falcon auf mich, und dem will ich sicherlich nicht noch einmal in die Arme laufen.
Arschloch.
Also drehe ich mich kurzentschlossen in Richtung Treppe, die ins Obergeschoss führt.
Selbst auf die Gefahr hin, dort oben nur rummachende Partygäste vorzufinden, denen der Alkohol bereits jeglichen Funken Verstand zusammen mit allen Hemmungen geraubt hat.
Schlimmstenfalls - es würde mich bei diesem katastrophalen Abend echt nicht mehr wundern - laufe ich auch noch Lias und Linda über den Weg, während sie... nun, ganz sicher nicht dabei sind, Julio zu suchen.
Aber so entkomme ich vielleicht wenigstens dieser ohrenbetäubenden Musik.
Mittlerweile sind schon die Schlager an der Reihe.
Da so gut wie niemand mehr nüchtern ist und diese typischen Schlager - "Atemlos" und Co. - ja doch irgendwie jeder kennt, kommt dadurch eine mega Stimmung auf. Das ganze Haus tobt gerade zu "Herzbeben".
Ich verdrehe die Augen und quetsche mich durch die Menschenmenge. Versuche, dem Typen, der mir "Ich will schweben, dir entgegen" ins Ohr brüllt, auszuweichen und einfach nur ganz schnell wegzukommen.
Als mich jemand am Arm packt und nach links zieht, verziehe ich verärgert das Gesicht und mache mich schon mal bereit, dem potentiellen Helene Fischer Imitator meinen Arm zu entreißen und gehörig die Meinung zu geigen, als mir plötzlich eine Hand auf den Mund gelegt wird.
"Soso, Kleine. Wegen dir also verliere ich nun meine Yamaha."
Der Mann, der meinen Arm immer noch unangenehm fest hält, sieht mich mit einem grimmigen Gesichtsausdruck an.
Owie.
Das muss Owie sein.
Der Typ, der Falcon nun ein Jahr lang sein Motorrad leihen muss.
Ich ziehe eine Augenbraue nach oben und sehe ihn abwartend an.
Owie öffnet leicht den Mund, wie um etwas zu sagen, und mir schlägt sofort eine gewaltige Alkoholfahne ins Gesicht.
Abschätzig verziehe ich den Mund und versuche, mich loszumachen.
"Na na na, nicht so schnell, Kleine. Wenn ich schon mein Bike abtreten muss, meinst du nicht, ich verdiene dann wenigstens einen kleinen... Ausgleich?"
Auf Owies Gesicht macht sich ein dreckiges Grinsen breit.
"Lass mich los! Es ist nicht mein Problem, wenn du dein Motorrad verwettest!"
"Oh doch, Liebes. Jetzt ist es das."
Sein dunkler Blick veranlasst mich dazu, mich umzusehen.
Nach meinen Brüdern. Irgendjemanden, den ich kenne. Linda.
Meinetwegen auch Linda.
Scheißegal, hauptsache jemand macht diesem Volldepp vor mir mal klar, dass er mich jetzt gefälligst in Ruhe lassen soll.
Vielleicht hätte ich doch lieber draußen bleiben sollen.
Falcon hin oder her.
"Falc hat gesagt, dass dieser letzte Kuss sich echt gelohnt hat.
Was meinst du, Kleine, zeigst du mir auch mal, was du drauf hast?"
"Vergiss es! Lass mich los!"
Ich ziehe an meinem linken Arm, doch sein Griff macht dem eines Schraubstocks Konkurrenz.
Dann eben anders.
Ich hebe meine rechte Hand, balle sie zur Faust und ramme Owie diese ins Gesicht.
Ein Grinsen macht sich um meine Mundwinkel breit.
Dank an meinen Vater und meine zwei Brüder - die Wölfe in ihnen waren schon immer auf Kämpfe aus, wenn auch nur spielerisch.
Irgendwie musste ich lernen, mich zu wehren.
Owie lässt reflexartig meinen Arm los und ich nehme einfach nur meine Beine in die Hand.
Hinter mir höre ich sogar über die Musik hinweg, die mittlerweile auf "Ti Amo" umgeschwenkt ist, ein lautes Fluchen.
Hastig quetsche ich mich durch die Menschen.
Meinen ursprünglichen Plan, im oberen Stockwerk zu verschwinden, verwerfe ich.
Owie würde mich dort viel zu leicht finden.
Dann muss ich wohl doch bei Helene Fischer und Konsorten bleiben, um irgendwie in der Menge unterzutauchen.
Ein kurzer Blick über die Schulter zeigt mir, dass Owie sich suchend nach mir umsieht.
Mein Herz schlägt augenblicklich schneller.
Wohin soll ich nur?
Wild sehe ich mich um, als mir die Garderobe ins Auge sticht.
Ich renne zu den Jacken und Mänteln und versuche, mir durch sie hindurch einen Weg ins Innere des Kleiderchaos frei zu kämpfen.
Währenddessen huscht mein Blick immer wieder in die Menschenmenge, zu Owie, der mir irgendwie immer näher kommt, obwohl er mich, seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, noch nicht mal entdeckt hat.
"Hey! Da bist du!"
Ich fahre zusammen.
Owie!
Mein Kopf schießt herum und mich überkommt fast so etwas wie Erleichterung, als ich sehe, dass es Falcon ist, der hinter mir steht.
Doch an ihm vorbei sehe ich Owie, der im Begriff ist, uns zu entdecken. Wenn er noch näher kommt, besteht gar keine andere Möglichkeit, als dass er mich bemerkt.
"Mann, ich-"
Ehe Falcon es noch fertig bringt, Owie auf mich aufmerksam zu machen, habe ich es endlich geschafft, eine Lücke zwischen all den Jacken zu finden und zwänge mich hindurch.
Und notgedrungen packe ich Falcon am Arm, um ihn mit mir zu ziehen.
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