Muttergefühle

Ehe sich Falcon mir jedoch erklären kann, nehme ich ein leises, jämmerliches Jaulen wahr.
Ich vernehme es klar und deutlich, als wäre es nur wenige Meter entfernt. Meine Wolfssinne.

Mein Kopf schnellt herum.
"Was war das?"

Als ich Falcons betretenen Blick sehe, fixieren meine Augen ihn sofort.
"Falcon?"

"Ich bin nicht wegen dir hier, Nera. Ich bin vor ein paar Tagen mit dem Hund meiner Nachbarn hier im Wald spazieren gegangen, und plötzlich lag dieser Wolf vor mir.
Ein Welpe, noch ganz jung. Er sah abgemagert, vollkommen hilflos und ängstlich aus. Duff, der Hund meiner Nachbarn ist ziemlich ausgerastet, ich konnte ihn nur mit Müh und Not davon abhalten, auf den kleinen loszustürmen. Ich weiß auch nicht, manchmal spielt er vollkommen verrückt. Ich konnte nicht anders, als ihn erst einmal nach Hause zu bringen, bevor ich mich dem Welpen zuwenden konnte.
Als ich wieder im Wald angekommen bin, war der Wolf weg.
Seitdem bin ich auf der Suche nach ihm. Täglich, Nachmittags.
Das muss er sein!"

Falcon dreht sich um die eigene Achse, horcht, und schüttelt dann resigniert den Kopf.

"Es könnte von überall gekommen sein! So weit weg, wie das noch geklungen hat..."

Ich nehme seine Worte nur am Rande wahr. In mir geht gerade irgendetwas vor sich. Falcons Geschichte hat etwas in mir bewegt.

Erneut erklingt das Jaulen. Verzweifelt und hoffnungslos.
Ich schließe die Augen und versuche, mich darauf zu konzentrieren, wo es herkommt.

Während ich da stehe und lausche, fühlt es sich an, als würde es in meiner Brust anfangen zu brodeln. Als würde sich in meinem Körper etwas zusammenbrauen, das darauf drängt, herausgelassen zu werden. Unbewusst presse ich meine Hand auf die Brust, im Versuch, den Druck irgendwie zu lösen. Ich habe Angst.

Als mir ein heißeres Keuchen entweicht, nehme ich entfernt Falcons Hand auf meiner Schulter wahr. Irgendwelche Worte, die sich für mich seltsam verzerrt und zusammenhanglos anhören.
Was ist das? Was passiert hier mit mir?

Und dann vernehme ich plötzlich ein durchdringendes Heulen. Es geht mir durch Mark und Bein, lässt mich innerlich erzittern.
Erst als ich merke, dass der Druck in meiner Brust nachgelassen hat, begreife ich, dass ich den Laut ausgestoßen habe.

Die Reaktion kommt sofort.
Ein zartes, schwächliches Heulen, in dem plötzlich jedoch eine neue Hoffnung mitschwingt.

Erneut öffnen sich meine Lippen, und beinahe automatisch lege ich den Kopf in den Nacken, um dem Welpen zu antworten.
Keine Angst, mein Kleiner. Gleich bin ich bei dir.

Ich reiße meine Augen auf, weiß plötzlich ohne jede Zweifel, wo das Jaulen herkommt.
Vollkommen automatisch lasse ich mich auf alle Viere fallen, und hechte nach Vorne.

Neben mir höre ich ein erschrockenes Keuchen, dann einen leisen Aufschrei.

Aber darüber Nachdenken kann ich gerade nicht. Auch wenn Falcon nur vor wenigen Minuten, und ja, auch die Stunden und Tage davor, fast der einzige Inhalt meiner Gedankenwelt, Träume und Vorstellungen war - das Gefühl, das mich gerade beherrscht, ist noch einmal etwas ganz anderes.

Ich muss zu meinem Baby.
Ich muss es beschützen.
Es braucht mich.

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