3 | Aufgewacht (A)

Es war bereits nach Mitternacht, als Aria und Julien sich mit dem Baby auf dem Arm in die Wohnung des Doktors, ein paar Stockwerke weiter oben im Gebäude, aufmachten. Immer wieder war die kleine Elsie aufgewacht und hatte etwas Milch aus der Flasche bekommen, die Eli besorgt hatte. Als sie schließlich tief und fest zu schlafen schien und auch Aria und der Doktor müde wurden, beschlossen sie, die Praxis zu verlassen.

Oben, in der komfortablen Wohnung, legten sie Elsie in das große Bett und bauten mit Decken ein Nestchen für sie. Plötzlich nahm Aria den Doktor bei der Hand und führte ihn leise aus dem Zimmer. „Bevor ich offiziell hier einziehe, können wir bitte einmal unseren Status klären?", fragte sie flüsternd und mit einem fast schon verschmitzten Grinsen. Julien war mit der Frage ein wenig überfordert, und antwortete nur mit einem unsicheren „Okay".

Aria hatte damit gerechnet, dass der Doktor nicht sofort mit seinen Gefühlen herauskommen würde, darum sagte sie zuerst, was ihr seit ein paar Stunden auf dem Herzen lag: „Nun, da wir quasi Pflegeeltern sind, würde ich mich gerne als deine Partnerin mit dir um Elsie kümmern. Und ich meine das nicht beruflich, Julien. Sondern als Frau. Als deine Frau. Ich weiß, wir haben nie darüber gesprochen, aber ich habe dich gern und ich schätze dich und deine Arbeit. Wenn ich mich mit jemandem um ein Kind kümmern muss, dann nur mit dir. Kannst du dir das vorstellen?"

Julien dachte zuerst, dass er sich verhört hatte. Doch Aria war es ernst. Sie hatten nun die Verantwortung für ein Lebewesen übernommen. Auch wenn es nur übergangsweise war, so hatten sich beide doch schnell wie Elsies Pflegeeltern gefühlt. Und nur zusammen würden sie sich um das Baby kümmern können. Und auch hier hatte Aria recht: Mit ihr an seiner Seite wäre es sichtlich noch schöner.

„Das kann ich mir tatsächlich sehr gut vorstellen, Aria", antwortete er mit einem Nicken. „Ich schätze dich und deine Arbeit auch sehr und sehe so viel Liebe in dir, bei allem, was du tust." Julien zögerte kurz. Doch dann nahm er seinen ganzen Mut für den nächsten Satz zusammen: „Und ich wünsche mir schon lange, dass du auch für meine Wenigkeit ein wenig deiner Liebe übrig hast."

Aria lächelte. „Das habe ich, Julien", antwortete sie sanft und legte eine Hand auf seine Wange. Ein leises Seufzen entfuhr dem Doktor und er schmiegte seinen Kopf an die Finger der schönen Frau vor sich. „Mehr als ein wenig", flüsterte sie plötzlich und bedachte ihn mit einem liebevollen Blick.

„Das geht mir genauso", gab Julien erleichtert zurück und küsste zärtlich Arias weichen Handballen. In dieser Nacht brauchten sie nicht viel mehr Worte, um sich ihre Gefühle füreinander klarzumachen. Und am nächsten Morgen wachten sie zu dritt in Juliens Bett auf. Elsie lag dabei in der Mitte zwischen ihnen und hatte die ganze Nacht durchgeschlafen.

Den Morgen verbrachte Julien wie in Trance. Er sagte für eine Woche sämtliche Termine ab, um sich komplett um Elsie zu kümmern und die Zeit zu nutzen, um auch Aria noch besser kennen zu lernen. Die junge Frau brauchte nur wenige Stunden, um sein ganzes Leben komplett auf den Kopf zu stellen. Ihre Fröhlichkeit, besonders wenn sie das Baby an sich schmiegte, füllte die sonst so sterile Wohnung endlich mit Leben. Ihr Lachen brachte auch ihn immer wieder zum Lächeln und ihre Gespräche zwischen dem Alltäglichen bekamen eine Tiefe, als ob sie ihr ganzes Leben darauf gewartet hätten, endlich offen miteinander sprechen zu können.

Aria erzählte Julien beim Frühstück detailliert von den ersten Jahren bei der Pflegefamilie und wie sie mit achtzehn mit Eli zusammenzogen war. Sie redeten über ihre Ausbildung als Ärztin und über ihre aufkommenden Zweifel am System. Sie veriet, wie sie nach einer Vorlesung die ehemalige Juristin Thalia kennengelernt hatte und wie diese sie schnell in ihren Bann gezogen hatte. Wie sie im Untergrund schließlich Nova wiedertraf, mit der sie schon in der Schule befreundet gewesen war. Und dass Eli ihr eines Tages offenbarte, dass auch er Zweifel an den Strukturen der Security Agenten hatte. Gemeinsam organisierten sie sich heimlich im Untergrund und nahmen fortan ihre Doppelrolle ein. So wurde aus Aria schließlich ein Shadow Soldier.

Während sie sich um Elsie kümmerten, erzählte Julien Aria auch seinen Teil der Geschichte: Von der anfänglichen Euphorie, als er zum Arzt für die Oberschicht berufen wurde und der einsetzenden Ernüchterung, die er danach über Jahre verspürt hatte. Er erzählte ihr von der Zeit, als er im Krankenhaus arbeitete und wie er schließlich den Entschluss fasste, eine Praxis für die weniger privilegierten Einwohner der Stadt zu eröffnen. Als er zu der Stelle der Geschichte kam, als er, auf der Suche nach einer Assistentin, Aria wiedergefunden hatte, hakte Aria ein.

„Warum hast du es mir nicht gesagt?", stellte sie Julien ihre Frage. Sie hatte Elsie gerade wieder hingelegt, nachdem sie ein ganzes Fläschchen Milch geleert hatte und saß nun, nur in einem Shirt von Julien, die langen Beine angezogen und von einer Decke verborgen, auf dem gemütlichen Sofa im Wohnraum. Ihr Outfit vom Vortag hing sauber und feucht auf einem Kleiderbügel im Badezimmer.

„Ich hatte Angst, dass du denken könntest, dass ich dich nur auswähle, weil wir uns von früher kennen", antwortete Julien ehrlich und setzte sich zu ihr. Zwei dampfende Teetassen stellte er vor ihnen auf dem Couchtisch ab. „Du solltest nicht dem Eindruck erliegen, dass die Sympathie zu dir über deinen Fähigkeiten als Ärztin steht. Ich wollte dich aus beiden Gründen bei mir haben."

„Ich hätte es nicht komisch gefunden. Ich weiß, dass ich eine gute Ärztin bin." Arias Offenheit imponierte Julien und er nahm ihre Hand. Sie würde die ganze Wahrheit ertragen, da war er sich sicher. „Vielleicht lag es auch daran, dass ich nicht über deine Eltern reden wollte", gab Julien unerwartet zu. Aria wurde hellhörig. „Ich habe deine Eltern sehr gern gehabt, Aria. Sie waren wunderbare Menschen. Und der Umstand, dass ich sie nicht habe retten können, belastet mich sehr. Ich wollte damals nicht mit dir darüber reden, wie du hergekommen bist, weil ich dann auch die Frage hätte beantworten müssen, warum deine Eltern nicht hier sind, sehr wohl aber ich. Warum konnte ich sie nicht retten? Warum habe ich mich gerettet? Und warum dich? Ich habe mich schlecht gefühlt und schuldig. Und damals wollte ich mich dem noch nicht stellen."

Julien fürchtete sich vor der möglichen Reaktion, die nun folgen könnte. Doch zu seiner Überraschung verurteilte Aria ihn nicht. Im Gegenteil, sie konnte seine Bedenken kaum verstehen. „Aber du hast mich und Eli gerettet!" sagte sie ernst. „Das ist mehr, als andere getan haben! Schau dir die Oberschicht von Nightvale an! Wie viele von ihnen haben das getan, was du getan hast? Ich würde dir nie vorwerfen, etwas nicht getan zu haben! Und ich danke dir, dass du uns drei hierhergebracht hast. So können wir vielleicht auch andere Leben retten. Wir können Elsie retten! Ohne dich wäre das nicht möglich gewesen!"

Aria drückte fest die Hand des Doktors und lächelte. „Du scheinst nicht zu erkennen, wie wertvoll dein Leben ist und wie viele Menschen du bereits gerettet hast!" Julien senkte verlegen den Blick, als seine Herzensdame ihm so viel Aufmerksamkeit schenkte. „Hey!" Plötzlich stand Aria auf, und die Decke, die eben noch ihre Beine bedeckt hatte, rutschte zu Boden. Der Doktor hob langsam den Blick, der von Arias nackten Beinen bis zu dem Ansatz seines Shirts wanderte, das nur knapp den Rest ihres Körpers bedeckte.

„Ich weiß, du möchtest nicht, dass ich dir dankbar bin", sagte sie und wartete, bis Juliens Blick ihren Augen begegnete. Mit einem Grinsen ließ sie sich auf den Schoß des älteren Mannes sinken. „Aber dennoch möchte ich dir sagen, dass ich mein Leben sehr schätze und hoffe, es endlich mit dir genießen zu können."

Julien spürte, wie die Hitze in ihm aufstieg, als er seine Hände um die Hüften der jungen Ärztin legte und sie ihre Finger in seinen Haare vergrub. „Was denkst du, wie lange wird Elsie noch schlafen?", fragte sie, während er unbewusst über seine Lippen leckte. Die Zuneigung von Aria, nach der er sich schon so lange gesehnt hatte, schien ihm fast überwältigend. Doch er konnte die Leidenschaft in ihren Worten und Bewegungen spüren und wollte ihr zeigen, dass er sie genauso begehrte, wie sie ihn.

„Sie wird sicherlich noch eine Weile schlafen", raunte er und zog seine Partnerin enger an sich. Ihre pink gefärbten Haare kitzelten ihn leicht, als sie sich zu ihm beugte und sanft begann, ihn zu küssen. Julien fühlte, wie sein Herz vor Glück fast explodierte, als er ihre warmen Lippen auf seinen spürte und ihre zarte Haut unter seinen Fingern. Alles fühlte sich so richtig an, so vollkommen, so lebendig.
Seit einer Ewigkeit hatte er endlich das Gefühl, angekommen zu sein. In einer Welt, die nicht mehr seine eigene gewesen war, und nun vielleicht doch zu einer werden konnte, in der er sich nach über dreißig Jahren endlich zu Hause fühlte.

🌍

Ich hadere noch mit der Nacherzählung der letzten Jahre der beiden. Meine Idee wäre, im ersten Buch bereits je ein Kapitel einzufügen, in dem es eine Szene gibt, die in der Rückblende eine Situation detailliert nacherzählt. Diese Erzählform nutze ich in dem zweiten Teil stärker.

Ich dachte an die Szene, wie Aria Thalia in der Lehranstalt kennenlernt. Und wie sie Aria mit ihrem Gerechtigkeitssinn begeistert.

Und vielleicht wie der Doktor auf einer feinen Party eingeladen ist, erst alles genießt und dann feststellt, dass die Kluft zwischen Arm und Reich immer größer wird. Das würde auch seine Motivation unterstreichen. Auch das gehört meiner Meinung nach in Teil eins.

Was meint ihr?

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