4 | Erste Zweifel
Ich aktiviere AIRA und halte meinen Transponder an unsere Haustür. Ein Klicken, und ich schlüpfe hinein. Nach meiner Offenbarung bin ich überstürzt aus dem Restaurant geflohen – ich konnte es dort nicht mehr aushalten. Ich brauche Antworten.
„Warum wurde ich nicht mit Sue gematcht?", frage ich in mein Zimmer hinein. „Ich bin sicher, wir hätten zusammengepasst." Meine Stimme klingt brüchig. Erschöpft lasse ich mich aufs Bett sinken.
„Eure Übereinstimmung war hoch", bestätigt AIRA. „Doch ihre Kompatibilität mit Day war stärker. Die größere genetische Variabilität erhöht die Wahrscheinlichkeit für gesunde Nachkommen."
„Unsinn", murmele ich. Doch tief in mir weiß ich, dass es natürlich Sinn ergibt. Unsere kleine Population muss genetische Vielfalt bewahren. Außerdem haben Day und Sue beide Blutgruppe 0 negativ – eine ideale Kombination. Ich dagegen bin A positiv.
„Zudem war deine emotionale Reaktion auf Sue im Matching-Test nicht ausreichend", fügt AIRA hinzu.
Mein Puls beschleunigt sich. „Nicht ausreichend?" Ich setze mich auf. „Ich zeig dir gleich mal eine ausreichend emotionale Reaktion!" Ich schnappe ein Kissen und werfe es gegen die Tür.
„Ich registriere erhöhten Stress", bemerkt AIRA trocken. „Ich werde deine Hormone anpassen."
„Ich brauche deine Hormone nicht", knurre ich. „Ich will einfach nur wütend sein. Ist das zu viel verlangt?"
Die Wut klingt fast trotzig. Vielleicht ist es an der Zeit, alles rauszulassen.
„Kann ich dir vielleicht mit einem Witz zu besserer Laune verhelfen?" Die hat wirklich Nerven!
„Jetzt nicht, AIRA. Ausschalten!", brülle ich.
Die rote Lampe über der Tür beginnt zu leuchten. Ich bin allein.
Stöhnend sinke ich zurück in die Kissen. Dieser Tag lief völlig anders als geplant. Ich werde kein Botaniker unter der Kuppel, heirate nicht Sue und muss mich mit diesem beklemmenden Gefühl in meiner Brust herumschlagen. Ich schlucke, versuche, es loszuwerden – vergeblich.
Tränen brennen in meinen Augen, und ich wische sie hastig weg, aber es bringt nichts. Sie lösen sich langsam aus meinen Augenhöhlen, rinnen über meine heißen Wangen und hinterlassen einen nassen Film auf meiner erhitzten Haut. Ich balle die Hände zu Fäusten, presse die Lippen zusammen – vergeblich. Die Enttäuschung sitzt zu tief.
Schöne Scheiße!
Eine Weile starre ich zur Decke. Die Stille beruhigt mich langsam. Schließlich aktiviere ich AIRA erneut. Ich habe noch so viele Fragen und weiß nicht, wem ich sie sonst stellen soll.
„Wer hat entschieden, dass ich als Botaniker außerhalb der Kuppel arbeiten muss?", fragte ich ruhig.
„Das Komitee für Ressourcenmanagement in Zusammenarbeit mit dem Berufszuteilungsausschuss", erklärt AIRA. „Die Entscheidung basiert auf deinen genetischen Voraussetzungen, Testergebnissen und der Nachfrage nach Fachkräften."
Eine kurze Pause, dann fährt sie fort: „Deine außergewöhnlichen Kenntnisse in Botanik und deine Anpassungsfähigkeit prädestinieren dich für den Einsatz außerhalb der Kuppel."
„Aber ich war für die Technik vorgesehen", entgegne ich. „Erst, als ich erfahren habe, dass ich ohne Match bleibe, hat die Ärztin ein neues Ergebnis erhalten. Wieso?"
„Nach deiner Evaluierung wurde eine erweiterte Analyse durchgeführt. Neue Daten führten zu einer präziseren Zuweisung."
„Und mein Match-Ergebnis hatte keinen Einfluss?"
„Nein. Deine Zuteilung basiert auf objektiven Kriterien."
Irgendwie kann ich der Stimme nicht so recht glauben. „Welche objektiven Kriterien sollen es sonst gewesen sein, wenn nicht, dass ich keine Kinder zeugen werde?" Erneut spüre ich Wut in mir aufsteigen.
„Deine Testergebnisse zeigen eine hohe Problemlösungskompetenz und Resilienz – essenzielle Eigenschaften für deine neue Aufgabe."
Eine kurze Pause folgt, dann fügt sie hinzu: „Fortpflanzungsfähigkeit ist ein Faktor in der gesellschaftlichen Planung, aber nicht der ausschlaggebende Grund für deine Zuweisung. Deine Talente werden dort benötigt, wo sie den größten Nutzen bringen."
„Bullshit!", zische ich ungehalten und ernte eine sofortige Reaktion auf meinen ungewohnten Gefühlsausbruch.
„Deine Emotionen beeinflussen deine Wahrnehmung der Situation", erklärt AIRA mit unerschütterlicher Sachlichkeit. Ihre Geduld möchte ich haben. „Mein Ziel ist es, dir objektive Informationen bereitzustellen. Möchtest du eine detaillierte Analyse deiner Eignungsbewertung einsehen?"
Das geht? Jetzt bin ich neugierig. „AIRA, gib mir die detaillierte Analyse!"
„Natürlich. Ich werde dir die wichtigsten Punkte zusammenfassen."
Einen Moment lang bleibt es still. Dann beginnt AIRA mit ihrer Auswertung – und es klingt fast, als würde sie mich loben. Sie hebt meine Qualifikationen hervor, betont meine Stärken und spricht von „Effizienzsteigerung" und „optimaler Ressourcennutzung". Das alles wirkt fast zu glatt, zu perfekt.
Am Ende bleibt ein nagendes Gefühl in mir. Ich sollte mich geschmeichelt fühlen, doch stattdessen bin ich nur noch skeptischer.
„Wann war die finale Evaluierung?", frage ich. „Der Test war vor der ärztlichen Untersuchung abgeschlossen."
„Die abschließende Analyse erfolgte unmittelbar nach der Untersuchung", antwortet AIRA.
„Also hatte mein Match-Test doch Einfluss?"
„Dein Match-Ergebnis war nicht der ausschlaggebende Faktor."
„Aber es war ein Faktor", hake ich nach.
Einen Moment bleibt AIRA still. Dann antwortet sie mit ihrer typischen Neutralität:„Die Korrelation zwischen biologischer Reproduktionsfähigkeit und gesellschaftlichem Nutzen wird in der Evaluierung berücksichtigt. Dein finales Einsatzgebiet wurde auf Grundlage sämtlicher objektiver Kriterien bestimmt."
Ich atme aus. Für mich fühlt es sich so gar nicht nach Objektivität an. „AIRA, warum habe ich so viele Stellenwertpunkte für die Zusage der Aufgabe bekommen? Mehr als alle anderen?"
„Deine Punkte basieren auf Testergebnissen, psychologischer Widerstandskraft und Anpassungsfähigkeit. Deine naturwissenschaftlichen Kompetenzen wurden überdurchschnittlich bewertet."
Ich presse die Lippen aufeinander. Das klingt alles sehr logisch – und trotzdem fühlt es sich nicht richtig an. Eher nach einer Art Schweigegeld.
„Und doch habe ich mehr Punkte als alle anderen, obwohl meine ursprüngliche Berufung Technik war. Warum?"
„Deine Neuzuweisung wurde als gesellschaftlich besonders wertvoll eingestuft. Daher wurde sie entsprechend honoriert."
Ein eiskaltes Gefühl breitet sich in meiner Brust aus. „Besonders wertvoll? Wieso?"
„Aufgrund der Relevanz der Aufgabe und der Dringlichkeit des Bedarfs an qualifizierten Fachkräften in diesem Bereich."
Ich schlucke. Das könnte bedeuten, dass es dort draußen gefährlicher ist, als sie es uns sagen. „Wie viele Menschen sind zur Zeit da draußen? Ist es irgendwie... gefährlich?"
„Zurzeit befinden sich 173 registrierte Personen außerhalb der Kuppel", antwortet AIRA. „Davon sind 112 in botanischen und landwirtschaftlichen Projekten tätig, 46 in geologischen und klimatischen Untersuchungen, und 15 in weiteren spezialisierten Aufgabenfeldern."
„Und... wie viele sind in den letzten fünf Jahren zurückgekehrt?"
Eine kurze Pause. „Fünf."
Mein Magen zieht sich zusammen.
„Und der Rest?"
„Ist noch da draußen."
„Werde ich irgendwann zurückkehren?"
„Dazu liegen keine eindeutigen Daten vor."
Mein Puls rast. Ich versuche, ruhig zu bleiben.
„Ist es gefährlich da draußen?", wiederhole ich.
„Die Umweltbedingungen außerhalb der Kuppel sind herausfordernd. Extreme Wetterverhältnisse, instabile Böden, potenziell unbekannte biologische Risiken. Schutzmaßnahmen minimieren das Risiko."
„Minimieren – aber nicht verhindern."
„Korrekt."
„Und wenn ich nicht gehe?" Kurz bereue ich, dass ich gefragt habe. Will ich die Antwort wirklich wissen?
„Eine Verweigerung führt zu einer Reevaluierung. Dies kann zu einer alternativen Zuweisung führen – oder zu einem Verlust von Privilegien und einer Herabstufung."
Mir wird eiskalt. „Herabstufung? Ich verliere meinen Stellenwert?"
„Meine Sensoren erfassen erhöhten Blutdruck und Stresshormone. Zur Beruhigung werde ich den Wasserkocher aktivieren. Unser Gespräch setzen wir später fort." Die rote Lampe über der Tür leuchtet.
„Im Ernst?", rufe ich. „Du beendest einfach unser Gespräch?"
Keine Antwort.
„Sehr erwachsen", murmele ich und lasse mich frustriert nach hinten fallen.
Privilegienverlust!
Der bloße Gedanke jagt mir einen Schauer über den Rücken. Ich seufze, schließe die Augen. Irgendwie befürchte ich langsam, dass es in dieser Sache keinen Ausweg für mich gibt...
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