15 | Abhörsicher

„Wie kann ich Ihnen helfen, Mr. Darkwood?", fragte Eli angespannt. Die plötzlich vertraute Stimme seiner neuen Bekanntschaft, die aus dem Lautsprecher gekommen war, als der Arzt die Spritze ansetzen wollte, ließ für einen Moment Hoffnung in ihm aufkeimen. Doch zugleich plagte ihn die Angst, dass Darkwood möglicherweise nicht daran interessiert war, ihn zu retten, sondern womöglich doch auf der Seite der Neons stand.

Sander jedoch schien erleichtert zu sein, dass Eli in Sicherheit war, und atmete laut aus. „Du kannst frei sprechen. Dieser Raum ist abhörsicher."

„Kameras?", fragte Eli vorsichtshalber und seine Augen suchten den Raum nach möglichen Überwachungsgeräten ab. Trotz der vermeintlichen Sicherheit des abhörsicheren Raums konnte er nicht umhin, das Gefühl zu haben, dass sie möglicherweise beobachtet wurden.

„Keine," versicherte Sander bestimmt, doch sein Blick glitt kurz zu den Wänden, als ob er sich selbst vergewissern wollte, bevor er sich wieder Eli zuwandte. Dieser schritt befreit auf den älteren Mann zu, seine Fassade der Selbstbeherrschung bröckelte und er ließ seinen Kopf an Sanders Brust sinken.

„Ich habe kurz gedacht, das war's jetzt", verriet er, seine Stimme gefangen zwischen Erleichterung und Angst. Sander war kurz überfordert, von der plötzlichen Nähe, doch dann schlang er seine Arme um seinen Sec und drückte ihn an sich.

„Keine Angst, ich werde dich beschützen", versprach er mit fester Stimme, auch wenn er noch nicht wusste, wie er das anstellen sollte. „Zuallererst müssen wir dich in Sicherheit bringen und uns eine gute Ausrede einfallen lassen."

„Erzählst du mir, was in den Spritzen ist?", fragte Eli hoffnungsvoll, während er seine Augen auf Darkwood richtete. Der ältere Mann schien kurz mit sich zu ringen, nickte dann aber erkennbar.

„Noch heute Abend, wenn du willst." Zuversicht lag in seiner Stimme, und Eli spürte eine Woge der Erleichterung über sich hereinbrechen. Wenn er endlich wusste, um was es ging, konnte er auch endlich anfangen, sich um eine Lösung zu kümmern.

„Heute Abend klingt großartig", grinste er nun etwas entspannter. Nicht nur, dass er bald die Wahrheit erfahren würde, Sander hatte ihn auch ein Stück weit in seine Welt gelassen und war anscheinend bereit, ihn noch näher an sich heranzulassen.

„Hat dir mein Kaffee geschmeckt?", lenkte Sander das Gespräch in eine andere Richtung, um die Atmosphäre aufzulockern und Eli abzulenken. Eli entging nicht, dass Sander bemüht war, eine gewisse Normalität in diese Situation zu bringen.

„Er hat mir gutgetan. Und die Dusche auch!", grinste Eli scherzhaft. Sander brummte zufrieden, als er sich vorstellte, Eli nackt unter seiner Dusche zu sehen. Dann versuchte er, sich neu zu fokussieren.

„Wenn deine Chefin dich fragt, was ich von dir wollte, sagst du einfach, dass es sich um eine geheime Aktion gehandelt hat, über die du nicht sprechen darfst."

„Wahrscheinlich ist das nicht einmal gelogen", mutmaßte Eli, als er sich umsah. Der Raum war fensterlos und mit einer auf Aerogel basierenden Schalldämmung versehen, die sich durch ihre äußerst niedrige Dichte und ihre extrem poröse Struktur als ausgezeichneter Schalldämmstoff erwies. Sie bestand aus einem Netzwerk von Nanoporen, das Schallwellen äußerst effektiv abschwächte und blockierte. Eli hatte diese Technik bereits in verschiedenen Räumen hier in Nightvale bewundert. Laut Lavender war sogar die komplette oberste Etage des Nexon Towers mit diesem Material ausgestattet, um Nexor höchste Geheimhaltung zu gewährleisten.

„Dieser Raum", begann Eli und warf dann einen prüfenden Blick zu Sander. „Wofür wird er normalerweise genutzt?"

Sander spürte Elisas Skepsis und zögerte einen Moment, bevor er antwortete. „Nicht jetzt und hier, Eli. Ich werde dir alles heute Abend erzählen." Er warf einen flüchtigen Blick auf sein Armband, und Eli konnte die Anspannung in seiner Stimme spüren. „Du musst jetzt gehen, bevor sie dich vermissen. Und denk dran: Du darfst nichts sagen!"

„Ich kann Geheimnisse gut für mich behalten", zwinkerte Eli und griff dann nach der Türklinke. Im Flur traf er tatsächlich auf seine Kollegen.

„Stone! Was wollte Darkwood von dir?", fragte Lavender sofort, und Eli spürte ihren fordernden Blick auf sich ruhen. Bevor er jedoch antworten konnte, trat Darkwood aus dem Raum und sofort verstummte das Gemurmel der Kollegen. Darkwoods Ruf und seine Autorität verfehlten ihre Wirkung nicht. Er richtete sich bedrohlich auf und sah seine Chefin über die Schulter hinweg ernst an.

„Ich habe ihm verboten, darüber zu sprechen." Sanders Stimme klang tief und bestimmt. Instinktiv senkte Eli den Kopf, als ihm ein angenehm kalter Schauer über den Rücken lief. „Agent Stone muss absolutes Stillschweigen bewahren. Wenn es an der Zeit ist, werden sie es erfahren!" Mit diesen Worten drehte er sich um und ging in entgegengesetzter Richtung des Ganges davon. Seine einschüchternde Rede war wie eine Warnung. Denn niemand fragte Eli mehr nach dem Grund für die Unterbrechung. Und Eli war froh, der Spritze entkommen zu sein.

Während Eli und seine Kollegen den Fahrstuhl hinunter zur Straße fuhren, klang das gleichmäßige Wummern des Aufzuges wie das lebendige Pochen eines aufgeregten Tieres, das sich mit ihnen auf den Untergrund zubewegte. Das Geräusch schien eine pulsierende Energie zu haben, die sich durch die Luft bewegte und die Passagiere mit einer unheimlichen Intensität erfüllte.

Selbst nach dem Anhalten des Aufzuges drang das dumpfe Klangtier weiter vor, als ob es sich durch die metallenen Röhren der Abwasseranlage zwängte, über Gestänge und Treppenläufe raunte und dabei seine Präsenz in der Dunkelheit der Stadt verkündete. Es schien sich regelrecht durch die Schatten zu schlängeln, um schließlich in den flackernden Neonröhren des Raumes wieder aufzutauchen, in dem Dr. Noir verzweifelt versuchte, Arias Frage zu beantworten.

„Aria, ich wollte nicht, dass du es so erfährst", murmelte Julien in das Brummen der Lichter an der Decke. Sein Blick wirkte schuldbewusst. Er hätte ihr schon früher sagen sollen, dass er sie wiedererkannt hatte, das war ihm nun klar. Würde sie nun sehr wütend auf ihn sein?

„Was soll das heißen?", fragte Aria betroffen. War Julien etwa über den Zustand der Familien in den Shadows im Bilde? „Willst du mir damit sagen, dass du es die ganze Zeit gewusst hast?", fragte sie entsetzt.

Julien atmete schwer aus und nickte dann. „Ich wollte nicht, dass das zu einem Problem zwischen uns führt."

Aria fühlte sich wie in einem reißenden Strom aus Verwirrung und Aufregung gefangen. Hatte ihr Doktor womöglich etwas mit dieser Sache zu tun? Und warum hatte er nicht mit ihr darüber gesprochen? War er etwa gar nicht auf ihrer Seite? War es ein Fehler, ihn herzubringen? Diese Fragen drängten auf sie ein wie eine Flutwelle, die sie in die Tiefen ihrer dunklen Gedanken riss. Eine schlimme Ahnung stieg daraus empor, wie eine düstere Strömung in den Tiefen des Ozeans der Zweifel, die an ihrem Vertrauen in ihn zerrte.

„Hast du mich etwa die letzten Monate benutzt, um dieses Gift unter die Leute zu bringen mit deinen scheinbaren Impfungen und Medikamenten?", fragte sie entrüstet. Ihre Stimme bebte vor Wut und Enttäuschung, während sie ihre Hände voller Zorn über diesen Verrat zu Fäusten ballte.

Der Doktor jedoch sah plötzlich perplex aus, und seine Stirn zog sich kraus. Aria konnte die Verwirrung in seinem Blick sehen, und sie wurde dadurch nur noch mehr verunsichert. „Wovon redest du?" Seine Stimme klang beinahe flehend, als ob er nach einer Erklärung suchte.

„Wovon redest du?", entgegnete sie mit einem Beben in der Stimme, während sie versuchte, ihre eigenen Gedanken zu ordnen und die Situation zu verstehen. Ihre Wut und Enttäuschung verschmolzen zu einem brodelnden Gefühl der Verzweiflung, als sie auf eine Erklärung hoffte, die ihre Zweifel zerstreuen könnte. Sie wollte einfach nicht glauben, dass Julien ein böser Mensch war, der sie hintergangen und den Shadows Schaden zugefügt hatte.

„Ich rede davon, dass wir uns von früher kennen", sagte er die erlösenden Worte und trat einen Schritt auf sie zu, als würde er versuchen, ihr näherzukommen und die Wahrheit zu klären. „Und wovon redest du?"

Aria brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass es Julien um etwas ganz anderes zu gehen schien, als sie angenommen hatte. Doch das verwirrte sie nur noch mehr. Aria versuchte einen klaren Gedanken zu fassen und konzentrierte sich deshalb auf das, was sie herausgefunden hatte. Alles andere würde erst einmal warten müssen.

„Ich rede von diesen Unterlagen, die deutlich zeigen, dass weniger Babys in den letzten Monaten geboren worden sind, und ich vermute, dass Med-On irgendetwas damit zu tun hat." Ihre Stimme klang nun weniger wütend, dafür aber umso mehr um Klarheit und Ruhe bemüht. Julien erkannte, dass sie am besten ein Problem nach dem anderen angehen mussten und kam langsam auf sie zu, um sich die Unterlagen anzusehen. Er betrachtete sie intensiv und runzelte die Stirn.

„Das ist höchst beunruhigend", murmelte er schließlich und hob den Blick zu Aria. „Ob das was mit dieser neuen Vitaminspritze zu tun hat?"

Aria atmete tief durch, bevor sie antwortete. „Ich habe das Gefühl, dass wir hier einer ganz schlimmen Sache auf der Spur sind. Die Dinge sind nicht so, wie sie scheinen, Julien. Wir müssen herausfinden, was hier wirklich vor sich geht." Ihre Stimme klang entschlossen, aber auch besorgt. „Du musst dich noch mal umhören, was es mit dieser Spritze auf sich hat! Du hast doch Kontakte."

Julien nickte nachdenklich. Diese Daten sprachen definitiv für sich. Er dachte daran, dass es gut ein Jahr her war, dass die erste Spritze ihren Weg in den Untergrund gefunden hatte. Und seitdem waren die Schwangerschaften zurückgegangen. Er konnte sich gut vorstellen, dass man ein Mittel der Geburtenkontrolle gefunden und heimlich bei den Shadows angewendet hatte. Sicherlich war dies nicht im Einverständnis geschehen. Dafür war zu viel von diesen Dingen verheimlicht worden. Eine offene Behandlungsmöglichkeit wäre mit Beratungen einhergegangen. Seine Fertilität gab man nicht leichtfertig auf, auch nicht im Angesicht dieser schlimmen Lebensumstände. Dies musste von oben verabreicht worden sein.

„Was denkst du?" Aria schaute ihn sorgenvoll an.
„Ich denke, dass du recht hast!", gab er traurig zu. „Ich werde mich umhören und versuchen herauszufinden, was hier weiter geplant ist. Das darf kein zweites Mal passieren. Man will die Shadows auf lange Sicht auslöschen. Dann blieben nur noch die Neons bestehen. Das ist ethisch nicht vertretbar!"

„Die Eugenik wurde doch nach dem zweiten Weltkrieg in Europa und vielen anderen Ländern verboten", referierte Aria. „Das hat man uns in der Schule beigebracht."

Julien lachte verzweifelt. „Du hast natürlich recht, Aria. Aber meinst du wirklich, dass Nexor das interessiert?"
„Deshalb macht er es auch heimlich", murmelte sie. „Was machen wir nun mit der Information?"
„Wir müssen erst sicher sein, dass es wirklich diese Spritze ist, und dann müssen wir verhindern, dass sie zum Einsatz kommt. Ich weiß, du bist schon wild darauf, Thalia und die anderen zu informieren, aber lass uns noch warten. Bis morgen habe ich vielleicht schon mehr herausgefunden. Dann sagen wir es ihnen."

Aria nickte. Dann wurde sie ernst. „Unter einer Bedingung", forderte sie. „Du erzählst mir hier und jetzt, was du vorhin gemeint hast, als du sagtest, dass wir uns von früher kennen!"
„Willst du es wirklich hier wissen, oder wollen wir dafür in meine Wohnung gehen?", hoffte der Doktor. Doch Aria blieb standhaft. „Sofort!", insistierte sie.

Julien verzog das Gesicht, doch er wusste, dass es wahrscheinlich besser wäre, wenn er ihr jetzt die Wahrheit erzählte. Und so berichtete er ihr von seiner Freundschaft zu ihren Eltern, der Möglichkeit, hierher zu kommen, und seinem Angebot, sie mitzunehmen. Die großzügige Spende, die ihr überhaupt erst einen Platz unter der Kuppel ermöglicht hatte, ließ er aus. Er wollte immer noch nicht, dass sie sich zu etwas verpflichtet fühlte.

„Du bist ‚Onkel Jules'?", brachte Aria schließlich heraus. Ihr Ausdruck lag irgendwo zwischen purem Unglauben und der Erkenntnis, dass sie einen alten Freund wiedergefunden hatte. Julien nickte nur und fuhr fort: „Ich habe dich wiedererkannt, nachdem du dich beworben hast und ich dich eingestellt hatte. Deine Augen haben dich verraten. Es sind die Augen deiner lieben Mutter. Wir waren gute Freunde seit der Schulzeit. Sie wurde sehr jung schwanger und hat deinen Vater geheiratet. Ich war auf ihrer Hochzeit. Ich habe dir zur Geburt einen Teddybären geschenkt. Einen mit einer lila Schleife um den Hals."

Plötzlich hatte Aria einen Kloß im Hals. Die Erinnerungen an ihre Eltern und den Teddybären, der jeden Abend in ihrem Bett auf sie wartete, ließen ihre Gefühle überfließen. Sie blinzelte ein paar Mal, um die aufkommenden Tränen zurückzuhalten.

„Warum hast du es mir nicht gesagt?", fragte sie schließlich, ihre Stimme brüchig, von einer Spur Anklage durchzogen. Hatte er ihr nicht vertraut? Wollte er sie schützen? Aber wovor?

„Ich wollte nicht, dass du denkst, dass ich dich nur deswegen eingestellt habe, weil ich deine Eltern kannte. Ich habe dich eingestellt, weil du eine tolle Ärztin bist. Ich wollte nicht, dass du wieder gehst. Ich wollte, dass du in meiner Praxis bleibst", gab er zu und spürte, wie ihm plötzlich heiß wurde. Nervös fuhr er sich durch die bereits an den Schläfen ergrauten Haare.

„Julien", flüsterte Aria fast. Sie kam einen Schritt auf ihn zu und griff nach seiner Hand. Die Wärme ihrer Finger bohrte sich förmlich in sein Fleisch. „Ist meine Arbeit der einzige Grund, warum du nicht wolltest, dass ich gehe?"

Die Frage lag bedeutungsschwanger in der Luft und Julien hatte Schwierigkeiten, sich auf die Antwort zu konzentrieren. Er konnte ihr doch nicht sagen, dass er seit einer Weile nicht nur als seine Assistentin und fähige Ärztin an sie dachte. Dass er aufgeregt gewesen war, als sie ihm heute Morgen so knapp bekleidet über den Weg gelaufen war. Dass er sie gerne jeden Morgen so sehen würde.

„Julien", mahnte Aria streng. „Sag mir jetzt endlich was los ist!"
„Also, ich... ich sollte dir vielleicht sagen..."
„Da seid ihr ja! Aria, Julien, ich brauche euch!", rief Thalia, als sie die Tür aufstieß und mit der Hand winkte. „Bitte kommt mit! Unser Patient ist aufgewacht und hat Schmerzen. Ich will auf keinen Fall, dass er uns wegstirbt! Ich glaube, er wollte uns etwas sagen. Beeilt euch!"

Julien atmete fast erleichtert aus, was Aria nicht entging. „Wir reden später weiter", meinte sie streng, und für Julien fühlte es sich fast wie eine Drohung an. Doch jetzt war keine Zeit, sich über Aria und ihn Gedanken zu machen; jemand brauchte ihre Hilfe. Und so folgten sie Thalia eilig in den Krankenraum.

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