❲5❳ Entscheidung

Eine von Devons deutlichsten Erinnerungen an die fünfte Klasse war, wie sie im Weihnachts-Theaterstück vor einem Publikum aus Müttern, Vätern, Großeltern und Lehrern als böser Elf über die kleinliche Bühne getapst war, um einer Familie Schneemänner und -frauen Weihnachten zu vermiesen. Jetzt beschwor sie all ihre schauspielerischen Fähigkeiten herauf, um Joaquin vorzutäuschen, dass Neon sie ohne jede Rücksicht jagte.
Eine drastische Entwicklung. 

Ethan hastete hinter Devon durch den Korridor, der nach einer Abbiegung in eine Schiebetür aus Glas münden würde. Keuchend und mit dramatischen Schulterblicken öffnete Devon über die Fernbedienung das letzte Zwischentor.
 
Sie rannten um die Ecke und fluchten darüber, dass sie in der Sackgasse gelandet waren. Tatsächlich fühlte es sich an, als funkelte die gezackte Metall-Barriere Devon noch feindseliger an als bei ihrem ersten Besuch. Es war die Einzige, welche man von außen nicht mit Joaquins Fernbedienung öffnen konnte, damit Neon sie nicht klaute und genau das bewerkstelligte. Also mussten sie sich anders Zugang verschaffen- indem sie Joaquins wunden Punkt ausreizten.
Devon wollte erneut in den Korridor, aber wie geplant hielt Ethan sie auf. ,,Das schaffen wir nicht mehr. Versteck dich!", sagte er. Sie verstand ihm, weil glücklicherweise die Sirene verstummt war, während sie in Neons Zimmer- das musste Devon schon sagen- etwas Ordentliches ausgeheckt hatten.

Dicht an dicht kauerten sie an der Wand, versuchten, ihre stoßhaften Atemzüge abzuflachen. Devon war nicht nur gespielt erschöpft, und dabei stand ihnen der prekärste Teil noch bevor.

Da erklangen sie entfernt im anliegenden Korridor: Leichte, wippende Schritte ohne jegliche Hektik. Sie wurden begleitet vom Rasseln der Gürtel, die Neon mit sich schwang.
Sie summte etwas, das Devon bekannt vorkam. Sie konnte sich erklären, warum, als ein verhunzter Text folgte: ,,Will the real Devon please stand up, please stand up?"
Ernsthaft?, dachte sie.
Andererseits, so schlecht konnte Neon gar nicht singen.

Bald mussten ihre Rollen einsehen, dass Neon wusste, wo sie waren, und eine Flucht sich endgültig als hoffnungslos erwies. Ein kniehoher Stiefel mit Nieten und schrillen, orangenen Schnürsenkeln tauchte aus dem Gang auf.
Langsam standen Devon und Ethan auf. Gerade mal eine Handvoll Meter waren zwischen ihnen und die wurfbereiten Gürtel des Grauens.
Devon hob ergeben die Hände. ,,Du musst das nicht tun", sagte sie.
Neon musterte die Gürtel in ihren Fingern, als hätten diese ein Eigenleben- und grinste. ,,Aber ich will. So ist hier mal was los".
,,Hier ist gleich eine Menge los, wenn Mister Edwood seine Bestie von der Leine lässt", rief Ethan. ,,Das willst du nicht, glaub mir!"

,,Okay", sagte Neon resigniert und trat auf sie zu.
Ethan und Devon machten zügig einen Schritt nach hinten. ,,Joaquin hintergeht dich, Neon", beharrte der Junge, den sie Briar getauft hatte.
,,Er würde mich niemals hintergehen. Es ist alles so, wie es sein muss". Neon zuckte mit den Schultern. ,,Bis auf den Fakt, dass ihr stört. Ich dachte, ihr wärt ein nettes Spielzeug, aber ihr seid doch ein bisschen schwierig zu handhaben. Eine weitere Sache, in der er recht hatte".
Mit einem scharfen Luftzug wirbelte der erste Gürtel knapp an Devon vorbei und schnappte am Glas zusammen. Es setzte ihr ein Mahnmal, was Neons unmenschliche Geschwindigkeit betraf.
Devon hoffte inständig, dass sie es sich nicht anders überlegen würde.

,,Ich brauche keine Hilfe!", zischte Neon. Ihr ovales Gesicht mit den bei gutem Licht sichtbaren Flecken verkrampfte sich, als wäre es Wut nicht gewohnt und wöllte sie abschälen.
,,Wir wissen, dass du zweifelst. Du bist clever", versuchte Devon es. ,,Allein ist jeder von uns zu schwach, aber zusammen- zusammen könnten wir entkommen!"
,,Warum sollte ich das wollen?" Neons Zorn bröckelte bereits und ihre unverhohlene Neugier nahm den Platz ein. Sie schlich auf Devon und Ethan zu wie ein Fuchs, der abwägte, ob er schnuppern oder auch angreifen sollte. Meter für Meter drängte Neon sie in die Sackgasse.

,,Weil da draußen Menschen sein werden, die dich mögen. Denen du nicht einfach ein Dorn im Auge bist". Devon erwischte sich dabei, wie diese Worte nicht lediglich ihrem Skript entflossen. Sondern ihrem Herzen, ihrer Menschlichkeit.
,,Klingt schon interessant. Ich sollte euch länger behalten, damit du mehr über die Welt da draußen erzählen kannst", lenkte Neon kichernd ab und der nächste Gürtel flog an ihnen vorbei.
Ethan stürzte zu dem weißen Tastenfeld und hämmerte auf die Zahlen ein, wonach ein barscher Signalton ihn damit konfrontierte, keine Befugnisse zu haben. ,,Doktor Edwood, Sie sind ein kranker Spinner", fauchte er in meisterlich panischer Rage hinein. ,,Alles ist Ihre Schuld. Sie haben mein Leben ruiniert, und das möchte ich Ihnen noch mal klar und deutlich sagen, bevor ich in Ihrem schicken Heiligtum verrecke!"

Devon zählte mit zum Zerreißen gespannten Nerven die Sekunden, bis die Leitung zum Leben erwachte.
,,Was habt ihr hier zu suchen?", raspelte Joaquin halb verwundert, halb amüsiert.
Ihre Rechnung, um einen Strich durch zu machen, antwortete Devon im Geiste und redete auf Neon ein: ,,Ich verstehe, dass es schwer sein wird, das hinter sich zu lassen. Du kanntest nie etwas anderes als bedingungslose Loyalität. Er ist es, der dich gefangen hält, und das nicht nur physisch. Doch du brauchst ihn nicht. Er mag dich erschaffen haben, aber es liegt in deiner Macht, was aus deinem Leben wird. Niemand hat das Recht, über dich zu bestimmen und das als Liebe zu verkleiden".

Lee und Briar bogen um die Ecke, verschwitzt und erschüttert von- vielleicht nicht bloß vorgetäuschter- Furcht. Auf ihrer ,,Flucht" waren die Duos getrennt worden.
,,Geht es euch gut?", fragte Lee hektisch und wagte es wie ihre Freundin nicht, zu ihnen zu laufen.
,,Ja", sagte Devon und ging bedächtig auf Neon zu, was Joaquins Sicherheitskamera hoffentlich einfing. ,,Du bist kein Monster. Dieses Bild, das dir eingehämmert wurde, ist nicht wahr. Du kannst sein, was du willst und wer du willst. Du kannst frei sein".
,,Worauf wartest du?", krächzte es aus dem Lautsprecher. ,,Sie sind gelähmt vor Angst, wie es von schwachen Menschen der Außenwelt zu erwarten war. Du kannst sie nicht verfehlen".

Die Gürtel lagen schlaff auf dem Boden auf. Nach einer zehrenden Pause zielte Neon einzig mit ihren Worten: ,,Stimmt es, was Devon sagt?"
,,Das fragst du nicht wirklich, oder?", kam es abwiegelnd zurück. ,,Was kann sie schon? Du wiederum bist ein Wunder, eine Fusion jeglicher Optimierungen des menschlichen Körpers. Die Krone meiner Schöpfung".
,,Nein", entgegnete Neon. ,,Das Tier im Tank. Es ist besser als ich".
,,Es entspringt deiner DNA. Ohne dich könnte es nicht existieren". Devon stellte sich vor, wie Joaquins Lippen sich der Sprechanlage näherten. ,,Ohne dich wäre ich nie zu der Erkenntnis gelangt, was wahre Schöpfung ist".

,,Lass dich davon nicht einlullen! Es geht ihm um seine verrückten Experimente, nicht um dich", wandte Briar ein (welche im Theaterstück eine Tochter der Schneemann-Familie gewesen war).
,,D-Das glaube ich dir nicht", stammelte Neon wie jemand, durch dessen Weltbild sich ein tiefer Riss grub. ,,Du hast so etwas an dir, dem man nicht trauen kann, ja, das muss es sein". Sie drückte die Knie durch und streckte Briar die Zunge raus. ,,Eher Lie als Lee!"
Ethan intervenierte, indem er unsanft am Lautsprecher klopfte. ,,Was ist seine vernünftige Erklärung dafür, dich töten zu wollen?"
,,Werden und Vergehen sind Teil des wissenschaftlichen Prozesses. Es ist für das übergeordnete Große. Neon weiß das", sagte Joaquin auf eine unfassbare entschlossene Weise, die Devons Blut zum Kochen brachte.

,,Diese Menschen sehen das anders", sagte Neon verunsichert. Ihre geweiteten Augen huschten von Person zu Person. ,,Und sie schauen aus wie ich. Keiner hier ist wie ich".
,,Sie sind nicht im Ansatz wie du!", grollte Joaquin. ,,Sie können dich nicht verstehen, uns nicht verstehen. Ich kann es, Neon. Ich".
Mehrere wollten Einspruch erheben, doch Neon atmete geräuschvoll aus. ,,Also wirst du mich noch gern haben, nachdem ich weg bin, und dich an mich erinnern? An alle Streiche, die ich dir gespielt habe? An jedes Mal, wenn ich fast bei dir eingebrochen oder dich entführt hätte?"
,,Nichts, das man vergessen könnte, selbst wenn man wöllte".
,,Und du wirst das Logo so lassen, das ich entworfen habe? Mit zwei Ringen, extra für uns?"
,,Solange ich lebe", erwiderte Joaquin behutsam, ummantelt vom leisen Rauschen der Sprechanlage.

In dem aufwallendem Schweigen hatte Devon plötzlich ein ganz, ganz schlechtes Gefühl. Sie kramte nach irgendetwas, das Joaquins zugegebenermaßen ziemlich mächtige Antwort übertrumpfen konnte, doch auf einmal schnellte Neon nach vorn. Devon vernahm noch die Schreie ihrer Freunde, vermutlich auch ihren eigenen, dann fand sie sich auf dem kalten Untergrund wieder, beide Arme von Lederstiefeln fixiert. Über ihre Kehle strich ein mit Nieten gesprenkelter Gürtel.
Das hatten sie nicht vereinbart.

,,Neon, stopp!", rief Lee entrüstet, aber mehr Protest waltete von den Dreien nicht, und sie hätten auch nichts ausrichten können. Aus dem Lautsprecher schallte ein höhnisches Lachen.
Da war sie, Devons Strafe für ihre verdammte Gutgläubigkeit. Dafür, dass sie sich eingebildet hatte, einer übernatürlichen Jugendlichen innerhalb eines Tages die Gehirnwäsche austreiben zu können, welcher ihr ,,Vater" sie seit Jahren unterzog. Mehr als die Stiefel auf ihren Armen schmerzte es in Devons Brust. Weil sie Neon nicht retten konnte.

Die grünen Röhren beleuchteten sie von unten wie eine Lampe den See, an welchem Devon mal in der Abenddämmerung gesessen und die Schwäne bei ihren kreisenden Bahnen beobachtet hatte. Sie war unter einer Trauerweide gewesen, deren herabhängende Krone immer wieder ihre Wange gekitzelt hatte, so wie Neons Haare nun ihre Wange kitzelten, als sie sich zu Devon hinunter beugte, bis wenige Zentimeter sie trennten.
,,Wirst du für mich da sein?", verlangte Neon zu wissen, und ihre völlig starre Miene verbannte jeden Zweifel, dass es sich um irgendeinen Witz handeln könnte.

Devon schüttelte matt den Kopf. ,,Neon, hör mir zu. Du bist nicht allein. Manchmal muss man darum kämpfen, dass die Welt einen so nimmt, wie man ist. Die bittere Wahrheit ist, dass das niemals überall so sein wird. Aber bitte, du-"
,,Ich frage nicht nach der Welt", unterbrach sie sie seelenruhig. ,,Ich frage, ob ich bei dir willkommen bin".
Neons Konturen verschwammen und wurden wieder klar, als der brennende Tropfen zwischen Devons Lidern über ihre Wange rollte und sich in den orangenen Haarspitzen verirrte. Die erste Träne, welche sie in diesem schwarzen Käfig weinte. ,,Von Anfang an".

Neon richtete sich auf und trat von Devon herunter. Durch deren Glieder krabbelten Insektenschwärme, als die sonderbare Jugendliche sie in die Senkrechte beförderte.
In der Leitung raschelte es. ,,Neon? Was soll das? Neon!", maulte Joaquin so aufgebracht, dass manche Silben von Knacken und Knirschen verschluckt wurden. ,,Was ist in dich gefahren? Du hast mir zu gehorchen! Neon!"
,,Nun ja", sagte Ethan und die Grübchen über seiner OP-Maske zuckten verräterisch. ,,Sie hat sich entschieden".
Gemeinsam wanden sie sich ab.

,,Warte".
Die Leitung verstummte und das Team hielt inne. Devon lockerte den Griff um die Fernbedienung. Sie waren zurück in ihrem Plan.

Mit metallischem Schaben lösten sich die Flügel des hinteren Tors voneinander, noch mehr schlangengrünes Licht flutete in den Korridor wie morgendliche Sonnenstrahlen durch die Spalten eines Vorhangs. Im Mittelpunkt war ein schlanker, hochgewachsener Mann, dessen steife Züge eine Menge zu verbergen suchten. ,,Ich möchte, dass du die Eindringlinge sofort gefangen nimmst und den Kontakt zu ihnen unterbindest. Noch kannst du mich stolz machen".
Neon malte sich ihr schönstes Lächeln auf die Lippen. ,,Sicher doch. Nachdem ich dir meine neuste Erfindung präsentiert habe. Die dürfte dich stolz machen".
,,Ich werde danach einen guten Psychiater brauchen", grummelte Ethan und holte die echte Fernbedienung heraus, welche er in die Ärmel seines Kittels gesteckt hatte.

Neon pflückte Devon die falsche Fernbedienung aus der Hand, jagte zur Glaswand, die einen Kratzer von der Gürtel-Attacke aufwies, und pappte sie daran. Flink installierte sie das tückische Gerät. Während es warnend piepte und Joaquin realisierte, was er vor sich hatte, schmiss Neon sich mit der Gruppe auf den Boden, die Arme über dem Kopf zusammengeschlagen.
Ein ohrenbetäubender Knall zerfetzte die Barriere. Adrenalin preschte durch Devons Adern und ein Tinnitus übertönte ihr Keuchen. Sie wischte sich einen piesackenden Splitter aus dem Handrücken und rappelte sich auf. Jetzt waren beide Tore offen.

Joaquin schwankte hustend zu einem Schalter, über den er die Türen mutmaßlich steuern konnte, doch Devon freute sich zum ersten Mal über das Peitschen von Neons Gürteln, als der Forscher mit festgesurrten Armen auf den Knien landete.
,,Wir beschäftigen ihn", meldeten Lee und Briar und umzingelten den in seinen Fesseln tobenden Joaquin C. Edwood.

Durch das Scherbenmeer sprinteten Ethan, Neon und Devon auf den größten Tank hinter dem Podest zu. Über ihnen wölbte sich die Kuppel mit den mysteriösen, phosphoreszierenden Linien. Devon krallte sich der Schreck bis in die Knochen, Neon pfiff beeindruckt. Das Monster sah noch ekliger aus als vorher und Devon musste ihre von der Bombe zersprengten Gedanken sortieren, bis sie begriff, warum.
Die Lamellen, welche das Innere bei ihrer Privataudienz verhüllt hatten, waren vollständig zurückgerollt. Oben war der Tank offen wie ein Heimaquarium und ein roter Schlauch mit dem Durchmesser eines Hydranten führte hinein, unweigerlich in den Nacken der Kreatur. Er und die dutzend anderen pumpten anscheinend etwas in die Zombie-Katze, denn in ihren pelzlosen Muskelbergen flirrte es im Sekundentakt, als verpasse man ihr Stromschläge. Auf einem Klapptisch daneben stand ein Laptop, auf dem ein furchtbar kompliziertes Programm abgespult wurde. Was auch geschehen musste, damit dieses Ungetüm aus seiner Suppe kraxelte, schien in vollem Gang zu sein.

,,Habt ihr dämlichen Kinder irgendeine Ahnung, welches Wunder ihr vereitelt?", lallte Joaquin und kämpfte gegen Lee und Briar an, die ihn mit vereinten Kräften auf die Fliesen pressten.
,,Na so was", sagte Neon entspannt und Devon verkniff sich einen Kommentar.
,,Der rote Schlauch war beim letzten Mal noch nicht da", informierte sie Neon. ,,Also sollten wir den kappen. Und den Rest... am besten auch".
,,Der rote ist in der Etage obendrüber verankert". Ethan klang nicht, als wöllte er näher herankommen als unbedingt nötig.
,,Dann zerstören wir ihn oben". Neon deutete auf den Außenfahrstuhl, der die ringförmigen Stockwerke über ihnen mit dem Erdgeschoss verband.

,,Was ist mit dem Laptop?", merkte Devon an. ,,Darüber kann man bestimmt..."
Ein Gürtel sauste auf den Bildschirm zu und zerschmetterte ihn wie einen Stapel Bauklötzchen. Tatsache, irgendein Gurgeln sowie eine Leuchte am Tank erloschen.
,,Damit hätte ich es kontrollieren können!", klagte Joaquin von hinten.
,,Jaja", meinte Neon versöhnlich.

Das Trio zwängte sich in den Außenaufzug, welcher unbestreitbar für eine Person konstruiert war, und fuhr in den ersten Stock. Devon ließ das Monster nicht aus den Augen, doch sie registrierte, wie Neon stattdessen den Blick durch die Glasfassade schweifen ließ. Über den düsteren Nadelwald, an dessen Horizont sich Straßen und Dächer aneinander schmiegten.

Flankiert von deckenhohen Bücherregalen erreichten sie eine Art Gummi-Tonne über dem Tank, dessen schräger Luke der dicke, rote Schlauch entsprang. Um ihn säumten sich eine verschlossene Klappe von der Größe eines Basketballs, ein Hebel und mal wieder viel zu viele Knöpfe. Lediglich ein dumpfes Geräusch und ein Regler bezeugten, dass die Tonne etwas in das Katzen-Wesen pumpte. Wahrscheinlich benötigten sie entweder einen Code oder Gewalt, aber der Hebel war zu markant, um ihn zu ignorieren.
,,Probieren wir es einfach... Halt, stopp!", schrie Neon eine Millisekunde, nachdem Devon ihn betätigt hatte.

Pfeilschnell rammte sie Devon zur Seite. Ein gebündelter, jaulender Luftstoß fegte aus der Klappe und schleuderte Neon nach hinten, dort, wo eben noch Devon gewesen war. In Zeitlupe sah sie mit an, wie Neon gegen das Geländer prallte und sich überschlug; und wie Devon machtlos dagegen war, weil sie selbst hinfiel.
Doch im letzten Moment war Ethan da, packte Neon am Saum ihres Kittels und hinderte sie daran, direkt in den Tank zu kippen. Devon strauchelte zu ihnen und half Neon, sich zurück auf die Beine zu hieven, was das Mädchen aus dem Labor wesentlich graziler schaffte, als es die meisten in ihrer Situation getan hätten.
,,Danke, Briar", sagte Neon, als sie wieder festen Boden unter den Füßen hatte. ,,Du bist gar nicht so zimperlich wie gedacht".
,,Es war mir ein Vergnügen", murmelte Ethan.

,,Ein fieser Mechanismus, den ich zu spät entdeckt habe". Neon seufzte enttäuscht. ,,Das war ein Zeichen, dass wir es auf meine Weise machen sollten".
Noch eine als Fernbedienung getarnte Bombe hatte sie zum Glück nicht dabei. Neon löste eine ihrer Haarnadeln heraus und gerade, als man befürchten könnte, das Untier würde seine lidlosen Schlitze öffnen, versenkte sie sie im Schlauch.

Welches Gasgemisch darin auch transportiert wurde, entwich so quälend langsam wie Joaquins Protest im Erdgeschoss. Die hässlichen Bewegungen des Monsters flauten ab und Joaquins Schimpfereien wurden von Stille besiegt, bis beide in sich zusammensackten.
Wie sie in die untere Etage zurückkehrten und sich vergewisserten, dass das Ding ihnen wirklich nichts würde anhaben können, solange sie noch hier waren, glitt an Devon vorbei wie ein Traum. Es würde seine Hauer nie benutzen, sich Joaquins grausamem Willen niemals beugen. In der tümpelhaften Flüssigkeit streckte es die Pranken von sich, schlafend und regungslos. Ihre Arbeit war erledigt.

,,Neon", hauchte Joaquin, welcher mit festgeschnürten Armen auf der Treppe zum Podium kauerte. Sein gegelter Scheitel war zerzaust von der Explosion und der Rebellion gegen Briar und Lee. Die streng aufeinander gepressten Mundwinkel hatten jetzt etwas Gebrochenes, als wöllte er damit nicht länger seine Unantastbarkeit demonstrieren, sondern einen Schrei zurückhalten. Devon hätte fast Mitleid mit ihm gehabt. Fast.
Sie hätte außerdem mit einem finalen Betteln oder Rechtfertigen gerechnet, um nicht das zu verlieren, was er ohnehin nicht verdiente. Doch Joaquin sagte so beherrscht und souverän, wie man ihn kennengelernt hatte: ,,Du hast mich stolz gemacht".
Neons chaosliebendes Grinsen blitzte auf. ,,Natürlich habe ich das".

Zu fünft gingen sie über den knirschenden Scherbenteppich hinaus. Neon machte einen kurzen Abstecher zu ihrem Teil des Deals, und dann schlossen sie sich im Foyer ein, wo Briar den Notruf tätigte. So saßen sie auf dem Tresen und geduldeten sich, Briar neben Lee, Lee neben Ethan, Ethan neben Devon und Devon neben Neon.
Briar ließ die Tischklingel, die ihr Abenteuer wortwörtlich eingeläutet hatte, einmal bimmeln. ,,Wir werden denen eine Menge erklären müssen".
,,Hätten wir keine Beweise, würde uns niemand glauben", sagte Ethan. Seine Maske war auf ihrem Rückweg in den dunklen Fluren verschwunden.
,,Aber es ist nun mal passiert", erwiderte Lee.

,,Ich bin froh darüber", flötete Neon und lehnte sich gegen Devons Schulter. Wieder summte sie- eine andere Melodie als im Korridor. ,,Devon, won't go to heaven. She's just another lost soul about to be mine", trällerte Neon und pochte mit der Ferse gegen den Tresen.
,,Das kenne ich nicht", sagte die Namensvetterin.
,,Als ich bei den E-Mails deinen Namen gesehen habe, habe ich ihn im Internet eingegeben. Da kam mitunter so ein Lied raus". Sie zuckte unbekümmert mit den Achseln. ,,Weiß auch nicht, was dein Name damit zu tun hat. Aber irgendwann zeige ich es dir mal. Es ist cool. Genau wie deine Haare".

Das würde Devon für ihren schweißverklebten Wischmopp nicht unterschreiben. Doch Neon durchkämmte ihn bezaubert mit den Fingern, ließ die zahllosen orangenen Strähnen hindurch rinnen wie das edelste Satin.
,,Habe ich vor einer Woche gefärbt", antwortete Devon selig.

Und keine Minute darauf zerstreute sich Blaulicht in den gefrosteten Scheiben des Haupteingangs, begleitet von heulenden Sirenen und quietschenden Autoreifen.

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