Kapitel Drei
Mein geliebtes Melén erstreckte sich weit vor mir, als ich in der frühen Dämmerung auf einem Felsvorsprung stand. Weite Felder, deren Besitzer allmählich aus ihren Betten krochen. Vereinzelte Dörfer, die noch seelenruhig schliefen. Ein breiter Fluss hüpfte über Steine und durch das riesige Tal. Seine Quelle, der eisige Gebirgszug hinter sattgrünen, ruhenden Wäldern, jagte mir schon jetzt einen erschreckenden Schauer über den Rücken. Melén schien so gesund, wie lange nicht mehr, doch das Übel saß uns tief im Nacken. Die Elben in den Bergen hatten schon längst ihre Siedlungen aufgegeben und flüchteten mit den unteren Waldelben ins Tal. Die großen Städte am Fuß des Berges waren kaum mehr als noch ein Dorf. Einzig meine wunderschöne Heimat, Bugal, stand noch fast in voller Pracht. Ich sah das schwache Licht aus dem Zimmer meiner Mutter, sie hatte sicher wieder die Nacht lang am leeren Bett meines Vaters gesessen und geweint. Traurig stieg ich wieder auf meine Stute und führte sie einen steilen Weg herunter ins Tal. Ich überflog erneut mein schönes Melén und seufzte. Es ist so wunderschön und doch gezeichnet von der Habsucht und Gier eines Drachen.
Gerade, als die Sonne begann, über die Berge zu klettern, kam ich über die ersten Felder und durch kleine Dörfer. Die Elben hier kannte ich nicht so gut, wie die der Wälder, aber dennoch waren es meine Volksleute und sie waren Familie. Ich musste sie beschützen, musste sie irgendwie von dem Leid befreien. Die Steuern hatte ich fast gänzlich erlassen und die Vertriebenen aufgenommen oder entschädigt. Eine kleine Elbin hatte sich vor ein paar Tagen in die Bibliothek verirrt, als ich über Drachen und deren Schwachstellen las. Ich hatte sie wieder zu ihrer Mutter gebracht, doch sie war schon auf dem Weg in meinen Armen eingeschlafen. Sie war bildhübsch und erinnerte mich an die Tochter meines Cousins Gildor, Tinild. Das kleine Mädchen hatte das gleiche lockige Haar und ebenso rehbraune Augen, doch Tinild trug eine unverwechselbare Narbe im Gesicht. Ich hatte sie seit etlichen Jahren nicht mehr gesehen, wahrscheinlich waren sie schon in Valinor, oder vielleicht sogar tot.
„Neladil, die Schneeweiße!" riefen die ersten Elben, als ich endlich in Bugal ankam. Sie scharten sich um mich und reckten die Hände nach mir. Ich kannte sie fast alle, Waldelben, Elben aus Tal und Bergen, alteingesessene und geflohene. Sie riefen meinen Namen und trotz des Schmerzes in diesen Stimmen, lächelte ich. Ich war ihr Hoffnungsschimmer, auch wenn meine Eltern für die meisten noch beide lebten. Ich müsste es ihnen bald verkünden, doch nun hatten sie endlich einen kleinen Lichtblick und den durfte ich ihnen nicht nehmen, noch nicht. „Sie hat doch keine Hilfe geholt." drang eine seufzende Stimme zu mir durch. Ich erkannte die Frauen an der Seite stehen, ich wusste nicht genau von welcher es kam. Alle drei hielten ihre Kinder fest im Arm oder vor sich an den Körper gedrückt, Angst. Ich rang mir ein weiteres, kraftvolles Lächeln ab und nickte ihnen von meinem Pferd aus zu, was dann doch ein winziges Strahlen in ihren Augen auslöste. Es war zwar keine gute Idee, ihnen Hoffnung zu schenken, die nicht einmal ich hatte, doch es schien mir besser, als die sowieso schon bedrückende Lage mit einer niederschmetternden Nachricht komplett in den Abgrund zu treiben.
Ich breitete meine Arme aus und so berührten mich einige der zuversichtlichen Hände. „Neladil, gebt dies Eurer Mutter! Sie muss zu Kräften kommen!" rief eine ältere Elbin und drängte sich mit einem Brot zu mir durch. Ich roch den warmen Geruch schon von weitem und nahm es dankend an. „Sagt, Euer Vater, wie geht es ihm? Er soll im Norden bei der Eisschlange sein?" hakte sie nach und so verrutschte mein Lächeln etwas. „Ich bin zuversichtlich, dass wir bald von dem Problem befreit sind!" meinte ich nur, bedankte mich noch einmal für das Brot und ritt auch schon auf unsere kleine Burg zu. Die Tore schlossen sich hinter mir und so stieg ich von meiner erschöpften Stute ab und brachte sie in den Stall. Meine Mutter kam mir auf dem Weg hinauf entgegen und so umarmte ich sie, woraufhin sie gleich wieder anfing zu weinen. Ihre sowieso schon geröteten Augen füllten sich erneut mit Tränen und so rannen sie ihre Wangen herunter und tropften auf mein Kleid. „Hier, ich habe Brot von Sinerlin, du musst wieder zu Kräften kommen." sprach ich und drückte sie von mir weg, um ihre die Tränen zu trocknen, bevor ich auch weinen musste.
„Mutter, ich werde es morgen bekanntgeben, wenn Silan mit seinen Männern wiederkommt." erklärte ich und so nickte sie stumm, den Tränen nah. Das Brot schmeckte wirklich lecker, ich schnitt ein paar Scheiben ab und reichte den Rest einer jungen Elbin. „Verteile es unter den geflohenen und den hungrigen Elben. Nimm dir selbst ein Stück und geh dann nach Hause, dein Bruder braucht dich!" Sie nickte dankend und lief gleich los. Meine Mutter sah mich nur stolz an. „Mithrandir war auch im Schloss, er meinte, ich hätte es von dir!" erklärte ich und zwang mich zu einem Lächeln. „Hast du mit König Thranduil gesprochen?" hakte sie nach und biss in das Brot. „Ja, aber das wird nichts. Er war total schockiert, als ich ihm gesagt habe, dass es ein Drache ist und dann bin ich wieder raus. Es war zumindest ein Versuch." seufzte ich. „Hat Lord Nithor geantwortet?" fragte ich und sie nickte. „Zweitausend Mann, mehr kann und will er nicht entbehren. Wir stehen schon dafür tief in seiner Schuld!"
Ich hörte schon von weitem das Gemurmel der Elben, die sehnsüchtig auf eine gute Nachricht hofften. Ich holte noch einmal tief Luft und machte mich dann darauf gefasst, den Tod meines Vaters zu verkünden. Silan, mein erster Offizier, stand stramm neben mir und ging vor. Die Menge hielt die Luft an und so folgte ich ihm auf die große Terrasse, von wo ich auf den großen Platz sehen konnte, der nun mit verängstigten Elben gefüllt war. Ich bemühte mich um einen freundlichen Gesichtsausdruck, doch meine Trauer vor meinem eigenen Volk zu leugnen, wäre sinnlos. Ich hatte ihnen schon falsche Hoffnungen gemacht, da konnte ich den Tod meines geliebten Vaters nicht noch weiter verdeckt halten.
Stille.
Ein tiefes Raunen huschte über die Elben, die soeben scharf die Luft eingesogen hatten. Ich hörte, wie meine Mutter hinter mir in Tränen ausbrach und zusammensackte, doch ich blieb standhaft und verdrückte mir den Kloß im Hals. „Es ist ein harter Schlag in dieser Zeit. Nicht nur ich habe ihn geliebt, wir alle folgten ihm treu." sprach ich weiter und sah in die fassungslosen Gesichter meines Volkes. Die einen hatten wässrige Augen, die anderen starrten einfach nur in die Leere und einige sehr wenige seufzten erneut, sie hatten es schon gewusst. „Aglarond, Sohn von Denethor und Firieth und Bruder von Adaronth, starb als ehrenvoller Elb im Kampf gegen den Eisdrachen Azula. Er ließ sein Leben, um unseres zu schützen und sein Volk einen Augenblick länger in Sicherheit zu wiegen." fuhr ich mit Tränen in den Augen fort.
Die Stille hatte etwas gefährliches. Einzig allein das Schluchzen meiner Mutter und das Schreien eines Babys wehte durch den Wind. Kein Vogelsang, kein Händler rief. Ich schluckte schwer und so kullerte mir die erste Träne über die Wange und tropfte zu Boden.
Ein leichter Windstoß brachte wundervolles mit sich. Unzählige grasgrüne Ahornblätter schwebten durch die Luft und fielen zwischen den Elben herunter. Ich hielt die Luft an und reckte die Hand nach einem, wie es zeitgleich alle anderen taten. Ich bekam eines der Blätter zu greifen und musterte es. Der Stiel war abgeschnitten worden, es war also geplant. Immer mehr Blätter fielen über mir herab und so reichten sich die Elben gegenseitig die Blätter durch. Ich griff nach einem zweiten und reichte es meiner Mutter, die sich nur schwer auf den Beinen hielt. „Du wirst immer in unserem Herzen sein, Vater!" sprach ich und begann das Ahornblatt zwischen meinen Fingern zu zerreiben, sodass der Wind die kleinsten Teile durch die Luft trug. Es war ein wunderschönes Zeichen, der Ahornbaum war das Symbol unserer Familie.
Die Nachricht hatte schon wenige Stunden später das ganze Land erreicht und ich war mir sicher, aus Bruchtal würde bereits ein Brief auf dem Weg sein. Ich plante die Beerdigung, jedoch mit leerem Sarg. Der Körper meines Vaters war wahrscheinlich vollkommen zu Asche zerfallen und wenn nicht, kämen wir nicht am der Eisschlange vorbei.
Zu viele Dinge gingen mir durch den Kopf. Ich regierte Melén quasi allein, meine Mutter war dazu nicht in der Lage. Immer mehr Menschen verließen das Gebirge und dessen Fuß, zu Groß war die Gefahr des Drachens. Ich überlegte mir mit Silan eine Strategie, wie wir dieses Monstrum erlegen könnten, ohne dabei noch mehr Leid anzurichten, doch es blieb, wie es war. Wir hatten zu viele Soldaten verloren, zu wenig schwarze Pfeile. Zwei Stück hielt ich in Händen, Silan hatte sie gefunden und versuchte vergeblich noch mehr zu beschaffen.
„Mutter, bitte tu mir den Gefallen und reise nach Valinor. Dort bist du sicher und es wird dir besser gehen, als hier in Melén." sprach ich, als ich mich abends neben sie setzte. „Nein, ich lasse dich doch nicht hier allein zurück!" schluchzte sie. „Keine Angst, ich komme schon klar. Mit Azula werden wir schon irgendwie fertig, Silan hat einen Plan." meinte ich, was jedoch gelogen war, und strich ihr übers Haar, wie sie es früher immer bei mir getan hatte, als ich nicht schlafen konnte. „Ich rede noch einmal mit Lord Nithor und vielleicht kann ja König Thranduil doch noch ein paar Mann entbehren. Das wird schon. Mutter, du bist hier unglücklich. Bitte überleg' es dir noch einmal, ja?" Sie nickte, wahrscheinlich jedoch eher um mich zu beruhigen.
Nach knapp zwei Stunden Schlaf stand ich wieder auf. Jeder schlief, es war tiefste Nacht. Ich zog mir eines meiner silbernen Kleider an und tapste durch die Gänge bis zur Schneiderei. Es war nicht abgeschlossen und so ging ich hinein und setzte mich auf einen Stuhl. Schnell skizzierte ich eine Rüstung nach meinem Geschmack und schrieb eine kurze Notiz dazu. Ich würde kämpfen. Wenn meine Mutter erst einmal mit dem Schiff gesegelt ist, würde ich mir das wichtigste von Silan beibringen lassen und dann selbst in den Kampf gegen Azula ziehen.
Müde schlich ich wieder die Gänge entlang, wohlwissend, dass ich auch jetzt kein Auge zumachen könnte. Ich ging in den Garten, der nur spärlich beleuchtet war. Der Irrgarten, vor dem ich stand, war wieder aus Thranduils Garten, nur viel kleiner. Ich stand in der Mitte vor dem Springbrunnen und legte den kreisrunden, smaragdgrünen Stein von Legolas auf den Rand. Ich steckte einen der eisblauen, unförmigen Steine ein und dachte an den kleinen Prinzen. Er war so niedlich und süß. Ich hatte mich nie groß um Männer geschert, doch nun, wo ich fast schon das Ende meines Lebens sah, wünschte ich mir doch, all diese wunderschönen, atemberaubenden und doch schmerzhaften Gefühle durchlebt zu haben.
„Lady Neladil? Seid ihr im Irrgarten?" hörte ich die liebliche Stimme der jungen Elbin. „Ich komme!" rief ich und seufzte. Was konnte denn so wichtig sein, dass sie mich um diese Uhrzeit suchte? War der Drache tot? Meine Mutter? Unsicher und doch mit gestrafften Schultern kam ich wieder aus dem Irrgarten und sah sie fragend an. „Ihr habt Besuch!" sprach sie und führte mich in die Eingangshalle. „Mithrandir! Was tust du hier?" fragte ich, als ich ihn am Fenster sah. „Neladil! Nun, ich kann dich doch nicht allein gegen dieses Geschöpf in den Kampf ziehen lassen!" meinte er und schmunzelte leicht. Ich war froh, dass er mich ohne Titel nannte, doch sein Aufenthalt hier brachte ihn nur in Gefahr. „In den Kampf?" erklang die zittrige Stimme meiner Mutter und so drehte ich mich zu ihr herum. „Mutter! Du solltest schlafen." sprach ich ruhig und stützte ihren dünnen Körper.
„Mithrandir?" hakte sie nach und so kam er näher. „Meine liebe Arien, ich wünschte, ich hätte dich schon früher wiedergesehen!" Er half mir und so brachten wir sie wieder zurück in ihr Zimmer. „Mithrandir, wie geht es Galadriel?" fragte sie und sofort hoben sich seine Mundwinkel. „Wesentlich besser, als dir!" erklärte er und setzte sich zu ihr an die Bettkante. Ich ließ beide allein und setzte mich an die große Tafel, wo ich einen Brief für Legolas schrieb, Thranduil würde ihm vorlesen müssen. Ich schmunzelte wieder und so faltete ich eine kleine Lasche für den blauen Stein. Ich gab beides der jungen Elbin und schickte sie dann ins Bett.
Ich ging zum Fenster und sah auf den eisigen Norden. Ich sah einen Schatten, der durch eine Wolke flog und seufzte. Gleich würde es irgendwo anfangen zu brennen und dann wird Azula morden. Sie war gar nicht so erpicht auf einen Schatz, zwar versteckte sie in ihrer Höhle auch einen riesigen Berg an Schmuck und Gold, doch die Schreie ihrer Opfer hatten sie süchtig gemacht. „Elrond schickt ein paar Soldaten und auch Celeborn kann welche entbehren, aber nicht annähernd so viele, wie Thranduil." erklang Mithrandirs Stimme hinter mir. Ich nickte dankend und runzelte dann die Stirn. Schickte Thranduil jetzt doch seine Soldaten, um mir im Kampf gegen Azula zuhelfen und sie zu erlegen?
Hoffend sah ich zu Mithrandir, doch der graue Zauberer schüttelte den Kopf. „Es werden vielleicht dreitausend Soldaten. Thranduil wird sich nicht erweichen lassen, nicht bei mir oder Elrond." sprach er. „Mithrandir, ich muss dir danken!" erklärte ich, doch er winkte ab. „Ich glaube, wenn du noch einmal mit Thranduil sprichst..." begann er vorsichtig. „Nein, das wird kaum Sinn machen. Er schützt nur seine eigenen Leute damit und sein Blick hatte mir alles gesagt." meinte ich und unterdrückte ein Gähnen. „Hast du auch seinen Blick gesehen, als er von deinem Vater erfuhr?" Irritiert sah ich ihn an.
Mit dunklen Augenringen stand ich vor meiner Mutter. „Pass gut auf sie auf, Mithrandir!" bat sie und so nickte er und ging auf sie zu. „Elrond kommt auch vorbei, wenn er kann und wer weiß wer noch. Arien, sie kommt sicher zu dir zurück!" sprach er und umarmte sie. Ich reichte ihr die Zügel ihrer Stute und so setzte sie auf. Die kleine Eskorte würde sie zu dem Schiff bringen, mit dem sie nach Valinor segeln sollte. Mithrandir hatte sie letztendlich überreden können, musste ihr aber regelmäßig Bericht erstatten. Wir standen noch lange hier am Tor und sahen ihr hinterher, doch ich musste jede Sekunde nutzen und mich auf den wahrscheinlich ersten und letzten Kampf meines Lebens vorbereiten.
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