Kapitel 3
Sowohl Twix, der komme was wolle, nicht mehr von meiner Seite weicht, als auch meine Tante, die wie immer voller Elan steckt und unermüdlich alles tut, um mich von meinen alles andere als positiven Gedanken abzulenken, tragen einen großen Teil dazu bei, dass ich bereits nach ein paar Tagen alle Sorgen größtenteils vergessen habe und mich so unbeschwert wie selten fühle.
Am fünften - oder sechsten, die Zeit vergeht hier wie im Flug - Nachmittag seit meiner Ankunft liege ich entspannt auf der riesigen, altmodischen Couch und kraule Twix beiläufig hinter den Ohren, dessen schwerer Kopf auf meinen Beinen ruht. Das Buch, welches aufgeschlagen vor mir liegt zieht mich wieder einmal in seinen Bann.
Bis die friedliche Stille von einem stetig lauter werdenden Motorengeräusch unterbrochen wird. Mit gerunzelter Stirn hebe ich den Kopf. Twix springt auf, bleibt bei dem Versuch sich durch die nur halb geöffnete Tür zu drücken beinahe stecken und läuft schließlich aufgeregt hechelnd raus auf den Hof, um den vermeindlichen neuen Spielgefährten zu begrüßen, dessen schwarzer Transporter gerade mit schlingernden Reifen auf dem Hof zu stehen kommt und dabei eines von Elisas Blumenbeeten streift. Ich grinse und erhebe mich ebenfalls, allerdings weit weniger eleanvoll als Twix. Das Schauspiel werden ich mir sicher nicht entgehen lassen.
Als ich noch immer in die Geschichte meines Buches versunken durch den Türrahmen trete, schlägt mir ein Schwall Hitze entgegen. Einen Moment halte ich ächzend die Luft an.
Dem kleinen, untersetzen Mann, der etwas mühsam aus seinem Wagen klettert, scheint es ähnlich zu gehen. Mit hochgezogenen Augenbrauen mustere ich seinen längst aus der Mode gekommenen pechschwarzen Hut und den langen, dazu passenden Ledermantel.
In dem Moment stößt meine Tante dazu, bemerkt die ladiert aussehenden Rosengewächse und will gerade zu einer ausschweifenden Rede ansetzten, als der Mann hektisch auf sie zu stolpert, den um ihn herumwuselnden Twix übersieht, der sich nebenbei bemerkt beinahe auf der selben Augenhöhe mit ihm befindet, und ins Taumeln gerät.
Bemüht, sein Gleichgewicht zu halten und gleichzeitig seinen Hut passabel aussehen zu lassen, gibt er ein urkomisches Bild ab. Verhalten lachend lehne ich mich an die Hauswand und verfolge, wie meine Tante ein paar Schritte auf ihn zu macht, ohne sich entscheiden zu können ob sie dem Blumenmörder helfen sollte.
Der große Hund, der das alles als Spiel sieht, beendet schließlich die peinliche Situation, indem er die völlig überforderte Elisa ebenfalls aus dem Gleichgewicht bringt, die mit einem Aufschrei im Matsch landet und dabei den Mann, der sich gerade aufgerappelt hatte, mitreißt.
Nach einem letzten Lachen meinerseits erbarme ich mich und tauche in meine Rolle als glorreicher Retter.
Eine halbe Stunde später erfahre ich auch endlich, was den Mann zu uns, oder auch ans Ende der bekannten Welt, verschlagen hat.
"Ich bin Vladimyr Kür." Stolz rückt er seinen Hut, von dem er sich einfach nicht trennen wollte, zurecht. Schmuzelnd lege ich den Kopf leicht zur Seite. Irgendwie ist der in die Jahre gekommene Amerikaner mit den rumänischen Wurzeln mir vom ersten Augenblick an symphatisch.
"Nessa Laine" stelle ich mich vor und schüttle seine Hand.
Er richtet sich etwas auf und räuspert sich. "Ich bin dein Privatlehrer. Ab sofort werden wir jeden Montag, Mittwoch, Freitag und Samstag gemeinsam lernen." Seine hohe Stimme macht es fast unmöglich, den eigentlich Inhalt der Worte zu verstehen, sodass ein paar Minuten vergehen, ehe ich ihm folgen kann.
Naja, wenigestens kein launischer, besserwisserischer Kauz mit Schnurrbart und Lesebrille.
Mit möglichst hoheitsvoller Miene verkünde ich, mich zu freuen, was Elisa ein unterdrücktes Glucksen entringt.
Vladimyr zwinkert. "Gut so. Übermorgen beginnt der Unterricht."
Damit wendet er sich von mir ab und beginnt, den neusten Tratsch der Umgebung meiner neugierigen Tante zu berichten. Schon ist der Fall Blumenbeet zu den Akten gelegt und vergessen.
Kopfschüttelnd verlasse ich die Küche. Erst einen Moment später dringen ein paar Wörte, die mich apprupt erstarren lassen, zu mir durch. Fast lächerlich klingen sie durch die quitschende Stimme, aber sie sind da.
Vermisst, wahrscheinlich entführt. Weitere Morde vermutet. Blutspuren.
Ohne es zu wollen, beginne ich das Gespräch mitzuverfolgen.
"Abends sollte sie sich nicht mehr alleine außer Haus begeben."
Ein Stuhl wird hin und her geschoben, meine Tante atmet einmal tief ein bevor sie antwortet.
"Nicht auszudenken, was die Eltern denken müssen. Oh Gott, und die armen Mädchen."
Mittlerweile muss ich weiß wie ein Blatt im Gesicht sein, meine Hände zittern und mein Atem geht schneller.
Leise entferne ich mich von der Tür und haste hinaus. Morde, hier bei uns? Mädchen, die entführt werden. Ich verberge mein Gesicht hinter meinen Fingern und lasse den Kopf hängen. Ein hysterisches Kichern entfährt mir, als ich daran denke, wie ich mir einmal gewünscht habe, mein Leben wäre spannender.
Es ist nicht einmal die Angst, die mir zu schaffen macht.
Eher so ein Gefühl, als hätte ich etwas damit zu tun.
Nach einer Weile hebe ich den Blick und starre die hohen, dunklen Bäume an, die direkt hinter den Weiden meiner Tante den dichten Wald von der restlichen Welt trennen.
Wie in Trance lehne ich mich ein Stück nach vorne. Die Äste wiegen sich sanft im Wind, und ein Duft von Nadeln, Harz und Rinde streift meine Haut. Als ich den ersten Schritt in die Richtung der wispernden Baumkronen mache, legt sich eine Hand auf meine Schulter. Ein leises, nur für mich hörbares Knurren lässt mich ebenso zusammenfahren wie die Stimme meiner Tante hinter mir.
"Nessa, ist alles in Ordnung?"
Anscheinend muss mein Blick so wild aussehen, wie ich befürchte, denn sie weicht ein Stück zurück. Schlagartig ziehe ich meine Mundwinkel nach oben, in dem Versuch ein Lächeln vorzutäuschen. Sie sieht nicht gerade überzeugt aus, aber auch nicht mehr so, als wäre ich ein Bestie, die über sie herfallen will.
"Alles bestens. Mir ist nur ein wenig schlecht, ich gehe nach oben und lege mich hin, ja?"
Ohne auf ihre Antwort zu warten eile ich an ihr vorbei.
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