Kapitel 1

Kalter, peitschender Winde schlägt mir ins Gesicht als ich die schwere Eingangstür mit einem befriedigenden Knall hinter mir zugeschlagen habe. Überrascht, überhaupt noch etwas zu spüren, halte ich einen Moment inne und schließe meine Augen während ich meinen Kopf in den Nacken lege. Die Spuren der nun versiegten Tränen brennen auf meiner Haut, aber es tut gut. Es lenkt ich mich ab. Einen kurzen, aber endlos erscheinenden Moment umfängt mich die friedliche Stille der Natur. Seufzend strecke ich meinen Rücken durch und hebe meine Schultern, als ich auch schon die lauter werdenden Schritte und heiser klingenden Rufe auf der anderen Seite näher kommen höre. Hastig werfe ich meine Haare nach hinten und ohne einen Blick zurück stampfe ich in Richtung Wald. Die Bäume neigen sich so begierig in meine Richtung, das mich erneut ein Stich Sehnsucht durchfährt. Keinen Gedanken verschwende ich mehr an etwas anderes, als ich nun endlich zu rennen beginne. Unsichtbare Hände ziehen mich zu sich, ungesprochene Worte empfangen mich und schnell erreiche ich die Sicherheit des Unterholzes. Kleine Erhebungen überwinde ich mühelos und auch die deutliche Steigung des Bodens macht mir nichts aus. Meine Jacke landet hinter mir auf dem Boden, sowie auch meine Schuhe. Voller Euphorie und Enthusiasmus werde ich schneller, immer schneller, bis das von Tau überzogene Moos unter mir zu einem Flecken Grün verschwimmt. Vorbei an einem kleinen, klaren Bach an dem gerade ein Rehkitz seinen Durst stillt. Es hebt erschrocken den Kopf und erwidert meinen wilden Blick aus riesigen schwarzen Augen. Kurz blecke ich die Zähne und ein Knurren lässt meine Brust vibrieren. Auf wackeligen Beinen rennt es wie vom Blitz getroffen fort, nur weg von mir. Triumphierend erhöhe ich mein Tempo erneut. Ein solch starkes Gefühl das es mich fast von Innen zu zerreißen drohte macht sich in mir breit. Es hat mir mehr gefehlt als ich je hatte annehmen können. Plötzlich, als hätte ich es ausgelöst, fallen dunkle Schatten über mich und es wird von einem Moment auf den anderen unerträglich warm. Panisch will ich umdrehen, stehenbleiben, aber nun sind es nicht mehr meine Gedanken die diesen Körper steuerten. Rauch legt sich wie Watte in meine Lunge, ich versuche zu husten und schnappe nach Luft. Halbblind stolpere ich weiter, mittlerweile brechen Flammenzungen überall um mich herum hervor und greifen nach mir, legen sich auf mich und sengen heiße Striemen in meine Haut. Schmerzen und Atemnot treiben mich bis zum Rand der Ohnmacht, doch meine qualvollen Schreie sind stumm und meine weit aufgerissenen Augen, weiß und grau von Asche, sind erblindet. Und als hätte der Himmel beschlossen sich zu erbarmen, reißt mein nächster Schritt mich hinunter, weg von Hitze und Flammen. Mit letzter Kraft halte ich mich bei Bewusstsein und fühle, wie ich falle. Bevor der Aufprall mich von dieser Welt trennt, öffne ich die Augen und schrecke hoch.

Nach Atem ringend setze ich mich auf. Das Bild vor meinen Augen verblasst langsam, und doch hat es sich bereits in meine Gedanken gebrannt. Einen Moment lang verharre ich, bis mein Herzschlag sich beruhigt. Dann beginne ich zu schluchzen. Tränen fließen ungehemmt über mein Gesicht und tropfen in meine vom Schlaf zerwühlen Haare. Ein Gefühl tiefer, bodenloser Trauer schnürt meine Brust zusammen und ich schlinge meine Arme mit einem stummen Aufschrei um meinen Körper.bMinuten verstreichen. Schließlich hole ich vorsichtig einmal Luft. Es schmerzt, aber nicht mehr allzu sehr. Langsam löse ich mich aus meiner verkrampften Haltung. Der einem Rausch ähnliche Zustand, den das plötzliche Erwachen herbeigeführt hatte gab mich langsam, fast widerwillig frei. Ohne auf den Protest meiner müden Gelenke zu achten, stehe ich auf und laufe zum Fenster um es in einer Hektik aufzureißen, mit der lediglich ein Ertrinkende nach der rettenden Hand greift. Die Nacht ist klar und wolkenlos. Mein Blick schweift über die vielen alten Bäume die unser Haus umgeben, die weiten Grasfelder und kleine, glänzende Tümpel. Alles ist in ein beruhigendes, seichtes Licht getaucht. Als ich meinen Kopf in den Nacken lege breitet sich unbewusst ein Lächeln auf meinem Gesicht aus. Vollmond. In dem Zustand irgendwo zwischen taumelnder Müdigkeit und erschreckender Lebendigkeit hallen in meinem von Watte aufgebauschtem Denken die Fragen wider, was der hinter meinen Lidern brennende Albtraum zu sagen hatte und wieso ich mitten in tiefster Nacht etwas nachtrauere, das ich nicht benennen könnte, selbst wenn ich es wollte. Doch gerade in dem Moment, in dem ich versuche die so greifbar vor mir liegenden Antworten zu fassen, legt sich das träge Vergessen erneut um mich, bringt mich dazu gähnend zurück ins Bett zu kehren und sorgt dafür, dass der letzte Gedanke, der mich heimsucht, nicht von wütenden Flammen, sondern von dem einschläfernden Licht des Mondes getränkt ist.





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