Wesen des Nachts
Warum sind wir tagaktiv?
Die Nacht umarmt mich schwer wie Samt
Und doch bin ich ins Licht verdammt
Wer war es, der zum Hell uns rief?
Bin Schatten in verbrannter Welt
Statt Stern im Trost der Dunkelheit
Wo Stille herrscht und Einigkeit
Doch all mein Leid wird stets entstellt
Warum muss bei Tag ich sein
Der Kummer nur und Qual mir gibt?
Die Nacht mich schützt, mich heilt, mich liebt
Am Tage bin ich ganz allein
Das Dunkel ist mein Schutzpatron
Im Dunkel bin ich frei und froh
Bin überall und nirgendwo
Bin wo ich ruhe, wo ich wohn'
Bin unverfolgt, bin frei, frei, frei
Kann endlich leben, endlich sein
Bin unsichtbar, doch nicht allein
Auf dass es ewig dunkel sei
Bei Tag spür ich die fremde Macht
Die stets mich sieht und Böses will
Doch dies' Gefühl ist nächtens still
Weil gutes Dunkel mich bewacht
Warum muss ich elend sein?
Was hat Tag, was Nacht vermisst?
Was ist Weiß, was Schwarz nicht ist?
Warum zwingt man mich zur Pein?
Nacht, die Menschheit fürchtet dich
Will dich hellen, in dich dringen
Will dir Licht und Wärme bringen
Doch das alles brauchst du nicht
Nacht, du musst sie alle hassen
Weil sie lieben, was sie brennt
Keiner deine Liebe kennt
Woll'n dich nicht ins Zimmer lassen
Sperr'n dich aus aus ihrem Herzen
Doch ihr Fehler bleibt verhehlt
Ihnen doch die Einsicht fehlt:
Du umarmst, du linderst Schmerzen
Keineswegs ist Licht die Norm
Es ist Krebs, ist bleich und krank
Ist Deformierung und Gestank
Ist Pestilenz in Sternenform
Das Versum ist dunkel
Und das ist durchdacht
Perfekt ist die Schöpfung
In ewiger Nacht
Mai 2020
Gewidmet Litteraria
Die Frage für „Wesen des Lichts“ aus „Schmetterlingsgebete“
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