Die Schatten werden langsam länger
Und die Welt legt sich zur Ruh'
In den Bäumen Abendsänger
Ständig stoßen mehr dazu

Golden färbt der Horizont sich
Bald beginnt das Abendrot
Eine einsam' Wolke sonnt sich
Mit der Nacht kommt Vater Tod

Friedlich liegt die Welt im Sterben
Ruhig nimmt Schicksal seinen Lauf
Nun muss Mond den Lichtschein erben
Morgen wacht die Sonne auf

Langsam wird den Rehen bange
Alle Blüten schließen sich
Und ihr Duft verweilt nicht lange
Doch der Wind berührt sie nicht

Ja, der Wind weht sanft und leise
Zart wie Atem auf der Haut
Und der Abendsänger Weise
Klingt so sonderbar vertraut

Hier im Zimmer leuchten Drähte
Weiß und grell, Alarm Alarm
Und es klingen laut Geräte
Doch die Chance schon längst vertan

Blutgeruch und leises Wimmern
Füllt die unbewegte Luft
Und es strömt aus allen Zimmern
Jener Klinisch-Keimfrei-Duft

Vor dem Fenster die Gardinen
Viel zu schwer für Abendwind
Und mit unbewegten Mienen
Schauen Ärzte auf das Kind

Deine Welt liegt hier im Sterben
Still nimmt Schicksal seinen Lauf
Atemlos musst du verderben
Deine Sonn' wacht nicht mehr auf

Schatten werden langsam länger
Hier im Zimmer wird es Nacht
Hörtest nur die Abendsänger
Bist nicht wieder aufgewacht

April 2020