Voices (26)
Ab diesem Zeitpunkt war nur noch Schwärze. Alles umfassende Schwärze, die er zuvor noch nie gespürt hatte. Die Dunkelheit persönlich umtänzelte ihn, liebkoste ihn, rief nach ihm. Er fühlte nichts, er sah nichts, er sprach nichts und hörte nichts. Er existierte nur in seinem Vakuum.
Ein Vakuum aus Schatten und Nacht.
Leiden war zeitlos. Die Welt drehte sich weiter, aber für ihn war sie stehen geblieben. Es war als hätte sich eine Haube über ihm gebildet und er streifte einsam durch das Nichts. Minute um Minute, Stunde um Stunde. Einmal war ihm ein Wesen begegnet so unglaublich hässlich, dass Jungkook keine Worte dafür fand. Der Körper wie ein Haufen aus Schlamm. Ein Maul so groß wie ein Koffer mit fauligen Zähnen. Das er bei ihm war störte den Gestaltwandler nicht im geringsten. Er war mit sich selbst beschäftigt, aber diese Augen. Diese Augen voller Schalk zerfrassen ihn. Er hatte sie nicht retten können und das wusste das Monster. Deswegen tanzte er darauf herum. Er nahm seinen Schmerz und feuerte ihn doppelt, nein, vierfach zurück, sodass Jungkook das Gefühl hatte zu ersticken oder zu verbrennen oder zu ertrinken. Viel mehr alles zusammen. Dann wanderte er weiter und weiter und weiter. Das Nichts blieb, der Schmerz auch und niemand konnte ihm helfen. Selbst weinen konnten er kein bisschen mehr. Nach einer Ewigkeit in dieser Stille kam ein Teich. In diesem wohnte eine Schlange mit grünen giftigen Augen und Zähnen so lang wie ein Teelöffel. Sie war ein geselliger Typ, was Jungkook überhaupt nicht passte. Er wollte allein sein. In seiner wärmenden Einsamkeit. Was ihn außerdem störte, waren diese mitleidigen Augen. Und Jungkook fühlte sich, als schäle sich seine Haut bei lebendigem Leibe. Er schrie und schrie und schrie. Doch kein Ton kam über seine Lippen.
Danach fiel er. Meter um Meter. Diese Dunkelheit hatte weder Anfang noch Ende. Sie war einfach da.
Eine andere Kreatur begegnete ihm. Sie war klein und hatte ein Dauergrinsen auf dem Gesicht. Es war das eines Psychopaten. Sie sang und säuselte in Flüsterton, dass er mitkommen solle. Sie kenne einen schönen hellen Ort, wo niemand ihm wehtun würde. Jungkook war gewillt ihr zu folgen, obwohl er diese Schatten mittlerweile mochte. Er sagte ihr, er komme wieder.
Eine Bank tauchte nach mehreren Dunkelheiten auf und der Schwarzhaarige nahm Platz. Sie war weich und ermöglichte ihm seine Füße zu entspannen. Und in dem Moment stand ein Fae vor ihm und Jungkook zuckte unmittelbar zusammen. Kalter Schweiß ran ihm den Rücken hinunter, auch wenn er nichts fühlte.
"Ich bin deine Angst", sprach es.
Sein Gegenüber hatte keinen Mund und keine Augen, keine Nase oder Ohren.
"Was willst du von mir?", fragte er und rutschte ein Stück weg.
"Ich will wissen, für was du dich entscheidest. Für den Schmerz, das Mitleid oder die Depression?"
Zum ersten Mal, seit er in dieser dauerhaften Nacht aufgetaucht war, wollte der Schwarzhaarige aufwachen. Aber es ging nicht. Er war zu tief gefallen. Zu tief gestrandet. Und hoffnungslos allein. Er schüttelte den Kopf. Er konnte sich nicht entscheiden. Zumindest noch nicht.
Die Ärzte im Zimmer besahen sich den jungen Gestaltwandler.
"Wie geht's ihm?", fragte Jimin.
"Unverändert."
"Kann man denn gar nichts machen?", verlangte Hoseok zu wissen, der Yoongi im Arm hielt. Jungkook lag seit zwei Tagen in einer Art Koma, obwohl ihm nichts fehlte. Dr. Song konnte sich es nur so erklären, dass der Schwarzhaarige einen Rückzugsort brauchte. Er musste sich von dem Geschehenen abschotten, erholen, um damit klarzukommen. Es änderte dennoch nichts an der Tatsache, dass die halbe Schule sich Sorgen machte. Ein jeder hatte den Kleinen ins Herz geschlossen. Ein Drache und das mitten am Tag. Es hatte sich wie ein Lauffeuer ausgebreitet.
"Er muss von allein aufwachen. Wir können nichts tun."
Taehyung seufzte resigniert und verließ anschließend das Zimmer. Hoseok sah zwischen der sich schließenden Tür und Yoongi hin und her.
"Geh schon. Ich komme zurecht."
Der Braunhaarige nickte und folgte dem Blauhaarigen. Auch die Ärzte verließen nach und nach das Zimmer bis nur noch Yoongi und Jimin in dem Raum waren.
Die Dunkelheit umwarb ihn wie ein Schleier aus Trost und Verderben. Einerseits war sie ein Schutz vor der Realität und andererseits glaubte Jungkook langsam er wurde verrückt. Jedes seiner gesagten Worte, er wusste, dass er sie sagte, erstickten in einer Lautlosigkeit, die er nicht kannte. Irgendein Unheil verfolgte ihn seit geraumer Zeit und er wurde es nicht los. Der Mund war ständig am Schreien, aber durch die Lautlosigkeit ihrer Umgebung hörte man keinen Ton. Und dafür war Jungkook dankbar. Er wollte, dass das Vieh verschwand. Er hatte noch nicht einmal Zeit zum ruhigen Nachdenken, denn jedes Mal, wenn er es wollte, kam ein Etwas und hinderte ihn. Es schien so, als würde keines dieser Wesen wollen, dass er rational dachte. Er sollte bloß ständig in die Dunkelheit starren, sich von ihr fressen lassen.
"Und? Hast du dich endlich entschieden?", seine Angst stand vor ihm, wieder ohne Gesicht.
"Wie denn, wenn ich mir keine Gedanken darüber machen kann?"
Es erklang ein Lachen, so schleimig und eklig wie eine Nacktschnecke.
"Du sollst nicht denken, nur entscheiden."
Jungkook fand keine Worte für das eben gehörte. Einen Wimpernschlag später war er allein und er begann seinen Weg durch das Nichts fortzusetzen. Nach einigen Schritten hielt er wieder an. Das einzige Monster, was ihm helfen wollte, war die Depression gewesen. Vielleicht. Vielleicht, sollte er sie wählen. Sie wollten ihm einen schönen Ort zeigen. Ein Ort mit Licht. Er vermisste es. Der Schwarzhaarige hatte das Licht schon so lange nicht mehr gesehen oder gespürt.
"Wie sieht's aus?", fragte Jin und setzte sich neben den Orangehaarigen auf den Boden.
"Vier Tage und nichts ist passiert. Yoongi geht es beschissen und jeder fragt, ob er schon wach ist. Ganz ehrlich, ich glaube er will nicht mehr aufwachen", murmelte Jimin gereizt. Diese ganze Situation störte ihn, zerrte an seinen Nerven und er verstand nicht, warum Jungkook ihn so leiden ließ. Er wollte einfach, dass alles wieder normal wurde. Obwohl normal in seiner Welt ein Nichts war. Zum Unterricht ist er erst gar nicht gegangen, weil seine Gedanken immer um den Gestaltwandler streiften.
"Hast du mal mit ihm gesprochen?"
Der Fae sah den Pinkhaarigen fragend an.
"Man sagt, dass Komapatienten sich an gesagte Worte erinnern, die jemand neben oder für ihn gesprochen haben."
Der Orangehaarige zuckte die Schultern.
Ein Versuch war es wert.
Er führte ein Starrduell gegen seine Angst. Sie wollte endlich seine Entscheidung hören. Er streifte schon viel zu lange durch das Nichts und die Kreaturen wurden nervös.
Sie wollten fressen.
"Also?"
Jungkook hatte einige Zeit überlegt, insofern man es so nennen konnte, wenn man jede Nase lang einem neuen Monster begegnete, dass ihn in irgendeiner Weise verletzen wollte. Er hatte seine Antwort gefunden. Er wollte aufgeben. Er wollte sich nicht mehr widersetzen. Er hatte so viel Leid erlitten, jetzt sollte ihm eine Pause vergönnt sein.
Doch bevor er seine Antwort preisgeben konnte, ertönte eine Stimme. Eine Stimme außerhalb dieses Vakuums. Jungkook kannte sie, aber wusste nicht, wem er sie zuordnen sollte.
"Ich glaube, einige Menschen sind geboren um zu kämpfen. Ich kann nicht erklären warum, aber sie haben dieses Feuer, diesen unbezwingbaren Willen und den Stahl in ihrem Blut. Sie treten jedem Leid entgegen, werden gebrochen und verletzt in unzähligen Wegen. Und deswegen, Jungkook, wurdest du dafür geboren. Vielleicht ist es nicht das Leben, was du dir gewünscht hast. Vielleicht möchtest du gerade alles hinschmeißen. Aber ich bin der Meinung, tief in deinem Inneren kannst du nicht einfach aufgeben. Es ist alles, was du kennst und alles, was du je gemacht hast."
Die Stimme räusperte sich und in Jungkooks Kopf formte sich ein Bild. Ein echtes Bild von einer echten Person, dass nicht in dieser Dunkelheit existierte, sondern in der Realität. Das Lebendigsein durchströmte den Schwarzhaarigen.
"In deinen dunklen Tagen musst du dich nur umdrehen und ich werde da sein. Vielleicht habe ich nicht mehr Licht als du schon hast, aber ich werde deine Hand nehmen und wir werden neues Licht finden. Zusammen. Also komm zu mir zurück."
Zurück. Ins Leben. In die Realität. In die Echtzeit. Das ist es. Trotzig sah er seine Angst an. Sein Körper begann wieder zu fühlen, alles kribbelte, erwachte zur Normalität, und bevor er sich in Luft auflöste, spuckte er ihr ins Gesicht.
Dann schlug er die Augen auf und war zurück.
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Hallöchen!
Ich liebe dieses Kapitel.
Es ist im Urlaub entstanden, während meine Mama neben mir saß. Himmel, ich dachte, gleich kommt irgendein Kommentar von ihr, in dem ich mich erklären muss🙈
Feel free to comment!
Erin 🌸
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