Home (29)


Es war einmal, da lebte eine glückliche Familie hier und dann starb sie.
Manchmal waren die Erinnerungen so allgegenwärtig, dass er sie förmlich noch einmal durchlebte. Wie jetzt gerade. Er stand vor dem Eisengitter und wagte keinen Schritt hinein.
"Wir warten hier mit dir, bis du dich bereit fühlst", sagte Namjoon und legte ihm eine Hand auf die Schulter.
Bereit. Das war ein bescheuertes Wort. War man bereit in das Haus zurückzukehren, in dem ein Mord passiert war? In dem man seine Familie verloren hatte? War man dazu 'bereit'? Mit einem tiefen Atemzug und wackeligen Knie setzte der Gestaltwandler einen Fuß vor den anderen.
Vor der hölzernen Flügeltür hielten sie inne, als Jungkook etwas feststellte. Er hatte gar keinen Schlüssel. Doch binnen Sekunden öffnete sich die Tür von selbst. Magie. Seine Mutter hatte ihm mal erklärt, dass nur Familienmitglieder der Zutritt gewährt wurde. Oder jemand öffnete von innen die Tür. Der Schwarzhaarige schluckte schwer. Jetzt gab es kein Zurück mehr, obwohl er liebend gern die Beine in die Hand genommen hätte und wie immer geflüchtet wäre. Die Empfangshalle kam zum Vorschein. Während die anderen staunend hineingingen, wurde Jungkooks Atmung immer hektischer. Er versuchte sich abzulenken. Nicht an die Nacht zu denken, sondern sich auf das zu konzentrieren, was vor ihm lag. Die Möbel standen immer noch an Ort und Stelle. Nur das sie mit Lacken abgedeckt wurden. Eine dicke Staubschicht lungerte auf dem Boden und brachte den Gestaltwandler zum Niesen. Er was so, wie es im Hier und Jetzt nicht war. Zu seiner Linken hing immer noch das Familiengemälde, doch Jungkook wagte keinen Blick darauf, stattdessen suchte er nach Anhaltspunkten für Go-eun. Wie konnte er den Irrwicht finden? Eine andere Frage entsprang seinem Kopf, welche Yoongi kurz darauf ansprach.
"Findet ihr es nicht auch merkwürdig, dass wir niemandem von Hyunas Leuten begegnet sind?"
Zustimmendes Gemurmel von allen Seiten.
"Vielleicht hat Go-eun sie verjagt", grübelte Taehyung laut.
Namjoon schüttelte den Kopf.
"Vielleicht ist die Krone gar nicht hier."
Darüber hatte Jungkook auch nachgedacht. Bisher war nie die Rede davon, dass die Krone in Busan oder in diesem Anwesen war. Vielleicht aber hatte Hyuna sie schon längst in ihrer Gewalt. Jedoch konnte der Schwarzhaarige sich das nicht vorstellen. Jimin derweil war schon im nächsten Zimmer und stockte. Der Teppich inmitten des Raumes war eine einzig riesige Blutlache. Er wusste, was das bedeutete. Das war der Ort an dem Jungkooks Familie ums Leben kam. In diesem prunkvollen Wohnzimmer, wo Weihnachten und Geburtstage gefeiert wurden. Wo man spielte und liebte. Wo man lebte und glücklich war. In diesem Moment spürte er den Schmerz seines Manacaras unvorstellbar stark. Auch wenn sie die Vereinigung noch nicht vollbracht haben, waren die Gefühle, die sie füreinander verspürten unglaublich intensiv. Er konnte es kaum beschreiben. Der Orangehaarige machte kehrt und bedeutete den anderen nicht in den Raum zu gehen. Sie verstanden.
Ein Geräusch ließ sie zur rechten Seite des Foyers schauen. Die Tür war angelehnt, was vorher nicht so war. Jin ging vorsichtig auf sie zu. Hoseok folgte ihm zur Sicherheit. Doch als sie die Tür aufstießen, kam nur ein leerer dunkler Flur zum Vorschein.
"Ich gehe allein. Ihr wartet bitte hier", bat Jungkook. Jimin wollte zum Protestieren ansetzen, jedoch hielt ihn Namjoon zurück. Stumm sagten seine Augen:
Es ist seine Aufgabe.
Also ließ er ihn gewähren.

Währenddessen schlich der Gestaltwandler durch die vielen Türen, ehe er in seinem alten Zimmer zum Stehen kam.
"Was habt ihr zu bieten?", schnurrte eine tiefe Stimme aus der Dunkelheit.
"Ich akzeptiere, Dollar, Euros, Sterling, gebrochene Herzen, dunkle Geheimnisse und Kristalle."
Jungkook trat näher heran. Scheinbar erkannte ihn der Irrwicht nicht. Wie auch, es waren zehn Jahre vergangen. Der Kristall wog schwer in seiner Hand. Das hier war seine letzte Erinnerung an Sunmi. An seine zweite Mutter. Irgendwie wollte er ihn nicht hergeben. Er legte ihn hin. Einen Wimpernschlag später stand das Wesen vor ihm und betrachtete ihn.
"Jeon Jungkook?"
Es überraschte den Gestaltwandler unglaublich, dass sein gegenüber keinesfalls wie zu ihrer ersten Begegnung aussah.
"Warum siehst du so normal aus?", flüsterte er.
Go-eun war alt, seine Haare ergraut, die krumme Nase ließ ihn noch gebrächlicher aussehen und die Tatsache das er hinkte, setzte dem das I-Tüpfelchen auf.
"Weil du dem Tod begegnet bist. Du weißt wie es ist innerlich zu sterben. Es gibt nichts grauenhafteres", seufzte der Irrwicht und ließ sich auf der Schrankante nieder. Es herrschte für einige Minuten eine unangenehme Stille.
"Du bist hier wegen der Krone."
Es war mehr eine Feststellung als eine Frage. Der Schwarzhaarige nickte.
"Nun, die Krone offenbart sich denjenigen, die sich ihrer größten Angst stellen."
Die Sprachlosigkeit schien ihm im Gesicht zu Stehen. War es wirklich so einfach?
"Ich war schon immer nur die Vorstufe dessen, was einem bei der Krone erwartet. Bisher konnte niemand mich überwinden, außer du."
Sein Mund wurde mit einem Mal trocken. Was war seine größte Angst? Er horchte in sich hinein, doch sein Inneres regte sich nicht, als hätte es Angst sich zu zeigen.
"Behalte den Stein und finde die Krone", sagte Go-eun müde und stemmte sich auf seine Füße. Der Irrwicht wollte schon gehen, da hielt ihn Jungkook auf.
"Und was ist mit dir? Was machst du jetzt?"
"Warten, dass auch mich der Tod einholt."
Die Augen des Gestaltwandlers wurden groß. Ihm war bewusst, dass er das Wesen nicht davon abhalten konnte. Bevor er sich aber umdrehte, sagte er:
"Danke, danke, dass du auf unser Haus aufgepasst hast."
Jungkook sah im Augenwinkel wie der Ältere lächelte.

Der Gestaltwandler wusste wie es endete, aber der Anfang, der Anfang war ihm damals entfallen. Er war verschwommen, wie eine Linie Filzstift auf nassem Papier.
Als er zu den anderen zurückkehren wollte, änderte sich plötzlich die Szenerie. Der Boden begann sich zu bewegen und im nächsten Moment saß der Schwarzhaarige gefesselt als sein achtjähriges Ich an einen Stuhl. Was war hier los?
Ein Gesicht tauchte vor seinem auf. Er erkannte die Augen sofort. Hyuna.
"So mein lieber kleiner Jungkook. Du darfst entscheiden, wer zuerst stirbt."
Er schüttelte vehement den Kopf. Er möchte nicht entscheiden. Er möchte nicht. Er möchte lieber mit Junghyun spielen.
"Du bist ein Spielverderber."
Sie zog eine Schnute und entfernte sich. Jungkook versuchte sich zu beruhigen. Das war nicht echt. Das ist längst Vergangenheit. Niemand konnte ihm Schaden. Er sah zur Seite. Sein Vater hatte einen gebrochenen Arm, während seine Mutter den blutenden Junghyun im Arm hielt.
Da fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Er hatte sie ins Haus gelassen. Er war zur Tür gerannt und hatte sie geöffnet, wobei sein Vater immer gepredigt hatte es nicht zu tun. Er war Schuld. Er hatte das Unheil in ihr Zuhause gelassen. Ihm wurde speiübel. Sein Körper begann unkontrolliert zu zittern, sein Kleinkind-Ich weinte und schluchzte. Wehrte sich gegen die Ketten. Er wollte weg. Ganz weit weg.
"Jungkookie, Jungkookie, beruhige dich", grinste Hyuna.
"Das Leben wird weitergehen. Für dich. Weißt du, dein Bruder wollte nicht mit mir ausgehen. Also werde ich dich nehmen. Wenn auch mit Gewalt."
Der Laut, der aus seinem Körper fliehen wollte, blieb stecken. Das war nicht echt. Das war nur ein Traum. Jemand oder etwas wollte ihn leiden sehen. Die Krone! Sie wollte sich ihm offenbaren.
"Fahr zu Hölle, du Hexe!", stöhnte sein Bruder. Jungkooks Augen wanderten zu ihm. Er sah schrecklich aus. Überall Blut. Er war so weiß wie Schnee. Der Tod kam viel zu schnell. Binnen einer Sekunde wurde sein Körper von einem Messer durchbohrt. Seine Mutter wehrte sich gegen Edawn, der aufgetaucht war. Doch auch sie konnte nichts tun. Der Nächste, der starb, war sein Vater. Er riss sich von seinem Stuhl los und verwandelte sich in einen Geparden. Jedoch walzte ihn ein Kugelhagel von Patronen nieder. Er blickte seine Frau an und hauchte ein "Auf ewig". Dann viel sein Körper mit einem dumpfen Prall auf den Boden. Der Laut, den seine Mum von sich gab, versprühte nichts menschliches. Ein Klagelaut voller Todesangst, Leid und Schmerz. Jungkook wimmerte und krächzte den Namen seines Bruders.
"Mein Wirbelwind, schau mich an", er folgte ihrer Bitte.
"Versteck dich niemals und sei alles was du willst. Jemand wird kommen und dich erretten."
Ihr Lächeln war das Letzte, was er von ihr sah. Das Schwert glänzte im hellen Licht des Feuers, welches brannte, und ihr Kopf schlug Sekunden später getrennt von ihrem Körper auf. Eins hatte er verstanden an jenem Abend.
Vielleicht gab es keinen morgigen Tag.

Schreiend lag er auf dem Boden des Wohnzimmers, wo das getrocknete Blut ihn beschützte. Jimin kam hereingestürmt und nahm ihn in den Arm. Wog ihn hin und her. Flüsterte beruhigende Worte. Aufmunternde Worte. Jungkook fiel es schwer zu unterscheiden, ob das die Realität oder ein Traum war.
"Ich habe sie gesehen. Ich war wieder in jener Nacht. Ich war wieder da."
Mittlerweile weinte und schluchzte er ununterbrochen. Hemmungslos. Sein ganzer Körper bebte. Die anderen kamen hinzu. Jimin trug ihn an die frische Luft. Yoongi strich über seinen Rücken. Sie verweilten Minuten so in dieser Position und es ließ ihn ein wenig besser fühlen.
Die Sternen funkelten über ihnen.
Die Worte, die der Orangehaarige flüsterte, klangen voller Ehrfurcht und Ehrlichkeit
"Die Vergangenheit ist vergangen. Du kannst sie nicht ändern. Aber wir können die Zukunft verändern. Und wir fangen damit an, das wir Hyuna in die tiefsten, dunkelsten Gegenden der Hölle schicken werden."
Jungkook wollte ihm glauben.
"Hey Leute", flüsterte Taehyung und zeigte zur Treppe, von der sie nach draußen gekommen waren.
"Ist das normal, dass da was Schwarzes in der Luft schwebt."
Jungkook hob seinen tränenverschleierten Blick zur der Richtung, die der Blauhaarige nannte.
In einem düsteren Licht erstrahlte sie.
"Ich glaube, die Krone hat uns gefunden", stellte Jimin fest.

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Dieses Kapitel hat mich psychisch zerstört. Allein schon der Anfang. Mein armer Jungkookie. Das hat er nicht verdient. Aber so wisst ihr wenigstens, was passiert ist.

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Erin🌸

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