Leseprobe aus ,,So genial''
Eine ganze Weile schassieren wir nur, ohne etwas zu sagen. Trotzdem ist die Stille alles andere als unangenehm. Wir laufen so dicht nebeneinander, dass wir uns beinah berühren. Und dann, ohne dass ich weiß, wer die Sache initiiert hat, berühren sich unsere Fingerspitzen. Mein Daumen streift ihren Daumen, unsere Handkanten berühren sich und kaum eine Sekunde später halten wir doch tatsächlich Händchen.
Charlotte verschränkt ihre Finger mit meinen. Ihre Hand ist warm und passt in meine, als wäre sie hineingegossen worden wie flüssige Bronze. Kein Wort dringt über meine Lippen, ich habe Angst, den Moment zu zerstören. In einvernehmlichem Schweigen schlendern wir durch die Nacht, die mir mit jeder Sekunde immer perfekter erscheint.
Charlotte hält vor einem schlichten Haus an, lässt ihren Blick an der Fassade auf und ab gleiten und atmet aus.
„Hier wohne ich", sagt sie.
„Gut." Ich nicke. „Weiß ich Bescheid."
Im Augenwinkel sehe ich, dass ihr die Frage auf der Zunge brennt, ob ich noch mit hochkommen möchte, und ich warte ab. Sie kennt die Antwort bereits. Und sie enttäuscht mich auch nicht.
„In Ordnung." Sie seufzt leise. „Bis morgen", verabschiedet sie sich von mir und umarmt mich.
„Warte mal", bitte ich sie, als sie sich von mir löst. Aufmerksam sieht sie mir in die Augen.
„War schön heute", stammle ich. Hoffentlich klinge ich dabei in ihren Ohren selbstbewusster als in meinen eigenen.
„Fand ich auch", bestätigt sie. Immer wieder rutscht mein Blick runter auf ihre Lippen.
Ich gehe einen Schritt auf sie zu, sodass ich unmittelbar vor ihr stehe. Dann kratze ich all meinen Mut zusammen, beuge mich vor und küsse sie auf die Wange. Vielleicht ein wenig länger als notwendig gewesen wäre. Verdammt, war das zu lang?
Charlottes Augen leuchten allerdings, als ich mich zurückziehe, weshalb sich meine Bedenken umgehend in Luft auflösen. Sie kämpft gegen ein fettes Grinsen an, das am Ende aber doch ihr Gesicht schmückt.
„Was?", frage ich sie, als sie lächelnd den Kopf schüttelt und zu Boden schaut.
„Nichts. Ich frage mich nur ..." Sie blickt auf und leckt sich über die Oberlippe.
„Warum sind die braven Jungs nur immer die süßeste Verlockung?"
Ich vergrabe meine Hände in den Hosentaschen und ziehe die Schultern hoch.
„Wahrscheinlich sind sie gar nicht so anständig."
„Die Datenermittlung zur empirischen Untersuchung dieser Frage ist alles andere als abgeschlossen, schätze ich."
„Die wird morgen fortgesetzt. Wann soll ich vor deiner Tür stehen?"
„Gegen acht", verlangt sie, drückt sich hoch auf die Zehenspitzen und haucht mir ebenfalls einen raschen Kuss auf die Wange.
Ich stehe noch am selben Fleck, während Charlotte mir von der Tür aus zuruft: „Ich wähle ein Rezept aus, meine Kollegin hat hoffentlich was Gelingsicheres in petto."
Mein Gehirn fährt inzwischen glücklicherweise wieder hoch.
„Ich kann einkaufen gehen, wenn du mir die Liste mit den Zutaten schickst", biete ich an.
„Du hast heute unsere Getränke bezahlt, morgen bin ich dran", lehnt sie ab. „Träum was Süßes", sagt sie und grinst frech.
Sie zieht den Schlüssel ab und schaltet das Licht im Hausflur an.
„Gute Nacht", rufe ich. Charlotte winkt mir, ehe sie in ihrem blassblauen Wohnhaus verschwindet.
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