Kapitel 9 - Angriff
Der Wald scheint den Atem anzuhalten. Geräuschlos ziehen die Elben ihre Klingen, Aragorn tut es ihnen gleich. Keiner der zahlreichen Vögel, die bis eben noch so munter ihr Lied gepfiffen haben, führt dieses fort. Selbst der Wind in den Bäumen schweigt. So wenige Geräusche wie möglich verursachend spannt Legolas den Bogen. Nur das Rascheln im dichten Blattwerk kündet von der bevorstehenden Gefahr. Legolas lässt die Sehne los, der Pfeil löst sich vom Bogen, schießt über seinen Handrücken und verschwindet im Geäst. Ein Fauchen kündet von seinem Treffer und nun kommen die Spinnen hervor. An weißen Spinnfäden lassen sie sich von den Bäumen herunter und greifen von vorne und den Seiten an, zwei jedoch verharren im Geäst und warten auf die Möglichkeit, von oben zuzuschlagen. Zornig schickt Gandalf jenen auf dem Boden krabbelnden Geschöpfen eine heiße Flamme entgegen, die am harten Panzer der Untiere leckt. Doch dass sich eines der schwarzen Ungeheuer schreckliche Laute ausstoßend am Boden krümmt, hält die anderen nicht davon ab, weiter auf die kleine Gruppe zuzukommen. Wie auf ein Zeichen hin lassen Legolas, Lindo und Galuelloth nochmals Pfeile fliegen, die ihr Ziel in den massigen Leibern der Spinnen finden, dann sind die übrigen Ungetüme zu nahe heran, um ihnen mit Feuer oder Pfeilen beizukommen. Legolas wechselt in Windeseile den Bogen mit einem weißen Langmesser.
„Maetho!", ruft Legolas und die Elben lenken ihre Pferde auf die Spinnen zu.
Die Körper der Spinnen erheben sich hoch über den Boden. Aragorn lenkt sein Pferd geschickt mit den Beinen knapp an einem der Tiere vorbei. Dieses wendet sich nur träge um und Aragorn sticht, obwohl sein Schwert wohl eher eine Schlagwaffe ist, zu. Der Stahl bohrt sich durch den Kopf der Spinne und tötet sie. Doch nun werden auch die Spinnen zornig. Alle scheinen sie sich darauf zu verständigen, sich auf Arathorns Sohn zu stürzen. Für einen Moment denkt Aragorn nicht a die Spinnen, die noch in den Zweigen lauern, doch dann wird er vom Pferderücken geworfen und fällt hart zu Boden.
„Estel!" Legolas' Schrei vertreibt die leichte Benommenheit ob des harten Aufpralls aus Aragorns Kopf. Er sieht die Mundwerkzeuge der Spinne über sich. Das Schwert ist ihm beim Fallen aus den Händen gerutscht, ein kurzer Dolch steckt noch in seinem Gürtel. Doch dieser ist kaum länger als die geifernden Zangen der Spinne. Aragorn reißt den Dolch aus dem Gürtel, doch er kommt nicht mehr dazu, ihn einzusetzen, denn ein weißes Langmesser bohrt sich in den Kopf des Untiers. Bevor die Spinne ihn unter ihrem Gewicht begraben kann, gelingt es Aragorn, hervorzukriechen. Er gewahrt Legolas, der sich trotz dem noch tobenden Kampf neben ihn kniet.
„Estel, gwador nín, ist alles in Ordnung mit dir?" Aragorn nickt und blickt sich derweil schon suchend nach seinem Schwert um.
„Elbereth sei Dank!", stößt Legolas aus, „Hîr Elrond hätte es mir nie verziehen, wenn dir etwas zugestoßen wäre. Und Arwen erst recht nicht", setzt er mit einem leichten Schmunzeln hinzu. Aragorn lächelt, als seine Gedanken kurz zu Arwen schweifen, doch die nicht verklingenden Geräusche des Kampfes holen in schnell in die Wirklichkeit zurück.
„Legolas, mein Schwert. Wo ist es?", fragt er und steht auf.
„Ich habe es nicht gesehen. Der Körper der Spinne wird es unter sich begraben haben." Aragorn stößt einen Fluch aus.
„Mellon nín, ein Fluch wird dein Schwert nicht zurückbringen. Nimm besser mein Schwert, denn mir genügt mein Messer." Er reicht, nachdem er sein weißes Messer aus dem toten Körper der Spinne gezogen hat, Aragorn seine geschwungene Klinge, die dieser kurz in der Hand wiegt.
„Ein wahrlich gutes Schwert. Wohl ein wenig zu lang für meine Körpergröße und für mich ungewohnt nur mit einer Hand zu führen, doch besser als gar keine Klinge oder nur die eines kurzen Dolches allemal."
„Estel, runter!" Geistesgegenwärtig lässt Aragorn sich zu Boden fallen, als Legolas' Messer wieder über hin fliegt. Doch diesmal trifft der junge Elb nicht wie gewünscht und die Spinne krabbelt weiter. Aragorn springt auf und stellt sich, das Elbenschwert hoch erhoben, vor seinen elbischen Freund. Dieser löst sich geschwind von Aragorn und erklettert flink einen hohen Baum. Von dort haben seine Pfeile wieder eine Wirkung und die letzte Spinne hat sich mittlerweile auch aus dem Geäst heruntergelassen. Rasch überblickt Legolas das Kampfesfeld. Mithrandir hat noch einer Spinne mit seinem Feuer den Garaus gemacht, Lindo kämpft verbissen mit einer der Riesenspinnen, doch Galuelloth eilt ihm bereits zur Hilfe. Zwei andere maethoerversuchen, eine weitere Spinne zu töten, Mithrandir wendet sich gerade ebenfalls der nächsten zu, die gerade dabei ist, Armagor anzugreifen, und Estel und er selbst sehen sich der letzten Spinne gegenüber. Diese beginnt einen Angriff und krabbelt mit großer Geschwindigkeit auf Aragorn zu. Dieser packt, der Gewohnheit nach, mit der zweiten Hand ebenfalls das Heft des Schwertes, doch als er seine andere Hand berührt, lässt er den Arm wieder sinken.
Als die Spinne heran ist, stecken bereits zwei Pfeile in ihrem Panzer, doch auch diese haben sie nicht daran gehindert, weiter auf Aragorn einzudringen. Dieser schwingt das Schwert mit nahezu elbischer Eleganz und springt wie ein junges Reh herum, um den Angriffen der Spinne auszuweichen und gleichzeitig eine gute Stellung abzupassen, um das Tier zu töten. Legolas lässt erneut einen Pfeil fliegen. Dieser prallt am Panzer der Spinne ab, doch dieser kurze Moment der Unachtsamkeit von Seiten des Tiers genügt Aragorn, um ihm den Todesstoß zu versetzen. Er nickt Legolas kurz zu, zieht das Messer ein weiteres Mal aus dem Körper einer Spinne und wirft es dem Elbenprinzen zu. Dann hastet er zu Gandalf, der den Stab beiseite geworfen hat und mit beiden Händen Glamdring führt. Legolas klettert ihm hinterher und als er über der Spinne ist, lässt er sich fallen. Das mit dunklem Blut besudelte Messer sticht er in den massigen Körper des Tiers und Blut spritzt auf seine Kleidung und lässt den Panzer der Spinne rutschig werden. Diese bäumt sich ob des Schmerzes auf. Beinahe senkrecht stellt sie sich hin und versucht, den Elben auf ihrem Rücken abzuschütteln. Mit eiserner Hand hält sich Legolas an dem fest im Körper der Spinne steckenden Messer fest, er wagt es nicht herunterzuspringen, denn das Tier gebärdet sich wie toll. Doch der Sitz des Messers lockert sich und er wird vom Rücken der Spinne geschleudert und prallt mit dem Hinterkopf gegen den harten und dicken Stamm einer alten Eiche.
Mit Schrecken beobachtet Aragorn den Kampf seines gwadors mit der Spinne. Erst, als Legolas von ihrem Rücken geschleudert wird, rennt er auf die immer noch aufrecht stehende Spinne zu und rammt ihr die elbische Klinge in den weichen Unterleib. Mit einem Kreischen bricht das Tier zusammen und Aragorn rettet sich mit einem Sprung zurück vor ihm. Er eilt zu Legolas und Gandalf unterstützt die beiden Wächter, deren Namen Aragorn nicht kennt, und Armagor mit seinen Zaubererkräften. Auch Galuelloth und Lindo haben gemeinsam die Spinne, gegen die sie zuletzt gekämpft hatten, zu Fall gebracht und stürzen sich auf das letzte überlebende Tier. Doch nach einigen Flammen, Pfeilen und Schwerthieben liegt auch dieses bewegungslos.
Aragorn kniet sich neben Legolas. Beunruhigt stellt er fest, dass dessen Augen geschlossen sind und sein Kopf zur Seite gefallen ist. Behutsam dreht er ihn so, dass er Legolas' Hinterkopf betrachten kann. Eine offene Wunde offenbart sich ihm, deren Blutung das Haar des Elben rot färbt. Estel springt wieder auf und ruft nach seinem Pferd, das in Panik in den Wald geflüchtet ist, jedoch noch sein Gepäck trägt. Das treue Tier hört den Ruf seines Herrn und da es den Elben und Aragorn vertraut, kommt es langsam näher, die Ohren noch immer wachsam aufgestellt. Derweil eilen auch die anderen Wächter und Gandalf herbei. Lindos junges Gesicht ist von einer Wunde verunziert, die sich von der Schläfe knapp am Ohr vorbei bis zum Kinn zieht, allerdings bedeckt das Blut mittlerweile den Großteil seines Gesichts. Galuelloth ist recht glimpflich davongekommen, er weist keine sichtbaren Verletzungen auf. Einer der zwei übrigen Wächter humpelt, sein rechtes Hosenbein ist aufgerissen und offenbart eine blutende Wunde, und auch sein rechter Arm weist etliche kleine Verletzungen auf. Sein Kampfgefährte dagegen kann sich nur über den gebrochenen Bogen beklagen. Als letzter stößt Armagor hinzu, der an der Seite Gandalfs kämpfte. Auch ihn zieren einige Verletzungen, doch keine schwere oder stark blutende. Estel seufzt unbewusst auf. Sie haben keinen Wächter verloren. Er streicht Bregolas einmal über die Nüstern, dann öffnet er eine der Taschen, die an seinem Sattel befestigt sind, und holt sauberes Tuch heraus. Eine Seite tränkt er vorsichtig mit Wasser, um die Wunde an Legolas' Hinterkopf so gut es geht auszuwaschen. Vorsichtig stützt er mit einer Hand des Elben Kopf, während er mit der anderen sorgfältig die Wunde von den Resten der Baumrinde reinigt. Anschließend presst er die saubere Seite des Tuchs auf die Wunde, um die Blutung zu stoppen. Besorgte Blicke folgen ihm bei jedem Handgriff.
„Hîr nín, was ist mit dem anhall-in-thirn?", fragt Lindo vorsichtig.
„Er wird wohl bei dem Aufprall das Bewusstsein verloren haben. Aber seid unbesorgt, Lindo, er hat den Dickschädel seines Vaters geerbt und wird sicherlich gleich wieder zu sich kommen." Aragorn lächelt den Elben zu, die sich ob dieser Unverschämtheit ihrem König gegenüber und dessen Sohn unbehaglich ansehen. Aragorn schüttelt unwillig den Kopf, was Gandalf ein leichtes Schmunzeln entlockt, dann wendet er sich wieder seinem gwador zu, der in diesem Moment gegen das helle Licht blinzelt. Aragorn lächelt erleichtert, als er sieht, dass Legolas wieder zu sich kommt.
„Schön, dass du wieder bei uns bist, mellon nín. Du hast mir einen schönen Schrecken eingejagt!" Legolas sieht sich kurz verwirrt um, dann wird er der besorgten Mienen der ihm unterstellten Elben, des Istars und Estels gewahr.
„Wieso ,wieder bei uns'?", fragt er. Aragorn schüttelt leicht den Kopf.
„Legolas, Legolas. Ihr Elben geltet als so standhaft und dann bringt dich ein Baum, den du doch eigentlich so gerne hast, dazu, dass dein Gedächtnis schwach wird." Er schmunzelt kurz, dann erklärt er, wieder ernst: „Als du auf dem Rücken der Spinne standst, versuchte sie, dich loszuwerden. Du wurdest gegen diese Eiche hier geschleudert und verlorst für kurze Zeit das Bewusstsein." Legolas sieht ihn kurz erschrocken an, dann versucht er, wieder auf die Beine zu kommen. Doch sofort wird ihm schwindelig und er muss sich mit einer Hand an der rauen Rinde abstützen. Aragorn stützt und zieht ihn auf die Beine.
Dankbar lächelt Legolas, doch als Aragorn sagt: „Du solltest dich etwas erholen, bevor wir weiterreiten", wird seine Miene wieder düsterer.
„Estel, es geht mir wieder gut. Wir müssen uns eilen, um möglichst bald die alte Waldstraße zu erreichen. Noch so einen Angriff werden wir nicht so gut überstehen."
„Legolas, nimm Vernunft an. Um zu erkennen, dass dir schwindelig ist und dein Kopf brummt, braucht man wahrlich kein Heiler zu sein, und ich verstehe nicht, warum du unbedingt aufstehen wolltest. Aber jetzt setz dich bitte wieder hin!"
Ein strenger Unterton schwingt in Estels Stimme mit und Legolas brummt mürrisch: „Elrond hat einen großen Einfluss auf dich, nicht wahr?" Aragorn zieht lediglich eine Braue hoch und hilft Legolas, sich wieder zu setzen. Mit einem strengen Blick warnt er den Elben nochmals lautlos, sich ja nicht von der Stelle zu rühren, dann wendet er sich den anderen Elben zu und versorgt die schlimmsten Verletzungen ebenfalls.
*
Thranduil hört aufmerksam einem Boten zu, der Neuigkeiten aus Thal bringt, alsseine feinen Sinne Gefahr wahrnehmen. Unauffällig blickt er sich im Saal um,doch nichts ist ungewöhnlich. Er horcht in sich hinein und stellt gleich daraufmit Schrecken fest, dass es das Echo der Empfindungen seines Sohnes ist, diedurch ihre enge familiäre Bindung in ihm widerhallen. Was beunruhigt ihn so?Sind es wieder Spinnen, die die Gruppe angreifen? Plötzlich hören dieseEmpfindungen auf. Nichts ist mehr zu spüren. Thranduil kann sich gerade nochbeherrschen und springt nicht auf, doch eine tiefe Unruhe hat Besitz von ihmergriffen. Doch selbst wenn er sofort losritte, um seinem Sohn zu helfen, wäredie Gefahr bis er ihn erreichte, gebannt oder er käme zu spät. Es bleibt ihmnichts anderes übrig, als zu warten.
„Und deshalb erbittet König Brand Eure Antwort so schnell wie möglich",schließt der Bote seinen Bericht und sieht Thranduil abwartend an. Dieserblinzelt einmal kurz verwirrt, hat er doch den anscheinend entscheidenden Teilder Auskünfte nicht gehört.
„Ich danke Euch für den ausführlichen Bericht. Kommt mit mir, ich werde bei derEntscheidung meinen Berater hinzuziehen." Thranduil versucht, durch solcheAllgemeinplätze zu verschleiern, dass er zwischendurch unaufmerksam gewesenist. Verwundert hebt der Bote kurz eine Augenbraue, doch nicht lange lässt ersich die Verwunderung anmerken, denn wenn sein König dies für nötig hält, sohat er sich nicht zu widersetzen.
Auf dem Weg zu den kleineren Beratungsräumen schickt Thranduil nach einemweiteren Befehlshaber der Elbenkrieger. Als er, einer der Berater und der Botesich niedergelassen haben und bevor einer von ihnen das Wort erheben kann,klopft es an der Tür. Als Thranduil den Ankömmling hereinbittet, öffnet dieserdie Tür und verneigt sich tief.
„Ihr habt mich rufen lassen, aran nín?"
„Ja. Reitet mit einigen Eurer Krieger hinaus und folgt meinem Sohn. Er und fünfunserer Wächter begleiten Aragorn und Mithrandir, doch ich glaube, sie sindoder waren in Gefahr. Eilt Euch!"
„Aran nín, denkt Ihr wirklich, dass das nötig ist? ZahlreichePatrouillen sind am Rande der Elbenwege unterwegs, Euer Sohn wird von ihnensicherlich nicht ..."
„Schweigt!", unterbricht Thranduil ihn scharf. „Tut das, was ich Euchaufgetragen habe! Euer Hauptmann und seine Schutzbefohlenen sind möglicherweisein Gefahr, also widersprecht mir nicht! Sie wollen so schnell wie möglich aufdie Waldstraße, Ihr kennt Euch auf unseren Wegen gut genug aus, um ihnen zufolgen! Also reitet!"
Der Angesprochene hat unwillkürlich den Kopf etwas eingezogen, als Thranduilaufgestanden ist und bedrohlich einen Schritt auf ihn zu gemacht hat. Nunbringt er ein hastiges „Ja, aran nín, sofort!" hervor, bevor ersich nochmals verneigt und dann eilig den Raum verlässt. Mit einem grimmigenBlick in Richtung der Tür setzt Thranduil sich wieder. Sein Berater sieht ihnfragend an, doch er winkt mit einer leichten Geste ab. Am liebsten würde erselbst hinausreiten, doch so akut scheint die Gefahr nicht zu sein. Er solltesich nun wieder auf die Nachrichten aus Thal konzentrieren, anstatt auf seinekaum vorhandene Gabe des Sehens, wie sie der Herr Elrond und die Hohe Fraubesitzen, zu hören.
***
Maetha-: kämpfen; maetho: Imperativ (hier im Sinne von „greift an")
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