Maternita

"So, da wären wir, sieht doch ganz nett aus, oder?" Marius bemühte sich um einen heiteren Tonfall, doch das beunruhigte Nanna nur noch mehr.

Den Weg hierher, durch den Dschungel von Elysion, den Pfad entlang des Tahita-Baches, hatte Nanna zu kämpfen. Nicht etwa gegen Insekten oder Ungeziefer, die es hier draußen in Massen gab, sondern gegen ihre eigenen Insekten. Die Käfer, die ihren Hals emporkrochen.

Die Fliegenschwärme in ihrer Brust und die Feuerameisen in ihren Füßen. Der Kampf zehrte an Nannas Nerven und sie war nicht mehr in der Lage zu sprechen.

In drei Wochen würde sie den Weg durch den Dschungel nicht mehr zurückgehen, so wie heute. Diese Erkenntnis überstieg ihre Vorstellungskraft. Die Bilder der Zukunft waren nicht zu greifen, sie waren wie Sternschnuppen am Himmel − unerreichbar.

„Nun komm! Du schaffst das, Kleines, nur Mut. Wenn du erst mal drin bist, ist die Aufregung weg, wirst schon sehen."

Marius' Aura sollte eigentlich beruhigend auf Nanna wirken, er verströmte Entspannung und Harmonie. Doch selbst die Technik eines Androiden konnte nichts gegen Nannas Gefühlswelt ausrichten. Ihr Inneres war isoliert und unantastbar, genau wie Elysion durch eine Kuppel geschützt war. Nichts drang hindurch, nicht der kleinste Windhauch.

Nanna blickte tief in Marius eisblaue Computeraugen. Sie sah seine Programmierung und die Leere hinter seinen Augen. Und doch kannte sie ihn, seit sie denken konnte. Er war Vater und Mutter in einer Person. Sie nickte ihm zu, vertraute ihm, und tat einen Schritt auf das Gebäude zu. Hier war es also – Maternita, ihr neues Zuhause.

Sie musste den Kopf in den Nacken legen, um bis ganz nach oben zu blicken. Strahlend blauer Himmel im Hintergrund und die weiße Pyramide im Vordergrund. Das Sonnenlicht reflektierte die Oberfläche und Nanna musste ihre Augen abschirmen. Es war ein und dasselbe Gebäude wie Pueriton. Äußerlich zumindest.

Rundherum herrschte Wildnis, wie überall innerhalb der Kuppel. Das Krächzen und Kreischen der Vögel durchbrach die Stille und Insekten zirpten und surrten von allen Seiten heran. Nannas Sinne waren zum Zerreißen gespannt. Ihre rechte Augenbraue zuckte unaufhörlich.

Marius nahm ihre Hand und steuerte die schwarze Eingangstür an. Er hielt seinen Unterarm an die Wand und sprach das Erkennungszeichen. Dann schob sich die Öffnung lautlos zur Seite und beide traten ein. Sie wurden von zwei Androiden empfangen. Sie alle verbeugten sich voreinander, stellten sich vor und Nanna folgte den drei Robotern.

Der Eingangsbereich erinnerte sie auch an Pueriton. Schwarze Bodenfliesen, auf denen ihre Schuhe leise tapsende Geräusche verursachten. Rechts und links säumten Topfpflanzen den Gang, mit leuchtend roten Blüten, die wie Kelche aussahen und nach Kirschen dufteten. So viele Zimmer wie Pflanzen befanden sich auf dieser Ebene. Eine Tür nach der nächsten. Gleiches an Gleichem.

Nanna ließ ihren Blick an die Decke schweifen. Sie war durchsichtig und das Sonnenlicht ergoss sich meterweit herunter.

An den Wänden wurde das Schwarzweiß des Gebäudes durchbrochen. Bunte Kunstwerke reihten sich aneinander. Muster, Porträts, Landschaften, Tiere und dann saugten sich Nannas Augen an eine Szene fest, die herausstach wie ein Schmetterling unter Motten.

Sie zeigte eine Frau mit einem Baby auf dem Arm. Nanna beschlich ein Gefühl, das Wärme und Kälte zugleich ausstrahlte. Der Blick der Mutter zeigte nur Wärme. Solch einen Blick hatte Nanna nie zuvor bei einem Menschen gesehen. War sie selbst zu solch einer Emotion fähig?

Sie war stehengeblieben und Marius drehte sich um. „Schön, nicht wahr?", sagte er und die anderen beiden Androiden lächelten.

Nanna riss sich los und ging wortlos weiter. Etwas drückte auf ihr Herz, Bilder schossen in ihre Erinnerung, jedoch nicht greifbar. Sie drängte die Gefühle zurück und hielt die Luft an, sah auf den schwarzen Boden und ignorierte die bunten Flecken rechts und links von sich.

„Wir switchen nun in die oberste Etage. Da ist der Versammlungsraum", sagte einer der Androiden, der sich als Filipe vorgestellt hatte. Nanna stellte sich zu den dreien in den silbernen Kreis und ein Lichtstrahl erschien. Wenige Sekunden später befanden sie sich direkt unter dem Dach, durch das der Himmel unwirklich nah erschien. Watte-Wolken zogen vorüber.

„So, nun wirst du den anderen präsentiert", erklärte Flavio, der zweite der Androiden.

Nanna fühlte sich wie ein Geist. Als würde sie sich selbst beobachten und irgendwo anders herumschweben. Die Worte drangen von der Ferne zu ihr durch und ihre Bewegungen waren wie die der Roboter.

Ihr blaues Seidenkleid schimmerte im hereinfallenden Licht, die fließenden Bewegungen ihres Rockes erinnerten an Wasser, vor ihr bewegten sich die drei Androiden ebenso flüssig. Dann betraten sie eine gigantische Halle.

Nanna kam sich vor wie eine Ameise im Ozean. Sogar das Rauschen des Wassers drang in ihre Ohren. Marius zog sie in die Mitte auf ein Podest, drückte sie auf einen Stuhl nieder und reichte ihr ein Glas Wasser. Doch sie hielt das Glas fest, hielt sich an dem Glas fest, und starrte geradeaus in die vielen Gesichter. Alles rundherum verschwamm vor ihren Augen. Nanna hatte das Gefühl, in einem Goldfischglas zu sitzen. Zahlreiche Augen blickten sie an, krochen ihren Körper empor, funkelten, blitzten und gierten. Nanna rang nach Luft.

„Du bleibst einfach still hier sitzen. Du musst nichts tun. Die Männer wissen nicht, wer dein Partner sein wird und deshalb sind nun alle sehr neugierig. Das musst du verstehen. Sie alle warten auf eine Partnerin."

Marius Stimme war glasklar, drang wie ein Schnitt in Nannas Ohren. Gleich würde sie zerspringen, in tausende Splitter. Es war ein Albtraum, sie konnte nicht atmen, sich nicht mehr bewegen. Und so blickte sie einfach über alle Köpfe hinweg nach oben, in den strahlend blauen Himmel hinein.


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