Laylani
Laylani zog an ihrem Smoothie, dann kaute sie auf dem Strohhalm herum. Sie saß neben Nanna in den knallgelben Kissen und das Schwarz ihrer Haare hob sich kontraststark hervor. Sie hatte ihre Beine angezogen und Nanna beneidete sie um ihre Lässigkeit. Davon konnte sie nur träumen. Wie eine Eisskulptur musste sie wirken, sie fühlte sich wie eingefroren und erstarrt. Nanna hatte ein Problem damit, ihren Gesprächspartnern zu folgen, denn sie zerbrach sich dabei überwiegend den Kopf, was sie mit ihren Armen und Beinen anstellen oder wohin sie schauen sollte. Das führte dann meist dazu, dass sie sich einfach gar nicht mehr rührte.
Laylani hingegen schien überhaupt keine Sekunde lang über so etwas nachzudenken, ob sie überhaupt jemals einen Gedanken an ihr Verhalten verschwendete? Wahrscheinlich machte das außer Nanna niemand.
Sie seufzte innerlich und überlegte schon wieder, ob sie nun auch an ihrem Smoothie nuckeln sollte oder lieber nicht.
„Und? Wie war deine erste Nach mit Mister Perfect?", durchschnitt Laylani ihre Zwangsgedanken. Sie zwinkerte Nanna zu und saugte geräuschvoll an ihrem Getränk.
Nanna zuckte nur mit den Schultern. „Wie soll es schon gewesen sein? Wir haben geschlafen, das war's", murmelte sie.
„Ach komm, er hat dir doch bestimmt etwas ganz Großartiges gezeigt, gib's zu!" Sie kicherte und boxte Nanna in die Seite.
Laylani war wie Saraya. Nanna schmunzelte und ein Fünkchen Leben flammte auf. Sie war sogar noch verrückter, wenn das überhaupt möglich war.
Nanna warf Laylani einen Blick zu und schüttelte den Kopf. „Nein, wirklich nicht. Er hat bisher nur leere Drohungen mir gegenüber. Aber ich habe die Vermutung, dass er nur mit mir spielt, mich herausfordert. Ich glaube, er ist ganz in Ordnung."
Laylani schien nachzudenken. Sie war nach unten gerutscht und blickte nun an die gläserne Decke. Blauer Himmel war dort oben zu sehen. „Ich hoffe für dich, dass er seine Drohungen wahrmacht, sonst sehe ich schwarz für euch", sagte sie und ihre Stimme klang belegt. „Wir versuchen es schon seit drei Jahren, schön langsam wird es knapp. Mein Mann bringt's einfach nicht, ich glaub er steht gar nicht auf Mädchen. Auf jeden Fall lass ich ihn völlig kalt, ich muss ihn schon beinahe zwingen, stell dir das mal vor!"
Nanna war von ihrer Ehrlichkeit beeindruckt und drehte sich zu ihr. „Erzähl mal! Was geschieht, wenn man nicht schwanger wird?" Die Neugierde brannte wie Feuer.
„Ich war schon zweimal schwanger, einmal habe ich es sogar geboren ... aber es war nicht lebensfähig. Also, ganz ehrlich, nicht nur mein Mann ist ein Versager." Sie starrte noch immer an die Decke. Auf ihrem Gesicht lag ein Schatten. Nanna sah ihren Schmerz. Hatte sie sich bereits aufgegeben?
„Wie kann das sein? Gibt es nicht gewisse Mittel und Wege, wie einem geholfen werden kann? Hendrik meinte, es hätte bisher noch bei jedem geklappt. Warum passiert so etwas dann trotzdem?" Nanna hatte nicht viel Ahnung vom Kinderkriegen, es hörte sich grausam an.
„Ach, was die immer quatschen ... Das sagt er nur, weil du neu bist. Es ist völlig normal, zwei Fehlgeburten sind noch verhältnismäßig wenig. Ich habe wirklich schlimme Geschichten gehört, aber das gehört nun mal dazu, wie es so schön heißt. Was allerdings mit denen passiert, die es nach fünf Jahren immer noch nicht geschafft haben ... keine Ahnung, es kursieren die wildesten Gerüchte."
Ein Orkan brach in Nanna los. Laylanis Worte bestätigten ihre eigenen Ängste. Was, wenn auch sie versagte? Die Panik ließ ihr ganz schwindelig werden, ihr Kopf dröhnte und ihre Visionen drohten, hervorzubrechen. Tote Babys. Dann dieser weiße Raum, dieser tote weiße Raum, indem sie sitzt und keiner ist bei ihr. Das beklemmende Gefühl schnürt ihr die Kehle zu, und ihre Schreie sind stumm. Hände, die sie festhalten, besorgte Blicke. Ernste Gesichter. Nanna atmete zehn Mal bewusst tief durch, sie zwang sich, etwas zu sagen. „Es sind sicherlich nur Gerüchte. Ich bin sicher, sie werden uns helfen, wenn es wirklich dazu kommen sollte. Oder vielleicht kommt man trotzdem zu Marskolonie. Irgendwie. Was hast du denn für Gerüchte gehört?"
Laylani wendete sich ihr zu. Ihr Blick bohrte sich in ihren wie brennende Kohlen. Es glühte, schmerzte. Doch alles war besser als diese Lügen. „Ich werd's dir nicht sagen, du würdest es nicht verkraften, Kleine."
Nanna zuckte unter diesen Worten. Laylanis Augen brannten die Wahrheit in ihre Seele. Die Lüge, die sie sich einzureden versuchte, zerbröselte zu feinem Staub, der in ihrer Lunge brannte. „So weit werde ich es nicht kommen lassen", sagte Nanna und war über ihre Ehrlichkeit überrascht. Vertraute sie diesem Mädchen so sehr? Aber wenn Hendrik sowieso schon über ihre Gedanken bescheid wusste, war es nicht mehr nötig, groß aufzupassen.
„Wie soll das funktionieren?", zischte Laylani und ihre Augen sprühten Gift.
„Ich hatte eine ... eine Vision."
„Was soll der Mist? Denkst du, du wärst hier 'ne Auserwählte oder so 'n Scheiß?" Laylani lachte sie aus. Sie legte den Kopf in den Nacken und grinste. Dann beachtete sie Nanna nicht mehr weiter, sie hielt die Augen geschlossen und lehnte sich weit in die Kissen zurück.
„Hast du schon mal was von den Profillosen gehört?"
Nun war Laylani wieder bei ihr. Sie riss den Kopf zur Seite. „Was denkst du denn? Klar hab ich das, jeder hat das. Es ist der größte Mist! Wie soll das gehen? Da draußen ist nichts, hörst du, Nichts! Nichts als Wüste, Gletscher und Wasser. Da draußen krepierts du innerhalb weniger Tage."
„Ich glaube fest daran, dass es die Profillosen gibt. Sie haben sicherlich einen Weg gefunden, zu überleben. Wunder existieren!"
Laylani kicherte, als würde sie den Verstand verlieren. „Armes kleines Mädchen. Du hast doch keine Ahnung! Wir reden in zwei Jahren noch mal darüber – falls ich dann überhaupt noch hier bin."
Nanna schwieg. Es hatte keinen Sinn, mit Laylani zu diskutieren. Sie hatte aufgegeben und war verbittert. Verständlich. Die harten Züge um ihren Mund, die schmerzerfüllten Augen. Die Leere, in ihrem Blick. Und ihr Sarkasmus sollte all das nur verdecken. Er umhüllte sie wie ein Vorhang und verdeckte das Drama, das sich dahinter abspielte. Nanna wollte ihn ihr nicht entreißen.
„Du wirst schon noch mitkriegen, warum ich so rede. Ich gebe dir zwei Jahre, wenn du dann noch nicht schwanger bist, wirst du mich verstehen", flüsterte Laylani und beugte sich zu Nanna herüber. Ihr Blick ließ den Schluss zu, dass sie in der Tat schon zu viel von dieser Welt gesehen hatte.
Nanna fröstelte und wich kaum merklich zurück, trotzdem hatte sie Laylani ins Herz geschlossen. Sie hatte Gefühle, sie lebte. Das mochte Nanna sehr an ihr.
„Ich versteh dich auch jetzt schon, glaub mir, niemand versteht dich besser als ich. Aber ich hab einfach noch nicht aufgegeben. Das ist der feine Unterschied zwischen uns." Plötzlich durchfuhr Nanna eine grausame Gewissheit. Laylanis Schicksal würde unerträglich werden. In diesem Moment wusste Nanna es einfach. Sie sah es deutlich vor ihr, eine Vision, klar und deutlich. Laylani war verloren, gebrochen. Eine unperfekte Existenz. Sie hatte zu viele Schwächen und Nanna würde sie am liebsten in den Arm nehmen. Doch das erschien ihr unpassend. Sie versuchte, sie mit ihrer Mimik zu umarmen und bildete sich ein, Laylanis Blick würde für einen kurzen Moment von Zuneigung erhellt. Aber nur flüchtig, nur einen Flügelschlag lang.
„Du wirst auch noch aufgeben, glaub mir", zischte sie, „dann denkst du an meine Worte zurück."
„Weißt du, was da oben auf dem Mars los ist? Was werden wir dort machen? Wie leben die da?", fragte Nanna, um die Stimmung wieder etwas zu verbessern.
„Ach, was denkst du denn, was sie dort machen?" Laylani fuhr sich durch die Haare.
„Weiß nicht, ich zerbreche mir schon mein ganzes Leben lang den Kopf darüber."
„Sie lassen es sich bestimmt gutgehen. Hab gehört, dass die Technik dort unvorstellbare Fähigkeiten hat. Elysion ist ein Witz dagegen. Wahrscheinlich beobachten sie uns und machen sich lustig, weil wir uns hier abrackern." Aus Laylanis Poren triefte Verbitterung. Doch Nanna konnte sie verstehen, mit jedem Wort und jeder Emotion.
Sie hasste diese Welt voller Kontrolle genauso wie Laylani. Sie träumten wohl beide von einem Leben, das nur ihnen allein gehörte. In dem Niemand sagte, wann sie essen oder schlafen sollten, geschweige denn, ob sie Kinder bekommen sollten oder eben nicht.
Und auch Nanna hegte starke Zweifel, ob es Oben besser wäre. Warum sollte es bei der Kolonie anders sein als hier? Wozu die Vorbereitungen, wenn das Leben oben frei wäre? Das ergab keinen Sinn. Die echte Freiheit wäre sicherlich außerhalb Elysions, auch wenn Laylani etwas anderes behauptete. Nanna wollte an die Profillosen glauben, sie musste an sie glauben, denn das allein hielt sie am Leben. Und dann war da noch ihre letzte Vision, sie war so viel stärker als ihre Vorherigen. Der Hügel musste etwas zu bedeuten haben. Auch der Junge kam Nanna so unendlich vertraut vor. Ihr Glaube daran war stärker als jede Technik an diesem Ort. Es war der Glaube eines Mondkindes. Nichts in diesem Universum besaß mehr Energie. Nichts und Niemand.
Die Mädchen verabschiedeten sich wortlos. Ihre Verbundenheit hing zwischen den Wänden wie Spinnweben. Jede kroch zurück in ihr Gefängnis, sie waren wie Fliegen in diesem Spinnennetz. Und jeder Versuch, sich zu wehren, klebte sie noch fester in das Geflecht. In die Matrix, aus der es kein Entrinnen gab. Nicht ohne Hilfe.
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