Geständnisse

Die Gesichter der Mädchen glühten. Gleichzeitig glänzten sie von der Nässe ihrer Freudentränen. Mahagoni vermischte sich mit Mondlicht zu einem Geflecht aus Erde und Himmel. Saraya strich Nanna die Strähnen aus dem Gesicht. Und Nanna tat dasselbe mit Sarayas Locken. Für einen Moment genossen sie einfach nur ihre gegenseitige Wärme. Das Surren des Luftfilters glich ihren überspannten Nervenbahnen. In der Ecke stand ein virtueller Brunnen, der blaues Licht in den Raum fließen ließ und die beiden umhüllte wie eine Decke. Wie ein Versteck.

„Wie ist er?", brach Sarayas raue Stimme die Stille. Sie zerriss die Stille und Nanna zuckte zusammen. Gern wäre sie für den Rest ihres Lebens einfach nur dagesessen. Nichts tun, nur existieren. Sie senkte ihren Blick.

Sogar ihre alte Bettwäsche war noch hier.

„Er ist ... er ...", stammelte sie, „ich will wieder nach Hause. Zu dir und Marius und den anderen." Ihre Stimme klang genauso blau und kalt wie das Licht.

„Ach Mondmäuschen, wieso freust du dich denn nicht? So schlimm kann es gar nicht sein, ich komme doch auch schon ganz bald. Halte durch!" Saraya goss mit ihren Worten Wachs über die blaue Kälte. Doch das Gefrorene im Herzen blieb trotzdem.

„Ich bin so dumm, stimmts?" Nanna blickte in die Lava-Augen ihrer Freundin. Warum nur konnte sie kein bisschen Feuer in sich tragen, so wie Saraya? Nur ein klein wenig ihres Lebensmutes.

„Jetzt gerade bist du wirklich dumm. Schieb deine Sorgen doch mal weg! Genieße dein Leben, es könnte so schön sein, du stehst dir nur selbst im Weg."

„Ich weiß. Aber ich kann es einfach nicht ändern. Ich fühle mich in Maternita wie ein Fisch in der Wüste. Ich ersticke, ich verbrenne, ich ..." Nannas Stimme versagte. Sie brach auseinander wie zu trockene Blätter. Sie zerbröselte.

Wieder lagen sie sich in den Armen und Saraya fuhr Nanna immer wieder über den Rücken und das Haar. „Sch-sch, ist ja schon gut, das wird schon alles, ein Jahr ist doch schnell herum, wirst sehen."

Saraya wiegte Nanna wie ein Baby. Minutenlang. Sie musste bald zurück. Alles in ihr sträubte sich dagegen. Eine Flut bahnte sich an. Eine Flut der Emotionen. Es kostete enorme Kraft, sie zurückzuhalten.

„Ist er dir schon ... nähergekommen? Wie sieht er aus?" War ja klar, dass Saraya nur das Eine interessierte. Sie brannte gerade darauf, einem Mann in die Arme zu fallen. Nanna wünschte, sie könnte es ebenso. Wie schön wäre ein Gefühl wie Neugierde.

„Nein, zum Glück nicht. Er ist allein ins Bett gegangen. Wir haben ja auch fünf Jahre lang Zeit, ein Kind zu bekommen."

„Waaas! So lange? Ist doch sehr gnädig, findest du nicht? Also das ist zu schaffen. Wirklich, Nanna." Sarayas Blick zeigte wieder einmal, dass Nanna zu empfindlich war. Eine Mimose. Ein Mondkind, das seinem Namen alle Ehre machte, weil es hinter dem Mond lebte. Sie kam sich vor wie ein kleines Mädchen. Mit Zöpfen und Zahnlücke.

„Ich schaff das nicht ...", murmelte Nanna in Sarayas Haare hinein.

„Unsinn, jetzt hör aber auf! Du immer ... Und wie sieht er nun aus?", drängte Saraya.

„Keine Ahnung, wie ein Mann eben."

„Jetzt sag schon! Groß? Klein? Dick? Dünn? Hier, guck mal, so wie der ...?", Saraya zog ein Hologramm vor ihnen auf, „oder so wie der?" Die Gesichter verschiedener Männer tauchten virtuell auf und Nanna verdrehte die Augen. So hatte sie sich ihren Dreamwalk nach Hause nicht gerade vorgestellt. Doch sie musste sich eingestehen, dass Saraya sie doch ein klein wenig von ihren Sorgen ablenkte.

Nanna ließ sich darauf ein und erstellte ein ungefähres Abbild von Levi: groß, muskulös, schwarzhaarig, angsteinflößend. Ein Raubtier in Menschengestalt, mit stechendem Blick, der durch Mark und Bein ging. Bei dem man sich fragte, wie viele Leben er bereits ausgelöscht hatte. Natürlich gar keine, denn sonst wäre er nicht hier, aber wenn er die Möglichkeit gehabt hätte, dann ...

„Ohhh, er sieht so männlich aus. Ein Traum! Nicht so ein Bübchen wie unser Androiden-Jüngling", hauchte Saraya und zwinkerte Nanna zu.

Mit Saraya war plötzlich alles irgendwie leichter, Nanna fühlte diesen Strudel in ihrer Brust, der sie mitriss und ein Lächeln huschte über ihre Lippen. „Wir können gern tauschen, reise du zurück an meiner Stelle."

„Würd ich sofort machen, mein Silberfischlein", säuselte Saraya.

„Wenn ich könnte, würde ich lieber Marius heiraten und mich künstlich befruchten lassen", grummelte Nanna. Nun regte sich ein Klumpen Trotz in ihrem Bauch. Er lag schwer im Magen und musste heraus. Es war die reine Wahrheit. Sie hatte keine Lust auf echte Männer und schon gar nicht darauf, ein Kind in dieses Gefängnis zu setzen. Sie würde hier krank werden, wenn sie es nicht schon längst war.

Saraya reagierte wider Nannas Erwartung mit Schweigen. Verschlossen wie ein geheimes Buch war sie in diesem Augenblick. Das entsprach absolut nicht ihrer Art. Sie schien wahrhaftig geschockt über Nannas Beichte.

„Dir gehts echt mies, oder?", sagte sie nach einer gefühlten Ewigkeit. Nun hatte ihre Sorge etwas Mütterliches. Ihre rote Mähne ergoss sich über ihre Schultern, über ihre angezogenen Knie, bis fast auf das Bett. Sie sah so wunderschön aus, wie sie da hockte. Levi würde sie mögen, natürlich, jeder mochte sie und jeder schätzte sie.

Grüne Schlangenaugen fixierten Nanna. Sie fühlte sich entlarvt. „Ich würde mich so gern darauf einlassen. Mein neues Zuhause würde dich umhauen, es gibt dort alles, was du dir vorstellen kannst. Luxus pur wie in good girl, es sieht dort wirklich so aus! Ich versuche, es zu genießen, ich verspreche es dir, aber all das lässt mich so kalt. Es interessiert mich nicht, außer die schönen Pflanzen und die Glaskuppel im Wohnzimmer – die ist wirklich gigantisch." Sarayas Augen funkelten mindestens so hell wie der Sternenhimmel, den man von dort aus sehen konnte. Sie beugte sich vor und ihr Gesichtsausdruck wurde nun ganz weich.

„Was ist passiert? Ich sehe es dir ganz genau an, dass du mir da noch was verschweigst. Na los, spuck es aus, Lady."

Der Mond streckte genau in diesem Moment seinen runden Kopf zum Fenster herein. Sein Licht floss durch das Glas bis hin zu Nanna. Es war wie eine Befreiung, sie atmete tief durch. Sie brauchte das Mondlicht, wie andere die Luft zum Atmen. Jetzt war plötzlich wieder alles klar. Der Junge vom Berg stand deutlich vor ihr und es war, als würde sie ihn schon ewig kennen. Er blickte mit dunklen Augen bis in ihr Herz und erweckte eine Sehnsucht in ihr, die durch nichts zu bändigen war. Ein Drache wurde in ihrer Seele entfesselt, er spie Feuer über alle, die sich ihm in den Weg stellten.

Nanna konnte es kaum glauben. Feuer in ihrer Seele? Das konnte kaum möglich sein. In ihr war sonst nur sanftes silbernes Mondlicht. Zart und still. „Meine letzte Vision lässt mich nicht mehr los, sie war so real."

Saraya nickte nur, streichelte ihr über die Wange. Ihre Sorgenfalte zwischen den Augenbrauen erschien, nun hatte Nanna es doch wieder geschafft. Immer versetzte sie alle rundherum in Sorge und Ernsthaftigkeit. Eine unendlich schwere Last zog sie nach unten, drückte auf ihre Schultern. Dann spürte sie ein Kribbeln in den Haarwurzeln. Sie musste bald zurück. Nur noch ein bisschen. Bitte, liebe Zeit, bleib stehen, flehte sie für sich. Halte an.

Die Mädchen klammerten sich aneinander. „Halte durch! Halte durch!", flüsterte Saraya in Nannas Haar. Nannas Finger wollten sich nicht lösen. Alles in ihr sträubte sich und doch wusste sie, dass es kein Entrinnen gab. Sie musste warten, warten, bis sich ein Weg finden würde, zu der Stelle auf dem Hügel zu gelangen. Das war ihr einziges Ziel.

„Ich muss los", flüsterte Nanna. Es war eher ein Krächzen.

„Ich werde dich bald wieder sehen und dann finden wir eine Lösung", sagte Saraya und blickte Nanna tief in die Augen. Um ihr noch ein wenig Hoffnung einzupflanzen. Doch Nanna wurde das seltsame Gefühl nicht los, dass Saraya selbst zweifelte. Sie würde keine Lösung finden, wie auch. Sie saß selbst hier fest und niemandem gelang es jemals nach draußen.

Raum und Zeit flossen ineinander wie Rinnsale. Dann verschwand Saraya aus Nannas Sichtfeld.

Etwas von Nanna blieb bei ihr, für immer.

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