TÜRCHEN VIER Tag 27; 9:20 Sara

Mit einem von Tränen durchnässten Kopfkissen und einer immer noch offen stehenden Wohnungstür wachte ich auf. Der Nachmittag und Abend waren schrecklich gewesen und letztendlich musste ich mich in den Schlaf weinen. Ein weiterer schrecklicher Tag war angebrochen und etliche ähnliche würden folgen. Es war einfach wie verflucht. 

Ich versuchte, mich umzudrehen und fiel prompt auf den Fußboden. Na toll. So ungeschickt konnte echt nur ich sein. Doch ich rappelte mich hoch und setzte mich aufrecht hin. Etwas anderes als das Sofa gab es hier zwar nicht zum Sitzen, aber mehr war auch nicht nötig. Und von gestern war noch eine große Portion Essen übrig, James hatte mich offensichtlich nicht schon wieder unauffällig besucht. 

Schnell nahm ich ein Stück Brot und packte ein Stück Butter und fünf Scheiben Wurst drauf. Zusammenquetschen und ich den Mund, so und nicht anders mochte ich mein Frühstück. Und das reichte mir auch für den Tag, achtundvierzig Kilo waren schließlich viel zu schwer. 

Da ich ihm nicht über den Weg laufen wollte, stand ich auf und schnappte mir meinen Mantel, bevor ich aus der Wohnung verschwand. Das kaputte Türschloss hatte seinen Vorteil, denn so musste ich den Schlüssel nicht herausholen. Und innerhalb von Minuten war ich auch unten. 

Ich zog scharf die Luft ein. Ein kühler Wintermorgen war das Beste, um mein hitziges Gemüt zu beruhigen. Zwar schneite es gerade nicht, dennoch war es entspannend. Mein Kopf war in letzter Zeit so durchgewirbelt worden, dass ich einfach nur die kühle Morgenluft genießen wollte. 

Langsam lief ich die Straße hinunter, vorbei an Dutzenden heruntergekommenen Hochhäusern und kleinen Läden mit meist zerbrochenen winzigen Fenstern. Trewlancey war schon immer so gewesen. Der ‚Abschaum der Gesellschaft', wie man es in höheren Kreisen nannte, hauste hier. Es gab hier fast so viele Arbeitslose wie in ganz Südengland. Sonst würde auch niemand in diese Barracken ziehen, in denen es von gefährlichen Leuten und tausenden Krankheiten nur so wimmelte. Selten überlebte jemand zehn Jahre hier. Entweder sie gingen weg, oder zu Grunde. 

Dann blieb ich stehen und betrachtete mich in einem halbzersplitterten Schaufenster. Meine Haare waren einziges Vogelnest und die Schminke lief mir in Schlieren über das Gesicht, sodass ich sie abwischen musste. Ich sah schon fast aus wie Eleonore. 

Eleonore ... Auch wenn ich sie aus meinem Kopf zu verdrängen zu versuchte, so ging es nicht. Alles erinnerte mich an sie. Trewlancey war ihr Zuhause gewesen. Es passte alles perfekt zu ihr. Nur ich war hier am falschen Ort. 

„Ich ... Ich kann es nicht glauben! Sie sind es! Sie sind es wirklich! Der Engel von Trewlancey ist zurück! Ich habe Sie so vermisst!" 

Eine Fremde kam auf mich zu und nahm mich in den Arm. Vollkommen schockiert blieb ich stehen. Wer war diese Frau? Woher zur Hölle kannte sie mich oder eben meine Zwillingsschwester? Und was hatte Eleonore bloß angestellt? Es gab absolut nicht, dass mir daran vernünftig und logisch vorkam. Offenbar hielt sie mich für Eleonore und für einen Engel ... 

Plötzlich begann sie zu weinen und legte ihren Kopf auf meine Schulter. Ihre Arme waren eng um meine Schultern geschlungen, sodass ich ein wenig panisch durch die Gegend sah und die Fluchtmöglichkeiten checkte. Sie drehte den Kopf und nun hingen mir noch massenhaft Haare im Mund, die ich nicht ausspucken konnte. Diese Frau konnte wirklich eine gute Entführerin werden, so wie sie mich gerade knebelte. 

„Miss ...", nuschelte ich trotz dem Haargemisch in meinem Mund. 

„Nallen. Sara Nallen. Elfter Stock", antwortete sie und ließ ein wenig locker. 

„Miss Nallen, ich glaube nicht ...", fing ich an, wurde jedoch unterbrochen. ‚Dass ich Ihnen helfen kann', fügte ich in Gedanken hinzu. 

„Bitte! Ich weiß, ich war in letzter Zeit nicht sehr gläubig, aber ich vertraue Ihrer Hilfe komplett! Bitte helfen Sie mir! Ich kann einfach nicht mehr! Alles ..." Sie schluchzte laut auf und ihr Kopf fiel wieder auf meine Schulter. Sie schien so verzweifelt und hilflos, dass sich mein Herz zusammenzog. Noch nie hatte jemand so sehr in mich vertraut. 

Die nächste Entscheidung traf ich einfach aus dem Nichts heraus. Auch wenn es sicherlich falsch war, so fühlte es sich richtig an. Es war die einzige Möglichkeit. 

„Ich helfe Ihnen." 

„Danke!" Ein einziges kleines Wort, doch so aufrichtig gesagt, dass es mich fast zu Tränen rührte. Sanft legte ich meine Arme um sie. Mein Mantel war zwar schon von ihren Tränen durchnässt, doch das zählte nicht. Ich konnte die erste Person, die in mich vertraute, nicht im Stich lassen. 

„Erzählen Sie. Was ist los?" 

Sie schniefte noch lauter, ließ mich jedoch endgültig los. „Also ... Ich habe eine Arbeit, aber nur in Probezeit. Aber bald, bald habe ich keine. Und Jason ist krank. Lilly und Laureen sind so klein. Und ich muss arbeiten. Catherine hat doch einen gebrochenen Arm. Ich habe keinen Job mehr! Dabei sind schon in einer Woche Betriebsferien! Mein armer Jason, es geht ihm so schlecht. So, so schlecht! Alles ist so schrecklich!", brachte sie ohne eine einzige Pause hervor. Ich verstand absolut nichts. Allein die vielen Namen war frustrierend. 

„Ganz ruhig. Also, was hat es mit der Arbeit auf sich?" 

„Ich arbeite bei Mister Lerons. Doch ich habe keinen Urlaub mehr. In einer Woche sind Betriebsferien, aber wenn ich morgen nicht auf der Arbeit bin, bin ich gefeuert. Und wenn ich gefeuert bin, kann ich mir die Wohnung nicht leisten. Und dabei ist Jason so krank! Er ist noch so jung! Aber ich darf nicht fehlen! Ich muss mich um ihn kümmern! Ich kann nicht arbeiten, aber ich muss doch! Was soll ich bloß tun? Wieso ist alles nur so schrecklich?" 

Sie schluchzte lauter und lauter. Ich wusste nicht annähernd, was ich sagen sollte. So etwas wie ‚alles wird gut' oder ‚das tut mir so leid' war einfach nur dämlich. Und heitere Sprüche waren nur unpassend. Ich hatte einfach keine Worte parat. Noch nie fiel mir die Auswahl eines Satzes so schwer. Also ging ich nicht darauf ein. 

„Und wer ist Jason? Oder Lilly, Laureen und Catherine?" 

„Meine Kinder. Meine süßen, kleinen Kinder. Ich will sie einfach nicht verlieren! Ich darf sie nicht verlieren! Ich muss mich um sie kümmern! Sie sind doch meine kleinen Kinder!" 

Tränen sammelten sich in meinen Augen. Ich musste ihr helfen! Und ich würde es auch tun, koste es, was es wolle. 

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