TÜRCHEN DREI Tag 29; 9:23 Adelsfamilien

Ein Klirren weckte mich. Ich war bis fast fünf Uhr nachts wachgeblieben, weshalb ich mich erst einmal nicht rührte. Dann klirrte es erneut laut und krachte auch. Müde drehte ich mich ein wenig hin und her, aber noch hatte ich keine Lust aufzustehen. 

Ein Schlüssel wurde im Schloss umgedreht und eine Tür ging quietschend auf, nur um sofort wieder zuzuschlagen. Damit war ich endgültig wach. Na toll. Dabei war es bestimmt total früh. Also schlug ich meine Augen auf.  

Von der Helligkeit geblendet musste ich mich erst einmal zur Wand drehen. Irgendein Volltrottel hatte die Gardinen aufgerissen und etwas Glänzendes auf den Tisch gestellt. Wirklich, bescheuerter geht's nicht. Dann hielt ich in der Bewegung abrupt an. Wenn jemand die Gardinen geöffnet hatte, musste auch jemand im Raum gewesen sein. Jemand,  der auch die Tür verschlossen hatte. Ich dachte angestrengt nach. Nur Eleonore und ich hatten Schlüssel. Niemand sonst. Also ... Aber nein, James hatte doch gestern die Tür geöffnet! Aber es gab keinen Zweitschlüssel ... Seltsam. Sehr seltsam. 

Mittlerweile hatte ich mich an die Lichtverhältnisse gewöhnt und versuchte, die Decke zur Seite zu ziehen. Die Bettdecke waren urplötzlich ausgebreitet und auch zu gerade für meine Verhältnisse. Ich blickte nach rechts. Der Tisch stand mitten im Raum und war vollständig gedeckt. Auch die Bilder waren vom Boden aufgehoben worden. Viele hingen wieder an der Wand, die vollständig zerstörten waren nicht zu sehen. Einen so ordnungsfanatischen Menschen habe ich noch nie getroffen ... 

Ich drehte mich auf die rechte Seite und stemmte mich hoch. Es war sicherlich schon spät und wer weiß, wie dieser gruselige Kerl Eleonores Wohnung herrichten würde, wenn ich weiterschliefe. Mit einem Kopfschütteln lief ich durch den Raum. Alles war so ordentlich, so korrekt. Früher habe ich Ordnung auch geliebt. Und dieses Früher lag vier Tage zurück. 

In Gedanken versunken blickte ich zur Wand hinüber. Ich betrachtete all die Bilder im gleißenden Tageslicht genauer. Sie wirkten, als hätte sie ein sorgloses kleines Kind gemalt. Wie Eleonore. Oder besser gesagt, wie Eleonore immer wirken wollte. Denn vieles erscheint jetzt in einem anderen Licht als damals. 

In der letzten Nacht hatte ich offenbar ziemlich viele Fotos gerissen und Rahmen zertrümmert, denn nicht einmal ein Drittel der Sammlung hing noch dort. Doch alles, was meinen Wutausbruch überlebt hatte, war an seinem Stammplatz. Also James Devil hatte zwar einen schrecklichen Charakter, aber ein sehr gutes Gedächtnis. 

Ich lachte kurz schadenfroh auf, schließlich war ausgerechnet er der einzige hier, der sich überhaupt um mich sorgte, auch wenn er nur Matsch auf dem Bürgersteig vermeiden wollte. Alle anderen waren nur mit mir überfordert oder auf mich wütend. Und ich konnte nichts Besseres machen als Lästern. Aber ernsthaft: sagte sein Name nicht schon alles über ihn aus? 

Kaum dass ich ein wenig über ihn nachgedacht hatte, fiel mir etwas auf. James Foto war fort. Offenbar wollte er diese Freundschaft geheimhalten, warum auch immer. Aber auch egal. Mir war sowieso alles egal. Ich drehte mich um und ging zum Tisch hinüber. Mindestens fünfzehn Teller standen herum, auch wenn sie nicht einmal halb gefüllt waren. Da ich verdammt noch einmal riesengroßen Hunger hatte, ich hatte so zwei oder drei Tage lang nichts gegessen, setzte ich mich. Auch wenn es vergiftet sein könnte, aber mit leerem Magen konnte ich einfach nicht denken. 

Alles war ordentlich und sortiert. Kein Plan, wieso da so viel Löffel herumlagen. Selbst das Brot war exakt viereckig. Ohne Kruste. Und Wurst und Käse in derselben Größe und Form. Dieser Typ war sowas von neurotisch. Selbst der Salat war in kleine Vierecke geschnitten worden, sowie gestapelt. Mir wurde schon fast übel vom Ansehen. Allerdings nur fast, denn sonst hätte ich nie fünf perfekte Brote und den gesamten Salat herunterbekommen, bevor James wieder hereinplatzte. 

Der Schlüssel wurde im Schloss gedreht und die Tür ging quietschend auf. „Ich nahm an, Sie würden sich noch ausruhen, Miss Angel", erklang eine eiskalte Stimme. Ich musste mich nicht einmal umdrehen, um diese Stimme zu erkennen. 

„Und ich nahm an, Sie brechen nicht in fremde Wohnungen ein", entgegnete ich ihm. 

„Nun, die Schlüssel meiner Wohnung funktionieren eben für alle Wohnungen auf der Etage." 

„Ach wirklich? Und wodurch haben Sie das herausgefunden?" 

„Eleonore neigte dazu, sich zu verirren. Es kam nicht selten vor, dass sie die falsche Tür aufschloss." 

Ich lachte kurz auf. Das war so typisch für meine Schwester. Ihr Orientierungssinn führte überallhin, nur nicht in die richtige Richtung. Sie war ein der unperfekteste perfekte Mensch gewesen. 

„Und weshalb ... all das Essen hier?" , fragte ich nach. 

„Sie sind sowieso schon zu dünn und es wäre nicht wünschenswert, wenn Sie verhungerten. Und in Ihrem Gemütszustand sollten Sie lieber nicht einkaufen gehen." Er kam auch mich zu und rückte die Teller wieder gerade. In seinem Tonfall schwang wie immer diese leichte Genervtheit  mit. 

„Erstens bin ich nicht dünn, ich wiege ganze achtundvierzig Kilo und zweitens geht es mir prima!" Ok, am Ende war ich ein wenig hysterisch geworden. Aber wirklich, was ich machte und was nicht, ging ihn wirklich nichts an. 

„Erstens ist das zu dünn und zweitens hört man das wirklich aus Ihrer Stimme heraus." 

„Und wer sagt das? Ein neurotischer Volltrottel, der mich unerklärlicherweise nervt?" 

„Wenn Sie das so sehen ... Ein Volltrottel bin ich allerdings nicht." James sah etwas bedröppelte aus, was mich zum Lachen brachte.  Er war zwar komplett schwachsinnig, aber einen besseren Komiker gab es selten. 

 Nach kurzer Zeit unterbrach ich das Schweigen. Er wirkte, als hätte ich ihn beleidigt. „Ach seien Sie nicht so ein Spielverderber. Gibt's übrigens noch etwas zu trinken, Eure trottelige Hoheit?" 

„Deshalb bin ich zurückgekommen", meinte er und reichte mir eine Flasche. Wasser. Wie eklig. Wein, Champagner, Bier oder sonst etwas konnte ich in dem Moment gut gebrauchen, nur kein Wasser. 

„Das Zeug saufe ich doch nicht. Wie wäre es mit Wein?" 

„Nein. Weder schmeckt Wein, noch ist er gesund. Und Wasser wird Ihren Durst im Nu verschwinden lassen." 

Enttäuscht ließ ich mich nach hinten sinken. Wein wäre wirklich das Richtige gewesen, um meinen Kummer zu ertränken. Alles hinter einem Schleier aus Alkohol zu verstecken, wäre perfekt gewesen. Allerdings konnte ich auch noch einkaufen gehen ... 

„Und ich werde auch nicht zulassen, dass Sie etwas Alkoholisches einkaufen. Sie sehen äußerst jung aus und Ihren Ausweis haben Sie zuhause gelassen. Und wenn Sie es dennoch versuchen — ich werde beteuern, Sie seien nicht volljährig." Wirklich, ein verdammter Dreckskerl! 

„Und Beleidigungen sind nicht sehr vornehm, Miss Angel." 

Da hatte ich wohl wieder etwas zu laut gedacht. Mal wieder. „Wer hat gesagt, dass ich vornehm sein will?", antwortete ich ihm schnippisch. „Sie wollen vornehm sein, aber mal ganz ehrlich, das ist einfach nur hochnäsig um dumm. Schließlich sind Sie kein Lord oder so." 

„Nun, was Sie angeht, würde Ihnen ein paar Manieren nicht schaden. Und leider irren Sie sich schon wieder. Ich bin ein Lord. Für den Adel ziert sich ein solches Benehmen, wie ich es an den Tag lege." 

Lord? Lord James Devil? Das war nur wirklich ... bescheuert. Allerdings erklärte es seine ewige Überheblichkeit. Ein Normalsterblicher würde niemals so plappern. 

Ich betrachtete ihn genauer. James wirkte amüsiert, doch nicht, als hätte er gelogen. Aber bei so jemandem wusste man nie ...  „Doch der Adel haust normalerweise nicht in solchen Bruchbuden." 

„Nein, das ist nicht üblich. Allerdings bin ich nicht dazu geeignet, der Öffentlichkeit präsentiert zu werden. Duke Evil ist der Ansicht, ich sei nicht gewissenlos genug." 

„Nicht gewissenlos genug? Soll das ein schlechter Witz sein?" 

„Durchaus nicht, Mylady. Ich beliebe nicht zu scherzen." 

„Also das glaube ich gerne ... " 

Duke Evil sagte mir zwar etwas, aber ich kam nicht drauf. Außerdem waren Unterhaltungen mit James immer absolut frustrierend. Für solche Infos lohnte sich der Streß nicht. 

Ich lehnte mich zurück und dachte kurz nach. Was gab es noch, dass ich diesen abweisenden Typen fragen konnte? Etwas, auf dass er keine Antwort geben konnte, ohne dass er eigentlich gar keine Antwort gab. 

„Waren Sie wirklich mit Eleonore befreundet?" 

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