TÜRCHEN ACHT Tag 26; 6:54 Der zweite Fall
Die Tür krachte ins Schloss und Schritte liefen davon. Ich drehte meinen Kopf zur Seite, konnte durch den Türspalt jedoch nichts sehen. Eigentlich sollte es mir auch egal sein, schließlich interessierte sich James auch nur einen Scheißdreck für mich.
Ich ließ mich wieder zur Seite sacken. Bequem war das Bett zwar nicht gerade, aber immerhin. das klitschnasse Kopfkissen hatte ich schon vor einer Stunde auf den Boden geschmissen, war aber zu faul, um es aufzuheben. Selbst schuld.
Plötzlich klopfte es. Ich dachte schon, dass James zurückgekehrt war, doch die Tür öffnete sich nicht. Er wäre sicherlich sofort hineingeplatzt.
"Wer ist dort?", fragte ich, während ich versuchte, nicht so weinerlich zu klingen.
"Killian Thires. Zweiter Stock. Spreche ich mit Trewlancys Engel?"
Nicht schon wieder so ein verrückter Nachbar! Wohnte halb Trewlancy in diesem Haus oder nur die ehemaligen Insassen einer Nervenheilanstalt? Wieso dachten so viele Leute hier nur, dass ein Engel sich die Mühe machen würde, zu ihnen zu kommen? Selbst wenn ich einer wäre, mit den ganzen Irren hier würde ich mich bestimmt nicht abgeben! Ich kann mich nicht einmal selber leiden und die hier sind ... schlimmer als ich! Ok, schlimmer als ich geht eigentlich nicht, also gleich abscheulich.
"Ja", gab ich genervt zurück.
"Ich brauche Ihre Hilfe."
Nicht schon wieder! Das letzte Mal hatte ich mich zwar darüber gefreut, doch gerade jetzt wollte ich niemandem begegnen. Ich hasste Menschen! Sollten diese Trottel doch Eleonore suchen gehen. Ach ja, sie war doch fort, und zwar weil solche Idioten sie verjagt hatten! Sie war doch so glücklich, bevor sie hierher kam! Daran konnte nur dieser ... dieser Mister Thires und seine abscheulichen Bekannten Schuld sein! Und natürlich James, sonst würde er kein Geheimnis aus allem machen und mir aus dem Wege gehen.
"Wofür?"
"Ich habe starken Haarausfall! Was soll ich tun?"
Haarausfall? War das sein Ernst? Gestern hatte ich wenigstens einen echten Fall! Und jetzt sollte ich einem vermutlich sehr alten Mann helfen, dass er keine Glatze bekommt? Nein! Nicht mit mir!
"Versuchen Sie es mit beten!" Sehr hilfreich, wirklich. Also ich habe damit auch keine glatten Haare bekommen, aber vielleicht hilfts bei ihm.
"Hab ich schon! Die Haare fallen nur immer stärker aus! Fast so viele fallen mir aus, wie bei meinem Hund, einem Langhaarlabrador!"
Langsam fragte ich mich wirklich, ob hier früher eine Irrenanstalt gewesen war, deren Bewohner heute noch in Trewlancy wohnten. Mögliche Insassen gab es jedenfalls genug ...
"Wie wäre es mit einem Toupet?"
"Hat mein Hund gefressen!"
Tja, ich konnte nur immer wieder predigen: Kinder und Hunde machen nur Probleme. Beide fressen so gut wie alles und jaulen. Darum sind Spinnen als Haustiere besser geeignet. Sie machen kaum Dreck, brauchen nicht viel Essen und machen keinen Lärm. Außerdem kann man damit jederzeit unwillkommene Besucher verscheuchen.
Ich dachte kurz darüber nach, ihm vorzuschlagen, den Hund aufzuschneiden, ließ es aber. Wenn der Hund daran gestorben wäre, wäre die Situation anders, so aber vielleicht etwas seltsam ...
"Neues Toupet?"
"Mein Hund frisst sehr gerne Toupets!"
"Wie wäre es mit einer Perücke?"
"Mein Hund frisst auch sehr gerne Perücken!"
Verzweifelt seufzte ich. Dieser Mann und sein Hund raubten mir den letzten Nerv. Die nicht sehr wertvollen Ratschläge gingen mir aus und gute fielen mir keine ein. Was ging mich das ganze überhaupt an? Ich meine, ich war kein Friseur! Sollte er sich doch ein bisschen Wolle auf den Kopf kleben, in seinem Alter würde niemand den Unterschied erkennen, seiner Stimme nach zu urteilen.
"Wie wäre es mit einem Toupet und viel Sekunden- oder Heißkleber?"
"Habe es schon versucht, das tut so weh!"
Plötzlich hatte ich die perfekte Idee, um ihn loszuwerden. Haarwuchsmittel! Natürlich! Ob das Zeug funktionierte, wusste ich nicht, aber einen Versuch war es wert.
"Ich habe eine Eingebung. Ich höre, wie jemand mir einen Weg diktiert. Der Weg, der Sie zum erhofften Ziel führen wird."
"Oh mein Gott, Danke! Danke vielmals oh Herr!"
"Sie müssen die Straße hinunter, in Richtung Fabriken. Ich sehe ein großes Haus dort stehen. Fensterscheiben, die zwei Meter hoch sind. Und über diesem riesigen Haus hängt ein Schild. Al ..."
"Al was?"
"Sie werden es erkennen, wenn Sie es sehen. Gehen Sie durch die Tür und nach rechts. Zwei Meter weiter nach links und Ihnen gegenüber wird die Lösung Ihres Problems erkennbar sein. Nehmen Sie es und Heilung ist Ihnen gewiss."
Kaum hatte ich zu Ende gesprochen, stürmte er schon die Treppe hinunter, wenn man das bei alten Leuten so sagen kann. Und ich hatte meine Ruhe. Hach, ein Glück, dass ich wusste, wo hier Aldi war. Irgendwo bei dem Schönheitskram war bestimmt ein Haarwuchsmittel. Andere Ideen hatte ich sowieso nicht mehr. Endlich wieder Zeit zum Schlafen.
Doch Mister Thires hatte mich schon so auf die Palme gebracht, dass ich nicht einschlafen konnte. Verdammter Mist. So musste ich, so sehr ich es auch bedauerte, aufstehen. Essen gab es heute wohl nicht und mein Magen knurrte wie ein wütender Werwolf.
Regentropfen liefen über die Fensterscheibe, die nicht so intakt war, wie ich es mir gewünscht hätte. Der Boden hatte also nicht gerade wenig von diesem Wetter abbekommen. Schimmel hatte ich hier aber schon und Schlimmeres konnte nicht passieren. Na gut, vielleicht könnte das Fenster herausbrechen. Wenn, dann war es aber James Schuld. Es war immer James Schuld.
Da ich sonst nichts zu tun hatte, entschied ich mich für einen Spaziergang. Mantel über und das wär's. So viele Sachen hatte ich auch nicht mitgenommen, als das ich mich mal umziehen könnte. Besser gesagt, ich war einfach direkt von der Arbeit verschwunden mit meinem hässlichen blauen Kleinmädchenkleid und dem weißen Mantel. Nicht einmal vernünftige Schuhe hatte ich - diese Puppenschühchen konnte doch keine normale Frau ohne Probleme tragen! Doch in Socken fror ich seltsamerweise so schnell.
Kaum dass ich aus der Tür hinaus war, atmete ich tief ein. Die Luft in den Räumen war so stickig, dass da selbst das ein wenige kaputte Fenster nichts dagegen machen konnte. Auf dem Flur war es zwar nicht viel besser, da überall der beißende Geruch von Desinfektionsmittel die Überhand gewonnen hatte, aber dennoch bequemer als in diesem Drecksloch.
Schritt für Schritt ging ich die Treppe hinunter, während ich hoffte, James nicht zu begegnen. Zum Glück kam er mir nicht entgegen. Er hatte schon so genug angerichtet. Dieser Mistkerl hatte Eleonore nicht aufgehalten und tyrannisierte nun mich. Von wegen, er hatte es so gelernt. Bestimmt wollte er, dass ihn niemand leiden kann.
Von einem Moment auf den anderen wurde ich aus meinen Gedanken gerissen. Rotes Absperrband hielt mich auf. Und dahinter ...
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