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Nach einigen Tagen zur Überwachung konnte Nadine das Krankenhaus wieder verlassen. Alice und Taylor waren gekommen, um Nadine abzuholen.
Als die große Tür aufschwang und das neue Familienmitglied erschien, fiel Taylor ihr sofort um den Hals. "Wie geht es dir? Hast du arge Schmerzen?", fragte Taylor besorgt. Eine Freudenträne tropfte auf Nadines Schulter. "Mir gehts besser, die Schmerzen sind erträglich.", antwortete Nadine knapp.
Schließlich kam noch Alice dazu und drückte das neue Familienmitglied fest. "Es tut mir so leid, dass dir so etwas bei uns passieren musste...ich verspreche dir, ich werde alles darum geben, dass dir das nie mehr passiert!", meinte Alice gutmütig. "Wenn du wüsstest was eigentlich passiert ist...", dachte Nadine und zwang die aufkommenden Tränen in den Augen zu bleiben. "Wir bringen dich wieder nachhause. Steig ein!", fügte Alice noch dazu, öffnete die Tür ihres Autos und stieg ein. Taylor setzte sich zu Nadine auf den Rücksitz.
Nadine gurtete sich an und legte ihre eingegipste Hand vorsichtig auf ihren Schoß. Jede falsche Bewegung rief ein höllisches Brennen hervor.
Die Adoptivmutter startete den Motor. Sie fuhren aus dem großen Parkplatz heraus. Das Auto bog auf eine große, stark befahrene Straße ein, der es einige Kilometer folgte. Danach bog es in einen kleinen Feldweg ein.
Je näher die drei dem neuen Zuhause von Nadine kamen, umso mehr schnürte sich ein großer Knoten in Nadines Magen zusammen.
Nach einer gefühlsmäßig elendslangen Fahrt hielt das Auto vor dem großen Haus. Alice und Taylor stiegen aus, Nadine jedoch bekam bei dem Gedanken an das Geschehene akute Panik. Als Taylor ihr die Tür öffnete, ihre Freundin an der Hand nahm und zur Tür führte, musste Nadine ersrmal panisch nach Luft schnappen. Erschrocken wand Taylor ihren Kopf zu Nadine, die sich aber schnell wieder im Griff hatte. "Alles okay!", meinte Nadine und rang sich ein gequältes Lächeln ab.  "Gar nichts ist okay!", dachte die Jugendliche traurig.
Alice öffnete die Tür. Warme Luft schwang Nadine entgegen, ebenso der Duft leckeren Essens. Wie sehr hätte sich das Mädchen gewünscht, diesen Moment in vollen Zügen genießen zu können, die Augen zu schließen, den Duft einziehen, die Wärme genießen. Jedoch spürte sie den gehässigen Blick Dennis' auf sich, der im Wohnzimmer gegenüber, lässig an den Türrahmen gelehnt, einen abschätzenden Blick auf seine Adoptivschwester warf. Er flüsterte Rocky etwas zu, woraufhin dieser zu kichern begann.
Nadine merkte, wie heiße Tränen in ihren Augen auftraten, von denen sie wusste, dass sie sie nicht zurückhalten konnte.
Schnell huschte sie ins Innere, zog ihre Schuhe aus und rannte die Treppe hinauf. "Nadine, was ist los?", rief Taylor ihr noch nach, bevor sie oben angekommen war. "Bestimmt hat Dennis in sich hineingelacht, sich für seine Tat gelobt! Und Rocky...der macht das jetzt auch sicher!", dachte Nadine wütend.
Die Tränen rannen über die Wangen, Nadine machte sich keine Mühe sie wegzuwischen. Hinter sich hörte sie jemanden die Treppe hinaufhetzten. "Entweder Taylor oder Alice!", kam ihr sofort in den Kopf. Doch sie blieb nicht stehen.
Als das Zimmer vor ihr lag, riss sie die Tür auf, schmiss sich auf ihr Bett und begann herzzerreißend zu weinen.
"Nadine, was ist los?", hörte sie Taylor verwirrt fragen. "Nichts.", heulte Nadine. Sie drückte ihren Kopf in das weiße Kopfkissen. "Das glaube ich dir nicht. Nadine, du kannst mir alles erzählen, das weißt du!", erinnerte Taylor und setzte sich besorgt auf Nadines Bett. "Das geht dich nichts an!", fauchte Nadine zurück. Ihre Stimme wurde von den Tränen großteils unterdrückt.
Bestürzt über den schroffen Ton stand Taylor auf und verließ den Raum.
"Super, das wollte ich jetzt nicht!", dachte Nadine, wütend auf sich selbst, wütend auf Dennis. Sie setzte sich auf. Ihre Wut nahm überhand, sie schrie laut.
Nadine stampfte aus ihrem Zimmer. Es wurde ihr zu viel. Keine Eltern mehr, gemeine Brüder und aufgeheizte Stimmung... "Tut mir Leid schöne Welt, aber nicht mit mir! Ich werde tun, was ich zu tun habe!", dachte Nadine. Sie begab sich zu der Tür, von der sie wusste, dass sie auf den Dachgarten führte. Zögerlich öffnete sie die Tür. Diesmal schwang ihr kalte Luft entgegen. Langsam trat sie hinaus. Das Dach war sehr hoch angelegt, einen Sprung würde Nadine eigentlich nicht überleben.
Der Dachgarten war von einem eisernen Zaun umgeben. Nadine wagte den Blick hinunter - und torkelte gleich wieder zurück. "Oh mein Gott, wie hoch ist das bitte!", dachte Nadine verstört. "Naja, umso besser. Bin ich wenigstens gleich tot...", fügte sie mit einem leisen Nuscheln hinzu.
Langsam aber doch machte sich ein mulmiges Gefühl in Nadines Magengegend breit. "Soll ich wirklich...?" Die Jugendliche steckte ihre Hände in ihre Westentaschen. Sie biss sich auf ihre Lippen, während unzählige Tränen über ihr Gesicht liefen. Sie würde es tun. Niemand sollte sie davon abhalten.
Nadine ließ ihr Leben nochmal über sich ergehen. Der Tod ihrer Eltern. Die neue Familie. Die "netten Brüder". Taylor. Taylor... sie würde ihr das Herz brechen... doch es war besser für sie, fand das Mädchen.
Sie kletterte über den Zaun. Behutsam, sie wollte nicht zu früh sterben. Als sie auf der anderen Seite stand und sich krampfhaft am Geländer festhielt, kam wieder diese Zerrissenheit. Nadine wollte den ganzen Schmerz weghaben, für immer, jedoch wollte sie Taylor nicht verlieren...und Alice war auch so nett gewesen...
In diesem Moment dachte Nadine an ihre Eltern. Was würden diese denken? Aber sie waren ja nicht mehr da... Tausende Gedanken schossen durch den Kopf der Jugendlichen. Ihre Tränen liefen unaufhaltsam über ihr Gesicht. Sie fing zu schluchzen an. Warum musste ihr Leben nur so ein Schrotthaufen sein?
Als Nadine den letzten Atemzug tun wollte, hörte sie plötzlich Taylor nach ihr schreien. Ruckartig drehte sie ihren Kopf um. "Nadine! Oh mein Gott, was tust du da?", rief Taylor schockiert. "Ich scheide von dieser Welt!", antwortete Nadine mit tränenerstickter Stimme. "NEIN!! Das darfst du uns nicht antun!", schrie Taylor entsetzt. "Ich sag dir jetzt mal was!", zischte Nadine. "Dein Bruder Dennis ist an allem Schuld. Er hat mir den Tod gewünscht. Wegen ihm ist mein Daumen gebrochen! Es ist alles seine Schuld! Richte ihm das aus!", rief Nadine wütend. Weitere Tränen rannen über ihr Gesicht.
"Nein! Nein oder?" Taylor war geschockt, auch wenn sie so eine Vermutung in diese Richtung hatte. Mit festem Griff hielt sie Nadines Hand fest. "Doch! Lass mich los!", fauchte Nadine. "Es ist egal was er tat! Vergiss diesen Hornochsen! Ich brauche dich! Du kannst mich nicht im Stich lassen! Bleib bei mir!" Die letzten Wörter schluchzte Taylor nurmehr, was Nadine im Herzem wehtat.
Jedoch blieb sie bei ihrer Meinung. "Ich habe dich geliebt! Merk dir das!", heulte Nadine. Sie wand sich aus dem Griff - und fiel. "NEEIIN!!!", schrie Taylor geschockt. Alles ging wie in Zeitlupe. Nadine schloss die Augen, um den Boden nicht sehen zu müssen. Taylors Hand war fassungslos über das Gitter gestreckt. Sie zitterte, weinte und schrie gleichzeitig.
Nach ein paar Sekunden prallte Nadine auf den Boden. Sie verlor sofort das Bewusstsein...
"NADINE!!", schrie Taylor verzweifelt. Sie stieß sich vom Gitter ab und rannte so schnell sie konnte nach unten.

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