Nachricht des Jägers
Wie beinahe jeden Nachmittag sitze ich auch heute an meinem Laptop um zu zocken. Als ich gerade mein Lieblingsspiel öffnen möchte, erscheint groß eine Nachricht auf dem Bildschirm. Die anderen Apps verschwinden und nur noch mein Hintergrundbild mit dem Mond zu sehen. Ich weiß was das bedeutet noch bevor ich das erste Wort lese. Meine Hände werden schwitzig und ich muss mich bemühen ruhig zu bleiben.
»Die Jagd geht weiter«
Die Jagd ist schon vor Jahren ausgestorben. Ich war selber Jäger und hatte keine Aufträge mehr bekommen, ich dachte schon es wäre vorbei. Das wäre gut gewesen, denn schon damals habe ich es nur getan, weil die andere Möglichkeit der Tod war. Der Jäger wird zur Beute. Ich werde zum nächsten Opfer, das um sein Leben rennen muss.
Panisch sehe ich mich um, als wäre der Jäger bereits hier. Doch ich weiß, dass er es noch nicht ist. Meine Hände schweben über der Tastatur meines Laptops, sie rühren sich nicht. Weigern sich die Worte einzugeben, die in meinem Kopf umher geistern. Ich befehle es ihnen und langsam geben sie das entscheidende Wort ein:
»Wann?«
Es dauert keine Minute da bekomme ich schon die Antwort.
»Noch eine Stunde, Kai Helder«
Nur noch eine? Fuck. Früher noch waren es mindestens drei, doch jetzt habe ich kaum mehr Zeit alles mitzunehmen das ich brauche und schnellstmöglich weg zu fahren. Dann schließt sich der Chat, nichts ist mehr zu sehen. Die anderen Apps sind wieder auf meinem Bildschirm zu sehen. Mit zitternden Händen klappe ich meinen Laptop zu.
„Jetzt bloß keine Panik", spreche ich mir selbst gut zu und stehe schwungvoll auf. Mein Holzstuhl kracht hinter mir zu Boden, ich hebe ihn nicht auf. Meine digitale Armbanduhr habe ich bereits eingestellt, wenn die Stunde erreicht ist wird sie kurz aufleuchten, ehe sie sich wieder verdunkelt. Auf dem Bildschirm läuft schon jetzt die Zeit ab, und ich kann sie sehen wenn ich zweimal drauf tippe. Ich renne in meinen Keller und suche wild nach meinem Jagdgewehr.
Noch siebenundfünfzig Minuten.
Da ist es! Ich nehme es mir aus der Glasvitrine, schließe die Tür wieder und nehme mir Munition aus der untersten Schublade. Elf Patronen, nicht mehr nicht weniger. In meinem Hals bildet sich ein Klos, das ist zu wenig. Viel zu wenig.
Noch fünfundfünfzig Minuten.
Ohne länger zu zögern renne ich nach oben in mein Schlafzimmer. Ich reiße alle Schubladen auf, werfe hektisch Kleidungsstücke auf mein Boxspringbett, bis ich meine Tarnkleidung ausgepackt habe. Im öffentlichen Verkehr definitiv zu auffällig, doch ich habe nicht vor mich in der Öffentlichkeit zu verstecken. Ich ziehe mich direkt um, nehme mir einen gleichfarbigen Rucksack und packe unauffälligere Kleidung ein. Es wäre noch Platz für weitere Dinge. Doch zu schwer möchte ich es auch nicht machen. Mit mehr Last ist man langsamer. Ein kurzer Blick auf die Uhr zeigt mir, wie viel Zeit ich noch habe.
Dreiundvierzig Minuten.
Das wird knapp. Ich entscheide mich kein Essen mehr einzupacken, nur drei scharfe Steakmesser und zwei halbe Liter Flaschen, gefüllt mit Wasser. Gut, mehr Zeit darf ich mir nicht nehmen, sonst wird es zu knapp. Schnell gehe ich in die Garage und packe meine Sachen ein.
Noch Vierzig Minuten.
Ich starte den BMW, das Garagentor öffnet sich und langsam fahre ich nach draußen, die Straßen entlang. Ich verlasse die Kleinstadt und gelange schon bald auf eine Autobahn. Mein Handy in der Tasche klingelt, es ist mit meinem Auto per Bluetooth verbunden. Zögerlich hebe ich ab. Die Nummer ist unbekannt.
„Ja?", frage ich mit gespieltem Selbstbewusstsein.
„Du weißt wo. Wenn du nicht kommst, dann spielen wir unfair. Kapiert?", antwortet eine verzerrte Stimme und legt sofort wieder auf.
Genau an diesen Ort wollte ich bereits hin, ihn zu meiden war definitiv nicht mein Plan. Aber zu spät kommen auch nicht. Die Fahrt dauert lang und verläuft ohne weitere Zwischenfälle.
Noch siebzehn Minuten.
Ich stelle den Automotor ab. Es ist der richtige Ort, da bin ich mir sicher. Schon sooft war ich selbst in diesem Wald und habe andere gejagt, ich war früher Jäger und heute bin ich derjenige, der zur Beute wird. Aber ich habe nicht vor zu sterben, nicht heute.
Ich nehme meinen Rucksack mit, schließe leise die Fahrertür und trete hinaus in den dunkeln Nadelwald. Vorsichtig und leise entferne ich mich vom Auto, der Jäger wird den Wald erst betreten, wenn es Zeit ist. Vorher darf er oder sie nicht. Ich gehe zwischen den Baumstämmen entlang, bedacht darauf keine Spuren zu hinterlassen. Nach einiger Zeit raschelt es links neben mir. Sofort zucke ich zusammen, kalt läuft es mir über den Rücken. Da ist etwas, oder jemand...
Scheiße, denke ich mir nur und entsichere mein Gewehr. Meine digitale Armbanduhr wird kurz hell, bevor sie sich nur wenige Sekunden später wieder verdunkelt. Der Jäger hat jetzt den Wald betreten, dann wird er das nicht sein. Noch einmal Glück gehabt. Ich muss weiter und ein Versteck in dem Wald finden, von dort sollte ich aber auch schießen können. Nur falls ich den Jäger finde bevor er mich entdeckt. Ich habe einige Leben genommen, da wird mich ein Toter mehr nicht schlechter vor Gott da stehen lassen. Es ist nur ein weiteres Leben, das habe ich mir früher schon gedacht. Bei jedem einzigen Leben, habe ich gesagt, dass es mir nach meinem Tod nicht zur Last gelegt wird.
Ich kenne die verschiedensten Verstecke in dem Gebiet der Jäger. Früher habe ich jedes von ihnen enttarnt und kaum eines war gut genug. Die Fehler meiner damaligen Beute sind mir bekannt, jetzt bleibt nur die Frage ob ich es besser machen könnte.
Auf einen Baum klettern. Das haben schon mehrere Leute gemacht, es ist eigentlich gar nicht so dumm. Der Jäger ist kein Übermensch, er kann nicht die ganze Zeit nach oben starren um seine Beute zu finden. Aber es sind meistens die Bäume, die das Opfer gut beklettern kann. Die Höhen und schweren Bäume sind es meistens nie. Aber das Gute daran ist, dass man von dort oben den Jäger erschießen könnte, nur wenn man ihn oder sie verfehlt dann kennt dieser jemand die Position der Beute. Das schlechte: Man kann von da oben nicht entkommen. Da gibt es keinen Ausweg, außer der Sprung in den sicheren Tod, der früher oder später eintreffen wird.
Eine Höhle finden. Sehr schwierig, aber davon gibt es nur drei. Ich weiß wo sie sind und der Jäger auch, dort wird man definitiv gefunden. Vor allem sind die Höhlen nicht sehr groß, es würde nichts bringen sich dort zu verstecken. Außerdem kann ich von dort nur schlecht schießen.
Irgendwo im Unterholz ist auch nicht so schlecht, wahrscheinlich das beste Versteck was mir in dieser Situation einfällt. Es gibt viel davon, ist allerdings nicht erhöht und zum Töten des Jägers nur in durch Zufall nützlich. Er dürfte mich nicht sehen und dann könnte ich aus dem Gebüsch springen und ihn hinterrücks erschießen. Aber wenn er mich sieht und ich ihn vorher nicht bemerke, dann werde ich wohl kaum die besten Chancen haben.
Das sind die Verstecke, die meine Opfer sich ausgesucht haben. Aber da kommt mir eine Idee, etwas das die normale Beute nicht machen würde. Ich erinnere mich noch gut an die Leute, die ich umbringen musste. Es waren Zivilisten, an denen man sich wegen vergangener Taten rächen wollte, oder irgendwelche Ermittler, die dem Geheimnis dieses Jagdrevieres zu nahe gekommen sind. Aber es waren niemals ehemalige Jäger. Ob ich der erste bin? Oder gab es schon vor mir welche, die dachten, dass es vorbei wäre?
Ich werde den Jäger zum Gejagten machen. Einer von uns wird sterben und ich habe nicht vor es zu sein. Also mache ich mich auf die Suche nach meinem Jäger.
Eine Stunde und sechs Minuten später.
„Guten Abend!", ruft eine männliche Stimme hinter mir. Ich weiß wer es ist und sofort läuft mir ein kalter Schauer über den Rücken.
„Charlie", entgegne ich und drehe mich mit geladener und entsicherter Waffe um, „Hätte nicht gedacht, dass sie dich auf mich ansetzen"
Ich war vor ihn zu den Jägern gekommen, wegen dem Durst nach Rache. Nachdem ich zwei Menschen umgebracht habe wollte ich aussteigen, aber mir war klar, dass das nicht funktionieren würde, also habe ich weiter gemacht. Nach einem Jahr hatte sich Charlie den Jägern angeschlossen, wegen dem gleichen Grund wie ich. Er hatte den gleichen Grund gehabt wie ich, doch ich weiß, dass er selbst danach nie daran gedacht hatte aufzuhören. Charlie war meine Art Schüler, er hat mich immer bei der Jagd begleitet. So lange bis er bereit war. Irgendwann hatte er Blut geleckt, wollte immer und immer weiter töten. Damals war er einer der besten Jäger, wie er sich jetzt schlägt weiß ich nicht. Insgeheim hoffe ich, dass er mittlerweile wieder schlechter ist als ich. Unwahrscheinlich, aber ich erhoffe mir von diesen Gedanken nur, dass meine Todesangst weniger wird.
„Schön dich wieder zu sehen, Kai", antwortet er gespielt höflich.
„Ich kann annehmen, dass du noch so gut bist wie früher?", möchte ich wissen und nehme die Waffe nicht runter. Wir beide könnten abdrücken. Uns gegenseitig umbringen. Dann gibt es hier zwei Leichen, statt nur einer. Ein Jäger und eine Beute.
„Falsch. Ich bin viel besser geworden", erzählt er lässig, „Ich habe viele Bären erbeutet"
Ich erinnere mich an diese Bezeichnungen die, speziell für die Art des Jagdopfers, vor vielen Jahren erfunden wurden.
Bären, die Ermittler die der Organisation gefährlich nahe kam. Bewaffnete Gegner, meistens schwer zu töten aber alleine.
Wölfe, Opfer aller Art, sie sind bewaffnet und haben sich zusammen geschlossen um gegen den einen Jäger zu kämpfen.
Hasen, unbewaffnete Zivilisten die versehentlich Zeuge einer Jagd wurden und umgebracht werden mussten.
Rehe, unbewaffnete Zivilisten oder welche, die kaum Erfahrung mit Waffen haben. Von daher sind sie ungefährlich für den Jäger. Meistens welche, an denen man sich rächen wollte.
„Gut zu wissen", meine ich gespielt ruhig, doch meine Angst lässt sich nur extrem schwer überspielen, „Als was wird denn meine Art bezeichnet?"
„Ratten. Ihr seid die Ratten, aussortiert, ungeliebt, ekelhaft", erklärt er mir mit einem belustigen Lächeln auf den Lippen, „Und ich, ich bin heute der Rattenfänger. Kenne dich gut genug um dich Ratte umzubringen"
„Rattenfänger oder Jäger? Als was bezeichnet ihr euch denn jetzt?", ich sehe meinem ehemaligen Schüler in die Augen.
„Unwichtig. Wichtig ist nur, dass ihr, anders als die andere Beute, einen letzten Wunsch habt"
„Gut", sage ich mehr zu mir als zu ihm, „Was wenn dieser ist, dass du heute stirbst und nicht ich?"
„Den kann ich dir, so leid es mir tut, nicht erfüllen", er lacht kurz auf und fährt sich durch seine blonden Haare.
„Dann wünsche ich mir einen fairen Nahkampf. Ohne Waffen, nur Fäuste", teile ich ihm deutlich genug mit.
Er gibt mir ein Zeichen die Waffen abzulegen. Wir beide beugen uns nieder und da begeht er einen Fehler. Er unterschätzt meine List. Als ich sehe wie seine Waffe schon abgelegt ist, und mir meine noch in den Fingerspitzen liegt, schalte ich schnell um. Ich packe meine Waffe fester. Kurz darauf realisiert er es doch ist es schon zu spät. Schnell drücke ich ab, treffe allerdings nur seinen Arm. Schmerz erfüllt schreit er auf. Charlie möchte sich fassen und mit der anderen Hand seine Waffe packen.
Keine Zeit verlieren. Ich stehe auf, meine Knie drohen jeder Zeit unter meinen Gewicht nach zu geben.
Keine Zeit verlieren, rufe ich mir erneut ins Gedächtnis, jetzt nicht. Ich stehe vor Charlie, als ich ihm erneut in den Arm schießen muss, sonst wäre es sicher zu Ende mit mir. Doch es ist er, der heute von uns geht. Ich halte ihm den Lauf der Pistole an den Kopf, ein flaues Gefühl macht sich in meinem Magen breit und ich muss gegen die aufsteigenden Tränen ankämpfen.
„Ratten wehren sich vor ihrem Tod", murmle ich leise in dem Bewusstsein, dass er kein schlechtes Gewissen hätte, wenn er an meiner Stelle sein würde. Ohne länger Zeit zu verlieren drücke ich ab.
Jetzt ist der Jäger zur Beute geworden, doch ich weiß, dass die Jagd längst nicht vorbei ist.
Charlie war nicht der Letzte, der versucht hat mich zu töten.
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