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Der Schweiß rinn seine Schläfe entlang und er seufzte schwer auf. Es war jetzt schon Monate her, seitdem Namjoon wieder in sein Leben getreten war. Einfach so. Wie eine Zecke nur in Schlimmer. Eigentlich wie ein Tattoo: Nicht mehr wegzubekommen. Oben drauf hatte er dann auch noch einem so perfiden Plan ihnen zu helfen im Gepäck. Ihnen seinen Entführern. Namjoon war eben besonders. Er sah die Welt anders. Jetzt aber endlich nicht mehr so Unschuldig. Vielleicht waren Yoongi und seine Freunde, die letzten die Namjoon mit seiner Unschuld betrachtet hatte, weswegen er so fixiert auf sie war. Vielleicht aber auch einfach nur, weil er ja doch mehr wie ein Kumpel als eine Geisel behandelt worden war. Yoongi würde sich den Kopf darüber nicht zerbrechen.
Jetzt gerade fand die letzte Gerichtsverhandlung statt. Für Yoongi war das juristische Zeug nichts. Stattdessen stand er nun hier auf der Pferdekoppel und hämmerte schon seit Stunden an dem Haus herum. Das Dach war beim letzten Sturm, vor allem durch den heftigen Schneefall, einfach eigebrochen und er konnte Danbi nicht ohne Schutz lassen. Ein Glück hatte er sie zu dem Zeitpunkt schon in den alten Stall auf den Hof geholt. Seine Stute vertrug das Innenleben nicht so gut, weswegen Yoongi sie nun mit auf ihre Heimatskoppel genommen hatte. Sollte sie die kurze Zeit hier genießen.
Sein Atem war klar als warmer Dampf zu sehen und seine Finger gehorchten ihm nicht mehr ganz so gut wie zu beginn seiner Arbeit. Vielleicht aber auch, weil seine Gedanken andauernd abgelenkt wurden. Von der Gerichtsverhandlung und vor allem von den letzten Wochen, dem was dazwischen passierte. All die Skandale welche Namjoon anonym mit der Hilfe von seinem Vater und Jungkook mitsamt Beweisen an die Presse lieferte. All das was in diesen Kreisen schiefgelaufen war wurde langsam, aber stetig aufgedeckt. Yoongi fühlte Genugtuung bei den Gedanken daran. Er fühlte sich nicht länger an wie ein Geheimnis das er mit sich herum schleppen musste, denn noch weitere Opfer meldeten sich an die Presse. Es begann ein Umschwung. Einer dessen Folgen bisher noch nicht vorhersehbar waren.
Die großen Firmen begannen auf Sand zu laufen, während neue kleine Geschäfte entstanden und sich weiterentwickelten. Namjoons Vater hatte bisher auch absolut sein Wort gehalten und führte sämtliche Interviews wie er sich als Minderwertiger in der Gesellschaft fühlte und was er aus seinen Fehlern gelernt hatte. Er spendete, half ehrenamtlich. Und soweit Yoongi wusste, hatte er eine heftige Schimpftirade seiner Frau aushalten müssen, als diese von seinen Machenschaften erfuhr. Den nächsten Nagel hämmerte Yoongi ins Holz, während er dabei leicht lächeln musste. Ja, Myungok war nicht zu unterschätzen. Die zierliche Frau hatte Power.
Unfachmännisch hatte der Berufsdieb nun das Loch gestopft, welches den restlichen Schnee aushalten würde. Im nächsten Frühling würde er es ordentlich renovieren. Vielleicht sogar eher das ganze Gebäude hier. Dann wenn alles gut gutlaufen war. Dann wenn sie endlich mal wieder Geld auf ihren Konten hatten. Ohne Sorgen. Yoongi ließ sich an die Dachkante rutschen und konnte so die Koppel überblicken. Danbi galoppierte schnaubend über ihre schneebedeckte Heimat, blieb mal hier mal da stehen oder stupste spielend den Schnee an, so als sei sie ein Fohlen, das diese weiße Pracht das erste Mal entdeckte.
Die gespitzten Ohren der Stute, ihr kurzer, aufmerksamer Blick und das Knirschen des Schnees verrieten den Neuankömmling. Genießend schloss Yoongi kurz die Augen und versuchte für einen Moment nicht an den Gedankensturm in seinem Kopf zu denken. An die Aufregung, die ihn durchströmte, denn er wusste ganz genau, wer da gerade ankam. Er spürte den milden Wind auf seiner Haut und hörte das Klappern der Leiter, als sich der Besucher aufs Dach hievte. „Hier bist du.", meinte Namjoon und wäre beinah neben Yoongi das Dach wieder heruntergefallen, hätte der Braunhaarige den Lilahaarigen nicht am Arm zurückgezogen. An sich wäre es auch nicht weiter schlimm gewesen, denn unter ihren Füßen stapelte sich die Schneedüne, entstanden aus all dem Schnee der mal auf den Dach lag.
Die lila Farbe war schon sehr verwaschen und der Haaransatz machte sich bemerkbar, aber Yoongi mochte diesen verwaschenen Stil. Das gab Namjoon ein wildes Aussehen. Wenn sich Yoongi ihn jetzt anschaute sah er einen jungen, erwachsenen Mann, einer der wusste was er wollte. Und Namjoon wusste nur zu genau was er wollte. Schon nach wenigen Wochen hatte der Dieb gewusst, das Namjoon ihn weiter in seinem Leben haben wollte, es wirklich ernst mit der Freundschaft meinte. Er hatte sich seit ihrem Wiedersehen anders verhalten. Nicht mehr so eingeschüchtert. Kein bisschen Ängstlich, sondern so verständnisvoll wie es Yoongi bisher noch nie erlebt hat. Er hatte glatt das Gefühl irgendwas in Namjoons Entwicklung verpasst zu haben, aber er mochte den neuen Namjoon. Der, der mit ihm so umging wie es sich Yoongi immer gewünscht hatte: Beschützend.
Niemals würde Yoongi zugeben, dass ihm das gefiel. Das ihm gefiel, dass Namjoon für ihn aufstand, dass alles in die Wege geleitet hat. Es war einfach noch immer so schwer Hilfe anzunehmen, aber war es nicht schön das Denken, die Sorgen mal kurz an jemand anderen abgeben zu können? Namjoon konnte etwas ganz leicht das Yoongi nur sehr schwer konnte: Einsehen und die Hoffnung haben zu Handeln. Für Yoongi gab es Dinge, die waren nicht zu ändern, aber Namjoon sah keine Wände. „Hoseok meinte ich solle dich nicht suchen, aber ich war mir sicher dich hier zu finden.", lächelte Namjoon ihn an und zog aus seinen großen Jackentaschen einen Thermobecher. „Ich hab dir Tee mitgebracht."
„Danke..." Stumm nahm Yoongi den Becher entgegen und tat einen Schluck. Das heiße Getränk wärmte ihn von innen auf. Er wollte nicht fragen. Er wollte nicht wissen, wie der Prozess ausgegangen war. „Hast du die Anzeige in der Zeitung gesehen?", fragte Namjoon und nahm Yoongi den Becher aus der Hand, um ebenso einen Schluck zu tun. Sie waren jetzt auf Augenhöhe. Und Yoongi mochte es. Auch wenn Namjoon noch immer bei sanften Komplimenten oder schmutzigeren Witzen rot wurde. Aber das mochte Yoongi noch mehr an ihm. Dieses kleine Stück alte Namjoon, das nur er zu Gesicht bekam. Diese Unschuld die er ihm bis zum Letzten nehmen durfte.
„Welche Anzeige?", fragte er und stibitze sich den Becher zurück. „Da hat eine Dame geschrieben, dass sie merkt, dass sie zu beschäftigt ist um sich um ihr Pferd zu kümmern und sucht eine neue Unterkunft für es. Sie hofft darauf es Besuchen gehen zu können und dass es bei ihr in der Gegend bleibt. Soweit ich verstanden habe, lebt sie im Dorf dort drüben." Namjoon deutete in eine Richtung und meinte dann, dass er es bisher aber nicht geschafft hatte Kontakt mit ihr auf zu nehmen. Yoongi nickte. Ein Versuch war es wert. Dann konnte er sein Versprechen wahr machen.
Eine Weile saßen sie beide einfach da und genossen die Anwesenheit des anderen. Das heiße Getränk wechselte zwischen ihnen hin und her, denn es war unmöglich große Schlucke zu tun, solange der Tee noch so dampfte, wie er es ohne den Deckel sicherlich getan hätte. Plötzlich schrie Namjoon fluchend auf, als er sich die Zunge verbrannte. Im ersten Moment zuckte Yoongi erschrocken zusammen, bevor seinem Reflex nachgehen musste. Der kräftige Hieb schleuderte Namjoon vom Dach und er landete prustend und lachend unten im Schnee. „Sorry, Yoongi! Ich wollte dich nicht triggern!", lachte Namjoon und hievte sich aus der Wehe. Der Becher war gottseidank weiter von ihm entfernt im Schnee gelandet, wo der heiße Tee schon ein Loch reingefressen hatte.
Und Yoongi? Nun, bei dem verdutzten, lachenden Gesicht von Namjoon konnte er nicht anders als breit zu grinsen, vom Dach zu Namjoon zu springen und ihm einen breiten Kuss auf die Lippen zu geben. Ach, wie er das an Namjoon liebte. „Ich muss doch eher Sorry sagen...", murmelte er dem Jüngeren ins Ohr, bevor er ihn wieder in einem tieferen Kuss zog. „Wir bekommen den Tick schon hin.", erwiderte Namjoon zwinkernd und holte dann mit einer Hand voll Schnee aus, um von seinen roten Wangen abzulenken. Yoongi wusste, das dies der eigentliche Grund vom Beginn der darauffolgenden Schneeballschlacht war.
Durchgefroren ritten die Beiden wieder zurück. Namjoon hatte seinen Kopf wieder auf Yoongis Schulter abgelegt und seine Arme um dessen Oberkörper geschlungen. „Ich wollte dich eigentlich so schnell wie möglich sehen, um dir die Anspannung über das Ergebnis zu nehmen.", murmelte er ihm ins Ohr und löste so unbeabsichtigt eine Gänsehaut bei Yoongi aus. Der Braunhaarige wusste, nun kam er nicht drum herum zu erfahren, wie es endete. „Schadensersatz, Geldstrafen, so im Groben. Es ist leider nicht viel was ihr bekommt, weil es so lange her ist, aber die jetzigen Fälle haben echt glück. Für euch bedeutet das aber, ihr habt zwar keine Schulden mehr bei dem, bekommt aber auch nichts Weiteres obendrauf."
Yoongi atmete aus. Das hatte er befürchtet. Er hatte befürchtet, dass es nicht unbedingt besser für sie aussehen würde. „Allerdings", fuhr Namjoon fort und flüsterte es nun direkt in Yoongis Ohr, „würden wir durch den Verkauf der ganzen unnötigen Autos und Teile meiner Firma genug Geld machen um das Gebäude wieder auf Vordermann zu bringend. Da ich weiß, dass du etwas dagegen hättest, wenn ich euch wieder einfach so helfe, habe ich eine Bedingung: Ich möchte mein eigenes Büro in dem Gebäude haben und einen Anteil natürlich. Hoseok, Seokjin und Jungkook haben dem schon zugestimmt. Ich brauche nur noch deine Zusage." Damit waren sämtliche Argumente die Yoongi dagegen gehabt hatte entkräftet und er schnaubte nur amüsiert. Tja, jetzt musste er mit einem solchen Namjoon klarkommen. „Wenn es dich glücklich macht.", meinte er also und spürte wie sich Namjoon quietschend noch enger an ihn drückte. „Danke!"
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