34
Die Aufregung durchzog jede einzelne Faser von Namjoons Körper. Es war Mittwoch. Dienstag hatte er mit, so seltsam es klingen mag, einem Anwalt gesprochen. Und seinem Lehrer. Und einem Reporter. Ja, gestern hatte er einige Gespräche geführt. Er hatte sogar jetzt einen Termin mit J-Hoe. Doch das war nicht der wirkliche Grund. Der eigentliche Grund befand sich hinter der Tür, vor der er stand. Dieser Grund war sein Vater. Namjoon wollte nun endlich Antworten und er wollte noch etwas: Richtigkeit. Tief atmete er durch, bevor er an die Tür anklopfte. Neben ihm stand Taehyung. Der Assistent war nicht eingeweiht, aber das sollte er auch nicht sein. Er sollte einfach nur als Namjoons Absicherung fungieren.
„Herein.", erklang die Stimme seines Vaters. Namjoon war eines klar, als er den Raum betrat. Nun begann ein neues Zeitalter für Unternehmen. Er hatte ein Ziel vor den Augen. Auch wenn er noch viel lernen musste und es definitiv nicht allein schaffen würde. Er wusste was er wollte und nun auch wie. „Vater.", sagte Namjoon selbstbewusst und drückte das Tablet an seine Brust. Er hatte seine Worte mit bedacht gewählt. „Namjoon, was gibt es?", fragte der Mann und blickte freundlich drein, noch. „Dieses Gespräch duldet keinen Aufschub. Gestern habe ich mit meinem Anwalt geredet. Deine Zeit ist vorbei und ich möchte wissen, warum du das getan hast.", antwortete Namjoon. Er fühlte sich ruhig. „Von was redest du?"
„Vielem. Soll ich wirklich alles aufzählen?", fragte Namjoon und merkte wie Taehyung im Hintergrund unruhig wurde. Ihm war es nicht zu verdenken. Die Stimmung im Raum kippte mit jedem Wort. Als sein Vater nichts sagte redete Namjoon weiter. „Steuerhinterziehung zum Beispiel. Du hast mehrere Millionen für dich behalten. Minderwertige Waren, viel zu teuer verkauft, Gehälter unterm Mindestlohn, ..." Der Platinblonde hätte noch lange fortführen können. Sein Vater hatte sich so einiges zu Schulden kommen lassen. Mit jedem Wort viel die Maske aus dem Gesicht seines Vaters. Er wirkte mit einem Mal mehr erschöpft als denn je. Vom starken Mann, der er eigentlich war, blieb nur wenig übrig. Einzig seine Augen funkelten noch immer mit Stolz. Diesmal mehr einem gebrochenem als gestärkten.
„Du möchtest wissen warum?", fragte sein Vater fuhr sich durch die Haare und seufzte schwer. „In erster Linie wohl für uns.", begann er zu erzählen, hob aber die Hand, um Namjoon zu deuten, dass er schweigen soll. Namjoon verstand und schloss den Mund wieder. Sein Vater benötigte nun Zeit, Zeit die Namjoon gewillt war abzuwarten, um seine Antworten zu bekommen. „Setz dich doch bitte erst mal.", bat Baekhyun. Namjoon kam dieser Aufforderung nach. „Du auch.", forderte der Geschäftsmann Taehyung auf. Dieser setzte sich unsicher neben Namjoon und gab diesem einen Seitenblick voller Fragen. Aber Zeit die Fragen des Assistenten zu beantworten, gab es jetzt nicht. Darum würde sich Namjoon später kümmern müssen.
„Ich begann die Firma zusammen mit meinem Vater, also deinem Opa aufzubauen. In dieser Zeit lernte ich deine Mutter kennen und lieben.", begann Baekhyun zu erzählen und gespannt lauschte Namjoon. „Als dein Opa verstarb, stand ich ganz allein da. Ich war noch nicht reif genug die Firma zu führen und unter meiner Hand machte sie nur Schulden. Deine Mutter brauchte zudem medizinische Versorgung und ich wusste mir nicht anders zu helfen, als einen Freund von deinem Opa um Hilfe zu bitten."
Er machte eine kurze Pause, versank in die Zeit zurück. „Dieser zeigte mir einen Ausweg, den ich eigentlich nur kurz beschreiten wollte. Doch einmal drin kommt man nicht so schnell raus. Vor allem nicht in diesen Kreisen. Ich erlangte Reichtum, brauchte mich nicht mehr, um irgendetwas zu sorgen und es gelang mir immer einfacher meine Firma auszubauen und international zu werden." Namjoon lauschte den Worten seines Vaters andächtig. Endlich bekam er antworten. Baekhyun erzählte von den Milieu, den dort herrschenden Regeln und Menschen. Es war grausamer als Namjoon erwartet hatte.
Aus den Erzählungen von Suga war schon einiges hervorgekommen, doch es auch noch von seinem Vater zu hören, sprengte es ganz. Die Zerstörungsgewalt dieser Reichengruppe war bombastisch. „Du musst verstehen, dass ich nur die Entscheidung zwischen dir, deiner Mutter und eurem Wohlergehen oder der Zerstörung eures Lebens hatte.", beendete Baekhyun seinen erzählerischen Ausflug in die Kreise der Firmenchefs. „Ich hätte darauf geachtet, dass du nie in diese Kreise kommst, wenn ich dir die Firma überlasse. Deswegen sollst du so gut lernen, hier schon arbeiten, den Respekt der Angestellten haben." Namjoon nickte nur. Sein Vater wollte ihn beschützen. Beschützen vor allem Schlechten das das Leben bereit hielt, weil sein Vater alles Schlechte in diesen Kreisen sehen musste. Baekhyun wollte Namjoon davor beschützen wie er zu werden und hatte ihn deswegen weltfremd gelassen.
Namjoon wusste, dass nichts in der Welt das Verhalten seines Vaters entschuldigen würde, doch nun verstand er viel besser was es hieß in solche Kreise zu geraten. Die Wut auf seinen Vater hatte nachgelassen, denn vor ihm saß gerade ein Mann, der sich nicht anders zu helfen gewusst hatte. Es gab immer andere Wege, doch wie Namjoon bei Suga gelernt hatte wurde man manchmal gezwungen Dinge zu tun, die man nicht gerne tat, um das zu wahren, was einem Wichtig war. „Nichts davon entschuldigt, was du getan hast.", sagte Namjoon seinen Gedanken und war erstaunt als sein Vater nickte. „Es hätte bestimmt auch tausend andere Wege gegeben... Ich weiß... Es sind nur nicht die Wege, die ich gewählt habe."
Einen Moment herrschte schweigen. Sie hingen alle ihren Gedanken nach und Namjoon sammelte sich innerlich, um die nächste Frage zu stellen. „Wer ist Sehun?" Bei dieser Frage schluckte sein Vater schwer, schaute betreten auf die Tischplatte. „Sehun...", murmelte er und in seiner Stimme lag Trauer. „Sehun ist, war mein Bruder, dein Onkel. Er..." „War?", fragte Namjoon und unterbrach seinen Vater augenblicklich. Hieß das sein Onkel sei Tod? Der Blick Baekhyuns hob sich wieder. Er schaute Namjoon fest in die Augen, während er leise sagte: „Ja... Er erfror vor ungefähr 13 Jahren in einer eisigen Nacht in seiner Wohnung. Man fand ihn, als er seine Miete nicht bezahlte." Erfror?
Konnte es wahr sein? Konnte es wirklich wahr sein, dass Suga dieser Yoongi war? Der Obdachlose sein Onkel Sehun? Dass diese Geschichten zusammenhingen? „Was ist mit Yoongi danach passiert? Warum hat Sehun überhaupt ihn adoptiert? Warum hast du ihm nicht geholfen?", die Fragen sprudelten in Namjoon einfach über und nur die sanfte Berührung von Taehyung an seinem Arm ließen ihn stoppen. Baekhyun zog eine schuldbewusste Mine, sah danach aus, als würde er von Wut auf sich selber zerfressen werden. Namjoon atmete tief durch. „Bitte erzähl mir davon."
Einen Moment herrschte stille. Baekhyun schien sich zu fassen. „Ich denke du hast Anrecht auf die gesamte Geschichte.", sagte er schließlich und lehnte sich in seinen Stuhl zurück. „Als ich das Pärchen Kwon kennen lernte, erschienen sie mir die einzigen Vernünftigen bei den Feiern der Firmenchefs. Sie behandelten die Angestellten nicht schlecht, redeten nicht gerne über Geschäfte und waren immer höflich und freundlich. Als sie ein Kind erwartete, waren beide ganz und gar nicht begeistert. Es verhinderte das Weiterkommen ihrer Karriere und würde rund um die Uhr nur stören. Da ich mit ihnen einen guten Kontakt pflegte, fiel es mir leicht die beiden davon zu überzeugen, das Kind zu behalten und es nicht abzutreiben. Ein Kind ist ein wertvolles Gut und bedeutet für einen Chef eine Weiterführung des Betriebs."
Gerne hätte Namjoon nun gesagt, dass er nicht vorhatte diese Firma weiterzuleiten, doch ein weiterer Stupser von Taehyung verhinderte, dass er seinen Vater unterbrach. Der Assistent hatte wohl gut im Gespür, wie schwer es Baekhyun fiel das alles zu erzählen. „Als das Baby auf der Welt war, war es ihnen aber vollkommen egal. Yuhee, also die Mutter, begann, sobald sie aus dem Hospital kam, wieder zu arbeiten und auch Kien, der Vater kümmerte sich nicht. Ich wollte nicht mit ansehen wie das Kind daran zugrunde geht und kam auf die Idee das Sehun sich darum kümmern könnte." Baekhyun dachte einen Moment nach. „Er und ich. Wir waren nie beste Freunde und keinesfalls das Geschwisterpärchen, dass man gerne hätte. Deine Großeltern trennten sich und während ich bei deinem Opa blieb, blieb er bei unserer Mutter."
Der Platinblonde erfuhr gerade mehr über seine eigne Familie als er je wusste. Für ihn waren die Großeltern alle verstorben und das war es gewesen. Er hatte nie nach ihnen gefragt und so fühlte er sich wie ein Schwamm, der die ganzen Informationen aufsaugen musste. „Sehun konnte keine eigenen Kinder bekommen und ich wusste etwas extra Geld würde ihm guttun. Er war immer zu Stolz etwas von mir anzunehmen, wohl auch weil er wusste, in welche Intrigen ich mich gestürzt hatte. Nachdem er Yoongi adoptiert hatte, wollte er nichts mehr von mir hören. Ich versuchte lange wieder mit ihm Kontakt aufzunehmen, doch das einzige, das ich erfuhr, war später sein Tod. Ich habe ihn nicht mal beerdigen lassen können, da es da schon viel zu spät dafür war."
Baekhyun seufzte tief, bevor er weiter fuhr: „Das Kind, Yoongi. Ich weiß bis heute nicht was mit ihm passiert ist. Selbst Nachforschungen haben nichts ergeben. Hätte ich ihn gefunden hättest du nun vielleicht einen älteren Bruder. Kinder, vor allem Kinder, können nichts für ihre Eltern. Namjoon, das Einzige, das ich sagen kann, ist: Ich habe mein Bestes versucht. Bitte verzeih mir. Verzeih mir alles, was ich dir verschwiegen habe. Du bist mir wichtiger als jedes Geld auf dieser Welt."
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top