ⅩΙΙ. 𝙴𝚒𝚗𝚜𝚊𝚖, 𝚔𝚕𝚎𝚒𝚗 𝚞𝚗𝚍 𝚊𝚕𝚕𝚎𝚒𝚗

Triggerwarnung: depressive Gedanken und behandeln von Selbstverletzung

Müde gehe ich in mein Zimmer und schließe die Tür hinter mir. Es ist noch früh, nicht spät genug, dass ich jetzt schlafen könnte. Meine Gedanken gehen auf Wanderschaft, weit weg von hier.

Selbstzweifel und Selbsthass überwältigen mich. Immer öfter hab ich in letzter Zeit daran gedacht, mich selbst zu verletzen. Warum denn nicht? Was soll schon passieren, davon abgesehen, dass es vielleicht weh tun und bluten wird? Ich weiß, dass meine beste Freundin es schon einmal getan hat. Als ich ihre Narben im Sommer gesehen habe, war ich sehr erschrocken und besorgt. Ich hab mich oft gefragt, wie man das tun kann. Ich kann mir noch immer nicht vorstellen, es selbst zu tun, mir selbst Schmerzen zuzufügen, aber ich denke trotzdem drüber nach. Es einfach zu probieren. Vielleicht kann ich es, vielleicht kann ich mich selbst schneiden, vielleicht kann ich meine eigene Haut verletzen. Vielleicht auch nicht. Als Werkzeug dazu kam mir immer die Zirkel in den Kopf. Eine andere Freundin hat mir erzählt, dass sie es auch mal getan hat, mit einem Zirkel. Keine schlechte Idee, ein Messer oder eine Schere zu benutzen, stelle ich mir auch schwer vor. Kann ich die Zirkelspitze auf meine Haut legen und dann zudrücken? Kann ich die scharfe Spitze, die sonst nur durch Papier dringt, in meine Haut spießen? Kann ich sie über meinen Arm ziehen und mir Schnitte zufügen? Kann ich das? Will ich das? Wird es etwas bewirken? Ich weiß es nicht. Und tief in meinem Inneren bezweifle ich es auch.

So oft habe ich schon daran gedacht und immer habe ich den Gedanken daran wieder verworfen. Auch heute lasse ich es. Ich hole den Zirkel noch nicht einmal. Ich tue nichts und mache mich stattdessen doch fertig fürs Bett. Dann werde ich halt lesen. Das Buch, das ich angefangen habe, möchte ich sowieso zu Ende lesen. Für einen Moment halte ich inne und bleibe einige Minuten starr auf meinem Bett sitzen. Die Musik habe ich schon angemacht, leise erfüllt sie die Stille in meinem Zimmer. Mein Blick fällt auf das Buch. Wie viel die Geschichte doch vermitteln kann. Es gibt eben keine Perfektion. Aber sich Fehler erlauben traut sich auch niemand. Es sind nicht nur die anderen, die einen für falsche Worte und Taten verurteilen, auch man selbst straft sich.

Wenig später komme ich wieder in mein Zimmer, nachdem ich Zähne geputzt habe. Die Musik läuft, die kleine Lampe an meinem Bett brennt und das große Licht schalte ich aus. Dann lege ich mich in mein Bett, kuschle mich in die Decke und bleibe ein Weile ruhig liegen. Ich tue rein gar nichts, blicke nur in meinem Zimmer umher, schaue von der einen zur anderen Ecke. Auf einmal fühle ich mich so klein, allein und einsam. Die Welt ist so groß und ich bin nur ein einzelner Mensch unter Milliarden anderen. Wer braucht mich schon? Nur ein Bruchteil der Menschheit kennt mich überhaupt, noch weniger kennen mich gut und nur ganz wenige lieben mich angeblich. Aber eigentlich gibt es doch niemanden, der mich braucht. Dem ich etwas bedeute. Und selbst wenn da jemand ist, hat es mir noch keiner gezeigt. Und deswegen glaube ich es nicht. So oft habe ich schon versucht, mir einzureden, dass mein Leben einen Sinn hat und so oft bin ich schon daran gescheitert.

Manchmal geben mir meine Freunde tatsächlich das Gefühl, dazuzugehören, aber ein anderes Mal wieder bedenken sie gar nicht, wie sie mich doch verletzen, indem sie sich gar nicht um mich kümmern. So oft ist es ihnen scheinbar egal, wenn ich nicht bei ihnen bin und mich stattdessen alleine in einer Ecke der Bibliothek verkrieche. Einerseits bin ich traurig, wenn meine beste Freundin in der Schule nicht da ist. Andererseits genieße ich das Alleinsein. Ich muss nicht darauf Acht geben, was meine Freundin tun möchte. Ich kann das selbst entscheiden und muss nicht Kompromisse mit ihr eingehen, wenn wir unterschiedliche Dinge tun wollen. Außerdem muss ich dann nicht reden. Ich kann einfach ruhig sein, muss mich nicht verstellen. Aber wenn meine Freunde mich dann nicht beachten, enttäuscht es mich auch. Ich bin ja nicht dumm, in dem Moment bin ich ihnen nicht so wichtig, dass sie an mich denken würden und das weiß ich.

Ich spüre den Kloß in meinem Hals. Das, was ich vorhin gelesen habe, hat mich zutiefst erschüttert. Es ist genau das, was ich auch so oft durchmache. Und es tut so weh, es tut mir so leid, zu wissen, dass sie es auch erleben muss. Dass sie so leidet. Ich verstehe sie ja genau, mir ist ganz klar, wie es ihr geht. Und das möchte ich nicht. Sie ist mir doch so wichtig, ihr soll es nicht schlecht gehen. Und weil sie mir so wichtig ist, muss sie das ja nicht auch durchstehen. Wenn sie doch nur sehen würde, wie toll sie ist.
Aber genau das würde auch sie zu mir sagen, wüsste sie, dass ich manchmal genauso denke.

Nun weine ich, Tränen laufen über mein Gesicht und tropfen auf mein Kissen. Mit jedem Atemzug spüre ich einen Schmerz in meiner Brust. Die lautlosen Schluchzer, die mich erschüttern, wären für jeden Beobachter herzzerreißend gewesen. Zum Glück sieht mich keiner so. Zum Glück kennt mich keiner so. Zum Glück kennt meine Familie diese Seite von mir nicht. Wenn sie wüssten, was ich durchmache. Wie schlecht es mir oft geht, manchmal sogar wegen ihnen. Für sie wäre das wahrscheinlich alles übertrieben und sie würden rein gar nichts dagegen unternehmen. Würden sich nicht bessern, nicht versuchen Rücksicht zu nehmen. Das tut ja keiner.

Ich sehne mich so sehr nach Zuneigung, nach Liebe. Ich muss sie sehen, direkt vor Augen geführt bekommen. Leere Worte lassen mich nicht daran glauben. Wie sehr ich mir doch Liebe wie in Romanen wünsche. Sicherlich wäre es ein wunderschönes Gefühl, wenn man weiß, dass jemand einen so sehr liebt, dass er oder sie alles für einen geben würde. Jetzt würde mir aber auch eine Umarmung reichen. Ich bräuchte jetzt jemanden, der mich einfach in den Arm ist, da ist und nicht weg geht. Aber da ist wieder niemand. Jemand soll mich einfach so fest an sich drücken, dass auch ich das Gefühl bekomme, dass dieser Jemand sich niemals wieder von mir trennen möchte. Aber so einen gibt es nicht, zumindest hat das Leben jetzt keinen für mich vorgesehen.

Also weine ich weiter. Bis ich Ruhe finde und einschlafe, vergieße ich noch viele Tränen. Und so muss ich weiterhin alleine zurecht kommen. Als kleiner Mensch, einsam, in dieser großen weiten Welt, die mich irgendwann verschlingen wird. Und niemand wird da sein, um mich zu retten und niemand wird da sein, um um mich zu trauern und niemand wird da sein, der es bereut, nie etwas für mich getan zu haben. Niemals wird niemand nichts für mich tun.

[1129 Wörter - 23. Jan 2022]

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