1. Kapitel
Ich genoss die sanfte Bewegung meiner Einhornstute Cecyla. Ihr silbernes Horn glänzte in der kühlen Morgenluft. Ich hing meinen Gedanke nach, während wir zur Schule ritten. ~ Seit 14 Jahren war ich nun schon auf der Welt und hatte nur eine einzige richtige Freundin. Cecyla. Einfach unglaublich! Aber dafür waren wir durch ein besonderes Band, das alle Menschen mit ihren Falanas zusammen hielt, verbunden. Jeder von uns hatte ein Falana, abgesehen von den ganz kleinen. Die Fabelwesen unserer Welt suchten sich ihre Menschen aus und sobald dieses Band entstand, wurden aus den Fabelwesen Falanas. Mit ihnen konnte man sozusagen eine Gedankenübertragung machen.
An meinem sechsten Geburtstag ist Cecyla aufgetaucht und ich merkte schnell, dass sie mein Falana war. Damals war es sehr neu für mich, doch jetzt vertraute ich meiner Einhornstute blind. Wir waren ein Herz und eine Seele. Ich war froh Cecyla zu haben. Einen Drachen oder einen Greif zu besitzen kam für mich gar nicht in Frage. Ich liebte Cecylas weiches, weißes Fell. Schuppen, wie Drachen sie hatten, fand ich grauenvoll. Das war doch bestimmt ziemlich unbequem. Auch Greife waren nicht mein Ding. Sie machten mir Angst. Zum Glück besaß niemand in meiner Familie einen. In ihr gab es nur Einhörner, Pegasusse und Riesenschmetterlinge, die wir Safaris nannten. ~
Laute Flügelschläge rissen mich aus meinen Gedanken. Sofort wusste ich, wer es war. Niemand würde so tief fliegen, wie er. Der Junge mit dem kastanienbraunem Haar und den grün leuchtenden Augen. Ständig hackte er auf mir herum, obwohl wir uns schon seit unserem dritten Lebensjahr kannten. Doch leiden konnte ich ihn noch nie! „Was willst du, Liam?", fragte ich selbstbewusst. „Dich ein bisschen begleiten. Was sonst?", antwortete er prompt. Doch ich merkte an seiner Stimme, dass er es nicht ernst meinte. Warum sollte er auch mit dem Mädchen, was er so sehr hasste, zur Schule gehen? „Na gut!", antwortete ich gespielt freundlich.
Eine Weile flogen bzw. ritten wir schweigend dahin. Doch dann brach Liam die Stille. „Hast du die Hausaufgaben für Naturkunde gemacht?" MIST!!! Daran hatte ich gar nicht mehr gedacht. Genau mit dieser Reaktion hatte mein ach so netter Mitschüler gerechnet, denn er grinste hämisch. Schadenfroh flog er davon. Normalerweise dachte er sich schlimmere Sachen aus, doch auch diese verhältnismäßig kleine Situation reichte mir schon vollkommen. ~ Soll ich hinterher? ~, fragte Cecyla mich in Gedanken. ~ Nein! ~, antwortete ich etwas zu barsch. Sofort bekam ich ein schlechtes Gewissen und erklärte meine Meinung. ~ Es bringt nichts. Liam ist jetzt erstmal zu Frieden und lässt uns hoffentlich in Ruhe! ~ Dies glaubte ich zwar ich zwar nicht, aber ich wollte Cecyla und mich regelrecht überzeugen. Doch meine Einhornstute kannte mich zu gut und war außerdem viel weiser als ich, wie alle Falanas. Selbst die normalen Fabelwesen waren waren weiser als die Menschen.
Nach einer viertel Stunde kam ich an den Hütten, aus denen meine Schule bestand, an. Ganz automatisch ging Cecyla zur Weide vor der Gerberahütte, mein Klassenraum. Dort stieg ich ab. Das kühle Gras war angenehm an meinen nackten Füßen. Normalerweise hatte ich immer meine Gänseblümchensandalen an, doch Fr. Baumkirsche wollte heute mit uns in den Wald, damit wir lernten mit unseren Füßen Gegenstände zu erkennen. Cecyla ging brav auf die Koppel, als ich das Gatter öffnete. Freudig wurde sie von Eleya begrüßt. Eleya war die Pegasusstute von meiner Lehrerin. Eleya war nach mir Cecylas beste Freundin. Ich ließ die beiden allein und machte mich missmutig auf den Weg in die Hütte. Dort wurde ich schon von Fr. Baumkirsche erwartet. „Hallo Mailina! Eleya hat mir schon gesagt, dass du da bist. Wir wollen jetzt auch direkt loslegen", sagte sie zu mir. Dann wandte sie sich auch an den anderen. „Ich habe euch für den zweiten Teil des Tages in Gruppen eingeteilt. Da ist es wichtig keine Schuhe zu tragen." Mit einem prüfenden Blick schaute sie auf unsere Füße. Dann nickte sie zufrieden und fuhr fort. „Hier vorne auf dem Ahornblatt stehen die Gruppen. Ihr kommt geordnet nach vorne und stellt euch dann in die Gruppen." Ich spürte die Aufregung, die in der Luft lag. Langsam ging ich nach vorne und schaute auf das Blatt. Ganz unten stand mein Name. Daneben Liam. Geschockt blieb ich stehen. „Wir wollen heute noch wissen, in welcher Gruppe wir sind!", beschwerte sich Filou, einer meiner Klassenkameraden. Langsam kehrte mein Geist wieder in den Körper zurück „Ist ja schon gut!", rief ich in dem gleichen Tonfall zurück, nachdem ich auch meine Stimme wiedergefunden hatte.
Auf dem Weg zum Treffpunkt hing ich mal wieder meinen Gedanken nach. Wie konnte Fr. Baumkirsche mich mit Liam in eine Gruppe stecken? Sie wusste doch ganz genau, dass wir uns nicht ausstehen konnten. Warum? „Pass doch auf!", riss mich Filou aus meinen Gedanken. Warum war er schneller als ich, obwohl er doch später los gegangen ist? Aber egal. „Was ist heute mit dir los, Mailina?", fragte er dann. Ich gab außer einer Entschuldigung keine Antwort und ging weiter zu einem Baumstamm, der auf dem Boden lag. Als ich mich auf den Stamm setzte knarrte er verdächtig, doch er hielt mein Gewicht. Dort wartete ich nun, bis meine Klasse aufbrach. Den ersten Teil würden wir gemeinsam machen, um dann später das Gelernte in Gruppen zu überprüfen, was mit Liam sicher im Chaos verlief.
Plötzlich tauchte vor mir ein dunkler Schatten auf. Vor Schreck wäre ich fast vom Baumstamm gefallen. „Entschuldigung! Ich wollte dich nicht erschrecken! Ich habe auch nur eine Frage an dich. Seit wann verträgst du dich denn mit Liam?", fragte Fr. Baumkirsche mich neugierig. In ihren dunkelroten Augen spiegelte sich zusätzlich zu der Neugierde Überraschung wieder. „Wir...", setzte ich an, stoppte jedoch, als ich Liams schadenfrohes Grinsen bemerkte. Er genoss diesen Augenblick förmlich. Mir war aber definitiv nicht zum Lachen zumute. Was hatte er jetzt schon wieder vor? Diese Frage schwabberte wie der morgendliche Nebel durch meinen Kopf. Früh genug würde ich die Antwort jedenfalls am eigenen Leib spüren. Das wusste ich.
Fr. Baumkirsche hatte sich mittlerweile von mir abgewandt. Anscheinend erwartete sie keine Antwort mehr. Ich war froh, denn eine Antwort hätte ich wirklich nicht gehabt. Was sollte man darauf auch schon sagen? Ich wollte ja nicht einmal mit Liam zusammen arbeiten. Er wollte mich doch nur wieder ärgern. Mein Gedankengang wurde von Fr. Baumkirsches Ruf unterbrochen. Schwerfällig erhob ich mich vom Baumstamm uns schlenderte zu meiner Lehrerin. Die Lust auf diesen Ausflug war mir echt vergangenen.
Die Gruppe setzte sich in Bewegung. Ich hielt mich ziemlich weit vorne auf, den in der Gegenwart von Fr. Baumkirsche konnte Liam mich nicht schikanieren. Unsere Gruppe lief durch einen großen Wald. Links und Rechts waren Eichen, Buchen und vereinzelte Fichten. An deren Stämmen wuchsen lauter Baumpilze in den verschiedensten Arten. Normalerweise wuchsen Baumpilze nur in Nadelwälder, doch der Wald, in dem wir gerade waren, war ein besonderer Wald. Hier waren die Pegasusse und Einhörner zu Hause. Ihre Kraft ließ alle Pflanzen wachsen. „Ein wildes Einhorn!", rief plötzlich jemand aufgeregt. „Leise!", wies Fr. Baumkirsche ihn sofort zurecht. Für mich war dies nichts besonderes. Auf meinen schönen Ausflügen mit Cecyla waren wir schon vielen wilden Fabelwesen begegnet. Am häufigsten jedoch Einhörner. Aber das wilde Einhorn, das jetzt in einiger Entfernung von uns stand, war anders. Es war schwarz. So eines hatte selbst ich noch nicht gesehen. Am liebsten hätte ich jetzt Cecyla gefragt, doch wir waren für die Gedankenübertragung zu weit entfernt. Leider. Fasziniert beobachtete unsere Gruppe das schwarze Einhorn. Es hatte ein dunkelrotes Horn, was zwischendurch aber immer wieder andere Farben annahm. Plötzlich hörte ich ein Knacken und jemanden fluchen. Automatisch drehte ich mich um. Filou war auf einen Ast getreten. Als ich mich wieder zum schwarzen Einhorn umdrehte, war es verschwunden. Enttäuscht liefen wir alle los.
Nach einer halben Stunde des Waderns kamen wir auf einer Lichtung. Schmetterlinge tanzten in der Luft. Ich atmete die warme Luft ein. Ich war froh, dass wir hier Rast machten, denn es war einfach wunderschön. Doch ausruhen und die Landschaft genießen konnte ich nicht, denn Fr. Baumkirsche rief uns zusammen und führte uns wieder zurück zum Waldrand. Dort fing sie an, die Hausaufgaben abzuprüfen. Schweiß lief von meiner Stirn, da ich die Naturkundehausaufgaben ja vergessen hatte. Sie fing bei Filou an und fragte, wie eine Pflanze hieß, die sie in der Hand hielt. So ging es weiter, bis ich an die Reihe kam.
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