Spin-Off 14: Ballnacht
Victoria Porter
Ich hatte diese Einladung einfach nicht ausschlagen können. Vielleicht war es das kleine Mädchen in mir, das immer von prachtvollen Bällen wie im Märchen geträumt hatte, das mich hatte zusagen lassen. Jedenfalls hielt ich es vor der Crew geheim, wohin ich diese Nacht gehen würde. Die meisten hatten sich ohnehin bereits in Pubs oder die Arme williger Frauen geflüchtet. Mir sollte es recht sein. Vorsichtig nahm ich das Kleid aus seiner Truhe und zitterte bereits vor Aufregung. Es war von so dunklem Rot, dass es beinahe schwarz wirkte. Am Boden der Truhe lag die Maske. Sie war mit schwarzen Rabenfedern bestickt und verbarg die Hälfte meines Gesichts. Langsam kämmte ich mir die Haare und achtete darauf, sie so zu stecken, dass sie das Brandmal am Hals bestmöglich verdeckten. Ich glaubte zwar nicht, dass ausgerechnet hier die gesetzestreusten Bürger erscheinen würden, die mich sofort an den Galgen lieferten, aber man musste es auch nicht darauf anlegen. Dann stieg ich in das Kleid. Es war das erste Mal, dass ich ein Kleid mit Reifrock tragen würde und es war mir auch nur deshalb möglich, weil man das Korsett vorne schnürte. Ich hatte diese Dinger schon immer gehasst. Nicht nur, dass man in kürzester Zeit außer Atem war, nein, zudem war so ziemlich jede Bewegung, die den Oberkörper einschloss unmöglich. Aber es war nun einmal eine gesellschaftliche Konvention. Als letztes setzte ich mir die Maske vor das Gesicht und band sie mit einer Schleife am Hinterkopf fest. Ich sah in den Spiegel und erkannte mich selbst kaum wieder. Gut so. Die freien Schultern erschienen mir nun allerdings etwas zu gewagt, doch mit einem Tuch würde ich wohl die ganze Aufmachung zu Nichte machen.
Also schob ich mir lediglich ein kleines Messer ins Dekolleté - nur für alle Fälle.
Ich ging nicht auf direktestem Weg zum Ball, da ich heute nur ungern allzu viel Aufmerksamkeit auf mich zog. Wie ich es erwartet hatte, war ich jedoch bereits völlig außer Atem, als ich auf dem Anwesen ankam. Von drinnen erklang Musik. Ein Cembalo, sofern ich das erkennen konnte. Ein Mann in schicker Uniform öffnete mir die Tür. „Mylady", sagte er und deutete eine Verbeugung an. Ich neigte ebenfalls etwas den Kopf.
Die Feier war bereits in vollem Gange. Noch bevor ich den Tanzsaal erreicht hatte, kamen mir jedoch bereits zwei Musikkritiker entgegen, die sich lautstark beschwerten.
„Dass sie hier jedes Mal nur Bach spielen, fürchterlich", empörte sich der eine, „dazu hat schon mein Großvater getanzt."
„Ich bin völlig deiner Meinung", pflichtete der andere ihm bei, „Hast du schon von diesem Wunderkind in Europa gehört. Dieser kleine Mozart. Er ist noch ein Kind und soll schon selbst komponieren. Ihn würde ich zu gern einmal spielen hören. Guten Abend, die Dame", grüßte er mich, dann verschwanden sie um eine Ecke.
Mit Musik kannte ich mich nicht sonderlich gut aus. Wie auch? Schmiede werden im Allgemeinen eher selten zu Bällen eingeladen. Ich betrat den Ballsaal und die Pracht aus bunten Farben, sanfter Musik und tanzenden Leuten schien mich zu erschlagen. Zudem hätte man gut mal etwas frische Luft hineinlassen können. Offenbar musste ich ein wenig geschwankt sein, denn jemand hielt mich am Ellenbogen fest. Es war ein väterlich wirkender Mann, kaum größer als ich, der mich besorgt musterte. „Ist alles in Ordnung?", fragte er mich.
„Ja, ja", murmelte ich, „mir ist nur etwas schwindelig." Sofort erschien ein Mädchen neben mir, wohl seine Tochter, die mir ein Fläschchen vor die Nase hielt. Augenblicklich hielt ich die Luft an. Die versuchten Attentate in letzter Zeit, hatten mich skeptisch gemacht. Es war jedoch ein Fehler gewesen, nicht mehr zu atmen, denn allmählich wurde mir schwarz vor Augen. „Atmet!", befahl das Mädchen, „Es ist Riechsalz. Das wird Euch helfen." Als ich drohte umzufallen, atmete ich schließlich doch ein. Tatsächlich war der Geruch so intensiv, dass die schwarzen Schlieren fast augenblicklich verschwanden. „Ihr solltet Euch dennoch etwas setzen", sagte das Mädchen sanft und geleitete mich zu einem sehr zierlich wirkenden Sofa, auf das sie mich mit sanfter Gewalt niederdrückte. Sie trug, wie mir nun auffiel, ein marineblaues Kleid, das ihre Schultern vollständig bedeckte, und eine blaue samtene Maske.
„Nun sagt, wie kommt es, dass ich Euch noch nie hier gesehen habe?", fragte sie höflich, als sie sich neben mir niedergelassen hatte. Ganz offensichtlich gehörte sie zu jenen Mädchen der Oberschicht, die den ganzen Tag nichts besseres zu tun hatten als alle Leute um sich herum genau in Augenschein zu neben. „Das wird wohl daran liegen, dass ich zum ersten Mal hier bin", gab ich zu und ehe sie weiter fragen konnte, fügte ich hinzu, „Ihr scheint häufiger hier zu sein...?" „Oh ja", ging sie auf meine Ablenkung ein, „ich wurde Maximilian von Stuart versprochen. Da ist es wohl angemessen, wenn Vater und ich so oft wie möglich die Bälle besuchen, die sein Vater ausrichtet. Ihr seid mit Sicherheit bereits verheiratet, richtig?"
Und so schnell waren wir wieder bei mir. „Ich war es", antwortete ich knapp. „Oh, das tut mir leid", sagte das Mädchen mit Bedauern in der Stimme, „Vielleicht wirft ja einer dieser Junggesellen heute einen Blick auf euch." Sie nickte ermutigend und ich rang mir ein Lächeln ab. „Ich bin übrigens Elizabeth, Tochter von John Grayson und Alice von Schönberg. Mein Großvater war Deutscher und ein Nachfahre Karls des Großen. Und wer seid Ihr?", sagte sie. „Ich bin Victoria", sagte ich lediglich, wohl wissend, dass es in meiner Familie niemanden von Rang und Namen gab. Doch Elizabeth kam gar nicht mehr dazu, noch einmal nachzuhaken, weil mich in diesem Augenblick bereits jemand anderes ansprach:
„Lady Black, würdet Ihr mir einen Tanz gestatten?"
Das Blut in meinen Adern kühlte augenblicklich ab. Unter diesem Namen kannten mich nur Seefahrer. Schlimmer noch. Eigentlich nur Piraten. Wer war mir hierhin gefolgt? Langsam wandte ich den Kopf und sah an dem schwarzen Gehrock empor bis zu dem von einer schwarzen Maske halb verborgenen Gesicht, durch die mich schwarze Augen amüsiert betrachteten. Elizabeth neben mir schnappte nach Luft und schien nur mit Mühe ein Quieken zu unterdrücken. Zweifellos hatte Benjamin White sie sofort in seinen Bann gezogen, doch er würdigte sie keines Blickes.
Ich bezweifelte, dass er mir in dieser Gesellschaft etwas antun würde. Solange ich diesen Saal nicht verließ, dürfte ich sicher sein. Blieb nur noch das Problem, dass ich diese hochherrschaftlichen Tänze nicht einmal ansatzweise beherrschte. „Es tut mir äußerst leid, mein Herr, jedoch muss ich Ihr Angebot bedauerlicher Weise...", doch ich kam gar nicht dazu den Satz zu beenden, weil sowohl Ben als auch Elizabeth mich förmlich zum Aufstehen gezwungen hatten. „Seid nicht verrückt", flüsterte Elizabeth, „eine solch gute Partie bekommt Ihr womöglich nie wieder." Benjamin hatte unterdessen meine Hand genommen und umklammerte diese wohl etwas fester, als es eigentlich nötig gewesen wäre.
„Ich kann überhaupt nicht tanzen", murmelte ich ihm zu, als er mich wie in einem Schraubstock zur Tanzfläche geleitete. „Das ist nicht mein Problem, oder?", erwiderte Benjamin und klang dabei sogar ein wenig amüsiert, „Du kannst froh sein, dass die Schritte heute nicht mehr ganz so korrekt ausgeführt werden müssen, wie noch vor ein paar Jahrzehnten." Wir waren auf der Tanzfläche angekommen, gerade in dem Moment als der Mann am Cembalo wieder zu spielen begann. Wie die anderen Herren verneigte sich Ben, konnte es jedoch nicht lassen, dabei einen Kuss auf meine Hand zu hauchen. Aus den Augenwinkeln sah ich, dass das niemand außer ihm getan hatte, und meine Wangen begannen zu glühen. Die Damen um mich herum sanken nun in einen tiefen Knicks, den ich erst nachahmte, als die ersten von ihnen bereits wieder standen.
So zog es sich schließlich durch den ganzen Tanz: alle tanzten, als gäbe es nichts Leichteres auf der Welt, viele unterhielten sich und ich schwitzte panisch vor mich hin, in dem hoffnungslosen Wunsch, nicht negativ aufzufallen, wenn ich die Bewegungen der anderen mehr schlecht als recht nachahmte. Mit etwas Glück verbarg meine Maske einen Teil der Röte.
„Ich freue mich jedenfalls sehr, dass Ihr meiner Einladung nachgekommen seid, Victoria", sagte Ben in leichtem Plauderton. Ich hütete mich zu sprechen. Dann wäre es mit meiner ohnehin nur geringen Synchronität wohl endgültig dahin. Immerhin wusste ich nun, woher diese Einladung kam. Noch ein Knicks. „Wie erwartet ist Eure Schönheit noch größer, als ich sie bisher von Euch kannte", schmeichelte Ben, nachdem ich auf die Sache mit der Einladung nicht eingegangen war. Es war schwer zu sagen, ob er das wirklich so empfand, oder mich mal wieder nur um den Finger wickeln wollte. Seine Augen blitzten bereits gefährlich. „Wenn mein Bruder Euch so sehen könnte, wäre er wohl ganz und gar entzückt, doch leider ist er an diesem Abend verhindert", sagte Ben mit falschem Bedauern. Das brachte mich aus der Fassung.
„Was hast du mit Jim gemacht?", fragte ich, verlor prompt die Konzentration und führte eine Drehung falsch herum aus. Ben war nun vollends amüsiert. „Ich habe gar nichts getan", erklärte er leichthin und als er – wie die anderen Herren ebenfalls an ihre Damen – näher herangetreten war, flüsterte er, „Er wird später noch genug leiden. Deshalb kann ich dein Leben heute auch noch nicht beenden, auch wenn es mich noch so sehr reizt." Er trat wieder einen Schritt zurück und lächelte sanft, ehe er sich zum Abschluss verbeugte. „Dafür, dass Ihr sagtet, Ihr könnet nicht tanzen, habt Ihr mich sehr beeindruckt. Ich würde mich freuen, noch ein wenig Zeit mit Euch zu verbringen... allein", sagte Ben sanft. Nein, so weit würde ich es nicht kommen lassen. „Liebend gern, jedoch sehe ich mich gezwungen, noch ein wachsames Auge auf die junge Elizabeth zu haben", entschuldigte ich mich und drehte mich hoffnungsvoll zum Sofa um, doch es war leer. Suchend blickte ich durch den Raum und fand das Mädchen schließlich in einem angeregten Gespräch mit einem jungen Mann, die beide wirkten, als würden sie gerade ungern gestört. „Oh, ich insistiere", flüsterte Ben an meinem Ohr. Zwar berührte er mich nicht, jedoch konnte ich nicht umhin die Hitze zu bemerken, die er kaum eine Hand von mir entfernt ausstrahlte. Dieser Abstand gehörte sich eindeutig nicht in der Öffentlichkeit, wie mir besonders die Blicke einiger älterer Damen klar machten.
Ich hob die rechte Hand an mein Herz und tastete nach dem Messer. Gut, es war noch da. So konnte ich mir im Notfall wenigstens etwas Zeit verschaffen. Möglichst langsam verließ ich den Saal, Ben war immer knapp hinter mir. Er führte mich immer weiter von der Musik weg und bald standen wir in einem völlig verlassenen Korridor.
Ben zog sich die Maske vom Gesicht und hob die Hände danach an meinen Kopf. „Darf ich?", fragte er, wartete mein „Nein" jedoch gar nicht ab, und öffnete die Schleife an meinem Hinterkopf. „So ein hübsches Gesicht, sollte man nicht verstecken", murmelte er und sah mir tief in die Augen. Genau wie bei denen seines Bruders fiel es mir schwer, den Blick abzuwenden. Es kostete mich alle Kraft, das Messer aus dem Dekolleté zu ziehen und ihm entgegen zu strecken.
„Wo ist Jim?", wollte ich wissen. Atemlos, wie ich entsetzt feststellte. „An einem sicheren Ort", erwiderte Ben, völlig unbeeindruckt von dem Messer in meiner Hand, die bereits zu zittern begann. „Ist dir klar, dass es zwecklos ist, dieses Messer gegen mich zu richten?" Er kam näher und drückte meine Hand mit dem Messer langsam an meine Seite.
„Es fällt mir immer noch schwer, zu verstehen, warum sich Jim ausgerechnet in dich verliebt hat. Angeblich warst du so widerstandsfähig, aber wie es aussieht, reicht schon ein bisschen mehr Feenblut in den Adern, um deine Abwehr zu durchbrechen." Mangels Alternative wich ich an die Wand zurück, während Ben mit diesem hungrigen Raubtierblick immer näher kam. Der Stein an meinem Rücken war kalt. Während Ben mich so ansah, spürte ich, wie mir das Messer aus der Hand rutschte, jedoch konnte ich nichts tun um das zu verhindern. Mein Geist war wie betäubt und nur ganz leise riet mir eine Stimme, dass ich lieber den Blick abwenden sollte, jetzt, da in seinen Augen ein seltsames blaues Leuchten erschien. Doch auch dazu war ich im Moment nicht fähig. Ben stand jetzt so dicht vor mir, dass ich den Kopf in den Nack legen musste, um ihn noch anzusehen. „Weißt du, es ist fast ein bisschen langweilig, dass du mir so gar nichts entgegen zu setzen hast?", sagte Ben leise und legte die Hand an meine Wange. Es schien mich seltsamer Weise etwas schläfrig zu machen. Den anderen Arm legte er um meine Hüfte und zog mich an sich, ehe er seine Lippen auf die meinen senkte. Mit Schrecken stellte ich fest, dass er jetzt vermutlich alles mit mir machen konnte. Ich war vollkommen wehrlos, war mir noch nicht einmal sicher, ob ich mich überhaupt gewehrt hätte, wenn ich es gekonnt hätte. Sein Bart kratzte über mein Kinn und in mir begann es zu Kribbeln. Als er meinen Mund genug bearbeitet hatte, hob er mich auf seine Hüften, sodass ich zwischen ihm und der Wand eingeklemmt war, während seine heißen Lippen nun meinen Hals entlang fuhren. Ein leises Stöhnen entwich mir und nun war ich sehr froh, dass mein Kleid meine Schultern nicht bedeckte.
Ein Kichern unweit von uns lies mich die Augen öffnen.
------------------------------
Hallo, endlich mal wieder ein neues Spin-Off, was?
Ich habe meine Schreibblockade (zumindest kurzzeitig) überwunden und wollte euch mal wieder einen kleinen Appetithappen aus dem begonnenen zweiten Teil präsentieren.
Wen mögt ihr eigentlich lieber, Jim oder Ben? Oder doch Henry? Ich bezweifele mal stark, dass jemand Arthur wirklich gern mag...
Wie immer freue ich mich sehr über Kommentare und auf eine wachsende Leserzahl. Aber dazu müsste ich wohl häufiger etwas veröffentlichen... Mmh... Na ja
Wir hören und lesen uns alle gegenseitig, bis zum nächsten Mal.
BookEntertainment
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top