Kapitel 6- Die Feeninsel

Victoria Smith

Wie konnte er es nur immer wieder wagen?

Und der Mann grinste mich an und musterte mich von oben bis unten. Zeit ihm Angst zu machen. Ich nahm den Degen und richtete ihn auf seinen Hals.
„Hör auf zu grinsen", flüsterte ich.

„Wieso sollte ich?", fragte er zurück und grinste noch breiter.

„Deshalb", erwiderte ich und ritzte leicht die Haut über seiner Brust ein, sodass eine schmale rote Linie hervor trat. Er hörte auf zu grinsen.
Stattdessen sah er mich mit einem Blick an, der Funken zu sprühen schien.
Nicht vor Wut. Vor... Erregung? Er kam auf mich zu und senkte seinen Kopf zu meinem.
Das war jetzt nicht sein Ernst!
Ich machte einen Schritt zurück und ging dann an ihm vorbei und stand einem bekannten Gesicht gegenüber.

„Earl?", fragte ich.

„Du bist es." Ich wusste nicht, wie ich seinen Tonfall deuten sollte. Er war nicht wütend, aber er freute sich auch nicht mich zu sehen. Jim kam neben mich. Er hatte mittlerweile sein Hemd wieder angezogen.
„James", begrüßte Earl ihn wenigstens ein bisschen wärmer.

„Was macht ihr hier?", wollte Jim wissen.

„Der Caept'n meinte, hier könnte man nochmal ordentlich auftanken. An allem."
„Und was machst du hier?", fragte ich Earl.
„Ich bin mit der Crew hier", gab Earl zurück. Gut, ich musste die Frage anders stellen.
„Ich meine was machst du hier an diesem Strand?"

„Jemand muss ein Auge aufs Schiff werfen. Und als ihr hier angekommen seid, musste ich nach sehen, wer da kommt", erklärte Earl.

Er sah mich immer noch an, als wäre ich, keine Ahnung, ein sich selbstständig machender Schatten oder etwas Ähnliches.
Jim jedoch interessierte sich wenig für das, was Earl da gerade gesagt hatte. Er starrte in die Büsche, die kurz hinter dem Strand begannen.
Bei genauerem Hinsehen, sahen sie anders aus als normale Pflanzen. Sie schienen irgendwie zu leuchten.
Plötzlich riss Jim mir den Degen aus der Hand.

„He!", rief ich, aber er war schon auf dem Weg zu den Büschen. Ich rannte ihm nach.

„Was hast du denn?", fragte ich.
„Wir müssen die andern finden, bevor die Feen sie in die Finger kriegen", erwiderte Jim knapp.
Kurz blieb ich stehen. Moment, hatte er gerade Feen gesagt?
Das hier war die Feeninsel, von der er gesprochen hatte?
„Aber es gibt doch gar keine Feen!", rief ich und schloss wieder zu Jim auf. Er blieb stehen und sah mich an. Seine Augen schienen blauer als sonst.
„Doch gibt es", sagte er und hielt den Degen in die Nähe einer Pflanze. Sie ließ die Blätter hängen.

„Feen sind allergisch gegen Eisen. Ebenso alle Pflanzen, die in ihrer Nähe wachsen. Glaub mir, es gibt sie. Du wirst sie noch früh genug sehen."

„Aber warum suchen wir die anderen?", fragte ich weiter. Immerhin hatten sie uns über Bord geworfen.
„Hattest du vor in einem Ruderboot durch die Karibik zu schippern?", fragte Jim, „Ich jedenfalls nicht."
Bevor ich etwas dazu sagen konnte, hatte er sich umgedreht und ging weiter. Für mich war es ein Wunder, dass ich mir noch nicht die Knöchel gebrochen hatte, so oft wie ich gestolpert oder umgeknickt war auf dem unebenen Boden. Irgendwann ging Jim langsamer. Viel langsamer und bedeutete mir leise zu sein.
Und dann hörte ich sie. Die Crew.
Sie unterhielten sich über irgendetwas und schließlich sah ich sie auch. Sie gingen kaum mehr als eine Armlänge von uns entfernt an uns vorbei.
Jim streckte die Hand nach hinten und machte eine „Mitkommen" Geste. Wir schlossen uns unbemerkt der Crew an, ließen uns aber etwas zurück fallen.

„Vorne sind zwei Feen. Sie führen uns zur Königin", flüsterte Jim.

„Woher weißt du das?", fragte ich. Er antwortete nicht.
Ich weiß nicht, womit ich gerechnet hatte, als Jim etwas von einer Königin gesagt hatte, vielleicht mit einem Palast oder ähnlichem prachtvollen Gebäude, aber nicht mit einer einfachen Lichtung.
Hier war nichts, aber alle versammelten sich hier und zum ersten Mal konnte ich einen Blick auf die Feen werfen.

Sie schienen zu leuchten und ihre Augen mussten wirklich leuchten. Es war keine Pupille zu sehen, in diesem hellen Blau.

Lange konnte man ihnen nicht in die Augen sehen.
Und die Feen waren überirdisch schön. So groß wie Menschen, aber so rein, so perfekt. Zumindest was ihr Äußeres anging.
Aber das machte sie auch unheimlich.
Man wollte ihnen nicht zu nahe kommen. Ich sah mich nach Jim um, aber der war verschwunden.

„Seid gegrüßt, Fremde", rief plötzlich eine helle Stimme, „Sagt mir, wer ist euer Kapitän?" „Ich", kam die Antwort von links vorne. Aber es war nicht Ruthless, der da sprach. Die Stimme war mir sehr viel vertrauter.

Wie konnte Jim das so einfach sagen? Und dann ging der Mann vor mir einen Schritt zur Seite und ich sah warum.
James White hatte soeben einen der gefürchtetsten Piraten der Karibik umgebracht. Warum?
Ein Raunen ging durch die anwesenden Piraten. Nur ich stand stocksteif da.
Wieso hatte er das getan? Warum gerade jetzt?
Er hatte doch letztens noch etwas von Ehre erzählt und jemandem von hinten in den Rücken zu stechen, war wohl auch für einen Piraten kaum ehrenhaft.

„Mein Name ist Caept'n James White", stellte Jim sich vor.

„Nun, Caept'n White, sagt, was wollt ihr hier?", fragte die Königin.
Sie ignorierte den gerade Ermordeten geflissentlich.
„Wir kamen zufällig hier vorbei und wollten nur kurz rasten", erklärte Jim.
„Dies sei euch gewährt", sagte die Königin, „Ich werde die Küche anweisen, etwas zur Stärkung zu bringen. Außerdem sind unsere Thermen wunderbar."
Bildete ich mir das nur ein oder hatten sich kurz die Nasenflügel der Königin angewidert gehoben?

„Darf ich außerdem noch darum bitten, dass die Waffen hier zurückgelassen werden? Feen vertragen Eisen nicht", fügte sie noch hinzu.

Höchst widerwillig legten alle ihre Waffen ab und folgten einem Feen Mann.
Wohin wusste ich nicht. Jim aber blieb zurück und sah eine Fee an, die gerade durch die Bäume trat. Wie alle Feen war sie wunderschön.
Und Jim kannte sie, dass sah ich an seinem Blick. Eine Weile sahen sie sich einfach nur an. „Mein Junge", flüsterte die Fee mit glockenzarter Stimme.
Jims Augen begannen zu glänzen.
Moment! James White, der Pirat, der Mörder, stand den Tränen nahe!

„Mutter."

Es war kaum mehr als ein Hauch. Ich war mir nicht einmal sicher, ob ich ihn richtig verstanden hatte. Sie fielen sich in den Arm und ich stand dämlich daneben.

„Mädchen, wollt Ihr nicht auch ein Bad nehmen?", fragte mich jemand.

„Doch, sicher", sagte ich etwas zerstreut und ließ mich wegführen. Kurze Zeit später stand ich vor einer kleinen Grotte.
„Wo sind die anderen?", fragte ich die Fee, die mich hierher geführt hatte.
„Oh, sie sind bei einer anderen Therme. Ich dachte nur, so ein junges Mädchen wie Ihr es seid, würde es vorziehen alleine zu baden", erklärte sie.

„Danke", sagte ich, „Das tue ich."

Und mit einem Kopfnicken verschwand die Fee im Wald.
Ich sah das Wasser an und lachte.
Ich habe keine Ahnung mehr, wieso, aber ich lachte.

Lange.

Wie lange, weiß ich auch nicht mehr.
Dann hörte ich wieder auf, entkleidete mich und sprang ins Wasser. Ich war froh, dass ich im Gegensatz zu Arthur schwimmen konnte.

Jim war also ein Feen Mann. Was sollte man davon halten? Er wollte also wegen seiner Mutter hier her.

Eine Mutter.
Ich wünschte ich hätte meine nicht so früh verloren. Früher hatte ich immer geglaubt, dass sie eines Tages zurückkommen würde.
Aber wenn man dreizehn Jahre gewartet hat, gibt man irgendwann die Hoffnung auf.

Meine Mutter.

Auf einmal führte ich mich in jene Zeit zurückversetzt, als sie verschwand.

Damals war ich sieben.
Geschrei füllte das Dorf gemeinsam mit dem Klirren der Säbel und den Pistolenschüssen. „Kommt Kinder!", rief meine Mutter panisch und zog Henry, Susanna und mich, ihre jüngsten Kinder hinter sich her in die Dachkammer der Schmiede.
„Mutter, lass mich gehen! Ich kann das Dorf mit verteidigen. Vater hat mir beigebracht mit dem Degen umzugehen", rief Henry und versuchte sich loszureißen.
„Nein, Henry. Du bist kaum zwölf", erwiderte Mutter und zog uns weiter nach oben.
Susanna weinte.
„Setzt euch dort an die Wand!", befahl Mutter und zeigte auf die Wand, die am weitesten von der Aufstiegsluke entfernt war.
Wir gehorchten.
Außer Henry.
Er wollte wieder nach unten laufen.
„Henry, nein!", schrie meine Mutter und nahm ihm den Degen aus der Hand.
Die drei schrien in ihrer Panik durcheinander und überhörten es.
Vor Angst war ich ganz still. Ich hörte die Schritte, die schnell näher kamen.
Sie kamen nach oben.
Mutter hatte es geschafft, Henry zu uns zu schubsen.
Dann stand ein Pirat neben Mutter. Hielt ihr eine Pistole an den Kopf.
„Sagt eurer Mutter adieu", sagte er und grinste dreckig.
Ihm fehlte ein halbes Ohr.
Dann schlug er Mutter mit der Pistole auf den Kopf. Sie kippte zur Seite und der Pirat zog sie durch die Luke.
„Nein!!!", schrie Henry.
Er sah viel älter aus als zwölf und stürmte wütend durch die Luke.
„Mutter!", rief ich. Ich wusste, dass sie mich nicht hören konnte, aber dennoch schrie ich nach ihr.
Ich wollte aufspringen, ihr ebenfalls hinterher, aber Susanna hinderte mich daran.
„Nein, Victoria", sagte sie flehend, „Bleib hier. Wir können nichts mehr tun. Hier sind wir sicher."
Und dann umarmten wir uns. Ich wollte diesem Piraten wehtun, der Mutter verschleppt hatte.
Ich würde mich vorbereiten.
Kämpfen lernen.
Auch wenn ich sieben Jahre alt war und ein Mädchen: dieser Moment würde mein Leben ändern, das spürte ich.
„Henry holt sie zurück", flüsterte Susanna mir beruhigend ins Ohr.


Aber Henry hatte sie nicht zurückgeholt.

Vater war nach dieser Nacht nie mehr der Selbe. Er ignorierte uns Kinder und betrank sich des Öfteren.
Arthur trat eine Woche später als Jungsoldat ins Heer ein, Henry übernahm die meiste Arbeit in der Schmiede und Susanna kochte und zog mich weiter groß.
Ab und an half ich Henry in der Schmiede und machte meine ersten eigenen Messer.
Und dann wurde Susanna vor zwei Jahren verheiratet.
An irgendeinen Soldaten, den Arthur kannte.
Soweit ich wusste, hatte Arthur mittlerweile zwei Kinder und Susanna hatte im letzten Jahr einen Sohn geboren.

Ich bemühte mich, mir keine Sorgen zu machen, ob ich in einem Jahr auch mit einem Kind im Arm irgendwo in einem Haus sitzen und den Haushalt machen würde.

Obwohl, nein.
Ich würde in einem Frauenhaus sitzen und ums Überleben kämpfen.
Diese Orte waren schrecklich.
Alle Frauen, die nirgendwo mehr gebraucht wurden, wurden von ihrer Familie dort abgeladen.
Sei es, dass die Mitgift für jüngere Töchter zu hoch war oder eine Mutter nach der Geburt des siebten oder achten Kindes im Haushalt überfordert war.

Und ich würde dort landen, weil ich keinen Mann hatte.

Allein die Vorstellung von Jim in einem Haus, das nicht übers Meer fahren konnte, war lächerlich.
Er war meine einige Chance, jetzt noch ein halbwegs normales Leben zu führen, aber er würde es nicht tun.
Selbst wenn er es tat: er war immer noch ein Pirat, ein Geächteter, ein Verbrecher.
Welchen Weg auch immer ich wählte, es würden ab jetzt hart werden.
Ich konnte nur hoffen, dass die Nacht am Strand mit Jim mir kein Kind beschert haben würde.
Kein Mann würde mich noch nehmen, wenn er mein Bastardkind mitversorgen müsste. Wobei mich das R auf meinem Rücken oder die Tatsache, dass ich einfach aus meinem Dorf verschwunden war, mich auch nicht begehrter machen würde.

„Seid Ihr Victoria?"

Ich zuckte zusammen und fuhr herum.
Jims Mutter stand neben einem Baum und betrachtete mich mit ihren durch und durch blauen Augen.
Zögernd nickte ich.

„Würde es Euch etwas ausmachen, wenn wir uns ein wenig unterhielten?", fragte sie.

„Nein, es würde mir nichts ausmachen", erwiderte ich.
Sie drehte sich um, sodass ich mich wieder anziehen konnte.
Als ich fertig war, ging ich um sie herum, damit wir uns wieder ansahen.
„Was wollt Ihr von mir?", fragte ich und klang vielleicht etwas zu schroff.

„Ich wollte Euch etwas kennenlernen. Wisst Ihr, Frauen verirren sich nur selten auf unsere Insel. Wie ist es für Euch an Bord eines Schiffes, umgeben von Männern?", wollte sie wissen. „Ich musste mich als einer von ihnen verkleiden, um an Bord zu kommen und danach war es hart, diese Tarnung aufrecht zu erhalten. Aber Ihr Sohn hat mir die Zeit angenehmer gemacht", erklärte ich kurz.

Was sollte ich auch groß erzählen?
„Ja, Jim", sagte sie und ich hatte das Gefühl, das er der eigentliche Grund war, weshalb sie mit mir reden wollte, „Ich muss Euch sagen, dass Ihr, was ihn angeht, vorsichtig sein solltet. Besser gesagt, solltet Ihr Euch vor ihm in Acht nehmen."
Mir war klar gewesen, dass ich Jim wahrscheinlich nicht alles anvertrauen sollte, aber dass seine Mutter mich vor ihm warnte, verblüffte mich.
„Wieso? Was hat er vor?", hakte ich nach.
„Vielleicht solltet Ihr zunächst einmal wissen, dass Feen die Gefühle ihrer Verwandten spüren können."

Oh, oh, oh.

„Er hasst mich?", fragte ich und irgendwie war ich enttäuscht. Ich wollte, dass Jim mich mochte.

„Nein, er hasst Euch nicht. Aber ich weiß nicht, ob das, was er für Euch empfindet, für Euch so viel besser ist, als wenn er Euch hassen würde", erklärte Jims Mutter, aber ich verstand weniger als zuvor.

Plötzlich sah sie sich um, panisch.

„Wir haben keine Zeit mehr", sagte sie und senkte die Stimme, „Denkt daran, was ich Euch gerade gesagt habe. Und nehmt das hier. Feensilber ist sehr leicht. Es wird einen Kampf für Euch einfacher machen. Viel Glück!"

„Victoria, hier bist du."
Ich konnte gerade noch den Degen samt Scheide entgegen nehmen, als Jim auch schon durch die Bäume trat. Seine Haare sahen gewaschen aus und er hatte sich wohl in der Zwischenzeit rasiert.

„Mutter."

Diesmal klang ihr Name kalt. So als wolle er sie nicht sehen.
„Victoria, wir sollten aufbrechen", sagte Jim fordernd.

„Gute Reise", murmelte seine Mutter.

Wir gingen durch den Wald und ich hörte noch wie seine Mutter „Pass auf dich auf!" hinter uns her rief und war mir unsicher, wen von uns beiden sie damit meinte.

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So noch mal ein neuer Teil, obwohl die Geschichte fast niemand liest und erst eine Person kommentiert hat.

Ich hatte zwar gehofft, dass diese geschichte ähnlich erfolgreich wie "the Black agents" sein würde, aber nicht alle wünsche gehen in Erfüllung. Vielleicht muss ich auch nur mal das Cover ändern.

~BookEntertainment

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