Kapitel 21 - Wenn sich alles ändert...

Gewidmet an nina_2410

Niemals würde ich James White lieben, nicht nach all dem, was er mir angetan hatte, aber ich konnte auch nicht abstreiten, was für eine Wirkung er auf mich hatte.
Außerdem war völlig unklar, was er für mich empfand. Ja, viele waren der Meinung, dass er mich liebte, aber mittlerweile war ich mir da nicht mehr so sicher. Ich hatte den Eindruck, dass es ihm mit mir genauso ging wie mir mit ihm.

„Ich gehe dann jetzt", sagte ich.

„Viel Glück", wünschte Jim.
„Ich habe die Träne der See. Mir wird nichts passieren."
Rückblickend hätte ich nicht so selbstsicher sein sollen, aber so trat ich nun mal auf die Straße und ging zielstrebig ins Zentrum. Obwohl es nicht einmal Mittag war, waren die Kneipen schon gefüllt.

Ein neues Schiff hatte im Hafen angelegt, der Dreimaster und unser Schiff lagen allerdings noch im Becken.

Es war wohl am sinnvollsten, dort nachzusehen, ob jemand aus der Crew da war. Ich kletterte die Leiter nach oben.

„Ist hier jemand?", rief ich über das Schiff.

Die Tür zum Unterdeck flog auf. Bill stürmte mit dem Säbel in der Hand nach draußen. Ich hob abwehrend die Hände.
„Ich bin's nur", sagte ich. Bill packte den Säbel weg.
„Was willst du?"
Der war ja mal schlecht gelaunt!

„Der Caept'n schickt mich. Er hat... ein größeres Problem. Er lässt ausrichten, dass die Crew entweder längere Zeit auf ihn und die Weiterfahrt warten muss oder ohne ihn fährt", sagte ich.

„Tja, wenn's nach mir ginge, würden wir sofort losfahren, aber ich kann das alleine nicht entscheiden und ich kann das Schiff auch nicht verlassen. Ich muss hier Wache halten", erwiderte Bill. Ich nickte verständnisvoll.
„Hast du eine Ahnung, wo ich die Anderen finde?", wollte ich wissen.
„Ich nehm' mal an, dass die in irgendeinem Pub sind."

Wieder runter vom Schiff, den Steg zurück laufen und alle Kneipen absuchen, na, viel Spaß. Immerhin entdeckte ich schon in der ersten Big Foot. Es war aber recht schwer, ihm verständlich zu machen, was ich von ihm wollte, da er in den Rum gefallen zu sein schien. Also auf zum nächsten Pub.

Wäre da nicht der Schlag auf meinen Hinterkopf gewesen.
Dieser war aber nicht sonderlich fest gewesen, denn ich wachte schon draußen vor der Tür wieder auf, an Händen und Füßen getragen. Mein Degen fehlte. Runde Sache.
Sofort fing ich an zu zappeln und landete auch gleich auf dem Boden.

„Warum ist die wachgeworden?", fragte einer der beiden Männer.

„Keine Ahnung, du hast ihr auf den Kopf geschlagen", erwiderte der Andere.
„Ach, jetzt bin ich es also schuld!"
„Irgendwer muss ja schuld sein!"

Was waren das denn für Deppen? Ich rappelte mich auf, bereit zu verschwinden.

„Du bleibst hier!", richtete einer der Beiden seine Aufmerksamkeit auf mich und packte meinen Arm, leider von seinem Säbel weg. Diesen richtete er jetzt aber auf mich.
„Wir bringen sie aufs Schiff."

Zunächst wehrte ich mich, aber dann ließ ich es bleiben: zum einen, weil mir der Säbel gefährlich nahe kam und zum anderen, weil wir auf den Dreimaster zusteuerten und ich nun doch gespannt war, wer diese Entführung in Auftrag gegeben hatte und wer folglich auch der Caept'n dieses Schiffes war. Auf der Leiter hielt ich inne und drehte mich um. Mein Herz schlug schneller. Theresia stand weiter entfernt auf dem Steg und starrte mich mit großen Augen an.

„Hilfe", formte ich stumm mit den Lippen. Sie nickte und drehte sich um. Zwar wollte ich wissen, wer dahinter steckte, aber es war immer gut zu wissen, dass Rettung unterwegs war. „Hey! Was ist da oben los? Wann geht's denn mal weiter?"
Ich kletterte ja schon. Oben wurde ich in die Kapitänskajüte gebracht, wo die beiden schon wieder anfingen zu streiten. Dieses Mal darüber, ob sie mich an einen Stützbalken fesseln sollten oder nicht.
Schließlich entschieden sie sich zu meinen Ungunsten dafür.

„Was will der Caept'n eigentlich von dir?", fragte einer der beiden, als ich gefesselt im Raum stand.

„Dafür müsste ich erstmal wissen, wer euer Caept'n ist", sagte ich und zog die Augenbrauen hoch.

„Ja, sag's ihr schon, Rat", forderte der andere Rat auf.

„Man, wir dürfen ihr das doch nicht sagen!"
Was war mit denen los? Die bekamen ja gar nichts auf die Reihe. Ich musste mich bemühen nicht zu lachen und war froh, als sie endlich gingen.
Jetzt war ich also eine Gefangene auf einem Schiff. So viel zum Thema Tränen der See bringen Glück.
Dafür hatte ich aber ein ziemlich genaues Gefühl, wer mich entführt hatte. So viel zum Thema Benjamin hätte es nicht auf mich abgesehen.
Kurze Zeit später ging die Tür erneut auf und meine Vermutung bestätigte sich.

„Was soll das? Warum haben die dich gefesselt?", fragte er.

„Frag sie doch selbst", gab ich knapp zurück.
Die Brüder machten mich echt fertig.
Vor allem: Ben hatte meinen Degen in der Hand! Er trat hinter mich und kappte die Fesseln. Meine Handgelenke taten jetzt schon weh.
Ben hatte sich verändert. Er trug einen schwarzen Mantel, der dem von Jim nicht unähnlich war, und ein rotes Kopftuch.
Wohl seine Ausgehkleidung.

„Was willst du von mir, Ben?", fragte ich.

„Oh, von dir will ich gar nichts. Es geht mal wieder um meinen kleinen Bruder. Wenn ihm auffällt, dass du fehlst, wird er dich suchen. Von alleine wäre er ja nicht aus seinem Versteck herausgekommen und du bedeutest ihm genug. Das er mein Haus anzünden musste...", er ließ den Satz in der Luft hängen. Ich stieß ein kaltes Lachen aus.

„Ach komm schon, du hast es doch gleich gelöscht", warf ich ein.

„Und wenn es so ist. Jimmy tanzt mir schon viel zu lange auf der Nase herum."
„Wieso? Schnappt er dir alle Frauen vor der Nase weg?", kommentierte ich spöttisch.
„Höre ich da einen Hauch von stolz in deiner Stimme?", hakte Ben nach.
„Wäre möglich."

„Hat Jim es also wirklich geschafft, dass du ihm sein Herz geschenkt hast. Was für eine rührende Liebesgeschichte. Der angeblich herzlose Pirat und die ach so bezaubernde Siegesgöttin", murmelte Ben mit zuckersüßer Stimme. Wütend ging ich auf ihn zu.

„Wir haben keine Beziehung!"
„Und du reagierst genauso abweisend darauf wie er. So entschieden. Zu entschieden. Na, dann wird er sicher nicht lange auf sich warten lassen." Ich stellte mich auf die Zehenspitzen und küsste Ben. Nur kurz, aber so leidenschaftlich wie möglich.

„Denkst du immer noch, dass ich etwas für ihn empfinde?"

„Ja", entgegnete er und sah mich dann mit durchdringendem und vielsagendem Blick an mit dem er fortfuhr, „Aber wir könnten das ändern."
Dabei fuhr seine Hand zu meiner Brust. Ich trat einen Schritt zurück.

„Vergiss es", flüsterte ich entschlossen und drehte ihm den Rücken zu. „Wie auch immer, ich bin sicher, dass mein Bruder nicht allzu lange auf sich warten lässt. Und nur so nebenbei: hier nennt man mich Blackbeard"

Die Tür fiel hinter ihm ins Schloss.

Blackbeard? Der angebliche Mythos, den Jim nicht kannte? In Wirklichkeit war es sein eigener Bruder. Damit hatte ich nicht gerechnet. Verdammt, was hatte Ben mit Jim vor?

Ich fand es noch am selben Nachmittag heraus.

„Caept'n, da ist ein Schiff!", hörte ich Stimmen über das Deck rufen. Die Tür wurde aufgeschlossen.

„Victoria, mein kleiner Bruder kommt. Möchtest du nicht rauskommen und ihn begrüßen?" Es war wohl sinnlos, jetzt zu streiten. Dennoch tat ich es.

„Nein, nicht wirklich", sagte ich gelangweilt und ließ mich hinter dem Schreibtisch nieder.

Wie war Ben wohl, wenn er wütend war?
„Dann nicht. Das wird auch nichts ändern."

Mist, er machte nicht mit.

Stattdessen drehte er sich um und verließ die Kajüte.
Einen Moment war es still, dann drang Geschrei zu mir durch und es schepperte.

„Wo ist Victoria?", hörte ich Jims Stimme.

„In der Kajüte." Nanu, warum war Ben so aussagefreudig? Da war doch irgendetwas faul.

Jim erschien in der Tür. Ich stand auf. Einige Augenblicke sahen wir uns an, ehe Jim zu mir kam, den Säbel in der Hand und mir um den Hals fiel.

„Jim, es ist alles gut, ich lebe noch", sagte ich leise.
„Und das soll auch so bleiben", bestätigte er und ließ mich los, „Geh auf mein Schiff. Ich muss noch eine Sache mit meinem Bruder klären."
„Du bringst ihn um, oder?", fragte ich. Jim antwortete nicht, sondern schob mich stattdessen zur Tür.
Es war still auf dem Deck und alle starrten uns an.
Ben sah mir in die Augen und bedeutete mir auf das andere Schiff zu gehen, was ich auch tat, jedoch nicht ohne mir von einem der Umstehenden meinen Degen zurückzuholen.

Als ich auf Jims Schiff war atmete ich erstmal auf und sah dann neben Theresia ein allzu vertrautes Gesicht und schnappte nach Luft.

„Henry?", fragte ich obwohl ich ihn eindeutig erkannt hatte.

„Du kennst ihn?", fragte Theresia.

„Er ist mein Bruder."

„Victoria, was machst du hier?", fragte Henry.
„Ich habe dich gesucht, du warst immerhin verschwunden. Du hast dich ganz schön verändert", sagte ich und es stimmte. Seine Haare waren verstrubbelt und auch er hatte einen Bart bekommen und dazu eine Narbe am Kinn.

„Du nicht weniger", erwiderte er.

Und dann grinsten wir uns beide an und fielen uns in die Arme. Ich hatte ihn gefunden.
„Es tut mir wirklich leid, eure Wiedervereinigung zu unterbrechen, aber unser Caept'n hat ein paar Probleme", unterbrach Theresia uns.
Ich drehte mich um.

„Mein Name ist Blackbeard!", schrie Ben und stach auf Jim ein. Dieser sah mich an und fiel zu Boden.

„Nein!", flüsterte ich und rannte zurück auf Bens Schiff.

Ich stieß Ben weg und ließ mich neben Jim fallen. Er durfte nicht sterben, aber ein Fleck breitete sich auf seiner Brust aus und wurde schnell größer.

„Nein", wiederholte ich und zog seinen Oberkörper auf meinen Schoß, „Jim, du darfst nicht sterben, wir sind so weit gekommen."

„Es war immer schon mein Schicksal so zu sterben, es ist gut so", flüsterte er, „Vielleicht hatten die anderen recht und ich empfinde doch mehr für dich... Victoria, ich liebe dich."

Eine Träne rollte meine Wange hinunter.

„Ich mag dich auch, Jim. Du bedeutest mir sehr viel."

Es musste grausam sein, das als Antwort auf eine Liebeserklärung zu hören, aber es war die Wahrheit. Auch Jims Augen wurden feucht.

„Küss mich", sagte Jim, „Bitte."

Ich beugte mich hinunter und legte meine Lippen ein letztes Mal auf seine. Er atmete nicht mehr und sackte in sich zusammen, die Augen ins Leere gerichtet.

„Jim?", sagte ich und begann hemmungslos zu schluchzen und drückte ihn an mich.

Für einen Moment hatte ich alles gehabt und jetzt war alles wieder weg. Nicht alles, Henry war ja noch da, aber Jim, der mich in mein neues Leben entführt hatte, war nicht mehr da.

„Tja, Victoria, du hast dir wohl den falschen White Bruder ausgesucht. Jimmy war schon immer ein Schwächling." Ben redete so leicht dahin. Zu leicht.

Ich legte Jim auf dem Boden ab und sprang auf, drosch mit meinem Degen auf Ben ein. Er schien damit gerechnet zu haben und parierte die Schläge, womit er allerdings nicht gerechnet hatte, war meine Schlagkraft, denn ich trieb ihn bis zur Reling.

„Ich habe mir nicht den Falschen ausgesucht", blaffte ich und schnitt ihm die Kehle durch. Mit weit aufgerissenen Augen sank er zu Boden und ich starrte ihn an, bis er sich nicht mehr rührte.

„Ich, Victoria Porter, übernehme dieses Schiff. Jeder, der meine Befehle nicht befolgt, wird durch meine Hand sterben. Hier habt ihr die Möglichkeit zu gehen, danach nie wieder", rief ich über das Deck und sah Timothy in die Augen, „Alle außer dir."
Ich glaube nicht, dass ich anders mit ihm umgegangen wäre, wenn Jim nicht kurz vorher gestorben wäre.

Langsam ging ich auf ihn zu, alle sahen mich an. Ich genoss es.

„Gib mir deinen Säbel."
Er tat wie geheißen, ich richtete meinen Degen auf ihn und begann zu zeichnen.
Ein M auf seine Brust. Timothy rührte sich nicht.

„Warum tust du das?", fragte er, vor Schmerzen schwer atmend.

„Ich bin nicht nur die Siegesgöttin, sondern auch der Racheengel, deiner armen Frau Mary", sagte ich kalt. Und mit diesen Worten stieß ich ihn vom Schiff.

Wir waren zur Insel zurückgekehrt, auf der einige Piraten von Bord gegangen waren, aber das kümmerte ich mich nicht.

„Viel Glück, Vicky!", rief Henry mir nach, als ich wieder aufs Schiff stieg.
Ich würde wohl irgendwann noch einmal zu meinem Bruder und Theresia zurückkehren, aber im Moment konnte ich sie nicht ansehen.

Sie hatten einander, waren glücklich.

Ich war aufgebrochen um meinen Bruder zu suchen, aber ich konnte ihn nicht nach Hause bringen, wie ich es mir erhofft hatte. Mein altes Leben war verloren, stattdessen hatte ich ein neues, viel härteres aber auch spannenderes.
Die Sonne ging gerade unter und ich fand, dass das auf eine seltsame Weise passte.

Jedes Licht in mir erlosch in diesem Moment.

Victoria Smith, das gute Mädchen, war wahrscheinlich schon auf der Feeninsel gestorben und Victoria Porter, die Rächerin, auf diesem Schiff.

Was mir noch geblieben war, war die Siegesgöttin Victoria, im Herzen eiskalt und doch auf ihre eigene Weise schön.

Das ist nicht das Ende. Das ist nichtmal der Anfang vom Ende.

Aber vielleicht ist es das Ende vom Anfang...

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Hallo Piraten,

Nochmal vielen Dank für eure Reads, die gerade am letzten Wochenende gestiegen sind.

Die richtige Danksagung kommt am Ende des Buches, denn es ist , wie gesagt, noch NICHT VORBEI!

Sorry, dass hier jetzt die Handlung vielleicht etwas zu schnell ging im letzten Kapitel, im Sommer werde ich wahrscheinlich mit einer großflächigen Überarbeitung anfangen.

Freut euch auf ein kurzes Kapitel und den Epilog, die noch fehlen.

~BookEntertainment

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