7.
Jungkook's PoV.:
Für die Nacht hatte ich mich ins Dorf zurückgezogen. Geschlafen hatte ich nicht. Die Angst, dass ich aufwachen und mich wieder im Krankenhaus befinden würde, hatte mich wachgehalten. Demnach fühlte ich mich auch am nächsten Morgen schrecklich müde. Die Sonne ging gerade erst auf. Sie kroch langsam, aber allmählich am Horizont hoch. Die ersten Männer befanden sich bereits auf den Beinen. Sie zogen Karren über den staubigen Trampelpfad; gefüllt mit Kübeln, Stroh, oder Obst und Gemüse. Sogar ein paar Frauen waren unterwegs. Wahrscheinlich wollten sie zum Marktplatz, um frische Lebensmittel zu ergattern.
Wie aufs Stichwort knurrte mein Magen. Ich hielt mir eine Hand über den Bauch und leckte mir die Lippen, als ich einen Karren mit glänzenden Kakipflaumen auf dem Pfad vorbeiziehen sah. Ich hatte so großen Hunger, dass ich befürchtete die Besinnung zu verlieren. Am liebsten wäre ich aufgesprungen und hätte den Mann am Karren überfallen, aber die Müdigkeit lähmte meine Glieder. Ich kam bloß mit großer Mühe hoch. Ganz langsam, an den umliegenden Hütten abgestützt, taumelte ich los. Ich ignorierte die schwarzen Sterne, die einen Moment lang vor meinen Augen tanzten und kämpfte mich bis auf den Trampelpfad vor. Dort ließ ich mich mit der dürftigen Menschenmasse in Richtung Markplatz gleiten. Den Karren mit glänzenden Kakipflaumen ließ ich dabei nicht aus den Augen. Ich hatte die irrsinnige Hoffnung, dass eine von den Pflaumen herunterfallen würde, damit ich sie mir schnappen konnte. Doch leider passierte nichts.
Der Marktplatz nahm lediglich einen kleinen Platz zwischen den Wohnhäusern ein. Die Verkaufsstände reihten sich hier in einer Art Kreis zusammen, sodass man einmal in die Runde laufen und dabei alles sehen konnte. In der Mitte wurde gerade etwas gebaut. Sie hämmerten Holzdielen zu einer großen Plattform zusammen. Ich vermutete, dass es für das anstehende Totenfest sein würde. Vielleicht eine Tanzfläche, oder Bühne. Es interessierte mich nicht wirklich, denn die Köstlichkeiten auf den umliegenden Tischen strahlten in einer herrlichen Farbenpracht. Hier gab es wirklich alles. Von roten Äpfeln und Fleischtomaten, bis hin zu gelben Bananen, grünen Birnen, orangenen Möhren und lila Weintrauben. Einen Tisch weiter brüllte mir ein Verkäufer seine Preise für Mehl, Kartoffeln, Mais, Nüsse und Körner zu. Mir lief das Wasser im Mund zusammen, als ich langsam durch die Runde ging. Das Loch in meinem Magen wurde mit jedem Schritt größer.
Schließlich sah ich den Karren mit glänzenden Kakipflaumen wieder. Er stand etwas weiter abseits an dem Tisch eines alten Mannes. Ich zögerte keine Sekunde, bevor ich die Distanz zwischen mir und dem Karren überbrückte. Als ich davorstand, ließ ich gierig meinen Blick über die reichliche Auswahl wandern.
„Was darf es sein, Junge? Such dir etwas aus. Du bekommst Rabatt, wenn du dich für fünf Sachen entscheidest", sprach der alte Mann. Er stand fürchterlich krumm und hatte kaum noch Zähne in seinem Mund. Mit einem dreckigen Finger zeigte er auf die Kakipflaumen. „Das Stück kostet 3,000 Won", fuhr er fort. Meine Hände glitten automatisch in meine Hosentaschen und ich stellte entsetzt fest, dass ich kein Geld bei mir hatte. Keinen einzigen Won. Natürlich, immerhin hatte ich mir diese Hose geklaut. Ich musste mir etwas anderes einfallen lassen. Doch da gab es nur eine Möglichkeit. Ich sah den alten Mann an und bekam sogleich ein schlechtes Gewissen. Andererseits, wenn das hier bloß ein Traum war...
„Willst du nun welche haben, oder nicht?", hakte der alte Mann nach. „Es tut mir furchtbar leid", antwortete ich ihm und bevor er nachfragen konnte, was mir so furchtbar leidtat, griff ich mit beiden Händen in den Haufen von Kakipflaumen und rannte los. Der Mann hinter mir begann hysterisch zu schreien: „Du kleines Arschloch! Komm zurück! Bleib stehen! Hey, da hinten rennt ein Dieb! Ein Dieb!". Ich drehte mich nicht um. Meine gesunden Beine trugen mich in Windeseile durch die Menschenmenge. Vorbei an Händlern, Hausfrauen und Tieren. Die drei Kakipflaumen, die ich mir ergattert hatte, presste ich dabei verzweifelt gegen meine Brust. Ich wollte sie nicht fallen lassen. Ich würde sie auch nicht hergeben, wenn man mich tatsächlich fangen würde. Doch ich hatte Glück. Von den vielen Männern und Frauen jagte mir keiner hinterher. Sie schauten nur merkwürdig, als ich an ihnen vorbeirannte und dann zwischen den Wohnhäusern verschwand. Das Geschrei des alten Mannes klingelte immer noch in meinen Ohren. Und so rannte ich weiter und weiter. Immer weiter, bis ich schließlich das Stimmengewirr vom Marktplatz hinter mich gelassen hatte.
Ich schnappte panisch nach Luft, als ich mein Tempo drosselte und zum Stehen kam. Meine Lungen drohten zu kollabieren und mir wackelten die Knie, wie Wackelpudding. Bevor ich zusammenbrechen konnte, ließ ich mich langsam und sicher an der Hauswand einer Hütte zu Boden gleiten. Dort, zwischen Kübeln und Eimern voll Wasser, kam ich dann endlich zur Ruhe. Die drei Kakipflaumen lagen unversehrt in meinem Schoß. Ich nahm eine in die Hand und betrachtete ihre glänzende Oberfläche genauer. Sie strahlte in einem herrlichen Orange und war unversehrt. Keine matschigen Stellen. Mit zittrigen Fingern fummelte ich ihre Blätter ab, ehe ich die Pflaume an meinen Mund führte. Kurz zögerte ich. Dann grub ich meine Zähne in das Fruchttfleisch und konnte augenblicklich ihren süßen Saft auf der Zunge schmecken. Ein zufriedenes Seufzen entfuhr meiner Kehle. Ich biss erneut ab. Noch einmal und noch einmal, bis ich den Mund so voll hatte, dass mir der süße Saft über das Kinn floss. Es schmeckte so unfassbar gut. Viel besser, als die Gemüse- oder Hühnersuppe aus dem Krankenhaus. Viel, viel besser.
Ich schluckte die gekauten Bissen herunter. Dann langte ich wieder zu. Das Loch in meinem Magen füllte sich. Zwar nur langsam, aber immerhin. Als ich auch die dritte Kakipflaume aufgegessen und meine Finger sauber geleckt hatte, fühlte ich mich schwanger. Mein Bauch sah aus wie ein aufgeblähter Luftballon und ich war heilfroh, dass meine geklaute Hose mit einem lockeren Bund versehen war. Ein schwerfälliges Grunzen verließ meine Kehle, als ich meinen Kopf gegen die Hauswand lehnte. Ich wurde müde. Für einen kurzen Moment flatterten mir die Augenlider zu. Ich zwang sie wieder auf, weil ich nicht einschlafen wollte. Doch ich war so müde. So unfassbar müde...
Schließlich schlief ich einfach ein. Es war ein traumloser und ruhiger Schlaf.
Ich wurde erst wach, als ich plötzlich einen Tropfen auf meinen ineinander gefalteten Händen spürte. Und dann noch einen und noch einen. Als ich die Augen öffnete, hatte es angefangen zu regnen. Dicke, kalte Regentropfen prasselten auf den Boden und durchweichten meine Klamotten. Ich verzog das Gesicht und stemmte mich auf wackeligen Beinen hoch, ehe ich den Blick umher wandern ließ. Ich hatte keinen blassen Schimmer, wo ich gelandet war. Das hier war nicht das Gebiet, in dem ich meine Nacht verbracht hatte. Hier sah es ganz anders aus. Die Hütten standen durcheinander und ich konnte mich auch nicht an das graue Gemäuer erinnern, welches in weiter Entfernung zu erkennen war. Meine gesunden Füße bewegten sich beinahe selbstständig darauf zu. Die Mauer war aus riesigen, groben Steinbrocken gehauen. Wind und Wetter hatten das Gestein mit Dreck besprenkelt. Sie zogen sich wie Farbkleckse an der unteren Hälfte entlang. Ein Blick nach links verriet mir schließlich, dass es gar keine Mauer war. Nein, es war die Wand eines Gebäudes. Genaugenommen ein Gebäude, welches an der Burg angrenzte.
Unter dem grauen Himmel sah die Burg viel düsterer aus, als sonst. Die weiße Fahne auf dem Mast flatterte heftig im Wind. Die Wachen, die sowohl vor den Eisentoren, als auch auf der Burgmauer postiert waren, standen mit strammen Schultern. Der Regen wirbelte erbarmungslos um sie herum. Noch bevor mich einer von ihnen sehen konnte, schaute ich weg und richtete meine Aufmerksamkeit wieder auf das Gebäude, welches wie ein ausgestreckter Arm von der Burg wegführte. Eine große dunkle Flügeltür führte ins Innere. Vor ihr stand niemand postiert und die Verlockung war zu groß, als das ich ihr widerstehen konnte. Mit einem flüchtigen Blick nach links und rechts, huschte ich zu der Tür. Ohne auch nur eine Sekunde lang abzuwarten, drückte ich mich gegen das dunkle Holz. Es knarzte und knackte, aber öffnete sich nicht. Ich gab ein frustriertes Knurren von mir, ehe ich versuchte sie an den schwarzen Ringen aufzuziehen. Der rechte Flügel schwang auf. Etwas überrascht, dass ich es tatsächlich geschafft hatte, hielt ich inne. Dann schlüpfte ich hinein.
Ich brauchte mich nicht großartig umzusehen, um das Rätsel über das lange Gebäude zu entschlüsseln. Der Geruch von Heu hing schwer in der Luft und direkt vor mir, bloß fünf Schritte entfernt, stand ein schwarzes Pferd in seiner Box. Es schaute mich aus großen Augen an, als ich einen Schritt vorwärts ging und mich in den Stallungen umsah. Auf jeder Seite gab es eine Vielzahl von Boxen. Hier und da schaute ein Pferdekopf heraus, aber die meisten Boxen standen leer. Am anderen Ende des Raumes – zu meiner rechten Seite – sah ich eine weitere Tür. Dort ging es wahrscheinlich nach draußen. Und zu meiner linken Seite entdeckte ich sowohl eine Sattelkammer, als auch eine kleine Tür die vermutlich ins Innere der Burg führte.
Auf nassen Sohlen bewegte ich mich darauf zu. Ich schlurfte so laut über den Boden, dass ich die Stimmen hinter der Tür erst hörte, als ich davor zum Stehen kam. Blanke Panik breitete sich in mir aus und ich riss den Kopf in beide Richtungen, um einen Ausweg zu finden. Dort, in einer schmalen Nische neben der Tür, ging eine steile Treppe nach oben auf den Dachboden. Ich verschwendete keine Sekunde, keinen Gedanken, bevor ich die Stufen hochkletterte. So schnell, dass ich ausrutschte und mir das Kinn aufschlug. Ich fluchte, ehe ich weiter kletterte und mich gerade noch rechtzeitig vor den Augen zweier junger Männer in Sicherheit bringen konnte.
Ich war auf dem Heuboden gelandet. Hier türmte sich das Heu bis in die Dachspitze. Es roch unfassbar gut, aber das war bloß ein nebensächliches Erkenntnis. Ich musste mich in Sicherheit bringen. Verstecken. Irgendwo in einer Ecke, wo mich die beiden jungen Männer vorerst nicht finden konnten. Immerhin wusste ich nicht, ob sie zu den Wachen gehörten und das Risiko wollte ich nicht eingehen. Also hielt ich mich verdeckt. Ich robbte und krabbelte über den Boden, so leise wie es mir möglich war. Dann kauerte ich mich in die hinterste und dunkelste Ecke. Dort hielt ich den Atem an und lauschte in die Stille.
„Irgendwelche Besonderheiten im Plan?", hörte ich einen von den jungen Männern sprechen. Er hatte eine dunkle und raue Stimme, die bis in meine Knochen vibrierte. „Nein, nichts dergleichen. Aber für morgen steht ein Jagdausflug drin", antwortete der Andere. Seine Stimme klang sanft und weich, wie die Daunendecken in einem kuscheligen Himmelbett. Ich rutschte tiefer in das Heu und legte meinen angewinkelten Arm unter den Kopf. „Der Prinz und sein Leibwächter?", hakte die dunkle Stimme nach. „So sieht's aus", erwiderte die sanfte Stimme. „Kaum zu glauben, dass der König seinen Sohn zu solchen Zeiten frei ausreiten lässt", in der dunklen Stimme klang etwas Verachtendes. „Sag das bloß nicht zu laut", mahnte die sanfte Stimme, „Der König macht, was ihm beliebt".
„Hauptsache er jammert nachher nicht rum, wenn sein Sohn von unseren Feinden abgeschlachtet wird", sagte die dunkle Stimme. „Ich glaube kaum, dass sein Leibwächter das zulassen wird. Kim Namjoon wird zu einem Raubtier, wenn es um den Prinzen geht", die sanfte Stimme klang etwas belustigt. „Stimmt schon, aber auch Namjoon wird seine Grenzen haben. Der Kerl ist schließlich kein Gott", entgegnete die dunkle Stimme und kurz flatterten mir die Augen zu. Meine erbarmungslose Müdigkeit kehrte zurück. Ich spürte sie in meinem Körper und in meinem Kopf.
„Naja, man nennt ihn nicht umsonst den Drachenjäger", entgegnete die sanfte Stimme. „Jetzt fängt das wieder an...", seufzte die dunkle Stimme, „Spar die deine Schwärmereien bitte für heute Abend auf, wenn du in deinem Bett liegst. Ich will davon nichts hören".
„Ist ja gut, du einsamer Muffel. Warte nur ab, bis du dich in jemanden verliebt hast. Dann wirst du auch jeden Tag schwärmen", das Grinsen der sanften Stimme war kaum zu überhören. Mir flatterten wieder die Augen zu und dieses Mal ließ ich sie geschlossen. Vollkommene Dunkelheit empfing mich. „Halt die Klappe. Lass uns lieber die Pferde versorgen. Ansonsten hängen wir heute Abend am Galgen", murrte die dunkle Stimme. Kurz darauf hörte ich das rhythmische Klappern von Pferdehufen auf dem Steinboden. Sie sprachen weiter miteinander, allerdings drangen ihre Stimmen bloß verzerrt und gedämpft zu mir hindurch. Ich versuchte noch, gegen die Müdigkeit in meinem Kopf anzukämpfen. Aber das Heu roch so gut. Es war so schön warm und weich, dass ich nicht anders konnte, als schließlich einzuschlafen.
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Hello~
Nun ist es endlich soweit. Im nächsten Kapitel treffen TaeKook aufeinander. Hat ein bisschen gedauert, aber ich ziehe derartigen slowburn vor xD
Ich hoffe es hat euch gefallen ^^
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