24.
Jungkook's PoV.:
Trauer lässt sich meistens in fünf Stufen einteilen. Die erste Stufe ist die Schlimmste, denn dort geht es um Verleugnung. Als meine Eltern erfuhren, dass ich Krebs habe, konnten und wollten sie mein Schicksal nicht wahrhaben. Sie waren schockiert. Sie gingen mit mir von Arzt zu Arzt, um sich verschiedene Meinungen einzuholen, doch alle gaben dieselbe Diagnose. Meine Mutter tat so, als hätte sie sie niemals gehört. Sie spielte mir eine heile Welt vor und ich glaubte ihr. Nach ein paar Wochen kündigte sie ihren Job, um mehr Zeit mit mir zu verbringen. Wir gingen in Freizeitparks, Zoos und Kinos. Wir gingen Schlittschuhlaufen und Schwimmen. Am Wochenende machten wir Ausflüge nach Jeju-Island und einmal flogen wir sogar nach Japan. Mein Vater ließ sie machen, weil er zu dem Zeitpunkt selber überfordert mit der ganzen Situation war. Manchmal, wenn sein Job es zuließ, reiste er sogar mit. Es war eine schöne Zeit, weswegen ich sie nicht hinterfragte. Aber rückblickend betrachtet fiel mir auf, wie hilflos und verzweifelt meine Eltern damals gewesen waren.
Genauso fühlte es sich an, als Taehyung, Jimin und ich auf dem Weg zu Wolsook waren. Wir gaben ein glückliches Lächeln vor, aber keiner von uns meinte es wirklich ernst, denn in Wahrheit zerbrachen wir uns alle den Kopf über den Krieg und den Tod. Wir hatten Angst. Große Angst. Keiner von uns wollte eines brutalen Todes sterben. Wer möchte das schon. Also taten wir so, als hätte es das Gespräch heute Morgen nie gegeben. Und ich wusste, dass es noch eine ganze Weile dauern würde, bis wir uns der Realität stellen konnten. Bei meinen Eltern hatte es ganze drei Monate gedauert.
„Einen wunderschönen guten Abend!“, brüllte Jimin, als er die Tür zu Wolsook's Gaststätte aufstieß. Alle anwesenden drehten den Kopf in unsere Richtung. Sie fingen an zu lachen und zu jubeln. Jimin klatschte begeistert in die Hände: „Ich freue mich auch euch zu sehen!“. Dann stolzierte er zwischen den Bänken und Tischen entlang, um uns einen freien Platz zu suchen. „Das er immer so einen Auftritt hinlegen muss“, seufzte Taehyung, ehe er ihm folgte. „Ich glaube Jimin mag die Aufmerksamkeit“, schmunzelte ich. „Leider, ja. Ich weiß gar nicht wieso ich mit so jemandem befreundet bin“, brummte Taehyung. „Nun stellst du dich aber an. Ich glaube du wärst ziemlich traurig, wenn Jimin nicht dein bester Freund sein würde“, erwiderte ich. „Redet ihr über mich?!“, kam es daraufhin empört von vorne. Jimin ließ sich auf ein freies Stück Sitzbank fallen. Taehyung und ich quetschten uns neben ihn. „Nein, alles gut. Bestellst du uns was zu trinken?“, wimmelte Taehyung ihn ab. „Wird erledigt“, und damit war Jimin's Aufmerksamkeit wieder auf etwas anderes gerichtet. Er hob seine Hand in Richtung Theke und verlangte lauthals nach drei Bier. Taehyung und ich prusteten hinter vorgehaltenen Händen.
Es dauerte nicht lang und uns wurden die drei Biere serviert. Die dunkle Flüssigkeit schwappte und schäumte, als eine der älteren Töchter von Wolsook sie auf den Tisch stellte. Ich zog meinen Becher näher an mich heran und schaute zögerlich hinein.
„Trinken wir! Auf uns und unser Leben!“, verkündete Jimin und hob sein Bier in die Luft. Taehyung tat es ihm gleich und dann blickten beide auffordernd zu mir rüber. „Aber nur dieses eine Bier. Ich will nicht wieder betrunken sein“, murmelte ich, eher zu mir selbst, als an irgendjemand gewandt. „Je mehr du trinkst, desto schneller gewöhnst du dich dran“, sagte Taehyung und zwinkerte charmant. „Prost, meine Freunde!“, rief Jimin. Wir stießen unsere Becher gegeneinander, bevor ich noch etwas auf Taehyung's Aussage erwidern konnte. Dann tranken wir. Aus dem Augenwinkel konnte ich sehen, wie Taehyung und Jimin ihren Becher mit wenigen Schlucken leer tranken. Ich versuchte es ihnen nach zu machen, aber die dunkelbraune Flüssigkeit war so bitter und ekelig, dass ich schon nach einem Viertel absetzen musste, um nicht alles in meinem Mund auszuspucken.
„Urgh“, machte ich und schüttelte mich angewidert. „Du hast wirklich noch nie ein Bier getrunken, oder?“, lachte Jimin. Ein paar der Männer und Frauen um uns herum beobachteten mich amüsiert. „Ist das etwa so ungewöhnlich?“, fragte ich nach. „Naja, die meisten fangen schon mit 12 Jahren an zu trinken“, antwortete Jimin und zuckte mit den Schultern. „Mit 12 Jahren?!“, platzte es entsetzt aus mir heraus. Eine Gruppe Mädchen die neben mir saß, fing an zu kichern. „Ich frage mich immer noch wo du herkommst, dass du noch nie Bier getrunken hast“, der Ältere seufzte und lehnte sich zurück. „Du musst auch bedenken, dass ich eine ganze Zeit lang krank gewesen bin“, erinnerte ich ihn, „Mein Appetit war damals so gut wie nicht existent“.
„Reden wir über etwas anderes“, unterbrach Taehyung unser Gespräch. Jimin blinzelte ihn verwirrt an: „Was machst du eigentlich noch hier? Willst du nicht Shogi spielen gehen?“.
„Was soll denn diese dumme Frage? Sei doch einfach mal froh, dass ich nicht gleich weg gehe, sondern bei euch sitzen bleibe“, zickte Taehyung zurück. „Ich beschwere mich ja auch nicht. Ich habe nur nachgefragt, was du noch hier machst. Normalerweise setzt du dich gleich nach deinem ersten Schluck Bier woanders hin“, antwortete Jimin. „Ich habe heute keine Lust zu spielen“, brummte Taehyung und klang dabei tatsächlich ein bisschen schüchtern. „Du hast keine Lust zu spielen? Tae, mein Schatz, stimmt etwas nicht? Hast du Fieber?“, hakte Jimin nach und wollte eine Hand auf Taehyung's Stirn legen. Doch Taehyung scheuchte ihn sogleich davon. „Lass mich bitte einfach in Ruhe. Sonst setze ich mich gleich wirklich weg“, warnte er ihn. „Aber Tae…“, schmollte Jimin und dann fingen die beiden an sich zu zanken, wie ein altes Ehepaar. Es klang urkomisch und ich musste so heftig lachen, dass ich gar nicht mitbekam, wie mich ein Mädchen von der linken Seite ansprach. Erst als sie meine Schulte berührte, riss ich erschrocken den Kopf herum.
„Hey“, lächelte sie und der Rest ihrer Gruppe kicherte wieder. „H-Hallo“, stammelte ich. „Ich wollte mal nachfragen wie du heißt. Ich habe dich hier nämlich noch nie gesehen“, sagte sie. Mein Blick fiel auf ihre Finger, mit denen sie sich nervös durch ihre schwarzen Haare kämmte. „Ich bin Jungkook und erst seit ein paar Tagen hier“, begrüßte ich sie. „Jungkook – das ist ein schöner Name. Ich bin Jooyeon“, antwortete sie und hielt mir ihre andere Hand entgegen. Ich schluckte trocken, ehe ich ihrer Geste nachkam und ihre Hand schüttelte. Sie fühlte sich ganz kalt an. „Freut mich dich kennenzulernen“, sprach ich kleinlaut. Eigentlich war ich nicht erfreut. Eigentlich wollte ich mich umdrehen und dem Gezanke von Taehyung und Jimin weiter zuhören. Aber das Mädchen ließ nicht von mir ab. „Woher kommst du, wenn ich fragen darf?“, sie lächelte mich lieb an. „Oh, das ist eine komplizierte Geschichte. Jedenfalls komme ich von weiter weg“, versuchte ich sie abzuwimmeln. „Und du bist ganz alleine gereist?“, hakte sie nach. Ihre Freundinnen sahen mich neugierig an.
„Ja, naja… Ich bin einfach in irgendeine Richtung gelaufen und hier gelandet“, log ich. Daraufhin lachten die Mädchen, als hätte ich den Witz des Jahrhunderts gerissen. Ich blinzelte perplex, ehe ich einen Schluck von meinem Bier nahm.
„Was ist denn da hinten so lustig, meine hübschen Damen?!“, hörte ich Jimin sprechen. Erleichtert, dass er auf mich aufmerksam geworden war, drehte ich meinen Kopf in seine Richtung. Er hatte sich auf dem Tisch nach vorne gelehnt, um an Taehyung und mir vorbeizuschauen. „Dein Freund hat uns gerade erzählt, wie er hierhergekommen ist. Er ist einfach drauflosgelaufen. Verrückt, oder?“, antwortete eines der Mädchen. „Tja, das ist unser Jungkook. Er sieht nicht nur gut aus, sondern ist auch ein richtiger Abenteurer“, grinste Jimin. Ich warf ihm daraufhin einen warnenden Blick zu. Ein Blick der aussagen sollte, dass er doch bitte den Mund halten sollte, weil ich keine Lust auf neue Bekanntschaften hatte. Schon gar nicht auf komisch kichernde Mädchen. Aber aus irgendeinem Grund schien er meine bösen Blicke nicht zu empfangen.
„Ich bin mir sicher, dass unser lieber Jungkook noch ein paar tolle Geschichten auf Lager hat“, sagte Jimin. „Oh nein. Das ist mir ein bisschen unangenehm. Lieber nicht“, versuchte ich mich rauszureden. „Das brauch dir doch nicht unangenehm sein“, lächelte eines der Mädchen, die sich unter Jooyeon´s Arm eingehakt hatte. Ihre dunklen Augen leuchteten nahezu, als sie mit mir sprach. Ich schüttelte den Kopf: „Nein, wirklich nicht. Mir ist nicht danach“.
„Wenn es dir wirklich so unangenehm ist…“, fing Jooyeon an und griff urplötzlich nach meiner Hand, „Wollen wir dann vielleicht draußen darüber reden? Ich würde dich nämlich gerne näher kennenlernen“.
Das war der Moment, in dem sämtliche Sicherungen in meinem Kopf durchbrannten. Es war klar, was Jooyeon von mir wollte. Sie wollte mich nicht nur näher kennenlernen. Sie wollte mit mir alleine sein und vielleicht… Ich verzog das Gesicht zu einer Grimasse, bei dem Versuch nicht entsetzt zu wirken. Aber es half nicht, denn Jooyeon und ihre Freundinnen spiegelten den Blick, den ich ihnen zuwarf und ich realisierte, wie unfreundlich ich in diesem Moment rüberkommen musste. Ich war drauf und dran mich bei ihnen zu entschuldigen, als ich einen Arm auf meiner Schulter spürte. Es war Taehyung.
„Tut mir leid, Ladies, aber Jungkook ist bereits vergeben“, seine tiefe Stimme raunte direkt neben meinem Ohr. Ich hielt den Atem an. „Oh“, machte Jooyeon und ließ sogleich meine Hand los. Die vier Freundinnen tauschten überraschte Blicke miteinander. „Ich weiß, man sieht es ihm nicht an. Aber es stimmt, nicht wahr Kookie?“, fuhr Taehyung fort und zog den Arm auf meiner Schulter enger, sodass ich automatisch gegen seine Brust gedrückt wurde. „J-Ja, stimmt schon“, murmelte ich leise. Es raubte mir beinahe den Verstand, dass ich seinen Herzschlag an meinem Rücken spüren konnte. Er ging stetig, aber schnell. Sehr schnell. Und es beruhigte mich ein bisschen, denn mein Herzschlag ging in diesem Moment mindestens genauso schnell. Ich hatte schon lange nicht mehr so viel Körperkontakt mit einem anderen Menschen. Jedenfalls nicht auf diese Art und Weise. Es fühlte sich gut an. So warm und geborgen. Ich fühlte mich sicher. Hier wollte ich am liebsten den ganzen Abend lang sitzen bleiben.
„Kookie?“, prustete Jimin los und riss mich damit von Wolke Sieben zurück in die Realität. „Sein Spitzname“, erklärte Taehyung knapp. „Seit wann hast du für ihn einen Spitznamen?“, gackerte der Ältere. „Ach, halt doch die Klappe“, murrte Taehyung. Er löste sich von mir und stand auf. Dann nahm er meine Hand, verschränkte unsere Finger ineinander und zog mich ebenfalls hoch. „Komm, wir gehen“, verkündete er. „J-Jetzt schon?“, flüsterte ich perplex. „Meine Mutter hat gekocht, schon vergessen?“, er lächelte. „Warte mal. Lasst ihr mich jetzt echt allein?“, funkte Jimin dazwischen. „Du kommst auch gut ohne uns zurecht. Leiste den hübschen Damen doch etwas Gesellschaft, mh?“, schlug Taehyung vor. Ich hatte keine Zeit mich vernünftig zu verabschieden, denn kurz darauf zog Taehyung mich auch schon hinter sich her. Ich stolperte eher, als das ich lief. Kurz bevor wir die Kneipe verließen, warf ich noch einen letzten Blick zurück. Jimin war die beiden leeren Sitzplätze aufgerückt und saß nun direkt neben Jooyeon. Doch die hatte nur Augen für mich. Ich versuchte es mit einem freundlichen Lächeln, welches sie sogar erwiderte. Dann fiel die Tür hinter uns ins Schloss.
Draußen war es mittlerweile stockfinster. Lediglich der Mond, der als eine runde Sichel am Himmel schien, spendete uns genügend Licht, um den Weg zurück nach Hause zu finden. Es war kalt. Genaugenommen ziemlich kalt. Vor allem die Stelle, mit der ich vor ein paar Minuten noch gegen Taehyung´s Brust gelehnt hatte, war kalt. Ein Schauer lief über meinen Rücken und ich schüttelte mich.
„Alles okay?“, fragte Taehyung nach. Unsere Hände waren immer noch ineinander verschränkt und er schien nicht den Eindruck zu machen, mich jemals wieder loslassen zu wollen. Ein Schwall Schmetterlinge flatterte durch meinen Bauch. Ich biss mich verlegen auf die Unterlippe. „Ja, alles gut“, murmelte ich dann zur Antwort. „Tut mir leid, wegen gerade eben. Ich wollte dich nicht fälschlicherweise vor all den Menschen verraten“, sprach er weiter. „Was?“, ich starrte ihn aus großen Augen an, „Dafür musst du dich doch nicht entschuldigen. Du hast mich gerettet. Ich bin dir dankbar“.
„Wirklich?“, er drehte den Kopf in meine Richtung und mein Herz wurde von seinen dunkel glänzenden Augen erfasst. Es kostete mich sämtliche Willenskraft, um nicht hier und jetzt einen aufgeregten Schreianfall zu bekommen. Also schaute ich schnell auf den Boden herab und gewann unheimliches Interesse an der matschigen Erde.
„Du hast mich nicht fälschlicherweise verraten…“, sagte ich in die Stille. Es sollte ihn nicht nur trösten, sondern ihm auch einen Hinweis darauf geben, dass ich durchaus Gefühle für ihn – einen Mann – entwickeln konnte. „Okay“, antwortete er knapp und ich war froh, dass er es dabei beließ. Ein glückliches Lächeln breitete sich auf meinen Lippen aus und ich kam nicht drumherum, seine Hand ein bisschen fester zu halten. Er erwiderte den Druck. Unsere Schultern stupsten gegeneinander und aus meinem Lächeln wurde ein dämliches Grinsen.
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Urgh, the fluff is starting to grow (x_x)
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