17.
Jungkook's PoV.:
Obwohl ich den Aufbau des Totenfestes mit eigenen Augen mitbekommen hatte, wurde ich bei dessen Anblick vollkommen überwältigt. Es war schon dunkel, als wir ankamen. Der Platz wurde von Feuerfackeln beleuchtet. Aber es gab auch Lampions, die an den Dächern baumelten. Beide Lichtquellen reihten sich in einem Kreis zusammen, sodass der ganze Marktplatz von einem warmen Licht erleuchtet wurde. Eine beachtliche Menge an Menschen tummelte sich bereits in der Mitte zusammen. Kinder, Bauern, Schmiede, Bäcker. Einfach alle waren da. Sie hatten ihre Blicke auf die Tribüne gerichtet. Dort saß - auf den mächtigen Stühlen - der König mit seinem Sohn. Beide waren in wunderschöne Hanboks gekleidet. Der König in dunkelblau, mit goldenen Verzierungen. Sein Sohn in Weiß. In ihrem Schatten standen Wächter und Soldaten bereit. Nicht viele, aber es reichte aus, um die Leute abzuschrecken.
„Komm mit", hörte ich Taehyung sprechen, bevor er sich einen Weg entlang der vielen Menschen bahnte. Ich folgte ihm. Allerdings konnte ich nicht meinen Blick vom König losreißen. Ich hatte noch nie einen König sehen. Er strahlte eine unglaubliche Aura aus. So mächtig und autoritär, aber auch weise und emphatisch. Seine grauen Haare hatte er zu einem Zopf gebunden, genauso wie seinen grauen, langen Bart, der ihm bis zur Brust reichte. Die Hände hielt er in seinem Schoß verschränkt.
„Hier", sagte Taehyung und hielt mich am Arm zurück, sodass ich stehen blieb. Wir hatten die Menschenmenge erfolgreich umrundet und standen nun ganz links am Rand. Von dort hatten wir eine gute Sicht auf den König. „Ich habe ihn mir ganz anders vorgestellt", flüsterte ich in Taehyung's Richtung. „Wie denn?", wollte er wissen. „Keine Ahnung. Aber der Prinz sieht ihm kein Stück ähnlich", antwortete ich. Die beiden sahen sich tatsächlich nicht ähnlich. Der König hatte harte Gesichtszüge und ein bisschen mehr auf den Rippen. Dagegen hatte der Prinz sehr weiche Gesichtszüge und eine schmale Figur.
„Nun ja, man sagt sich, dass der Prinz voll und ganz nach seiner Mutter kommt. Ich kann das nicht beurteilen, weil ich die Königin nie zu Gesicht bekommen habe. Sie starb, bevor ich auf die Welt kam. Aber man kann den Gerüchten wohl Glauben schenken", erklärte Taehyung mir. „Wie ist sie gestorben?", hakte ich nach. Taehyung setzte zu einer Antwort an, doch genau in diesem Moment erhob sich der König von seinem Stuhl und breitete die Arme aus. „Mein Volk! Ich begrüße euch ganz herzlich zu unserem diesjährigen Totenfest!", begrüßte er uns und die Menge klatschte und jubelte. Der König lächelte: „Es ist immer wieder schön zu sehen, wie ihr euch an diesem Tag zusammenfindet, um gemeinsam die Toten zu ehren. Es ist mittlerweile sieben Jahre her, seitdem uns der Krieg zwischen Silla und Goguryeo die Liebsten genommen hat. Einige von euch haben ihre Ehemänner verloren. Andere haben ihre Väter, oder auch Söhne betrauern müssen".
Ich konnte nicht anders, als zu Taehyung zu sehen. Im Schein der Feuerfackeln wirkten seine Augen rot und glasig. Sein Kiefer mahlte. Ich schaute wieder zurück zu der kleinen Tribüne, wo der König seine Rede fortführte.
„Ich kenne euren Schmerz. Ich weiß wie es sich anfühlt jemanden zu verlieren, der einem am Herzen liegt. Und ich wünschte, ich könnte euch die Leere in eurem Herzen nehmen", er legte eine Hand flach auf seine Brust und irgendjemand in den Reihen fing an zu weinen, „Aber das kann ich nicht. Schließlich bin ich kein Zauberer... Nichtsdestotrotz kann ich euch mit diesem Fest die Möglichkeit geben, euren Schmerz auszuleben. Ihr dürft weinen, ihr dürft lachen. Ihr dürft eure Gedanken treiben lassen. Ihr dürft tanzen und singen. Denkt an eure Liebsten. Sprecht ein Gebet zu ihnen! Lasst uns diese Nacht so laut und hell scheinen, dass unsere Liebsten uns von dort oben hören und sehen können!". Die Menschen grölten zustimmend. Der König klatschte in die Hände und plötzlich erklang eine sanfte Melodie. „Was ist das? Wo kommt das her?", fragte ich und quetschte mich vor Taehyung, um besser zu sehen. Dort vorne, auf den Holzdielen vor der Tribüne, saß eine Frau in einem hellblauen Hanbok. Vor ihr lag ein altes, traditionelles Musikinstrument. Ich kannte es, denn ich hatte im Musikunterricht in der Grundschule einmal darauf gespielt. Man nannte es Gayageum. Es klang wie eine Gitarre, nur ein bisschen tiefer. Man spielte es mit beiden Händen, indem man an den einzelnen Saiten zupfte.
Die Frau spielte zuerst eine langsame Melodie, mit ausgedehnten Tönen. Schließlich wurde sie schneller und ein Mann mit Trommel stimmte ein, den ich bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht gesehen hatte. Immer, wenn zwischen den Tönen eine kurze Pause entstand, gab er einen Schlag. Und dann fing jemand an zu singen. Es war ein Lied über den Krieg und das Leid, welches dadurch verteilt wurde. Ein paar der Dorfbewohner schienen das Lied schon zu kennen, denn sie summten leise mit. Man konnte ihnen den Schmerz in ihrer Stimme deutlich anhören. Eine Gänsehaut breitete sich auf meinem Körper aus und ich fing an zu frösteln, obwohl der Marktplatz durch das ganze Feuer ziemlich warmgehalten wurde.
„Mein Vater starb auch in diesem Krieg", hörte ich Taehyung plötzlich sprechen. Ich hielt instinktiv die Luft an. Ein Teil von mir wollte sich zu ihm umdrehen, um ihm besser zuzuhören. Vor allem, weil er sich ganz offensichtlich dazu entschieden hatte, mir von seinem Leid zu erzählen. Aber ich entschied mich dagegen, weil ich das Gefühl hatte, dass ihn das verunsichern würde. „Es geschah, als ich 11 Jahre alt war. Der König von Silla schickte Soldaten los, um aus jedem Dorf die Männer und Jungen zu holen. Sie kamen mitten in der Nacht. Wir wussten nicht, was passiert. Man klärte uns erst am nächsten Morgen auf. Es war schrecklich. Mein Vater verabschiedete sich von uns und meine Mutter weinte. Ich verstand die Welt nicht mehr. Erst zwei Tage nachdem er fort war, sickerte die Wahrheit zu mir durch. Ich weinte beinahe jeden Abend", er seufzte schwer, „Als Kind macht man sich noch Hoffnungen, dass alles gut ausgeht. Aber mein Vater kam nicht zurück. Lediglich drei Männer aus unserem Dorf haben überlebt. Dem einen Kerl fehlen beide Arme. Der Andere hat ein Bein verloren. Und der Dritte hat Dinge gesehen, die ihm nachts den Schlaf rauben. Er ist verrückt geworden".
Ich schluckte trocken.
„Schließlich kann ich nur noch hoffen, dass mein Vater eines ehrenvollen Todes gestorben ist", sagte Taehyung und seine Worte klangen so leer, dass es mir ein Loch in die Brust schlug. „Er ist mit Sicherheit eines ehrenvollen Todes gestorben", sagte ich und drehte mich zu ihm um, „Immerhin hat er für sein Land gekämpft. Für deine Mutter und für dich, damit ihr in Sicherheit seid". Taehyung starrte mich an und für einen kurzen Moment hatte ich das Gefühl, in die Augen des kleinen Kim Taehyung zu schauen, der damals seinen Vater verloren hatte. Er wirkte so unschuldig und verletzlich. Aber auch wütend und verbittert. Ich musste mich an unser erstes, richtiges Gespräch erinnern, bei dem er über den bevorstehenden Krieg und die Aufstellung der Soldaten geredet hatte. Er hatte gesagt, dass man die Bauern voran schicken würde, um den Gegner zu schwächen. Erst danach würde man die ausgebildeten Krieger schicken. Damals hatte ich mich gewundert, woher er das alles wusste. Jetzt verstand ich es.
„Hast du auch schonmal jemanden verloren?", fragte er und überraschte mich damit ein bisschen. Normalerweise war ich derjenige, der die Fragen stellte. Er stellte mir nie Fragen. Schon gar nicht solche, die mit mir und meinem Leben zutun hatten. Aber es freute mich, seine Neugierde geweckt zu haben. Ich überlegte kurz. „Ich habe noch nie ein Familienmitglied verloren. Nur mich selbst", erwiderte ich dann. Taehyung's Gesicht regte sich und er runzelte die Stirn: „Dich selbst? Wie soll das gehen?".
„Durch meine Krankheit...", ich drehte mich wieder um, weil ich seinem Blick nicht standhalten konnte, „Ich habe mich gehasst. Alles an mir; meine Beine, meine Arme, mein Gesicht. Ich konnte nicht laufen, nicht sprechen und nicht essen. Es gab Anfälle, bei denen sich mein ganzer Körper verkrampfte und alles weh getan hat. Ich konnte nicht schlafen und lag tagelang wach. Jede Stunde und jede Minute musste ich daran denken, was meine Freunde machen. Egal was es war, ich wollte dabei sein. Ich wollte auch Spaß haben. Aber es ging nicht. Und so fing ich an mich zu hassen. Ich verabscheute mich und mein Leben. Ich habe mich gefühlt wie ein gefangener Geist in einem Körper, der zu nichts mehr zu gebrauchen ist".
Daraufhin herrschte betretendes Schweigen. Lediglich die sanften Töne der Gayageum und das kräftige Trommeln hörte man. Im Einklang dazu die Stimmen der Menschen.
„Du hast dich erholt", sagte Taehyung schließlich. Ich blinzelte meine Tränen weg und drehte mich wieder zu ihm um. „Was?", fragte ich verwirrt. „Du hast dich erholt. Du bist wieder gesund. Darauf kommt es doch an, oder nicht?", ein klitzekleines Lächeln huschte über sein Gesicht. Ich hätte es im dämmrigen Licht der Feuerfackeln beinahe verpasst, wenn ich ihm nicht so nahe gegenüber gestanden hätte. Mein Herz wurde schwer. Ich konnte ihm nicht sagen, dass das hier bloß ein Traum - ein fantasievolles Produkt meines Unterbewusstseins - war. Er hätte mich für verrückt gehalten und wer weiß, vielleicht wäre ich dann schweißgebadet im Krankenhaus aufgewacht. Nein, es galt diesen Traum geheim zu halten. Vielleicht würde ich niemals aufwachen, solange ich den Mund hielt und diesen Traum als meine neue Realität ansah. Jedenfalls hoffte ich das. Es gab noch so vieles, was ich erleben wollte.
„Ja, da hast du recht. Ich bin wieder gesund", lächelte ich und biss mir auf die Unterlippe, um nicht hier und jetzt einen Niagara Wasserfall aus Tränen zu heulen. Und in diesem Moment nahm ich mir ganz fest vor, diesen Traum in vollsten Zügen zu leben und zu genießen. Wenn nicht hier und jetzt, wann dann?
•°•°•
°•°•°
Uff der erste Arbeitstag hat mal wieder richtig geballert. Freue mich jetzt schon auf die Weihnachtsferien xD
Wir bringen Taekook jetzt ins Rollen~
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top